Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 03.07.2009

LSG NRW: nachbesserung, briefpost, gerichtsakte, unverzüglich, beendigung, beschwerdeschrift, kenntnisnahme, prozesskosten, aufwand, datum

Landessozialgericht NRW, L 20 B 13/09 AS
Datum:
03.07.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 20 B 13/09 AS
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 38 AS 73/08 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des
Sozialgerichts Dortmund vom 23.12.2008 geändert. Der Antragstellerin
wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Dortmund
Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtanwalt K, C, zu ihrer Vertretung
beigeordnet.
Gründe:
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I.
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Am 26.02.2008 beantragte die Antragstellerin beim Sozialgericht Dortmund die
Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Im Antragsschriftsatz des
Prozessbevollmächtigten ist auf Seite 4 ausgeführt: "Ich überreiche abschließend die
Erklärung der Antragstellerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
samt Anlage und beantrage, ihr Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihr zur vorläufigen
Wahrnehmung ihrer Rechte in dieser Instanz den Unterzeichnenden als Rechtsanwalt
beizuordnen." Tatsächlich ist jedoch nicht feststellbar, dass eine Erklärung über die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse oder eine Anlage der am 26.02.2008 per
Telefax und am 28.02.2008 nochmals per Briefpost übermittelten Antragsschrift
angelegen hätten; zur Gerichtsakte sind diese Unterlagen nicht gelangt. Hierauf wurde
die Antragstellerin vom Sozialgericht zu keiner Zeit hingewiesen. Insbesondere blieb in
dem vom Sozialgericht verwendeten Formblatt für die Verfügung zum Antragseingang in
der für die Eingangsbestätigung vorgesehenen Rubrik ein zum Ankreuzen
vorgesehener Zusatz zur Bitte um Übersendung der "PKH-Erklärung nebst
entsprechender Belege" unverwendet. Ebenso erfolgte insbesondere in zwei der
Sachverhaltsaufklärung dienenden Schreiben des Sozialgerichts an den
Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 14.03. und 02.04.2008 kein Hinweis
auf fehlende Antragsunterlagen betreffend Prozesskostenhilfe; Gleiches gilt für eine
Erinnerung des Sozialgerichts an den Bevollmächtigten vom 30.04.2008, das Verfahren
weiter zu bearbeiten.
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Mit Beschluss vom 05.06.2008 entschied das Sozialgericht teilweise zu Gunsten der
Antragstellerin und legte dem Antragsgegner 18,5 % der notwendigen
außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auf. Wegen der Einzelheiten wird auf den
Beschluss Bezug genommen. Gegen den ihm am 12.06.2008 zugestellten Beschluss
hat der Prozessbevollmächtigte für die Antragstellerin am 16.06.2008 Beschwerde,
gerichtet an das Sozialgericht, eingelegt, mit der er zugleich an die Bescheidung des
Prozesskostenhilfeantrags vom 26.02.2008 erinnert hat. Die Beschwerde wurde später
mit Schriftsatz vom 04.09.2008 zurückgenommen.
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Auf Anfrage des Sozialgerichts vom 23.09.2008 teilte der Prozessbevollmächtigte der
Antragstellerin dem Sozialgericht unter dem 27.10.2008 mit, die
Prozesskostenhilfeerklärung sei samt Anlage zusammen mit der Antragsschrift vom
26.02.2008 per Briefpost übersandt worden. Es entziehe sich seiner Kenntnis, wo diese
Unterlagen verblieben seien. Es hätte jedoch aufgrund des vielfachen Schriftverkehrs
mehrfach die Möglichkeit bestanden, eine etwa fehlende Erklärung oder Anlagen
nachzureichen. Ein entsprechender Hinweis sei nicht erteilt worden. Die
Antragsgegnerin teilte auf Anfrage des Sozialgerichts, ob ihr versehentlich ein
Prozesskostenhilfeantrag der Antragstellerin übersandt worden sei, mit, ihr liege ein
solcher Antrag nicht vor.
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Mit Beschluss vom 23.12.2008 lehnte das Sozialgericht die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren ab. Nach § 73a
Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 114, 117 Zivilprozessordnung (ZPO) könne
Prozesskostenhilfe erst ab dem Zeitpunkt bewilligt werden, ab dem ein vollständiger
Antrag auf Prozesskostenhilfe vorliege. Der vollständige Antrag müsse vor Abschluss
der Instanz, für den Prozesskostenhilfe begehrt werde, vorliegen. Im Falle der
Antragstellerin habe der vollständige Antrag frühestens am 18.07.2008 durch einen
Eingang im (weiteren) Verfahren S 38 AS 238/08 vorgelegen. Ein vorheriger Antrag sei
nicht glaubhaft gemacht und nicht feststellbar. In erster Instanz sei das Verfahren jedoch
bereits am 05.06.2008 abgeschlossen gewesen. Deshalb sei eine Bewilligung von
Prozesskostenhilfe nicht möglich.
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Gegen diesen am 05.01.2009 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am
12.01.2009 Beschwerde eingelegt. Sie trägt vor, nach dem Inhalt der Antragsschrift vom
26.02.2008 gingen ihr Bevollmächtigter als auch seine Kanzleimitarbeiterin davon aus,
dass die Prozesskostenhilfeerklärung samt Anlage der Antragsschrift beigefügt
gewesen sei; anderenfalls wäre ein Schriftsatz diesen Inhalts nicht auf den Weg
gebracht worden. Der Prozesskostenhilfeantrag befinde sich auch nicht etwa in der
anwaltlichen Handakte; sein Verbleib sei daher auf Seiten der Antragstellerin nicht
aufklärbar. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe sei unabhängig davon jedenfalls gestellt
worden, ohne dass ein gerichtlicher Hinweis auf etwa fehlende Unterlagen erteilt
worden sei. Die Antragstellerin habe deshalb davon ausgehen können, dass die nötigen
Unterlagen zur Gerichtsakte gelangt seien. Anderenfalls hätte es vor der
instanzbeendenden Entscheidung des Sozialgerichts eines entsprechenden Hinweises
bedurft, um ihr Gelegenheit zur Nachbesserung zu geben.
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II.
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Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet.
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Dass die Rechtsverfolgung der Antragstellerin i.S.v. § 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO
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hinreichende Erfolgsaussicht hatte, ergibt sich bereits aus ihrem teilweisen Obsiegen.
Zugleich ist sie auch nicht in der Lage, die Prozesskosten auch nur teilweise selbst
aufzubringen.
Liegen damit die materiellen Voraussetzungen für eine Bewilligung von
Prozesskostenhilfe vor, so ist eine Bewilligung auch nicht ausgeschlossen, weil
Prozesskostenhilfe nicht wirksam beantragt worden wäre:
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Zwar kann ein Antrag auf Prozesskostenhilfe nach Abschluss der betreffenden Instanz
nicht mehr mit Erfolg gestellt werden, da Prozesskostenhilfe nach § 73a SGG i.V.m. §
114 ZPO allein für eine "beabsichtigte" und damit noch nicht abgeschlossene
Rechtsverfolgung bewilligt werden kann. Dies schließt allerdings nicht aus, dass das
Gericht, auch wenn es um eine möglichst frühzeitige Entscheidung über den
Prozesskostenhilfeantrag bemüht zu sein hat, über einen rechtzeitig gestellten Antrag im
Einzelfall (und wie auch im Falle der Antragstellerin) erst nach Beendigung des
Verfahrens entscheidet und ggf. noch nachholend Prozesskostenhilfe für das bereits
abgeschlossene Verfahren bewilligt.
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Dass der eigentliche Antrag auf Prozesskostenhilfe von der Antragstellerin rechtzeitig
(bereits mit dem verfahrenseinleitenden Schriftsatz vom 26.02.2008) gestellt wurde,
steht außer Frage. Ob neben einem solchen Antrag allerdings für seine Wirksamkeit
grundsätzlich weiter zu fordern ist, dass die nach § 73a SGG i.V.m. § 117 Abs. 2 Satz 1
ZPO dem Antrag "beizufügende" Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse nebst Belegen dem Gericht bereits vorliegt, kann im Falle der
Antragstellerin offen bleiben.
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Denn die Antragstellerin konnte, nachdem sie bereits in dem Schriftsatz vom 26.02.2008
auf eine beigefügte Erklärung nebst Anlage hingewiesen hatte, davon ausgehen, dass
Erklärung und Anlage das Sozialgericht auch erreicht hätten. Zwar wäre sie (selbst
wenn man unterstellt, diese Unterlagen seien nicht erst im gerichtlichen Verfahren
verloren gegangen, sondern ihre Mitübersendung sei auf Seiten der Antragstellerin
versehentlich nicht erfolgt) auf eine entsprechende Aufforderung des Sozialgerichts
verpflichtet gewesen, ggf. fehlende Unterlagen noch unverzüglich nachzureichen. Dass
sie hierzu nicht bereit oder in der Lage gewesen wäre, ist auch nicht ersichtlich.
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Die Antragstellerin wurde jedoch zu keiner Zeit in die Lage versetzt, eine entsprechende
Nachbesserung vorzunehmen. Denn das Sozialgericht, das bereits ausweislich seines
von ihm verwendeten Formblattes für die Eingangsbestätigung die Möglichkeit gehabt
hätte, durch bloßes Ankreuzen durch den Kammervorsitzenden einen entsprechenden
Hinweis zu veranlassen, hat offensichtlich die ausweislich dieses Formblattes
vorgesehene, standardisierte Verfahrensweise vernachlässigt und seinerseits nicht
geprüft, ob alle in der Antragsschrift benannten Unterlagen auch tatsächlich beigefügt
waren. Ebenso hat das Sozialgericht den Prozesskostenhilfeantrag überhaupt
übersehen und dementsprechend erst nach Verfahrensabschluss (auf Erinnerung durch
die Antragstellerin in der Beschwerdeschrift) über ihn entschieden. Bei dieser fehlenden
Kenntnisnahme von dem Prozesskostenhilfeantrag hatte das Gericht zwangsläufig auch
nicht einmal Gelegenheit, noch während des laufenden erstinstanzlichen Verfahrens an
die Vorlage der fehlenden Unterlagen zu erinnern.
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Zwar erscheinen derartige, im Arbeitsalltag letztlich nicht vermeidbare Versehen schon
angesichts der allgemeinen Geschäftsbelastung der Sozialgerichte sowohl im
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richterlichen wie im nichtrichterlichen Bereich ohne weiteres entschuldbar. Gleichwohl
ist es bei der rechtlichen Zuschreibung der Folgen solcher Versehen unter Beachtung
des auch im Verfahren auf Gewährung von Prozesskostenhilfe geltenden Grundsatzes
des rechtlichen Gehörs verfahrensfehlerhaft, bei verspäteter Entscheidung über den
Prozesskostenhilfeantrag erst lange nach Abschluss des Verfahrens die Bewilligung der
Prozesskostenhilfe allein deshalb abzulehnen, weil bis zum Verfahrensabschluss
Unterlagen i.S.v. § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO bis zum Verfahrensabschluss fehlten, selbst
wenn ein ursprüngliches Versehen auf Antragstellerseite bestanden haben mag oder
jedenfalls eine rechtzeitige Vorlage der fraglichen Unterlagen von dort nicht
nachweisbar ist. Dementsprechend ist für den Fall einer Entscheidung über den
Prozesskostenhilfeantrag noch während des zugrundeliegenden Rechtsstreits
anerkannt, dass vor einer Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags wegen
unvollständiger Ausfüllung oder fehlender Belege das Gericht auf die Mängel hinweisen
und eine Frist zur Behebung setzten muss (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs,
Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Aufl. 2005, Rn. 140 m.w.N.). Dann aber kann
für den Fall einer verspäteten Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag erst
nach Abschluss des zugrundeliegenden Rechtsstreits nichts anderes gelten. Hätte
deshalb das Sozialgericht bei optimaler Verfahrensbearbeitung unter Beachtung des
rechtlichen Gehörs der Antragstellerin durch schlichten Hinweis die Möglichkeit zur
Nachbesserung ohne großen Aufwand geben können, und hätte die Antragstellerin mit
einer Nachbesserung ohne weiteres die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausgelöst,
so erscheint es mit den Grundsätzen einer fairen Verfahrensführung nicht vereinbar,
allein die (möglichen) Versehen auf Antragstellerseite die rechtlichen Folgen
bestimmten zu lassen und die gerichtlichen Versehen ohne Auswirkungen zu stellen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nach § 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht
zu erstatten.
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Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
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