Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 22.08.2007

LSG NRW: altersrente, wechsel, arbeitslosigkeit, begriff, behinderung, versicherungsträger, rückwirkung, informationspflicht, veröffentlichung, ausnahme

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil vom 22.08.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Köln S 3 R 345/05
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 8 R 354/06
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23.10.2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Altersrente wegen Schwerbehinderung an Stelle der bereits bewilligten Altersrente wegen
Arbeitslosigkeit.
Der am 00.00.1941 geborene Kläger, der vom von 1965 bis 1996 als Angestellter bei den G-Werken in L beschäftigt
war und danach bis zum 31.08.2001 Versicherungszeiten der Arbeitslosigkeit hatte, stellte am 27.03.2001 bei der
Beklagten einen Antrag auf Versichertenrente aus der Angestelltenversicherung. Im Antragsformular, das der Kläger
persönlich unterschrieb, kreuzte er das Feld "Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60.
Lebensjahres" an. Das Feld "Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres für Versicherte, die als
Schwerbehinderte nach § 1 des Schwerbehindertengesetzes anerkannt sind" ließ er frei. Am 4. April 2001 wurde beim
Kläger Lungenkrebs festgestellt und nachfolgend operiert. Eine Information der Beklagten über diese Erkrankung
erfolgte nicht. Die Beklagte bewilligte dem Kläger die beantragte Rente wegen Arbeitslosigkeit durch Bescheid vom
28.05.2001 mit Wirkung ab dem 01.09.2001.
Am 20.01.2004 beantragte der Kläger bei dem Versorgungsamtes L die Feststellung einer Schwerbehinderung. Dem
Antrag wurde mit Bescheid vom 30.06.2004 in Gestalt eines festgestellten Grades seiner Behinderung in Höhe von 80
ab Antragsdatum entsprochen. Am 20.06.2005 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt L die rückwirkende
Feststellung seines Behinderungsgrades, weil die Gesundheitsbeeinträchtigungen bereits am 04.04.2001 vorgelegten
hätten und er die rückwirkende Feststellung für seine Rente brauche. Daraufhin wurde mit Bescheid des
Versorgungsamtes L vom 21.06.2005 festgestellt, dass der Grad der Behinderung von 80 bereits ab dem 01.04.2001
bestanden hat.
Am 01.07.2005 beantragte der Kläger daraufhin bei der Beklagten die Bewilligung einer Altersrente für
Schwerbehinderte ab dem 01.07.2005. Seinem Antrag fügte er die Bescheide des Versorgungsamtes L bei. Diesen
Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 01.08.2005 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass aufgrund der zuvor
bewilligten Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach § 34 Abs. 4 Sozialgesetzbuch, 6. Buch (SGB VI) ein Wechsel in
eine andere Rentenart ausgeschlossen sei.
Gegen diesen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.11.2005 hat der Kläger rechtzeitig Klage
erhoben. Das Sozialgericht (SG) Köln hat die Klage mit Urteil vom 23.10.2006 als unbegründet abgewiesen. Zur
Begründung hat es ausgeführt, auch wenn der Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Altersrente für
schwerbehinderte Menschen nach § 236 a SGB VI erfülle, stehe der Umwandlung seiner Rente die Vorschrift des § 34
Abs. 4 SGB VI in der ab dem 01.08.2004 geltenden Fassung entgegen. Denn ihm sei durch Bescheid vom 28.05.2001
bindend im Sinne vom § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Altersrente wegen Arbeitslosigkeit bewilligt worden. In
zeitlicher Hinsicht finde § 34 Abs. 4 SGB VI neuer Fassung daher Anwendung. Danach sei der Wechsel der Rentenart
ausgeschlossen. Darauf, dass die Schwerbehinderung des Klägers bereits vor Inkrafttreten des § 34 Abs. 4 SGB VI
in der ab dem 01.08.2004 geltenden Fassung vorgelegen habe, komme es entgegen der Ansicht des Klägers nicht an.
Denn § 300 SGB VI, der den Übergang vom alten zum neuen Recht regele, stelle für das jeweils auf einen
Rentenanspruch anzuwendende Recht auf den Rentenbeginn im Sinne des Leistungsbeginns ab (Hinweis auf
Bayerisches Landessozialgericht - LSG - Urteil vom 19.04.2006, L 20 R 721/05). Unter Berücksichtigung des § 99
Abs. 1 SGB VI, der den Beginn von Versichertenrenten regele, sei der Anspruch des Klägers auf Altersrente wegen
Schwerbehinderung erst nach Inkrafttreten des neuen Rechts, nämlich zum 01.07.2005 durch den Antrag auf Wechsel
der Rentenart entstanden. Weil der Kläger den Antrag auf Rente wegen Schwerbehinderung erst über drei Monate
nach Beginn der Anspruchsvoraussetzungen gestellt habe, beginne seine Rente wegen Schwerbehinderung daher erst
mit dem 1. des Antragsmonats und damit nach In-Kraft-Treten des § 34 Abs. 4 SGB VI n.F ... Diese Regelung
unterliege auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (Hinweis auf Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts
vom 06.05.2004, 2 BvL 16/02, und vom 06.10.2004, 1 BvR 1280/99). Schließlich sei der Kläger auch aufgrund eines
sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht so zu stellen, als hätte er den Wechsel in eine Altersrente wegen
Schwerbehinderung so rechtzeitig gestellt, dass die Neuregelung des § 34 Abs. 4 SGB VI auf ihn keine Anwendung
finde. Denn eine der Beklagten zuzurechnende Pflichtverletzung gegenüber dem Kläger liege nicht vor. Die Beklagte
selbst habe ihre Auskunfts- und Beratungspflichten gegenüber dem Kläger nicht verletzt, da sie erst durch den Antrag
des Klägers auf Wechsel der Rentenart Kenntnis von der Schwerbehinderung des Klägers erlangt und ihn sodann im
Rahmen eines Beratungsgesprächs unmittelbar auf die Vorschrift des § 34 Abs. 4 SGB VI hingewiesen habe. Auch
das Versorgungsamt L habe keine Auskunfts- und Beratungspflichten gegenüber dem Kläger verletzt, weil im
Zeitpunkt der Antragstellung für das Versorgungsamt nicht ersichtlich gewesen sei, ob und zu welchem Zeitpunkt die
Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers festgestellt werden würde, und weil dem Versorgungsamt keine
Informationen über das etwaige Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Altersrente wegen
Schwerbehinderung beim Kläger bekannt gewesen seien.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger rechtzeitig Berufung eingelegt.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23.10.2006 zu ändern sowie den Bescheid der Beklagten vom 01.08.2005 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.11.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Altersrente
für schwerbehinderte Menschen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Beide Beteiligte haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. Wegen der
Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig und beschwert
den Kläger nicht in seinen sozialen Rechten im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG.
Dem Kläger ist eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit gem. § 33 Abs. 2 Nr. 5 SGB VI bindend im Sinne von § 77
SGG bewilligt worden. Die Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen würde demgegenüber einen
Wechsel der Rentenart bedeuten. Einen solchen Wechsel schließt § 34 Abs. 4 SGB VI in der Fassung durch Art 1 Nr.
5 des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes v. 21.07.2004 (BGBl. I, 1791) - n.F. - jedoch aus.
Ein Wechsel der Rentenart im Sinne des § 34 Abs. 4 SGB VI n.F. liegt auch dann vor, wenn der Versicherte, wie hier
der Kläger, eine andere Art der Rente wegen Alters gemäß § 33 Abs. 2 SGB VI beansprucht als zuvor. Das ergibt
sich daraus, dass der Gesetzgeber in § 33 Abs. 2 SGB VI nunmehr rückwirkend zum 01.01.1992 den Begriff "Renten
wegen Alters" statt wie zuvor "Rente wegen Alters" verwendet und entsprechend in § 89 Abs. 1 SGB VI den Begriff
"Anspruch" durch den Plural "Ansprüche" ersetzt hat. Bei dieser Neufassung der Vorschriften durch Art 1 Nr. 4
Buchst. a), Nr. 18 i.V.m. Art 15 Abs. 2 RV-Nachhaltigkeitsgesetz (hierzu BT-Drucksache 15/2149, S. 21, 24, 32)
handelt es sich ersichtlich um eine authentische Interpretation des Gesetzes durch den Gesetzgeber. Hintergrund ist
die Rechtsprechung des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG - Urteile vom 02.08.2000, Az.: B 4 RA 40/99 R
und vom 09.04.2002, Az.: B 4 RA 58/01 R), wonach alle Renten wegen Alters auf einem einheitlichen Stammrecht
beruhen, es sich bei den verschiedenen Rentenarten lediglich um unterschiedliche Anspruchsgrundlagen handelt und
ein unzulässiger Wechsel der Rentenart im Sinne vom § 34 Abs. 4 SGB VI allenfalls dann vorliegen konnte, wenn
nach der Bewilligung der Rente ein neuer Versicherungsfall eintrat. Daher dürfte entgegen der vom SG zitierten
Entscheidung des Bayerischen LSG vom 09.03.2006, Az.: L 13 R 4237/04, auch für Versicherungsfälle vor Erlass
des Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetzes nicht ohne Weiteres von einem einheitlichen Versicherungsfall
auszugehen sein (was aber aus den nachstehend dargelegten Gründen im Falle des Klägers ohnehin offen bleiben
kann).
Die seit dem 01.08.2004 geltende Neufassung des § 34 Abs. 4 SGB VI findet auf den Kläger Anwendung. Nach der
Grundregel des § 300 Abs. 1 SGB VI sind Vorschriften von ihrem Inkrafttreten ab auf einen Anspruch anzuwenden.
Diese Grundregel greift auch für den Kläger ein, denn die Beklagte hat über seinen Anspruch auf Altersrente für
schwerbehinderte Menschen erstmals mit Bescheid vom 01.08.2005 und damit nach Inkrafttreten des § 34 Abs. 4
SGB VI n.F. entschieden.
Die Ausnahmeregelung des § 300 Abs. 2 SGB VI, die in besonderen Fällen zur Anwendung früheren Rechts führen
kann, kommt dem Kläger nicht zugute. Zwar erfüllte er bereits vor dem 01.08.2004 die Voraussetzungen eines
Anspruchs auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen gemäß § 236a SGB VI, da er das 60. Lebensjahr vollendet
hatte (§ 236a Abs. 1 Satz 2 SGB VI), als schwerbehinderter Mensch anerkannt war (§ 236 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB
VI) und mehr als 35 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten zurückgelegt hatte (§ 236a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI). Er
hat jedoch seinen Anspruch auf diese Rentenart nicht bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der
"Aufhebung", also der Änderung der Rechtslage durch Einfügung des § 34 Abs. 4 SGB VI n.F. zum 01.08.2004,
geltend gemacht. Vielmehr ist die Geltendmachung erstmalig am 01.07.2005 und damit nach Ablauf der Drei-Monats-
Frist am 31.10.2004, erfolgt.
Demgegenüber kann im ursprünglichen Rentenantrag vom 27.03.2001 nicht zugleich ein Antrag auf Gewährung einer
Altersrente für schwerbehinderte Menschen gesehen werden. Der Kläger hat in diesem Rentenantrag sein insoweit
bestehendes Gestaltungsrecht ausgeübt und den Antrag auf eine Rente wegen Arbeitslosigkeit im Sinne des § 33
Abs. 2 Nr. 5 SGB VI beschränkt. Diese Erklärung ist angesichts des unmissverständlichen Antragsvordrucks keiner
anderweitigen Auslegung oder Umdeutung in einen weiter gefassten oder gar "generellen" Rentenantrag zugänglich.
Dem Recht der Versicherten, die Rentenart selbst zu bestimmen, korrespondiert i.Ü. auch die Pflicht der
Versicherungsträger, diese Wahl zu respektieren - zumal damit jeweils individuelle wirtschaftliche Folgen verbunden
sein, können, über die nur die Versicherten selbst entscheiden können.
Ergänzt wird diese Entscheidungsfreiheit zwar durch eine Beratungs- und Informationspflicht der Rententräger. Wie
das Sozialgericht jedoch zutreffend dargestellt hat, kann der Kläger auch aufgrund des sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs nicht so gestellt werden, als habe er den Rentenantrag auf Altersrente bei Vorliegen von
Schwerbehinderung bereits vor dem 01.08.2004 gestellt. Insoweit verweist der erkennende Senat gem. § 153 Abs. 2
SGG auf die Darlegungen des Sozialgerichts, die er sich zu eigen macht.
Das gefundene Ergebnis begegnet schließlich auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Die
Neuregelung des § 34 Abs. 4 SGB VI beinhaltet keine verfassungsrechtlich verbotene Rückwirkung (vgl. hierzu im
Einzelnen BSG, Urteil v. 26.07.2007, B 13 R 44/06 R, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Vielmehr sind die
Wirkungen der Gesetzesänderung im Fall des Klägers - wie das Sozialgericht insoweit zutreffend dargelegt hat - erst
mit Wirkung für die Zukunft eingetreten. Schützenswertes Vertrauen des Klägers konnte deswegen nicht enttäuscht
werden, zumal er die Altersrente für schwerbehinderte Menschen noch bis zum 31.10.2004 - also zu einem Zeitpunkt,
als er seit langem um seine Krebserkrankung wusste - hätte beantragen und beziehen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen( § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG), weil eine
höchstrichterliche Entscheidung zu den Auswirkungen des § 34 Abs. 4 SGB VI auf einen Sachverhalt, bei dem mit
Ausnahme des Umwandlungsantrags bei Inkrafttreten der Vorschrift bereits alle anderen Voraussetzungen des
Anspruchs auf die begehrte Rentenart vorlagen, bislang noch nicht ergangen ist.