Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.06.2004

LSG NRW: grobe fahrlässigkeit, chemische industrie, arbeitsamt, rücknahme, verwaltungsakt, rechtswidrigkeit, arbeitsentgelt, sorgfalt, anfang, gespräch

Landessozialgericht NRW, L 12 AL 215/03
Datum:
23.06.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 12 AL 215/03
Vorinstanz:
Sozialgericht Aachen, S 15 AL 233/02
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 11 AL 189/04 B
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts
Aachen vom 14.08.2003 abgeändert und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten. Die
Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Umstritten ist die teilweise Rücknahme der Entscheidung über die Bewilligung von
Arbeitslosengeld für die Zeit vom 24.06.2000 bis 31.10.2000. In dieser Zeit ist dem
Kläger versehentlich zu hohes Arbeitslosengeld ausgezahlt und bewilligt worden. Der
Erstattungsbetrag beträgt noch 3.564,01 Euro.
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Der am 00.00.1978 geborene Kläger hat nach Erlangung der Fachhochschulreife vom
01.08.1998 bis 23.06.2000 erfolgreich eine Ausbildung zum Bürokaufmann absolviert.
Seine monatliche Ausbildungsvergütung betrug in den letzten 11 Monaten
durchschnittlich 917,80 DM brutto. Er hat sich am 26.06.2000 arbeitslos gemeldet und
Arbeitslosengeld beantragt. Das Arbeitsamt stellte bei der Prüfung der Voraussetzungen
des § 134 Abs. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch, 3. Buch SGB III) fest, dass der Kläger künftig
ein Arbeitsentgelt in Höhe von 3.816,00 DM monatlich als Bürokaufmann nach dem
Tarifvertrag für die Chemische Industrie 1999 in Entgeltgruppe 6 erzielen konnte. Die
Festsetzung des nach § 134 Abs. 2 Nr. 2 SGB III maßgeblichen fiktiven Arbeitsentgelts
wurde am 07.07.2000 mit dem Kläger im Arbeitsamt erörtert.
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Das Arbeitsamt errechnete ein nach § 134 Abs. 2 Nr. 2 SGB III maßgebliches
Arbeitsentgelt vorläufig mit 1.910,- DM monatlich, endgültig mit 2.010,- DM monatlich.
Aufgrund eines Verwaltungsfehlers wurde jedoch versehentlich das Monatsentgelt als
Wochenentgelt angesehen. So wurde dem Kläger zunächst mit Bescheid vom
24.07.2000 vorläufig Arbeitslosengeld nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt
von 1.910,- DM in Höhe von 569,66 DM pro Woche (= 81,38 DM täglich) und mit
Bescheid vom 26.07.2000 entgültig nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von
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2.010,- DM in Höhe von 590,87 DM pro Woche (= 84,41 DM täglich) ab dem 24.06.2000
zuerkannt. Die Leistung in dieser Höhe wurde bis zum 31.10.2000 ausgezahlt.
Vom 01.11.2000 bis 31.08.2001 leistete der Kläger seinen Wehrdienst ab und arbeitete
danach vom 01.09.2001 bis 31.07.2002 im erlernten Beruf. Am 01.07.2002 meldete er
sich zum 01.08.2002 erneut arbeitslos und beantragte die Wiederbewilligung von
Arbeitslosengeld. Hierbei stellte das Arbeitsamt fest, dass bei der Leistungsbewilligung
ab dem 24.06.2000 von einem zu hohen Bemessungsentgelt ausgegangen worden war.
Nach Durchführung eines Anhörungsverfahrens nahm die Beklagte mit Rücknahme-
und Erstattungsbescheid vom 02.08.2002 die Entscheidung über die Bewilligung von
Arbeitslosengeld für die Zeit vom 24.06.2000 bis 31.10.2000 teilweise in Höhe von
388,71 DM wöchentlich zurück. Dem Kläger hätten nur Leistungen nach einem
wöchentlichen Bemessungsentgelt von 440,31 DM zugestanden, was einem
Leistungssatz von 202,16 DM wöchentlich entsprochen hätte. Ihm seien daher
wöchentlich 388,71 DM zuviel gezahlt worden. Der Kläger hätte erkennen können und
müssen, dass nach abgeschlossener Ausbildung kein Leistungsanspruch in Höhe von
590,87 DM wöchentlich hätte bestehen können. Mit einem Leistungssatz in dieser Höhe
wäre das Arbeitslosengeld ca. drei mal höher gewesen als die Ausbildungsvergütung.
Der Differenzbetrag von 7.218,90 DM (= 3.690,96 Euro) wurde zurückgefordert.
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Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, er sei im Hinblick auf die
Besprechung vom 07.07.2000 davon ausgegangen, dass das bewilligte
Arbeitslosengeld ihm auch tatsächlich zugestanden habe. Die Beklagte überprüfte
daraufhin ihr Rechenwerk und kam zu dem Ergebnis, dass dem Kläger Leistungen nach
einem Bemessungsentgelt von 484,34 DM zugestanden hätten, was einem
Leistungssatz von 215,53 DM entsprochen hätte. Sie korrigierte daraufhin mit
Änderungsbescheid vom 09.10.2002 die Erstattungsforderung auf 6.970,60 DM (=
3.564,01 Euro). Den weitergehenden Widerspruch wies die Widerspruchsstelle des
Arbeitsamts Aachen mit Widerspruchsbescheid vom 23.10.2002 als unbegründet
zurück. Im wesentlichen wurde ausgeführt, auch wenn das Merkblatt für Arbeitslose
keine genauen Ausführungen zur Bemessung für Zeiten einer abgeschlossenen
Berufsausbildung enthalte, hätte dem Kläger auffallen müssen, dass ein monatliches
Bruttoentgelt von umgerechnet 8.710,- DM nicht habe zutreffen können. Auf Vertrauen
im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) könne er sich
nicht berufen.
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Hiergegen hat der Kläger am 22.11.2002 Klage vor dem Sozialgericht Aachen erhoben.
Zur Begründung hat er vorgetragen: Er sei aufgrund der im Arbeitsamt am 07.07.2000
erhaltenen Erläuterungen von einem erzielbaren Arbeitsentgelt in Höhe von 3.816,- DM
monatlich ausgegangen. Darüber, in welcher Höhe das Arbeitslosengeld bewilligt
werden würde, sei er nicht unterrichtet worden, insbesondere sei er nicht darauf
hingewiesen worden, dass der Berechnung des Arbeitslosengeldes lediglich 50 % des
ermittelten Arbeitsentgeltes zugrunde gelegt würden. Er sei davon ausgegangen, dass
er Arbeitslosengeld in Höhe von 60 % des ermittelten fiktiven Arbeitseinkommens in
Höhe von 3.816,- DM, mithin also 2.289,60 DM monatlich erhalten würde. Dies
entspreche in etwa der bewilligten Leistung in Höhe von 569,66 DM wöchentlich. Auch
das zugrundegelegte Leistungsentgelt in Höhe von 949,48 DM wöchentlich stimme mit
dem mitgeteilten Monatsentgelt überein. Er habe die Fehlerhaftigkeit der Bewilligung
nicht erkennen können, grobe Fahrlässigkeit könne ihm nicht vorgeworfen werden.
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Vor dem Sozialgericht hat der Kläger beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 02.08.2002 in der Gestalt des Änderungsbescheides
vom 09.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2002
aufzuheben.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat an ihrer im Verwaltungsverfahren vertretenen Rechtsauffassung
festgehalten. Das Missverhältnis zwischen der bewilligten Leistung und der tatsächlich
zugestandenen Leistung sei dermaßen eklatant gewesen, dass der Fehler hätte
auffallen müssen.
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Mit Urteil vom 14.08.2003 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die
angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die
Bewilligung von Arbeitslosengeld sei rechtswidrig gewesen, weil dem Kläger eine zu
hohe Leistung zuerkannt worden sei. Den Berechnungen der Beklagten zur Höhe der
tatsächlich zustehenden Leistung hat sich das Sozialgericht angeschlossen. Gleichwohl
könne die Beklagte die überzahlte Leistung nicht zurückfordern, weil dem Kläger grobe
Fahrlässigkeit im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB X nicht vorgeworfen werden
könne. Er habe aufgrund des Gesprächs vom 07.07.2000 davon ausgehen dürfen, dass
ihm Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt von monatlich 3.816,- DM
zustehe. Näheres sei aus dem Merkblatt für Arbeitslose auch nicht erkennbar gewesen.
Seine Wertung in der Laiensphäre sei jedenfalls nicht als grob fahrlässig anzusehen. Im
übrigen sei die Rücknahmeentscheidung auch deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte
kein Ermessen ausgeübt habe. Wegen des genauen Wortlauts der
Entscheidungsgründe wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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Gegen dieses ihr am 21.08.2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 16.09.2003
eingegangene Berufung der Beklagten. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der
Kläger aufgrund des Gesprächs vom 07.07.2000 über die maßgeblichen Kriterien für
das ihm zustehende Arbeitslosengeld aufgeklärt worden sei. Vor dem Hintergrund des
Gesprächs hätten dem Kläger Zweifel an der Richtigkeit des Bemessungsentgelts
kommen müssen. Er habe aber die Leistungsbewilligung ohne nähere Kontrolle zur
Kenntnis genommen. Dieses Verhalten sei entgegen der Auffassung des
erstinstanzlichen Gerichtes als grob fahrlässig anzusehen. Es sei unbestritten, dass der
Kläger keine falschen Angaben gemacht habe und die Beklagte die Leistungen nach
einem zu hohen Bemessungsentgelt fehlerhaft bewilligt habe. Dies ändere jedoch
nichts daran, dass der Kläger die fehlerhafte Bewilligung hätte erkennen können und
müssen. Er verfüge über eine qualifizierte, abgeschlossene Ausbildung. Gerade vor
dem Hintergrund seiner beruflichen Qualifikation sei er damit in der Lage gewesen zu
erkennen, dass ihm offensichtlich zu hohe Leistungen bewilligt worden seien. Dieser
Umstand habe geradezu "ins Auge" springen müssen. Bei einem monatlichen fiktiven
Arbeitsentgelt von 3.816,- DM habe auf den ersten Blick bereits ein wöchentliches
Bemessungsentgelt von 2.010,- DM nicht plausibel sein können. Dies habe der Kläger
bei Anstellung einfachster Überlegungen erkennen können und müssen.
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Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sei die Beklagte auch nicht zur Ausübung
von Ermessen verpflichtet gewesen, wie sich aus § 330 Abs. 2 - SGB III - ergebe.
Hiernach sei die Bewilligung für die Vergangenheit zwingend zurückzunehmen und
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Ermessen nicht auszuüben.
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 14.08.2003 abzuändern und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
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Auf Befragen des Senats hat der Kläger erklärt, er könne sich noch daran erinnern, dass
ihm in dem Gespräch vom 07.07.2000 erklärt worden sei, das Bemessungsentgelt
betrage fiktiv 3.816,- DM monatlich. An nähere Einzelheiten des Gesprächs könne er
sich nicht erinnern. Insbesondere könne er sich nicht daran erinnern, ob ihm gesagt
worden sei, dass hiervon nur die Hälfte zugrunde gelegt werde. Er habe den
Bewilligungsbescheid gelesen und gedacht, dass das so seine Richtigkeit habe.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten mit der
Kunden-Nummer 000 Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und in der
Sache auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig. Zu Recht
hat die Beklagte ihre Aufhebungsentscheidung auf § 45 SGB X gestützt.
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Hiernach darf, soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich
erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt),
rechtswidrig ist, dieser, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den
Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft
oder die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X).
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Die die Bewilligung von Arbeitslosengeld betreffenden Bescheide der Beklagten waren
insoweit von Anfang an rechtswidrig, als der Leistungsbewilligung ein zu hohes
Bemessungsentgelt zugrundegelegt worden ist. Das Bemessungsentgelt für den Kläger,
der nach der Ausbildung arbeitslos geworden ist, war nach § 134 Abs. 2 Nr. 2 SGB III
nach der Hälfte des Arbeitsentgeltes zu bemessen, auf das das Arbeitsamt die
Vermittlungsbemühungen in erster Linie zu erstrecken hatte. Dies war die mit dem
Kläger am 07.07.2000 erörterte Tätigkeit eines Bürokaufmanns, entlohnt mit monatlich
3.816,- DM nach Gehaltsgruppe E 6 in der chemischen Industrie. Erhöht man diesen
Betrag um 10 % nach § 434 c SGB III (= Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz) ergeben
sich 4.197,60 DM. Die Hälfte hiervon beträgt 2.098,80 DM. Hieraus errechnet sich ein
wöchentliches Bemessungsentgelt von 484,30 DM, was auf 480,- DM zu runden war.
Nach diesem Bemessungsentgelt von 480,- DM und nicht nach einem solchen von
2.010,- DM war das Arbeitslosengeld des Klägers zu berechnen. Das Rechenwerk der
Beklagten auf den Seiten 35 und 36 der Leistungsakte und im Widerspruchsbescheid
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vom 23.10.2002 war zu bestätigen. Bei einem Bemessungsentgelt 480,- DM
wöchentlich hätte dem Kläger ein wöchentlicher Leistungssatz nach Leistungsgruppe A
ohne Kindermerkmal in Höhe von 215,53 DM und nicht von 590,87 DM zugestanden.
Dem Kläger sind also wöchentlich 375,34 DM zuviel überwiesen worden. Im gesamten
Zeitraum betrug die Überzahlung somit 6.970,60 DM (= 3.564,01 Euro). Die insoweit
begründete Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides stellt auch der Kläger selbst
nicht in Abrede.
Die Beklagte war auch berechtigt, die Leistungsbewilligung insoweit von Anfang an
teilweise der Höhe nach zurückzunehmen. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein
rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit
der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen
unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist.
Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte
Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr
oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann
sich der Begünstige nicht berufen, soweit er nach der hier allein in Betracht kommenden
Vorschrift des § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des
Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
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Die letztgenannten Voraussetzungen sind erfüllt. Wenn der Kläger auch auf den
Bestand der Leistungsbescheide vertraut und die Leistungen verbraucht haben mag, so
kann er sich aber nicht auf den Vertrauensschutz des § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB X
berufen, denn er hat infolge grober Fahrlässigkeit die Rechtwidrigkeit der
Bewilligungsentscheidungen nicht erkannt. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der
Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Die
erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz
naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen
Fall jedem einleuchten muss. Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach
der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten
sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen. Voraussetzung ist, dass
sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder
anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne
weiteres erkennbar sind (vgl. hierzu mit weiteren Nachweisen Urteil des BSG vom
08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R -). In diesem Sinne ist dem Kläger entgegen der
Auffassung des Sozialgerichts grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen.
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Der Senat unterstellt, dass bei der Unterredung am 07.07.2000 tatsächlich nur ein
fiktives Bemessungsentgelt von 3.816,- DM erörtert worden ist und dem Kläger nicht
gesagt worden ist, hiervon sei lediglich die Hälfte als monatliches Bemessungsentgelt
zugrunde zu legen. Selbst wenn dies so gewesen sein sollte, so musste dem Kläger,
der über die Fachhochschulreife und eine abgeschlossene Berufsausbildung als
Bürokaufmann verfügt, klar sein, dass das im Bescheid vom 26.07.2000 festgesetzte
wöchentliche Bemessungsentgelt von 2.010,- DM nicht richtig sein konnte. Ein
wöchentliches Bemessungsentgelt von 2.010,- DM entspricht schon für 4 Wochen
einem Bemessungsentgelt von 8.040,- DM. Selbst wenn der Kläger den Monatsbetrag
von 3.816,- DM laienhaft durch 4 geteilt haben sollte, um auf das wöchentliche
Bemessungsentgelt zu kommen, so konnte er allenfalls mit einem wöchentlichen
Bemessungsentgelt von 954,- DM rechnen. Aus dem Gespräch vom 07.07.2000 konnte
der Kläger selbst dann nicht auf die Richtigkeit der Leistungsberechnung vertrauen,
wenn der Inhalt so war, wie vom Kläger vorgetragen. Eine derart eklatante
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Fehlbewilligung musste "ins Auge springen", wie sich das BSG ausdrückt. Der Senat
geht daher mit der Beklagten von grober Fahrlässigkeit auf Seiten des Klägers aus. Die
Beklagte hat auch die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X gewahrt. Diese
einjährige Ausschlussfrist beginnt frühestens, wenn dem Leistungsträger die
Rechtswidrigkeit des zurückzunehmenden Verwaltungsaktes sowie die Tatsachen
hinsichtlich der weiteren Rücknahmevoraussetzungen zu Kenntnis kommen. Die Frist
beginnt, wenn dem Arbeitsamt hinreichend sichere Informationen über alle
zurückwirkenden Aufhebung berechtigenden Tatsachen vorliegen und keine weiteren
Ermittlungen mehr erforderlich sind (vgl. BSG vom 25.01.1994 - 7 RAr 14/93 -).
Erforderlich ist insoweit positive Kenntnis. Eine derartige positive Kenntnis von der
Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides hatte die Beklagte frühestens im Juni
2002, nachdem der Kläger die Wiederbewilligung von Arbeitslosengeld nach seinem
Wehrdienst und seiner erneuten versicherungspflichtigen Tätigkeit beantragt hatte. Da
der Rücknahmebescheid vom 02.08.2002 datiert, ist die Jahresfrist gewahrt.
Ermessen hatte die Beklagte entgegen der Ansicht des Sozialgerichts nicht auszuüben.
Dies folgt aus § 330 Abs. 2 SGB III. Liegen neben § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten
Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden
Verwaltungsaktes vor, ist dieser als gebundene Entscheidung ohne
Ermessensausübung mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Der
Umstand, dass die Fehlbewilligung durch einen groben Verwaltungsfehler verursacht
worden ist, gibt keinen Anlass, das Rückforderungsrecht einzuschränken. Ist die
Bundesagentur für Arbeit bei Bösgläubigkeit des Leistungsempfängers verpflichtet,
rechtswidrige Bewilligungen zurückzunehmen, ergibt sich ohne weiteres, dass sie auch
dann nicht davon absehen darf, wenn der Erlass des rechtswidrigen Verwaltungsaktes
allein auf einen Fehler der Behörde zurückzuführen ist (vgl. Beschluss des BSG vom
29.06.2000 - B 11 AL 253/99 B -).
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Das Recht der Beklagten zur Rückforderung ergibt sich aus § 50 Abs. 1 SGB X.
Hiernach sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, bereits erbrachte
Leistungen zu erstatten. Die Höhe der zu erstattenden Leistung hat die Beklagte
zutreffend mit 3.564,01 Euro berechnet, wie der Senat bereits oben bestätigt hat. Gegen
die Richtigkeit der Berechnung werden auch vom Kläger keine Einwendungen
vorgebracht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs.
2 Ziff. 1 oder 2 SGG nicht erfüllt sind. Die Beantwortung der Frage, ob grobe
Fahrlässigkeit vorliegt oder nicht, obliegt der Beurteilung im Einzelfall und begründet
keine grundsätzliche Bedeutung. Die Vorgaben des BSG hierzu, insbesondere in der
Entscheidung vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R -, hat der Senat zugrunde gelegt.
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