Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 29.04.2009

LSG NRW: befreiung von der versicherungspflicht, nachforderung von beiträgen, beitragsforderung, beitragspflicht, einkünfte, verwaltungsverfahren, anforderung, verwirkung, begriff, erlass

Landessozialgericht NRW, L 8 R 145/08
Datum:
29.04.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 8 R 145/08
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 46 R 193/07
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 12 R 19/09 R
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts
Dortmund vom 06.05.2008 geändert und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten (noch) darum, ob die Beklagte berechtigt war, auch für den
Zeitraum vom 01.12.2001 bis 30.11.2002 Beiträge für eine selbstständige
versicherungspflichtige Tätigkeit der Klägerin nach § 2 Satz 1 Sechstes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB VI) zu fordern.
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Die Klägerin wurde am 00.00.1968 geboren und ist Mutter eines am 00.00.2003
geborenen Sohnes. Nach Abschluss eines Studiums der Sportwissenschaften
absolvierte sie eine Zusatzausbildung zur Sporttherapeutin beim
Behindertensportverband. Seit 1999 übte sie in diesem Bereich Tätigkeiten in Form der
Betreuung von sog. Herzsportgruppen aus. In den Jahren 1999 und 2000 arbeitete sie
dabei mit dem Reaktiv/Gesundheitsforum C zusammen. Im Übrigen betreute sie als
"freiberufliche Mitarbeiterin" Herzsportgruppen bei dem "S I e.V.", wo sie vom
01.08.2001 bis 25.09.2003 (Beginn des Mutterschutzes) auch als "Angestellte" für
Bürotätigkeiten arbeitete. Bezogen auf die zuletzt genannte Tätigkeit wurden auch
Sozialversicherungsbeiträge für die Klägerin abgeführt. Außerdem betreute sie bis zum
Jahr 2003 noch Herzsportgruppen bei dem Deutschen Sportclub (DSC) X.
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Aus der Leitung von (Herz-)Sportgruppen, die sie als selbstständige Tätigkeit angab,
erzielte sie in den Jahren 1999 bis 2005 Einkünfte zwischen 273,00 EUR (2004) und
11.900,00 EUR (2002) jährlich. Das Bruttoarbeitseinkommen aus nichtselbstständiger
Tätigkeit schwankte in diesem Zeitraum zwischen 0,00 EUR und 3.926,00 EUR. Die
Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit beliefen sich in den Jahren 2001 und 2002 auf
23.348,00 DM und 11.900,00 EUR. Nach der Geburt ihres Sohnes am 00.00.2003 nahm
4
die Klägerin bei ihrem Arbeitgeber, dem "S I e.V.", Elternzeit in Anspruch. Im Hinblick
auf das Ende dieser Elternzeit zum 31.10.2006 wandte sie sich erstmals unter dem
23.08.2006 mit der Frage an die Beklagte, ob es möglich sei, wie bisher eine Tätigkeit
als Angestellte für Büroarbeiten und parallel dazu eine freiberufliche Tätigkeit im
Rahmen der Betreuung von Herzsportgruppen bei dem "S I e.V." durchzuführen. Die
Beklagte übersandte ihr mit Schreiben vom 26.10.2006 ihren Fragebogen zur
Feststellung der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbstständige und
wies in dem Anschreiben darauf hin, es sei zu prüfen, ob die Klägerin als selbstständig
Tätige der Versicherungspflicht unterliege. Nachdem die Klägerin den Fragebogen
zurückgereicht hatte, forderte die Beklagte unter dem 28.11.2006 noch weitere
Unterlagen, u.a. die Einkommensteuerbescheide ab Beginn der selbstständigen
Tätigkeit, bei der Klägerin an und bat gleichzeitig noch um Mitteilung, wann genau die
Klägerin die selbstständige Tätigkeit aufgenommen habe. Dieser Bitte kam die Klägerin
mit am 16.01.2007 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben nach. Die Beklagte
erließ sodann unter dem 24.01.2007 zwei Bescheide. Zum einen stellte sie die
Versicherungspflicht der Klägerin als Selbstständige für die Zeit ab 01.01.1999 nach § 2
Satz 1 "Nr. 1 bis 3" SGB VI fest. Diesem Bescheid fügte sie eine Beitragsrechnung für
den Zeitraum vom 01.12.2001 bis 31.12.2003 i.H.v. 3.665,45 EUR bei. Darin war für den
Zeitraum vom 01.12.2001 bis zum 30.11.2002 ein Betrag i.H.v. 2.273,52 EUR enthalten.
In dem zweiten Bescheid forderte die Beklagte die Klägerin auf, die Beiträge für die Zeit
ab dem 01.12.2001 zu zahlen. Gleichzeitig stellte sie wegen Geringfügigkeit der
Tätigkeit Versicherungsfreiheit für den Zeitraum ab dem 01.01.2004 fest (§ 5 Abs. 2 Nr. 1
SGB VI). Mit gesondertem Schreiben legte die Klägerin am 06.02.2007 Widerspruch
gegen beide Bescheide ein. Zur Begründung verwies sie auf die zum 01.01.2004 von
der Beklagten ausgesprochene Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit der
Tätigkeit und darauf, dass sie aus wirtschaftlicher Sicht nicht in der Lage sei, die
Beitragsforderung i.H.v. 3.665,45 EUR zu begleichen. Ergänzend berief sie sich auf
Verjährung. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.05.2007 wies die Beklagte den
Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, für die Beitragsberechnung vom
01.12.2001 bis 31.12.2003 seien die Einkommensteuerbescheide für die jeweiligen
Jahre berücksichtigt worden. Erst ab dem 01.01.2004 liege das Einkommen unterhalb
der Geringfügigkeitsgrenze. Es bestehe die Möglichkeit, den offenen Forderungsbetrag
in monatlichen Raten zu begleichen.
Mit der am 26.06.2007 zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhobenen Klage hat die
Klägerin vorgetragen, sie sei nicht nach § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI versicherungspflichtig
gewesen, da ihre Tätigkeit gerade nicht auf die Vermittlung von praktischen
Kenntnissen und Fähigkeiten gerichtet gewesen sei. Auch habe sie keine
Trainingspläne oder sonstiges auf die jeweiligen Kursteilnehmer speziell ausgerichtet.
Ebenso wenig übe sie eine Tätigkeit im Sinne der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) zur Versicherungspflicht von Physiotherapeuten,
Ergotherapeuten oder Masseuren aus.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Bescheid vom 24.01.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.05.2007
aufzuheben und Versicherungsfreiheit für ihre selbstständige Tätigkeit in der Zeit vom
01.01.1999 bis 31.12.2003 festzustellen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat an ihrer Rechtsauffassung festgehalten, die Klägerin sei jedenfalls nach § 2 Abs.
1 Nr. 2 SGB VI versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung. Dies
ergebe sich aus der Rechtsprechung des BSG zu Masseuren und medizinischen
Bademeistern bzw. Physiotherapeuten/Krankengymnasten sowie
Ergotherapeuten/Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten, die überwiegend aufgrund
ärztlicher An- oder Verordnung tätig werden.
10
Mit Bescheid vom 03.07.2007 hat die Beklagte die Rücknahme "des Bescheides" vom
24.01.2007 abgelehnt und hiermit auf einen bereits vor Erlass des
Widerspruchsbescheides eingegangenen Schriftsatz der Klägerin vom 23.03.2007 und
einen weiteren Schriftsatz vom 26.06.2007 reagiert, in denen sich die Klägerin auf
Verjährung der vor dem 01.01.2003 entstandenen Beitragsforderungen berufen hatte.
11
Das SG hat der Klage durch Urteil vom 06.05.2008 insoweit stattgegeben, als es die
angefochtenen Bescheide für den Zeitraum vom 01.12.2001 bis zum 30.11.2002
aufgehoben hat. Es hat dabei die Auffassung vertreten, für die Zeit vor dem 01.12.2002
sei die Beitragsforderung verjährt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die
Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
12
Mit der am 08.07.2008 eingelegten Berufung gegen das ihr am 12.06.2008 zugestellte
Urteil begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage in vollem Umfang. Sie meint, dass
die Verjährung der Beitragsforderung durch das von ihr im Jahr 2006 eingeleitete
Beitragsverfahren gemäß § 198 Satz 2 SGB VI gehemmt worden sei.
13
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 06.05.2008 zu ändern und die Klage
abzuweisen.
15
Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. § 198 SGB VI sei durch Art 8 Nr. 12
Gesetz zur Einführung einer kapitalgedeckten Hüttenknappschaftlichen
Zusatzversicherung und zur Änderung anderer Gesetze (HZvNG) v. 21.06.2002 (BGBl I
S. 2002, 2167) neu gefasst worden und daher erst ab diesem Zeitpunkt, nicht jedoch auf
bereits zuvor entstandene Ansprüche anzuwenden. Im Übrigen sei kein Verfahren im
Sinne des § 198 Satz 2 SGB VI im Jahre 2006 anhängig gewesen, weil ein
entsprechendes Handeln der Beklagten gemäß § 8 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB X) zu diesem Zeitpunkt für die Klägerin noch nicht nach außen hervorgetreten sei.
Sie habe vielmehr erstmals durch den Bescheid vom 24.01.2007 hiervon erfahren. Es
sei für sie auch nicht erkennbar gewesen, dass sich die Beklagte mit ihrer
Versicherungspflicht für die Vergangenheit beschäftigt habe, nachdem diese sie nicht
einmal im Wege der Anhörung über den Umfang ihrer Prüfung informiert habe.
Schließlich sei die Verjährung auch nicht nach § 25 Abs. 2 Viertes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB IV) i.V.m. § 203 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gehemmt
worden.
18
Die Klägerin ist hinsichtlich des genauen Inhaltes ihrer Tätigkeit bzw. des Ablaufes und
der Abrechnung der Herzsportkurse von dem Berichterstatter nochmals persönlich
angehört worden. Ferner hat der Senat die Arbeits- und Honorarverträge der Klägerin
mit dem "S I e.V." vom 31.07.2001 bzw. 17.12.1998 beigezogen.
19
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten,
der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
20
Entscheidungsgründe:
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Gegenstand des Berufungsverfahrens sind die beiden Bescheide vom 24.01.2007 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.05.2007. Diese Bescheide stellen eine
einheitliche Regelung dergestalt dar, dass die Beklagte mit dem "Beitragsbescheid"
nicht nur die Versicherungspflicht dem Grunde nach für die Zeit vom 01.01.1999 bis zum
31.12.2003 festgestellt, die für die Zeit vom 01.12.2001 bis 31.12.2003 zu zahlenden
Beiträge der Höhe nach festgesetzt und gleichzeitig auf die Zahlung von Beiträgen für
die Zeit bis zum 30.11.2001 wegen Eintritts der Verjährung verzichtet hat.
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Ebenso wie das Klageverfahren insgesamt ist allerdings der Umfang und Gegenstand
des Berufungsverfahrens aufgrund der Dispositionsmaxime (§ 123 Sozialgerichtsgesetz
[SGG]) abhängig von den Anträgen der Beteiligten (§ 202 SGG i.V.m. § 528
Zivilprozessordnung). Da nur die Beklagte Berufung eingelegt hat, kann das Urteil des
SG daher nicht zu ihrem Nachteil geändert werden (statt aller: BSG, Urteil v. 02.12.2008,
B 2 KN 3/07 U R, m.w.N.; zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Die
angefochtenen Bescheide sind somit vom Berufungsgericht nur insoweit zu prüfen, als
das SG sie aufgehoben hat, d.h. für den Zeitraum vom 01.12.2001 bis zum 30.11.2002.
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Darüber hinaus ist auch der vom SG übergangene Bescheid vom 03.07.2007 nach § 96
Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, obwohl es sich dabei dem
Willen der Beklagten nach um einen Überprüfungsbescheid gemäß § 44 SGB X
handelt. Hätte die Beklagte mit diesem Bescheid ihre ursprüngliche Entscheidung über
die Versicherungs- und Beitragspflicht der Klägerin geändert, so hätte eine
Einbeziehung außer Zweifel gestanden. Dann aber muss auch ein Bescheid, mit dem
die Beklagte während eines Gerichtsverfahrens ablehnt, nach § 44 SGB X tätig zu
werden, Gegenstand des Verfahrens werden. Nur so kann vermieden werden, dass -
durch welcherart Vorgehen auch immer - über denselben Streitgegenstand mehrere
gerichtliche Verfahren nebeneinander geführt werden (vgl. BSG, Urteil v. 20.07.2005, B
13 RJ 37/04 R, m.w.N., juris). Da das SG über die im Bescheid vom 03.07.2007
geregelte Frage, nämlich den (Nicht-)Eintritt der Verjährung der Beitragsansprüche für
die Zeit vor dem 01.12.2001, ausdrücklich mit entschieden hat und die Beteiligten im
Berufungsverfahren maßgeblich über diese Frage gestritten haben, bestehen auch
keine Bedenken, dass der Senat jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des "Heraufholens
von Prozessresten" über die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides befindet.
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die angegriffenen Bescheide sind
auch für den Zeit vom 01.12.2001 bis zum 30.11.2002 nicht rechtswidrig und verletzen
die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat
auch in diesem Zeitraum als Selbstständige der Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Rentenversicherung unterlegen (dazu 1.). Die Beklagte hat auf dieser Grundlage die
von der Klägerin zu zahlenden Beiträge zutreffend berechnet (dazu 2.). Die
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Beitragspflicht der Klägerin ist auch weder erloschen, noch stehen ihrer Durchsetzung
Einwendungen oder Einreden entgegen (dazu 3.).
1. Die Klägerin war (auch) im noch streitbefangenen Zeitraum als Selbstständige in der
gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig.
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Dies steht bereits bestandskräftig fest, weil die angefochtenen Bescheide, soweit sie die
Versicherungspflicht der Klägerin dem Grunde nach feststellen, auch für den noch
streitbefangenen Zeitraum bindend geworden sind (§ 77 SGG), nachdem die Klägerin
ihrerseits das Urteil des SG nicht angegriffen hat. Im Übrigen hält die Feststellung der
Beklagten des SG, dass die Klägerin als Selbstständige der Versicherungspflicht in der
gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt, aber auch einer inhaltlichen Überprüfung
stand. Die Versicherungspflicht der Klägerin dem Grunde nach ergibt sich für den
Zeitraum vom 01.12.2001 bis zum 30.11.2002 aus § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI.
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Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit als
Betreuerin von Herzsportgruppen selbstständig und nicht etwa im Sinne von § 7 Abs. 1
SGB IV abhängig beschäftigt gewesen ist. Die Umstände des Falles bieten keinen
Anhaltspunkt dafür, dass diese Einschätzung unzutreffend sein könnte. Denn weder der
Inhalt des Honorarvertrages der Klägerin mit dem "S I e.V." noch die von ihr
geschilderten Umstände der Ausführung der Tätigkeit legen die Annahme nahe, dass
sie entgegen der vertraglichen Abrede in diesem Bereich wie eine abhängig
Beschäftigte in die Betriebsabläufe des "S I e.V." oder des DSC X eingegliedert oder
weisungsgebunden gewesen wäre.
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Die Klägerin war zudem als Lehrerin im Sinne von § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI selbständig
tätig.
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In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG legt der Senat den Begriff des
"Lehrers" im Sinne dieser Bestimmung weit aus, um den von dieser Vorschrift
typisierend erfassten sozial schutzbedürftigen Personenkreis möglichst vollständig zu
erfassen (vgl. BSG, Urteil v. 22.06.2005, B 12 RA 6/04 R, SozR 4-2600 § 2 Nr. 1; BSG v.
22.06.2005, B 12 RA 12/04 R, SozR 4-2600 § 2 Nr. 2; diese Auslegung ist nach BVerfG,
Beschluss v. 25.07.2007, 1 BvR 2134/05, verfassungsgemäß). Danach kommt es weder
darauf an, ob eine besondere pädagogische Ausbildung durchlaufen wurde, noch ob
die ausgeübte Tätigkeit einem geregelten Berufsbild entspricht, noch ob sie innerhalb
eines eigenen Betriebs ausgeübt wird. Vielmehr reicht es aus, wenn - sei es auch nur
flüchtige - spezielle Fähigkeiten durch praktischen Unterricht in organisierter Form
vermittelt werden.
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Diesen Anforderungen genügt die Tätigkeit der Klägerin im Rahmen der Betreuung von
Herzsportgruppen. Bei den von ihr geleiteten Kursen hat es sich um Rehabilitationssport
im Sinne der §§ 43 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch i.V.m. 44 Abs. 1 Nr. 4
Neuntes Buch Sozialgesetzbuch und der heutigen "Rahmenvereinbarung über den
Rehabilitationssport und das Funktionstraining" (dazu: BSG, Urteil vom 17.06.2008, Az.
B 1 KR 31/07 R; in dem hier fraglichen Zeitraum: "Gesamtvereinbarung über den
Rehabilitationssport und das Funktionstraining" [RehaSpGVb]) gehandelt. Den §§ 2
Abs. 1 Satz 6, 2 Abs. 2 Satz 1 und 11 RehaSpGVb lässt sich entnehmen, dass dabei
dem Übungsleiter (also hier der Klägerin) die Aufgabe zukommt, den Teilnehmern
bestimmte Fertigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln, die sie in die Lage versetzen,
Übungen eigenständig und ohne Schaden für die Gesundheit durchzuführen. Dies
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spiegelt sich auch in dem von der Klägerin vorgelegten Beispielsprotokoll einer
Therapiestunde mit Herzpatienten sowie den Ausführungen zu ihrer Tätigkeit im
Allgemeinen wider. Im Hinblick darauf folgt der Senat dem Einwand der Klägerin, ihre
Tätigkeit sei nicht auf die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten gerichtet
gewesen, nicht. Dies gilt umso mehr, als nach der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.)
keine besonderen Umstände vorliegen müssen, um eine auf die Vermittlung von
Kenntnissen und/oder Fertigkeiten gerichtete Tätigkeit als Lehrtätigkeit im Sinne der
gesetzlichen Rentenversicherung zu qualifizieren.
Die Klägerin hat zudem im Rahmen der Betreuung von Herzsportgruppen keinen
versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt.
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In ihrer Tätigkeit als Selbstständige im Sinne von § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI war die
Klägerin auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI i.V.m. § 8 Viertes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB IV) versicherungsfrei. Die Geringfügigkeitsgrenze i.S.d. § 8 Abs.
1 Nr. 1, Abs. 3 SGB IV belief sich im Streitzeitraum auf 630,00 DM (2001) bzw. 325,00
EUR (2002) monatlich. Ausweislich der aktenkundigen Steuerbescheide hatte die
Klägerin in dem fraglichen Zeitraum monatliche Einkünfte in Höhe von 1.945,66 DM
(2001) bzw. 991,66 EUR (2002), die die Grenzbeträge deutlich überstiegen. Weitere
Gründe, aus denen eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Selbstständige in
Betracht käme, sind nicht erkennbar.
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2. Die von der Beklagten in den angefochten Bescheiden für den jetzt noch zu
beurteilenden Zeitraum ermittelte Beitragssumme von 2.273,52 EUR ist auch der Höhe
nach nicht zu beanstanden. Die für die Klägerin maßgebenden Beitragssätze beliefen
sich für die Jahre 2001 (Beitragssatzverordnung v. 31.12.2000, BGBl. I S. 1877) und
2002 (Gesetz zur Bestimmung der Schwankungsreserve v. 20.12.2001, BGBl. I S. 4010)
jeweils auf 19,1 %. Unter Berücksichtigung der oben unter 1), c) genannten Einkünfte
der Klägerin errechnet sich daraus für das auf die einzelnen Monate verteilte
Jahreseinkommen der Klägerin ein Monatsbeitrag i.H.v. 371,62 DM (= 190,01 EUR,
2001) bzw. 189,41 EUR (2002). Aus § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB VI ergibt sich kein
anderes Ergebnis, weil die Einkünfte der Klägerin in dem hier fraglichen Zeitraum die
Hälfte des Betrages der monatlichen Bezugsgröße (2001: 4.480,00 DM monatlich; 2002:
2.345,00 EUR monatlich) unterschritten.
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3. Es ist weder erkennbar, noch von der Klägerin vorgetragen, dass sie die
Beitragsforderung bereits beglichen hat und die Forderung deswegen inzwischen
(analog § 362 BGB) erloschen wäre. Sie ist auch durchsetzbar. Der Durchsetzung
stehen weder die von der Klägerin erhobene Verjährungseinrede noch der Einwand der
Verwirkung entgegen.
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a) Zunächst hat das SG zu Unrecht angenommen, die Beitragsforderung für den
Zeitraum vom 01.12.2001 bis 30.11.2002 sei gemäß §§ 25 Abs. 1 Satz 1, 23 Abs. 1 Satz
2 SGB IV mit Ablauf des 31.12.2006 verjährt. Denn die Verjährung ist spätestens durch
das Schreiben der Beklagten vom 28.11.2006 (Anforderung der
Einkommensteuerbescheide für die Vergangenheit) und das dadurch eingeleitete
Verwaltungsverfahren i.S.v. § 8 SGB X gemäß § 198 Satz 2 SGB VI gehemmt worden.
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Nach § 198 Satz 2 SGB VI i.d.F. Art 8 Nr. 12 HZvNG wird die Verjährung des Anspruchs
auf Zahlung von Beiträgen (§ 25 Abs. 1 SGB IV) durch ein Beitragsverfahren oder ein
Verfahren über einen Rentenanspruch gehemmt. Diese Vorschrift ist nach § 115a SGB
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IV i.d.F. von Art 6 Nr. 11 HZvNG i.V.m. Art 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 Einführungsgesetz zum
Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) auch auf solche Beitragsansprüche anwendbar, die
- wie im vorliegenden Fall - z.T. zwar schon vor dem 01.01.2002 entstanden, aber an
diesem Tag noch nicht verjährt waren.
Die Voraussetzungen des § 198 Satz 2 SGB VI n.F. liegen vor. Denn noch vor dem
Ablauf der Verjährungsfrist am 31.12.2006 hat ein Beitragsverfahren im Sinne des § 198
Satz 1 1. Alt. SGB VI n.F. begonnen, das zur Hemmung der Verjährung geführt hat.
Dabei bedarf die in der Literatur umstrittene Frage, ob der im Gesetz nicht definierte
Begriff des "Beitragsverfahrens" weit auszulegen ist, insbesondere ob hierunter auch
schon Beratungs- oder Auskunftersuchen fallen (vgl. zum Streitstand Finke in
Hauck/Noftz, SGB VI, § 198 Rdnr. 9; Peters in KassKomm, § 198 SGB VI Rdnr. 4;
Störmann in Lilge, SGB VI, § 198 Anm. 5; a.A. Mutschler in jurisPK-SGB IV, § 198 Rdnr.
24), im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn unstreitig liegt ein
Beitragsverfahren dann vor, wenn bereits ein Verwaltungsverfahren i.S.v. § 8 SGB X
begonnen hat, das auf die Feststellung der Beitragspflicht nach Grund oder Höhe oder
auf die Zahlung der Beiträge selbst gerichtet ist (so auch Mutschler a.a.O. auf der
Grundlage seiner engeren Auffassung). Das ist hier jedoch der Fall.
38
Ein Verwaltungsverfahren im Sinne des § 8 SGB X ist "die nach außen wirkende
Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und
den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen
Vertrages gerichtet ist". Es ist in Beitragssachen auch von Amts wegen einzuleiten (§ 18
Satz 2 SGB X i.V.m. § 76 Abs. 1 SGB IV). Nach überwiegender, in der Literatur
vertretener Auffassung ist dabei nicht erforderlich, dass es auch nach außen erkennbar
geworden sein muss (vgl. Krasney in KassKomm-Sozialversicherungsrecht, § 8 SGB X
Rdnr. 5 f.). Ob abweichend hiervon im Rahmen des § 198 SGB VI zum Schutz des
Versicherten zu fordern ist, dass das Verwaltungsverfahren für diesen auch erkennbar
sein muss, kann dahingestellt bleiben. Denn mit der Übersendung der
Formularvordrucke und der Nachfrage zu den Einkommensverhältnissen der Klägerin
durch das allgemein formulierte Schreiben vom 26.10.2006, spätestens aber durch das
Schreiben vom 28.11.2006, in dem die Beklagte die Steuerbescheide auch für die
Vergangenheit nachgefordert hat, ist deren auf Durchführung des Beitragsverfahrens
gerichteter Wille objektiv für die Klägerin erkennbar nach außen getreten. Die Klägerin
hat im Erörterungstermin vom 03.12.2008 eingeräumt, diese Schreiben erhalten zu
haben. Es ist vom objektiven Horizont des Empfängers einer solchen Anforderung nicht
ersichtlich, welchen anderen Zweck als die Überprüfung der Beitragspflicht die Behörde
damit verfolgen könnte. Welche subjektiven (Fehl-)Vorstellungen sich die Klägerin im
konkreten Fall gemacht hat, ist daher unerheblich.
39
Schließlich ist nach dem 31.12.2001 auch kein Umstand eingetreten, bei dessen
Vorliegen nach dem bis zum 31.12.2001 geltenden Recht eine vor dem 01.01.2002
eingetretene Unterbrechung als nicht erfolgt galt (vgl. zu solchen Umständen Heinrichs
in Palandt, BGB, 68. Aufl. 2009, Art 229 EGBGB § 6 Rdnr. 9; Grothe in Münchener
Kommentar-BGB, 4. Aufl. 2006, Bd. 11, Art. 229 § 6 Rdnr. 7).
40
Der Hinweis des SG, den Hemmungsregelungen im Zivilrecht (§§ 203 ff. BGB) ebenso
wie der Vorschrift des § 52 SGB X sei gemeinsam, dass der jeweilige "Vertragspartner"
bzw. Bescheidadressat positive Kenntnis von den Umständen habe, die zur Hemmung
der Verjährung führten, hilft demgegenüber nicht weiter. Die hier als Spezialvorschrift
maßgebende Bestimmung des § 198 SGB VI setzt eine solche Kenntnis aus den
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genannten Gründen nämlich nicht voraus.
b) Auch der Gesichtspunkt der Verwirkung (dazu: Heinrichs in Palandt, a.a.O, § 242
Rdnr. 93 ff.) steht der Geltendmachung der Beitragsforderung durch die Beklagte
gegenüber der Klägerin hier aber nicht entgegen. Denn die Beklagte hat zeitnah mit
dem Bekanntwerden der Tätigkeit der Klägerin die notwendigen Schritte für die Prüfung
der Versicherungspflicht eingeleitet und unverzüglich nach Einreichung der
erforderlichen Unterlagen durch die Klägerin binnen weniger Tage die Bescheide über
die Beitragspflicht bzw. die Nachforderung von Beiträgen erlassen. Es fehlt damit schon
an der Voraussetzung des "Zeitmomentes". Auch das "Umstandsmoment" ist nicht
gegeben, da die Beklagte sich nicht so verhalten hat, dass die Klägerin
berechtigterweise darauf hätte vertrauen dürfen, dass die Beklagte Beitragsansprüche
nicht geltend macht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Der Senat hat die
Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil er die im vorliegenden Fall
angesprochenen Rechtsfragen für über den Einzelfall hinaus bedeutsam hält.
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