Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 13.12.2007

LSG NRW: die post, auflage, verwaltungsverfahren, bevollmächtigung, vertretung, rkg, brief, beteiligter, verwaltungsakt, versendung

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss vom 13.12.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Dortmund S 31 AS 483/06
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 7 B 167/07 AS
Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichtes Dortmund vom 22.05.2007 abgeändert. Den
Klägern wird zur Durchführung des Klageverfahrens Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt B aus C
beigeordnet.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Kläger ist begründet.
Nach § 73a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit den §§ 114,115 der Zivilprozessordnung (ZPO)
erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung
nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte
Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klage bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg. Zwar ist der Widerspruch der
Kläger vom 12.10.2006 gegen den nach dem Vortrag der Kläger am 13.10.2005 zugegangenen Bescheid vom
29.09.2005 nicht innerhalb der Monatsfrist des § 84 Abs. 1 SGG erhoben worden. Maßgebend könnte aber die
Jahresfrist nach § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 84 Abs. 2 Satz 3 SGG wegen unrichtiger
Rechtsbehelfsbelehrung sein.
Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass die fragliche Rechtsbehelfsbelehrung nicht deswegen im Sinne des §
66 Abs. 2 SGG unrichtig erteilt worden ist, weil ein Hinweis auf die Fiktion nach § 37 Abs. 2 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB X) fehlt. Nach dieser Vorschrift gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt bei der Übermittlung durch
die Post im Inland am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Eines solchen Hinweises in der
Rechtsbehelfsbelehrung bedurfte es nicht. Bei einer Versendung eines Verwaltungsaktes mit einfachem Brief ist es
ausreichend, wenn in der Rechtsbehelfsbelehrung in Übereinstimmung mit § 84 Abs. 1 SGG darauf hingewiesen wird,
dass der Widerspruch binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes einzureichen ist (vgl. BSG,
Urteil vom 30.09.1996, 10 RKg 20/95).
Bedenken bestehen jedoch insoweit, dass nicht jede Person der Bedarfsgemeinschaft über die
Rechtsbehelfsmöglichkeit belehrt worden ist. Es handelt es sich bei den Ansprüchen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II um Individualansprüche der einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (BSG,
Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 14/06 R), so dass jeder Person das Recht zusteht, nicht nur selbst das
Verwaltungsverfahren durchzuführen, sondern jeder Betroffene kann auch selbst Widerspruch einlegen (Conradis in
LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 38 Rn. 23). Zwar vertritt der erwerbsfähige Hilfebedürftige die gesamte
Bedarfsgemeinschaft als Bevollmächtigter nach § 38 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Über den Wortlaut der
Norm hinaus, der von einer vermuteten Vertretung aller Bedarfsgemeinschaftsmitglieder (nur) für die Antragstellung
und die Entgegennahme von Leistungen spricht, muss die Norm aus Gründen der vom Gesetzgeber gewollten
Verwaltungspraktikabilität und Verwaltungsökonomie dahin gehend ausgelegt werden, dass die vermutete
Bevollmächtigung alle Verfahrenshandlungen erfasst, die mit der Antragstellung und der Entgegennahme der
Leistungen zusammenhängen und der Verfolgung des Antrags dienen, also insbesondere die Einlegung eines
Widerspruchs. Hält man die Bedarfsgemeinschaft, wie der Gesetzgeber, für sinnvoll, muss sie jedenfalls durch eine
Verfahrenshandlung unterstützt werden, die es zumindest im Verfahren über die Bewilligung der Leistung verhindert,
dass die Verwaltung sich gleichwohl und zwangsläufig an jeden Einzelnen wenden muss (BSG, Urteil vom
07.11.2006, B 7b AS 8/06 R). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze könnte die Rechtsbehelfsbelehrung im
Bescheid vom 29.09.2005 den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Das Bundessozialgericht (a.a.O.) scheint
hingegen zu fordern, dass die Rechtsbehelfsbelehrung zum Ausdruck bringen muss, dass jedes einzelne Mitglied der
Bedarfsgemeinschaft den maßgeblichen Rechtsbehelf einlegen muss, und andernfalls zur Einlegung des
Widerspruchs bzw. der Klage die Jahresfrist gilt. Diesen Anforderungen genügt die fragliche Rechtsbehelfsbelehrung
nicht.
Damit wirft der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt eine Rechtsfrage auf, die bisher in der Rechtsprechung noch
nicht geklärt ist, aber klärungsbedürftig ist. Auch in einem derartigen Fall ist die Prozesskostenhilfe zu bewilligen
(Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 8. Auflage 2005, § 73a Rn. 7b m.w.N.). Ob dem Begehren der
Kläger auf höhere Leistungen letztlich stattzugeben ist, wird das SG im Rahmen des Klageverfahrens unter
Beachtung der Beschwerdebegründung zu prüfen haben.
Die Kläger sind nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemäß § 73a SGG in Verbindung mit §
115 ZPO außerstande, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Zu berücksichtigendes Vermögen liegt nach dem
Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten nicht vor. Die Prozesskostenhilfe ist daher ratenfrei zu bewilligen.
Außergerichtliche Kosten im Prozesskostenhilfe-Beschwerdeverfahren sind kraft Gesetzes nicht zu erstatten (§ 127
Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).