Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 10.01.2008

LSG NRW: auflage, billigkeit, rentenanspruch, vergütung, anfang, anmerkung, ermessen, zivilprozessordnung

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss vom 10.01.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Köln S 2 KN 43/06
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 2 B 49/07 KN
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 30.10.2007 geändert. Die Beklagte
hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des ersten Rechtszugs in vollem Umfange und außerdem die
außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde, der das Sozialgericht (SG) nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 19.11.2007) ist begründet. Die
Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Klageverfahrens in vollem Umfang zu erstatten. Denn die Beklagte hat die
am 19.4.2006 erhobene Klage veranlasst.
Es kann unentschieden bleiben, ob die Kostenentscheidung hier auf § 102 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) oder
auf § 193 Abs 1 Satz 3 SGG (in der Fassung vom 30. März 1998, BGBl I S 638) beruht, da nach beiden Vorschriften
gerichtlich nach billigem (sachgemäßen) Ermessen zu beurteilen ist, inwieweit die Beteiligten einander Kosten zu
erstatten habe (vgl dazu Bundessozialgericht (BSG) E 6, 92, 93; 8, 178, 181; 14, 25, 26 sowie Leitherer in: Meyer-
Ladewig u.a ... Kommentar zum SGG. 8. Auflage 2005, § 193 Rdnrn 12ff), wobei der Sach- und Streitstand zur Zeit
der Erledigung zu berücksichtigen ist (Leitherer. aaO, Rdnrn 12c und 13; Zeihe. Das Sozialgerichtsgesetz und seine
Anwendung. 8. Auflage Stand Mai 2006, Anmerkung 7a zu § 193). Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Frage der
Kostenerstattung ist damit das Veranlassungsprinzip (Leitherer. aaO; Zeihe. aaO), d. h. es ist darauf abzustellen,
welchem Beteiligten die Durch- bzw. Fortführung des Klageverfahrens zuzurechnen ist.
Hiernach wird es in der Regel der Billigkeit entsprechen, wenn derjenige Kosten zu erstatten hat, der im Prozess -
voraussichtlich - unterlegen wäre (BSG SozR Nr 4 zu § 193 SGG; Leitherer aaO Rdnr 12a). Die allein am
mutmaßlichen Prozessausgang orientiere Betrachtungsweise ist jedoch nicht in allen Fällen angemessen, da nach
dem Veranlassungsprinzip auch immer mit zu berücksichtigen ist, ob und ggf. inwieweit der beklagte
Sozialleistungsträger - keine - Veranlassung zur Klageerhebung geboten hat (Peters/Sautter/Wolff. Kommentar zur
Sozialgerichtsbarkeit. 4. Auflage Stand Januar 2006, § 193 III/109 -60, 61-). Unentschieden bleiben kann, ob zur
weiteren Begründung dieses der Billigkeit entsprechenden Grundsatzes auf § 93 der Zivilprozessordnung (ZPO)
zurückzugreifen ist (vgl. hierzu Leitherer. aaO Rdnr 12b einerseits und LSG NRW 1987, 1360 [LS] andererseits).
Jedenfalls kann auch eine im Zeitpunkt der Erledigung unzulässige oder unbegründete Klage dann zu einer
Kostenerstattungspflicht des beklagten Sozialleistungsträges führen, wenn und soweit dieser die Durchführung des
Klageverfahrens aus anderen Gründen veranlasst hat (Landessozialgericht Nordrhein Westfalen (LSG NRW)
Beschlüsse vom 28.2.2003 Az L 2 B 10/02 KN KR, vom 2.2.2004 Az L 2 B 23/03 KN KR und vom 23.4.2007 Az L 2
B 3/07 KN KR, jeweils mwN).
Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte die Kosten des Klageverfahrens in vollem Umfang zu erstatten, weil es
sich hier um einen (Regel-)Fall ihres vollständigen Unterliegens handelt. Die Klage war nämlich von Anfang an in
vollem Umfang zulässig und begründet; Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Klageerhebung gleichwohl (teilweise
mit-)veranlasst hat, liegen nicht vor.
Streitgegenstand war ausweislich des mit der Klageschrift angekündigten Sachantrags zuvörderst Rente wegen voller
Erwerbsminderung "nach Maßgabe der gesetzlichen Voraussetzungen". Diesem Anspruch hat die Beklagte mit ihrem
"Vergleichsvorschlag" vom 9.7.2007 vollständig Rechnung getragen. Sie hat damit dem streitigen "Rentenanspruch
dem Grunde nach" zum Rentenbeginn (Versicherungsfall mit Antragstellung bei Einsetzen der monatlichen Zahlung
gemäß § 101 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI)), zur Rentenart (Rente wegen voller
Erwerbsminderung), aber auch zur Rentendauer (Rente auf Zeit als gesetzlicher Regelfall) entsprochen. Zur
Rentendauer hat der Kläger entgegen der Auffassung der Beklagten weder im Verwaltungs- noch im Klageverfahren
zum Ausdruck gebracht, er sei mit einer Rente auf Zeit für (hier wohl) 34 Monate (zwei Monate unter dem
Maximalzeitraum von 3 Jahren) nicht einverstanden, sondern begehre eine - von weiteren Voraussetzungen abhängige
- Rente auf Dauer. Sogar nachdem der Sachverständige Dr. C einen Rentenanspruch auf Dauer nahe gelegt hatte, hat
der Kläger eine solche Forderung nicht erhoben.
Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist gesondert zu befinden. Diese Auffassung steht in Einklang mit dem
Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte - Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG - (Art
3 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts [Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - KostRMoG -]). Danach
fallen ab dem 1. Juli 2004 in Fällen, auf die dieses Gesetz Anwendung findet (§§ 60f RVG), für Beschwerdeverfahren
gesonderte Rechtsanwaltsgebühren an, § 18 Nr 5 RVG in Verbindung mit der Anlage 1 zu § 2 Abs 2 RVG
(Vergütungsverzeichnis) Teil 3 Abschnitt 5 Nr 3501.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.