Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21.05.2008
LSG NRW: vorläufiger rechtsschutz, kündigung, nebenkosten, erlass, miete, heizung, betriebskosten, mietvertrag, hauptsache, räumung
Landessozialgericht NRW, L 9 B 77/08 AS ER
Datum:
21.05.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 9 B 77/08 AS ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 20 AS 22/08 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Köln vom 25.03.2008 wird zurückgewiesen. Kosten sind
nicht zu erstatten.
Gründe:
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I.
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Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Bewilligung höherer Leistungen
für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 01.12.2007 bis zum 30.11.2008. In einem
weiteren beim Senat anhängigen Verfahren macht er entsprechende Leistungen auch
für die Zeit vom 01.01.2006 bis zum 30.11.2007 geltend (L 9 B 79/08 AS ER).
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Der 1948 geborene alleinstehende Antragsteller bewohnt seit 1981 eine 53,24 qm
große Einzimmerwohnung. Die Kaltmiete beträgt 312,48 EUR. Für Neben- und
Heizkosten erbringt der Antragsteller eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von
monatlich 180,00 EUR. Seit dem 01.01.2005 bezieht der Antragsteller Leistungen nach
dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Die Antragsgegenerin wies den
Antragsteller bereits bei der Erstbewilligung darauf hin, dass ihres Erachtens die Kosten
der Unterkunft unangemessen hoch seien. Seit dem 01.07.2005 zahlte sie Kosten der
Unterkunft nur in der von ihr für angemessen gehaltenen Höhe von 361,00 Euro (325,00
Euro Miete inklusive Nebenkosten, 36,00 Euro Heizkosten). Der Antragsteller hat bereits
mehrere Verfahren hinsichtlich der Höhe der übernahmefähigen Kosten der Unterkunft
beim Sozialgericht Köln (SG) und beim Landessozialgericht (LSG) geführt. Derzeit sind
vor dem LSG noch die Hauptsacheverfahren L 9 AS 68/06 betreffend den Zeitraum
01.01. bis 30.06.2005 und L 9 AS 5/06 betreffend den Zeitraum 01.07. bis 31.12.2005
anhängig.
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Mit Bescheid vom 04.06.2007 bewilligte die Antragsgegnerin für die Zeit vom 01.06. bis
30.11.2007, abweichend von den seit Juli 2005 jeweils bewilligten 706,00 Euro,
Leistungen nur noch in Höhe von 670,00 EUR für Juni 2007 bzw. jeweils 672,00 EUR
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für die Monate Juli bis November 2007. Die Antragsgegnerin wies den Antragsteller
darauf hin, dass die Bewilligung vorläufig ohne Berücksichtigung der Heizkosten
erfolge. Mit Schreiben vom gleichen Tage forderte sie den Antragsteller auf, bis zum
15.06.2007 eine Mietbescheinigung vorzulegen, damit die Höhe der angemessenen
Kosten für Unterkunft und Heizung berechnet werden könne. Am 17.08.2007 legte der
Antragsteller die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2006 vor. Mit Bescheid vom
05.09.2007 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Da die Höhe der
Heizkosten derzeit noch nicht feststehe, sei die Antragsgegnerin berechtigt, bis zur
Vorlage einer Mietbescheinigung einen Vorschuss zu erbringen.
Mit zwei Bescheiden vom 13.12.2007 bewilligte die Antragsgegnerin Heizkosten in
Höhe von monatlich 36,00 Euro für die Zeit vom 01.06.2007 bis zum 30.11.2007 und für
die Zeit vom 01.12.2007 bis zum 31.05.2008.
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Zur Begründung seines am 17.01.2008 erhobenen Widerspruchs gegen den die Zeit
vom 01.12.2007 bis zum 31.05.2008 regelnden Bescheid vom 13.12.2007 trug der
Antragsteller vor, dass Miete und Mietnebenkosten in tatsächlicher Höhe zu gewähren
seien. Außerdem sei der Bewilligungszeitraum auf die Zeitspanne von einem Jahr zu
verlängern.
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Am 18.01.2008 erließ die Antragsgegnerin insgesamt fünf Bescheide, mit denen sie
jeweils monatliche angemessene Heizkosten in Höhe von 39,96 Euro bewilligte. Die
einzelnen Bescheide regelten die Zeiträume vom 01.01.2006 bis zum 31.05.2006, vom
01.06.2006 bis zum 30.11.2006, vom 01.12.2006 bis zum 31.05.2007, vom 01.06.2007
bis zum 30.11.2007 und vom 01.12.2007 bis zum 31.05.2008. Auch gegen diese
Bescheide erhob der Antragsteller am 27.01.2008 Widerspruch. Die Änderung der
Kosten für Unterkunft und Heizung von 361,00 Euro auf 364,96 Euro sei unschlüssig.
Heiz- und Nebenkosten seien nach der tatsächlich angefallenen Höhe angemessen. Er
habe bereits mit seinem Erstantrag vom 29.12.2004 die Bewilligung von Leistungen für
Mietaufwendungen in Höhe von 532,48 Euro (312,48 Euro Miete, 180,00 Euro
Nebenkosten, 40,00 Euro Stromkosten) geltend gemacht. Diese Aufwendung seien von
ihm nachgewiesen worden. Bewilligt worden seien bisher aber nur 364,96 Euro (325,00
Euro Miete inklusive Nebenkosten und 39,96 Euro für Heizung). Dies sei
ermessensfehlerhaft.
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Mit Bescheid vom 06.02.2008 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch gegen den
die Zeit vom 01.12.2007 bis zum 31.05.2008 regelnden Bescheid vom 13.12.2007 in der
Fassung des Bescheides vom 18.01.2008 zurück. Bereits seit dem 01.07.2005 würden
nur noch Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 361,00 Euro gezahlt. Die
Antragsgegnerin sei bis zur Vorlage der Betriebskostenabrechnung berechtigt gewesen
auf die Heizkosten einen angemessenen Vorschuss zu leisten. Nach Vorlage der
Betriebskostenabrechnung sei dann eine Neuberechnung vorgenommen und seien
monatliche Heizkosten in Höhe von 39,96 Euro anerkannt worden. Der Antragsteller
habe auch keinen Anspruch auf eine Verlängerung des Bewilligungszeitraums auf zwölf
Monate, da der Regelbewilligungszeitraum nur sechs Monate betrage. Es sei nicht
ermessensfehlerhaft, hier die Bewilligung auf die Regelbewilligungszeit zu
beschränken.
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Mit Bescheid vom 21.02.2008 wies die Antragsgegnerin auch die Widersprüche gegen
die weiteren Bescheide vom 18.01.2008 zurück. Gegen den Widerspruchsbescheid vom
21.02.2008 hat der Antragsteller am 07.03.2008 beim SG Klage erhoben und außerdem
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einen Eilantrag gestellt. Die gegen den ablehnenden Beschluss des SG vom
25.03.2008 erhobene Beschwerde ist Gegenstand des unter dem Aktenzeichen L 9 B
77/08 AS ER anhängigen Parallelverfahrens.
Auch gegen den Widerspruchsbescheid vom 06.02.2008 hat der Antragsteller am
29.02.2008 beim SG Klage erhoben und die Übernahme der ihm tatsächlich
entstandenen Mietaufwendungen, die er in diesem Verfahren mit 542,17 Euro beziffert
(312,48 Euro Miete, 180,00 Euro Nebenkosten, 40,00 Euro Stromkosten, 121,52 Euro
Mietnebenkostennachzahlung aufgeteilt auf 12 Monate), ab dem 01.12.2007 geltend
gemacht. Gleichzeitig hat er "gemäß § 86b SGG die sofortige Vollziehung der Erfüllung
meiner mir gemäß § 22 SGB II gesetzlich zustehenden Leistungen" beantragt. Zudem
hat er die Verlängerung des Bewilligungsabschnitts auf ein Jahr beantragt. Diesen
Antrag hat das SG (Az. S 20 AS 22/08 ER) mit Beschluss vom 25.03.2008 abgelehnt. Es
liege kein Anordnungsgrund vor. Soweit der Antragsteller die Zahlung weiterer Kosten
für die Zeit vom 01.12.2007 bis zum Eingang seines Eilantrages bei Gericht begehre,
folge dies schon daraus, dass es sich um vergangene Zeiträume handele, für die ein
Eilbedürfnis nicht angenommen werden könne. Auch darüber hinaus fehle es an einem
Anordnungsgrund. Dieser liege bei den hier streitigen Unterkunftskosten nur vor, wenn
ohne der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung nach Ablauf des nächst
folgenden Fälligkeitszeitpunkts für die Zahlung des Mietzinses, ernsthaft mit einer
Kündigung oder Räumungsklage zu rechnen sei. Entsprechendes habe der
Antragsteller nicht vorgetragen. Gleiches gelte für die Heizkosten. Auch hier habe der
Antragsteller nicht vorgetragen, dass ihm durch die unvollständige Zahlung der
Betriebskosten einer Kündigung drohe. Auch die Frage der Dauer des zuerkannten
Anspruchs könne ohne Nachteile für den Antragsteller im Hauptsacheverfahren geklärt
werden.
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Gegen den am 02.04.2008 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 17.04.2008
die vorliegende Beschwerde erhoben. Zur Begründung trägt er vor, dass die von ihm
nachgewiesenen individuellen Kosten von der Antragsgegnerin zu übernehmen seien.
Ein Eilbedürfnis sei gegeben, weil durch die unvollständige Zahlung der Betriebskosten
die Wohnungskündigung drohe, wie es im Mietvertrag vorgesehen sei. Außerdem liege
eine Eilbedürftigkeit auch deswegen vor, weil es für ihn eine "schwere, unzumutbare,
anders nicht
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abwendbare‚ Beeinträchtigung seines Rechtsempfindens darstelle, die Ignorierung der
vom Gesetzgeber geschaffenen Optionen durch die Beklagte zu ertragen."
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Die Antragsgegnerin hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
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II.
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Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
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Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der
Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche
Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer
einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. des
materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das
Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung
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aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Sowohl
Anordnungsanspruch, als auch Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein.
Anordnungsgrund kann nur die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile sein.
Ein Anordnungsgrund in diesem Sinne ist nicht gegeben. Für die Ansprüche vom
01.12.2007 bis zum Eingang des Leistungsantrages beim SG ist von einer fehlenden
Eilbedürftigkeit schon deswegen auszugehen, weil es sich um Ansprüche für einen in
der Vergangenheit liegendem Zeitraum handelt. Der Erlass einer einstweiligen
Anordnung kommt aber regelmäßig nur für Zeiträume ab Antragstellung beim
Sozialgericht in Betracht. Einstweiliger Rechtsschutz ermöglicht lediglich eine vorläufige
Regelung und dient nicht der Beschleunigung des Hauptsacheverfahrens (vgl. LSG
NRW, Beschl. v. 16.02.2007, Az. L 20 B 12/07 AS ER).
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Auch für den Zeitraum ab Antrag des Eingangs beim SG liegt kein Anordnungsgrund
vor. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass in einem auf die
Gewährung von Leistungen für die Unterkunft gerichteten Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes, ein Anordnungsgrund nur dann angenommen werden kann, wenn dem
Antragsteller ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung konkret die
Wohnungslosigkeit droht (vgl. u. a. Beschlüsse des erkennenden Senats vom
10.03.2008, Az. L 9 B 40/08 AS ER; vom 08.10.2007, Az.: L 9 B 150/07 AS ER; vom
12.06.2007, Az.: L 9 B 25/07 SO ER). Das Vorliegen solcher Umstände ist nicht
ersichtlich. Auch der Antragsteller hat das Vorliegen entsprechender Umstände nicht
behauptet. Der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren lediglich geltend gemacht,
dass durch unvollständige Zahlung der Betriebskosten die Kündigung drohe, wie es im
Mietvertrag vorgesehen sei. Allein die abstrakt in einem Mietvertrag vorgesehene
Kündigungsmöglichkeit reicht für die Bejahung eines Anordnungsgrundes jedoch nicht
aus. Vielmehr muss eine Kündigung oder eine Räumung unmittelbar bevorstehen. Der
Antragsteller hat bislang aber nicht vorgetragen, dass überhaupt noch entsprechende
Betriebskosten in einer Höhe offen stehen, die zumindest abstrakt eine Kündigung
rechtfertigen könnten. Ebensowenig hat er dargelegt, dass etwaige Zahlungsrückstände
eine Kündigung der Wohnung oder gar eine Räumung unmittelbar bevorstehen lassen.
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Auch die vom Antragsteller vorgetragene "schwere, unzumutbare, nicht anders
abzuwendende Beeinträchtigung seines Rechtsempfindens" begründet kein
besonderes Eilbedürfnis. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Vorliegen
von wesentlichen objektiven Nachteilen voraus, die für jeden in der gleichen Situation
befindlichen Antragsteller eine Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz oder einer
Vernichtung der Lebensgrundlage darstellen würden und es ihm unzumutbar machen,
die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Ein subjektiv empfundenes
besonderes Betroffensein ist nicht ausreichend. Ansonsten läge es in der Hand eines
jeden Antragstellers, allein durch entsprechende Behauptungen einen
Anordnungsgrund herbeizuführen.
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Schließlich ist auch für die beantragte Verlängerung des Bewilligungszeitraums eine
Eilbedüftigkeit weder zu erkennen, noch werden entsprechende Gründe vom
Antragsteller benannt. Dem Antragsteller ist es ohne weiteres zumutbar, für die
Gewährung der Leistungen über den 31.05.2008 hinaus einen Fortzahlungsantrag zu
stellen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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