Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 09.01.2006

LSG NRW: gleichstellung, bedürftigkeit, form, bedingung, sozialhilfe, verschulden, zivilprozessordnung, arbeitslosenversicherung, rechtskraft, prozesshandlung

Landessozialgericht NRW, L 19 B 60/05 AL
Datum:
09.01.2006
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 19 B 60/05 AL
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 4 AL 157/05
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts
Köln vom 29.09.2005 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten
Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Gründe:
1
Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht (SG) nicht abgeholfen hat (Beschluss
vom 04.11.2005) führt entsprechend § 159 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu
einer Aufhebung der Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) und Zurückverweisung
zur erneuten Entscheidung an das SG.
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Zwar sind Rechtsmittel bedingungsfeindlich (zur Unzulässigkeit der Revision s. BSG,
Beschluss vom 04.02.2003 - B 11 AL 5/03 R). Sogenannte echte, d.h. auf ungewisse
Umstände außerhalb des prozessualen Rahmens abstellende Bedingungen machen
eine daran anknüpfende Prozesshandlung unwirksam.
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Vorliegend hat der Kläger aber am 27.06.2005 "unter der Voraussetzung der
Bewilligung von PKH" gegen den Widerspruchsbescheid vom 22.06.2005 Klage
erhoben und (mit Schriftsatz vom 24.08.2005) später nochmals klargestellt, die
Klageerhebung erfolge im sog. Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren und werde daher
bedingt erhoben.
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Das Bundessozialgericht hat sich der ständigen Rechtsprechung aller obersten
Gerichtshöfe des Bundes angeschlossen (Urteil vom 13.10.1992 - 4 RA 36/92 - SozR 3-
1500 § 67 Nr. 5), dass einem Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittelfrist die
Bewilligung von PKH formgerecht beantragt hat und sich berechtigterweise für "arm" im
Sinne des § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) halten durfte, Wiedereinsetzung i.S.d. § 67
SGG zu gewähren ist. Er sei bis zur Entscheidung über seinen PKH-Antrag solange als
"ohne sein Verschulden an der Einlegung des Rechtsmittels verhindert" anzusehen, als
er vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrages aus dem Grunde
fehlender Bedürftigkeit rechnen muß. Dies gelte wegen des verfassungsrechtlichen
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Gebots der weitgehenden Gleichstellung von bemittelten und unbemittelten
Verfahrensbeteiligten unabhängig von der Frage der Erhebung von Gerichtskosten und
des Amtsermittlungsgrundsatzes.
Hier hat der Kläger zwar bislang nicht die auf dem vorgeschriebenen Vordruck
abzugebende Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in
der gesetzlich vorgeschriebenen Form (§ 73a SGG i.V.m. § 117 Abs. 2 und 4 ZPO)
eingereicht. Aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles muß nach Auffassung
des Senats aber dem nicht anwaltlich vertretenen Kläger zugute gehalten werden, dass
ihn das SG hierzu auch nicht aufgefordert, ihm vielmehr am 29.06.2005 den
unzutreffenden Hinweis erteilt hat, die Klageerhebung unter der Bedingung der
Bewilligung von PKH sei unzulässig. Da der Kläger überdies in seinem Antrag auf
Arbeitslosengeld vom 20.12.2004 angegeben hat, er beziehe ca. EUR 520,00
Sozialhilfe, spricht einiges dafür, dass er sich berechtigterweise für "arm" iSd § 114 ZPO
halten durfte.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
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