Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 02.02.2007

LSG NRW: materielles recht, fristlose kündigung, wohnung, wohnraum, unterkunftskosten, mietvertrag, verfügung, betriebskosten, erlass, lebensversicherung

Landessozialgericht NRW, L 20 B 323/06 AS ER
Datum:
02.02.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 20 B 323/06 AS ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 20 AS 91/06 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Köln vom 04.12.2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind
auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
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I.
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Die Antragstellerin begehrt die Verpflichtung der Antragsgegnerin im Wege der
einstweiligen Anordnung, auch über den 30.09.2006 hinaus die tatsächlichen
Aufwendungen für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch
Zweites Buch (SGB II) zu gewähren.
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Die 1980 geborene Antragstellerin, ausgebildete Kauffrau der Grundstücks- und
Wohnungswirtschaft, beantragte am 10.02.2006 erstmals Leistungen nach dem SGB II.
Ausweislich des vorgelegten Mietvertrages und einer Mietbescheinigung vom
23.02.2006 bewohnt sie seit dem 01.12.2005 eine 57 m² große 2 1/2- (so die
Mietbescheinigung) bzw. 3-Zimmer Erdgeschosswohnung (so der Mietvertrag) mit
vertraglich vereinbarter Gartennutzung incl. eines Gartenhauses. Die Gesamtmiete
beträgt 470 EUR (420 EUR Grundmiete zzgl. 50 EUR Betriebskosten).
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Nachdem die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 28.03.2006 zunächst wegen unklarer
Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit darlehensweise Leistungen bewilligt hatte,
gewährte sie mit Bescheid vom 28.04.2006 endgültig monatliche Leistungen in Höhe
von insgesamt 875 EUR für den Bewilligungszeitraum 01.03.2006 bis 30.06.2006.
Hierbei ging die Antragsgegnerin zunächst von Kosten der Unterkunft in Höhe von
insgesamt 530 EUR (60 EUR Heizkosten) aus.
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Mit weiterem Schreiben vom 28.04.2006 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin
auf, die Kosten der Unterkunft zu senken. Für ihren Haushalt sei eine
Gesamtwohnfläche von bis zu 53 m² als angemessen anzusehen. Die angemessenen
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Unterkunftskosten setzten sich zusammen aus einem Betrag von 256,05 EUR
Grundmiete zzgl. Betriebskosten von 1,70 EUR/m² und Heizkosten. Da die
tatsächlichen Aufwendungen den danach angemessenen Umfang überstiegen, würden
die tatsächlichen Kosten der Unterkunft lediglich für eine Übergangszeit bis längstens
30.06.2006 zugesagt. Die Antragstellerin sei verpflichtet, die Aufwendungen durch
Wohnungswechsel, Vermieten oder auf andere Weise zu senken. Sie werde
insbesondere gebeten, einen Wohnberechtigungsschein (WBS) zu beantragen, und
sich als wohnungssuchend zu melden. Das Ergebnis ihrer (sonstigen) Bemühungen
(mindestens 10 pro Monat) sei nachzuweisen. Die Antragsgegnerin legte in der
Folgezeit eine Ablichtung des erteilten WBS vom 19.05.2006 vor.
Für den Zeitraum 01.07.2006 bis 31.12.2006 bewilligte die Antragsgegnerin mit
Bescheid vom 03.07.2006 monatliche Leistungen von 668,65 EUR unter
Berücksichtigung der von ihr für angemessen gehaltenen Unterkunftskosten. Zugleich
berücksichtigte sie Nebeneinkünfte in Höhe von 42,40 EUR. Mit Bescheid vom
07.08.2006 bewilligte die Antragsgegnerin während eines ersten einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens (S 20 AS 55/06 ER) für den Zeitraum 01.07.2006 bis
30.09.2006 monatliche Leistungen von 855,60 EUR und berücksichtigte dabei die
tatsächlichen Kosten der Unterkunft. Auf einen Fortzahlungsantrag teilte die
Antragsgegnerin mit Schreiben vom 24.08.2006 mit, Leistungen seien bereits bis zum
31.12.2006 bewilligt.
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Daraufhin hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Köln am 22.09.2006 den Erlass
einer einstweiligen Anordnung beantragt mit dem Begehren, die Antragsgegnerin zu
verpflichten, auch über den 30.09.2006 hinaus Leistungen in Höhe von monatlich
855,60 EUR zu gewähren.
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Zur Begründung hat die Antragstellerin ausgeführt, es drohe die Kündigung der
Wohnung. Sie könne ein gerichtliches Hauptsacheverfahren nicht abwarten. Ihre
Situation sei existenzbedrohend.
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Die Antragsgegnerin hat mit der Antragserwiderung u.a. ausgeführt, die Antragstellerin
habe nicht nachgewiesen, dass es ihr nicht möglich gewesen sei, die Kosten der
Wohnung zu senken. Sie habe daher keinen Anspruch darauf, die tatsächlichen Kosten
der Unterkunft zu erhalten. Es liege auch kein Anordnungsgrund vor, da die
tatsächlichen Kosten der Unterkunft bis zum 30.09.2006 erbracht worden seien.
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Die Antragstellerin hat hierzu entgegnet, sie habe einen WBS und sich bei öffentlich
geförderten Wohnungen in Wartelisten eintragen lassen. Ihr sei nie mitgeteilt worden,
dass sie Nachweise erbringen solle.
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Mit Beschluss vom 04.12.2006 hat das Sozialgericht den Antrag der Antragstellerin
abgelehnt. Es fehle mangels Mietrückstand an einem Anordnungsgrund. Eine
Räumungsklage des Vermieters und Wohnungslosigkeit drohten nicht.
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Gegen den ihr am 06.12.2006 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der
Antragstellerin vom 13.12.2006. Sie trägt ergänzend vor, sie habe regelmäßig
Privatvermieter angerufen. Diese seien allerdings nicht begeistert gewesen, als sie
gehört hätten, dass sie arbeitslos sei und zwei Haustiere habe. Ihr blieben lediglich 213
EUR nach Abzug der Kosten der Unterkunft. Sie habe kein Geld für Nahrungsmittel. Sie
warte im Übrigen immer noch auf Geld für den Monat Februar 2006.
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Die Antragstellerin beantragt,
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den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 04.12.2006 zu ändern und die
Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr auch über
den Monat September 2006 hinaus Kosten der Unterkunft in Höhe ihrer tatsächlichen
Aufwendungen zu gewähren.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Mit gerichtlicher Verfügung vom 18.01.2007 ist die Antragstellerin aufgefordert worden,
Kontoauszüge seit Oktober 2006 vorzulegen sowie etwaige Mietrückstände zu belegen.
Darüber hinaus ist ihr Gelegenheit gegeben worden, Bemühungen um Wohnraum
nachzuweisen.
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Mit Schreiben vom 24.01.2007 hat die Antragstellerin mitgeteilt, sie habe keine
Mietrückstände, da sie erzogen worden sei, keine Schulden zu machen. Ihr Kühlschrank
sei leer. Nicht einmal eine Winterjacke habe sie sich kaufen können. Sie benötige eine
Erdgeschosswohnung. Privatvermieter verlören das Interesse, wenn sie von ihrer
Arbeitslosigkeit und ihren (Freigänger-) Katzen berichte.
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Den vorgelegten Kontoauszügen sind monatliche Einzahlungen von 150 EUR zu
entnehmen. Auszahlungen oder Überweisungen zur Bestreitung des Lebensunterhaltes
in Gestalt von Nahrungsmitteln, Drogerieartikeln oder etwa Kleidung fehlen im Zeitraum
01.10.2006 bis 31.12.2006. Neben Abbuchungen für Energie und Miete werden
monatliche Beiträge für einen Bausparvertrag und eine Lebensversicherung in Höhe
von insgesamt 85 EUR bzw. später 87,50 EUR weiterhin gezahlt. In demselben
Zeitraum sind Telefonkosten von etwa 275 EUR angefallen.
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Die Antragstellerin hat zudem aus Zeitungen ausgeschnittene Wohnungsanzeigen (z.T.
ersichtlich noch aus dem Jahr 2005) vorgelegt. Für die von der Antragsgegnerin für
angemessen gehaltenen Kosten der Unterkunft sei Wohnraum nicht verfügbar.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie der Gerichtsakte Bezug genommen, der
der Entscheidung zu Grunde liegt.
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II.
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht hat es zu Recht
abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen (Regelungs-) Anordnung
gemäß § 86 b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verpflichten, die tatsächlichen
Kosten der Unterkunft über den 30.09.2006 hinaus zu gewähren.
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Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines
vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine
solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass
einer einstweiligen Regelungsanordnung im Sinne des § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG setzt
voraus, dass ein Anordnungsgrund (Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, weil ein
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Abwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten ist -
Eilbedürftigkeit) und ein Anordnungsanspruch (materielles Recht, für das einstweiliger
Rechtschutz geltend gemacht wird) durch den Antragsteller glaubhaft gemacht werden
(§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung [ZPO] ).
Im vorliegenden Rechtsstreit ist bei der gebotenen und allein möglichen summarischen
Prüfung festzustellen, dass bereits ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht
worden ist. Vielmehr spricht derzeit schon angesichts der Höhe der geltend gemachten
tatsächlichen Unterkunftskosten bei einer Wohnungsgröße von 57 m² und der
Möglichkeit der Gartennutzung inklusive eines Gartenhauses viel dafür, dass die
tatsächlichen Aufwendungen nicht angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II
sind. Die Antragstellerin selbst hat mit Schreiben vom 03.10.2006 erklärt, sie sei sich
"natürlich sicher, dass meine Unterkunft zu teuer ist, aber ich bin bemüht eine günstigere
zu finden".
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Dem Hauptsacheverfahren und ggf. umfangreichen Ermittlungen wird es vorbehalten
bleiben müssen, ob der von der Antragsgegnerin als angemessen erachtete Betrag
tatsächlich ausreicht, eine für einen Einpersonenhaushalt der Größe nach
angemessene Wohnung im unteren Preissegment in Bonn anzumieten. Der Senat
vermag hierzu im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zwar
festzustellen, dass einschlägige Datenbanken im Internet lediglich eine sehr
beschränkte Anzahl grundsätzlich in Betracht kommender Wohnungen (bei einer
Wohnungsgröße von bis zu 45 oder 53 m²) aufführen. Hierbei ist allerdings zu beachten,
dass Angebote im unteren Preissegment regelmäßig auf andere Art und Weise
angeboten werden. So ist selbst den von der Antragstellerin vorgelegten Anzeigen eine
Reihe prinzipiell in Betracht kommender Wohnungen zu entnehmen. Im Rahmen eines
Hauptsacheverfahrens mag es insoweit nahe liegen, die Antragsgegnerin darlegen zu
lassen, wie sie den von ihr für angemessen erachteten Betrag von 256 EUR Grundmiete
ermittelt hat. Jedenfalls hat die Antragstellerin bisher ihrerseits zum einen nicht plausibel
dargelegt, sich hinreichend um kostengünstigeren Wohnraum bemüht zu haben und
zum anderen, dass kostengünstigerer Wohnraum nicht in hinreichender Anzahl
verfügbar wäre. Die von ihr vorgelegten Zeitungsannoncen sind zum Teil veraltet und
lassen insbesondere keinen Rückschluss darauf zu, ob die Antragstellerin sich um eine
konkrete Wohnung überhaupt bemüht hat bzw. aus welchen Gründen ein Mietvertrag
nicht abgeschlossen wurde. Derzeit spricht zudem einiges dafür, dass die
Antragstellerin ihre Suche ihrer Katzen wegen etwa auf Erdgeschoßwohnungen
beschränkt und damit den Kreis ihr zumutbarer Wohnungen von vornherein in durch die
Maßgaben des SGB II nicht gedeckter Art und Weise zu eng gezogen hat.
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Ist somit ein Anordnungsanspruch zumindest zweifelhaft, kommt eine einstweilige
Verpflichtung der Antragsgegnerin insbesondere deshalb nicht in Betracht, weil auch
ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht ist. Die Antragstellerin ist derzeit mit ihrer
Miete nicht in Rückstand. Eine fristlose Kündigung der Wohnung kommt damit nicht in
Betracht, Wohnungslosigkeit droht der Antragstellerin nicht. Der Senat verweist insoweit
auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts (§ 142 Abs. 2 S.
3 SGG). Soweit die Antragstellerin im Rahmen der Beschwerdebegründung vorgetragen
hat, sie habe zur Sicherung der Mietzahlungen auf Kleidung und Nahrungsmittel
verzichtet, weist der Senat darauf hin, dass den vorgelegten Kontoauszügen für die
Monate Oktober bis Dezember 2006 auch in Höhe des ihr nach eigenen Angaben noch
zur Verfügung stehenden Betrages keinerlei Abbuchungen für Ausgaben zur
unmittelbaren Sicherung des Lebensunterhaltes zu entnehmen sind, obgleich sämtliche
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Einnahmen diesem Konto zufließen und monatliche Beiträge für die fortbestehende
Lebensversicherung sowie den Bausparvertrag in Höhe von etwa 85 - 87,50 EUR
weiterhin geleistet werden. Andererseits leistet sich die Antragstellerin monatliche
Telefonkosten von bis zu 103 EUR.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des 193 SGG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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