Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 11.08.2004

LSG NRW: einkommen aus erwerbstätigkeit, gebühr, verschlechterung des gesundheitszustandes, ärztliches gutachten, rente, vergleich, dauerleistung, erwerbsfähigkeit, erschwernis, nettoeinkommen

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landessozialgericht NRW, L 4 B 9/04 RJ
11.08.2004
Landessozialgericht NRW
4. Senat
Beschluss
L 4 B 9/04 RJ
Sozialgericht Münster, S 9 RJ 9/02
Rentenversicherung
rechtskräftig
Die Beschwerde der Erinnerungsführerin gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Münster vom 06.05.2004 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten war streitig, ob die Beklagte dem Kläger Rente wegen
verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren hatte.
Durch Beschluss vom 17.05.2003 bewilligte das Sozialgericht (SG) Münster dem Kläger
Prozesskostenhilfe für die Zeit ab dem 17.01.2002 und ordnete die Erinnerungsführerin als
Rechtsanwältin bei. Das SG holte einen Befundbericht von dem behandelnden Arzt, eine
Arbeitgeberauskunft sowie ein orthopädisches Gutachten mit zwei ergänzenden
Stellungnahmen und ein HNO-ärztliches Gutachten ein. Mit Urteil vom 25.02.2004 wies das
SG die Klage ab.
Die Erinnerungsfühererin beantragte nach § 128 Bundesgebührenordnung für
Rechtsanwälte (BRAGO) die Festsetzung von Kosten in Höhe von insgesamt 735,82 Euro,
ausgehend von einer Rahmengebühr nach § 116 Abs. 1 BRAGO in Höhe von 562,42 Euro.
Mit Beschluss vom 25.03.2004 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftstelle die
erstattungsfähigen Kosten wie folgt fest:
Rahmengebühr nach §§ 116, 112 BRAGO 430,- Euro, Postgebühr nach §§ 126, 26
BRAGO 20,- Euro, Dokumentenpauschale nach § 27 BRAGO 15,- Euro, Umsatzsteuer
nach § 25 Abs. 2 BRAGO 74,40 Euro, Gesamt 539,40 Euro.
In den Gründen führte sie u.a. aus, dass im Hinblick auf die insgesamt als
überdurchschnittlich erfüllt anzusehenden Kriterien des § 12 BRAGO eine Rahmengebühr
über der Mittelgebühr festzusetzen sei. Denn die Bedeutung der Angelegenheit für den
Kläger sowie der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sei als überdurchschnittlich zu
bewerten, demgegenüber sei die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit als
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durchschnittlich einzuschätzen. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers
seien aufgrund der erfolgten Prozesskostenhilfebewilligung als unterdurchschnittlich zu
bewerten.
Gegen die Reduzierung der angesetzten Rahmengebühr von 562,42 auf 430 Euro legte die
Erinnerungsführerin Erinnerung nach § 128 Abs. 3 BRAGO ein. Sie machte geltend, die
Einkommensverhältnisse des Klägers seien als durchschnittlich zu bewerten. Da die
Kriterien nach § 12 BRAGO insgesamt als überdurchschnittlich zu bewerten seien und die
Mittelgebühr bereits 350 Euro und die Höchstgebühr 700 Euro ausmache, sei der Ansatz
einer Gebühr von bis zu 75 % der Höchstgebühr jedenfalls angemessen und beinhalte
keine Überschreitung des anwaltlichen Ermessensgebrauches.
Mit Beschluss vom 06.05.2004 wies das SG Münster die Erinnerung als unbegründet
zurück. Der Ansatz einer höheren Gebühr als der Mittelgebühr, wie sie von der
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in Ansatz gebracht worden sei, sei nicht gerechtfertigt.
Zwar sei die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger wegen des mit der Klage
verfolgten Anspruches auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
überdurchschnittlich. Der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien
jedoch als durchschnittlich anzusehen. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des
Klägers seien aufgrund der erfolgten Prozesskostenhilfebewilligung als
unterdurchschnittlich zu bewerten. Die von der Erinnerungsführerin bestimmte Gebühr
übersteige somit die gerechtfertigte Gebühr von 430 Euro um mehr als 25 %.
Gegen den am 11.05.2004 zugestellten Beschluss hat die Erinnerungsführerin am
25.05.2004 Beschwerde beim SG Münster eingelegt. Sie hat ihr Vorbringen aus dem
Erinnerungsverfahren wiederholt.
Mit Beschluss vom 04.06.2004 hat das SG Münster der Beschwerde nicht abgeholfen.
Der Bezirksrevisor für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit des Landes NRW hält die
festgesetzte Gebühr für angemessen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Gegen die Erinnerung nach § 128 Abs. 3 BRAGO ist die Beschwerde nach § 128 Abs. 4
BRAGO zulässig, wenn - wie vorliegend - der Beschwerdegegenstand 50 Euro übersteigt.
Die nach § 128 Abs. 4 Satz BRAGO i.V.m. § 173 SGG geltende Beschwerdefrist von einem
Monat ist eingehalten.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Das SG hat zutreffend die Rahmengebühr nach § 116 Abs. 1 BRAGO i.d.F. ab dem
02.01.2002 auf 430,- EUR festgesetzt.
Nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO erhält ein Rechtsanwalt vor dem Sozialgericht eine
Rahmengebühr von 50 - 660 Euro. Dabei bestimmt der Rechtsanwalt nach § 12 BRAGO
die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der
Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen
Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach
billigen Ermessen. Die von einem beigeordneten Rechtsanwalt getroffene Bestimmung ist
nur dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 12 Abs. 1 S. 2 BRAGO). Dies ist dann
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der Fall, wenn die bestimmte Gebühr um mehr als 20 % von der angemessenen Gebühr
abweicht (BSG, Urteil vom 26.2.1992, 9a RVs 3/90; Urteil vom 22.3.1984, 11 RA 58/83,
SozR 1300 § 63 Nr. 4).
Bei der Bestimmung der Rahmengebühr ist von der Mittelgebühr auszugehen. Mit der
Mittelgebühr wird die Tätigkeit eines Rechtsanwalts in einem Durchschnittsfall abgegolten.
Ein Durchschnittsfall liegt vor, wenn nach den gem. § 12 BRAGO maßgebenden Kriterien
die Streitsache als durchschnittlich zu bewerten ist, es sich um eine Streitsache von
durchschnittlicher Bedeutung, durchschnittlichem Umfang und durchschnittlichen
Vermögensverhältnissen handelt. Ob ein Durchschnittsfall vorliegt, ergibt sich aus dem
Vergleich mit den sonstigen bei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anhängigen
Streitsachen. Ein Abweichen von der Mittelgebühr ist bei einem Durchschnittsfall nicht
zulässig (BSG, Urteil vom 26.2.1992, 9a RVs 3/90; Urteil vom 22.3.1984, 11 RA 58/83,
SozR 1300 § 63 Nr. 4; BVerwG, Beschl. vom 18.9.2001, 1 WB 28.01, Rpfleger 2002, 98).
Die Mittelgebühr beträgt 355,- EUR. Bei Abweichungen von einem Durchschnittsfall kann
der Rechtsanwalt nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO eine geringere oder höhere Gebühr bis
zur Grenze des Rahmens ansetzen. Die Kriterien des § 12 BRAGO sind bei der
Beurteilung der Frage, ob ein Durchschnittsfall vorliegt, als gleichwertig anzusetzen, es sei
denn, dass einzelne Umstände derart prägend für die Gesamtsituation sind, dass sie die
übrigen in ihrer Bedeutung gleichsam zurückdrängen. Das Abweichen eines einzigen
Kriteriums i.S.v. § 12 BRAGO kann ein Abweichen von der Mittelgebühr rechtfertigen; eine
Automatik ist nicht gegeben (LSG Thüringen, Beschl. vom 14.3.2001, L 6 B 3/01 SF,
JurBüro 2002, 420; Beschl. Vom 23.02.2004, L 6 B 54/03 SF m.w.N.).
Die Urkundsbeamtin der Geschäftstelle hat zutreffend die angemessene Gebühr auf 430
EUR, also auf eine Gebühr, welche die Mittelgebühr um 20 % überschreitet, festgesetzt.
Die von der Klägerbevollmächtigten bestimmte Gebühr von 562,42 EUR überschreitet
damit den Toleranzrahmen von 20 % bei weitem.
Bei der Beurteilung der Bedeutung einer Angelegenheit ist auf das unmittelbare Ziel der
anwaltlichen Tätigkeit, die Auswirkungen des Verfahrens auf die wirtschaftlichen
Verhältnisse des Auftraggebers oder auf seine Stellung im öffentlichen Leben, sein
Ansehen, seinen Namen sowie die rechtliche und tatsächliche Klärung für andere Fälle
abzustellen. Streitigkeiten um den Bezug von Dauerleistungen, wie z. B. Renten, können
von überdurchschnittlicher Bedeutung sein, insbesondere dann, wenn die Dauerleistung
die wirtschaftliche Existenz des Auftraggebers sichert. Vorliegend hat der Rechtstreit für
den Kläger nicht nur durchschnittliche Bedeutung, da er im Hauptsacheverfahren die
Gewährung einer Dauerleistung - eine Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI
bzw. zumindest eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit
nach § 240 SGB VI - begehrte. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die wirtschaftliche
Existenz des Klägers nach Aktenlage durch Einkommen aus Erwerbstätigkeit und
Kindergeld gesichert war. Nach den Angaben im Prozesskostenhilfeverfahren verfügte der
Kläger über ein Nettoeinkommen von über 1905,08 EUR. Der Kläger bezog weder eine
Lohnersatzleistung während des Verfahrens, noch war er vom Bezug solcher Leistungen
ausgeschlossen. Vielmehr befand er sich in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis. Der
Kläger machte auch nicht geltend, dass der Bestand seines Arbeitsverhältnis wegen
gesundheitlicher Beschwerden gefährdet war. Daher ist der Angelegenheit
durchschnittlicher Bedeutung beizumessen.
Die Einkommens- und Vermögensverhältnisses des Klägers sind im Vergleich mit
denjenigen des Durchschnitts der Bevölkerung zu vergleichen. Ausgehend von einem
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Nettoeinkommen in Höhe von 1905,08 EUR sind sie auch unter Berücksichtigung der
Tatsache, dass die Familie des Klägers 4 Personen umfasst, nicht als unterdurchschnittlich
zu beurteilen. Zwar hat der Kläger Tilgungsleistungen für Darlehen in Höhe von insgesamt
ca. 740 EUR, die zur Finanzierung des Erwerbs eines Hauses dienten, zu erbringen. Diese
Tilgungsleistungen, die auch zum Aufbau eines Vermögens dienen, begründen keine
unterdurchschnittliche Vermögensverhältnisse.
Die Schwierigkeit und Umfang der anwaltlichen Tätigkeit hat das SG zutreffend als
ebenfalls durchschnittlich beurteilt.
Bei der Beurteilung der Schwierigkeit anwaltlicher Tätigkeit ist zu berücksichtigen, ob sich
die Tätigkeit des Rechtsanwalts auf den reinen Sachvortag von Tatsachen sowie die
Würdigung von Ermittlungsergebnisse beschränkte oder ob die Auseinandersetzung mit
sozialrechtlichen Fragestellungen oder Fragen aus anderen Rechtsgebieten erforderlich
war. Die Auseinandersetzung mit medizinischen Unterlagen und Gutachten ist in
sozialgerichtlichen Verfahren üblich, so dass dieser Gesichtspunkt allein keine besondere
Erschwernis der anwaltlichen Tätigkeit begründet (BSG, Urteil vom 26.2.1992, 9a RVs
3/90, Behindertenrecht 1992, 142). Im vorliegenden Fall beschränkte sich das Vorbringen
der Erinnerungsführerin auf reinen Sachvortag, insbesondere auf eine während des
Verfahrens eingetretenen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers, sowie
auf die Würdigung der Feststellungen der nach § 106 SGG gehörten Sachverständigen.
Eine Auseinandersetzung mit einer Vielzahl sich im Ergebnis widersprechender
medizinischer Gutachten, die im Einzelfall eine Erschwernis begründen vermag, war nicht
erforderlich.
Hinsichtlich des objektiven Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit ist der Arbeits- und
Zeitaufwand, den der Rechtsanwalt auf die Streitsache verwenden musste, zu würdigen.
Vorliegend hat die Erinnerungsführerin zwar Akteineinsicht in die Verwaltungskate der
Beklagten genommen, einen Termin wahrgenommen und insgesamt 16 Schriftsätze zu den
Akten gereicht. In Hinblick darauf, dass Akteneinsicht in die Verwaltungsakten sowie die
Würdigung von Feststellungen der im Verfahren gehörten Sachverständigen im
sozialgerichtlichen Verfahren üblich sind, und der Beachtung der Tatsache, dass es sich
bei dem überwiegenden Teil der Schriftsätze - wie vom SG zutreffend ausgeführt - um
kurze Schriftsätze handelt, ist der angefallene Arbeitsaufwand als durchschnittlich zu
bewerten. Der Zeitaufwand war ebenfalls durchschnittlich. Die Verfahrensdauer von 25
Monaten begründet allein in Hinblick auf die erforderliche Beweiserhebung und die vom
Kläger im Verfahren geltend gemachte Verschlechterung des Gesundheitszustands keinen
überdurchschnittlichen Zeitaufwand, zumal die Erinnerungsführerin nur an einem Termin
zur mündlichen Verhandlung mit einer Dauer von 28 Monaten teilnahm.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).