Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 25.02.2004

LSG NRW (teilnahme, programm, sgg, rechtsschutz, beschwerde, brustkrebs, expertenkommission, anlage, beschwerdeführer, antrag)

Landessozialgericht NRW, L 16 B 106/03 KR ER
Datum:
25.02.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 16 B 106/03 KR ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 9 KR 68/03 ER
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführer wird der Beschluss des
Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 13. November 2003 aufgehoben,
auch soweit das SG dem Antrag der Antragstellerin auf einstweiligen
Rechtsschutz - begrenzt auf ein Jahr - stattgegeben hat. Der Antrag wird
insgesamt abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die Kosten des
Verfahrens in beiden Rechtszügen. Der Streitwert für das
Beschwerdeverfahren wird auf 56000 EURO festgesetzt.
Gründe:
1
Die Beschwerde der Beschwerdeführer ist begründet. Entgegen der Auffassung des SG
verbietet es sich, aus Unzulänglichkeiten des Vertrages zwischen der AOK Rheinland
pp und der KÄV Nordrhein über ein strukturiertes Brustkrebs- Behandlungsprogramm
vom 11.10.2002 und/oder aus der Unzulänglichkeit der von der AOK Rheinland im
Schreiben vom 16.5.2003 zur Verweigerung der Teilnahme der Antragstellerin
angeführten Gründe die Notwendigkeit abzuleiten, der Antragstellerin im Wege der
Regelungsanordnung (§ 86 b 2 S. 2 SGG) für (zunächst) ein Jahr einstweilen die
Teilnahme am o.a. Brustkrebs-Behandlungsprogramm zu ermöglichen.
2
Es ist zunächst schon fraglich, ob hier die von der Antragstellerin im wesentlichen
beklagten wirtschaftlichen Nachteile von ausschlaggebender Bedeutung sein können,
denn einerseits zielt ein solches Programm in aller erster Linie auf eine Verbesserung
der Krankenbehandlung (§ 137 f SGB V), nicht aber auf eine gerechte Verteilung der
Behandlungsmöglichkeiten unter den Krankenhäusern, und andererseits reichen zur
Abwendung wesentlicher wirtschaftlicher Nachteile in der Regel die dafür
vorgesehenen Institute, wie etwa eine Schadenersatzklage, aus. Auf diese
Gesichtspunkte kam es aber nicht entscheidend an, denn die Ausführungen des SG zu
den Mängeln des Vertrages überzeugen nicht.
3
Das SG führt insoweit aus: nach dem Willen der Antragsgegner müsse das Ende der
Teilnahme am Programm mit dem Nichterreichen der Operationszahlen einhergehen;
4
indem die Antragsgegner es jedoch versäumt hätten, hier eine Verbindung herzustellen,
sei der Vertrag lückenhaft; diese Lücke könne nicht dadurch ausgefüllt werden, daß der
eindeutige Vertragswortlaut der Anlage 2 Ziffer 2 in eine prospektive Entscheidung
umgewandelt werde; das gehe allein deshalb nicht, weil nach den Ausführungen der
Antragsgegnerein festgestellt worden sei, "daß die Angaben, insbesondere, die
genannten Zahlen der Erstoperationen zur Zeit nicht überprüfbar seien ..." (Hinweis auf
das Protokoll der Sitzung der Expertenkommission ... vom 25.4.2003); könnten die
Angaben zu den Zahlen der Erstoperation aber nicht überprüft werden, könne die
Nichtteilnahme der Antragstellerin am Programm jedoch nicht damit begründet werden,
die vorgelegten Zahlen ließen den Schluß zu, die verlangten Zahlen könnten nicht
erreicht werden.
Letzteres ist ein Fehlschluß, der unterstellt, eine Prognose sei nur auf der Grundlage
überprüfbarer Zahlen möglich, was ja durchaus nicht der Fall ist.
5
Im übrigen ist es zwar fragwürdig, daß die AOK im Ablehnungsschreiben vom 16.5.2003
allein auf einen Umstand abstellt, dem wohl nur u.a. Bedeutung für die Frage der
Teilnahme zukommt, und dabei auch nur behauptet, aber nicht begründet, aufgrund
welcher von der Antragstellerin angegebenen OP-Zahlen die Expertenkommission zu
dem Ergebnis gelangt ist, die Antragstellerin werde nach Ablauf eines Jahres nicht
mindestens 150 Erstoperationen bei Neuerkrankungen nachweisen, von denen
mindestens 50 Operationen pro Operateur angefallen seien. Insoweit nennt aber die
Antragstellerin selbst Zahlen, die - mögen sie überprüfbar sein oder auch nicht - deutlich
dahinter zurückbleiben (etwa im Anordnungsantrag vom 10.8.2003: 100 Ersteingriffe bei
jährlich 120 Eingriffen). Dabei kann auch nicht von einer unzulässigen Umwandlung der
nämlichen Regelung in der Anlage 2 in eine prospektive Entscheidung gesprochen
werden. Wenn aaO gefordert wird, daß die teilnehmenden Einrichtungen sich
verpflichten, nach Ablauf eines Jahres mindestens 150 Erstoperationen bei
Neuerkrankungen pro Jahre nachzuweisen ..., dann scheint es nicht unzulässig,
sondern geboten, zumindest die Angaben der antragstellenden Häuser zu den
Leistungen der Vergangenheit daraufhin zu überprüfen, ob die verlangte Verpflichtung
auf einer realistischen Grundlage abgegeben werden kann oder nicht. Die vom SG
schließlich aufgeworfenen Fragen zur Beendigung der Teilnahme am Programm
konnten hier nicht zum Tragen kommen, da es nur um den Einstieg geht. Ohnehin stellt
aber gerade der vom SG angeführte § 7 Abs 4 des o.a. Vertrages klar, daß die
Berechtigung zur Teilnahme am Programm gerade nicht ohne weiteres mit
Nichterreichen der streitigen OP-Zahlen entfällt.
6
Nachdem der Vorsitzende des Senats in seiner die Vollstreckung aus dem Beschluss
des SG vom 14.1.2004 aussetzenden Entscheidung vom 14. Januar 2004 darauf
hingewiesen hat, daß das vorliegende Datenmaterial unzureichend sei, und nachdem
die Antragstellerin dem eher mit Rechts- denn mit tatsächlichen Ausführungen begegnet
ist, mußte der Antragstellerin der begehrte einstweilige Rechtsschutz versagt bleiben.
Der von ihr angeführte Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)
vom 14.1.2004 1 BvR 506/03 (Juris-Dokument KVRE 320 390 401) gebot keine andere
Entscheidung. Das BVerfG hat hier das Recht eines von den Gerichten der
Verwaltungsgerichtsbarkeit auf die Verpflichtungsklage verwiesenen Krankenhauses
bejaht, die Aufnahme eines anderen Hauses in den Krankenhausplan im Wege der
Drittanfechtung mit einer Konkurrentenklage unmittelbar anzufechten, weil ein effektiver
Rechtsschutz nur dann gewährleistet sei, wenn dem übergangenen Krankenhaus
zeitnah eben diese Möglichkeit eingeräumt werde. Diese Möglichkeit der
7
Konkurrentenklage ersetzt aber keineswegs die Prüfung, ob die besonderen
Voraussetzungen des § 86 b Abs 2 S. 2 SGG gegeben sind, ob es ausnahmsweise vor
Abschluß des hier anscheinend nicht einmal eingeleiteten Hauptsacheverfahrens mit
dem Ziel der Verpflichtung des Gegners geboten ist, eine einer solchen
Hauptsacheentscheidung jedenfalls befristet gleichkommende Entscheidung zu treffen,
die idR nur dann erlaubt ist, wenn der Antragsteller erkennbar in der Hauptsache Erfolg
haben muß (vgl. BVerfGE 86,382; BVerwG NJW 2000,160). Davon ist die
Antragstellerin im vorliegenden Fall deutlich entfernt, soweit sich dies nach Lage der
Akten im summarischen Verfahren erkennen läßt.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 197 a SGG iVm § 154 VwGO. Die
Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a SGG iVm §§ 25 Abs 2 und 13 Abs 1 S. 1
GKG unter Ansatz eines Viertels des von der Antragstellerin mit Schriftsatz vom
10.8.2003 mit 224.000 EURO bezifferten wirtschaftlichen Schadens für das Verfahren
wegen der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes.
8
Die Beschwerde zum Bundessozialgericht ist nicht gegeben (§ 177 SGG).
9