Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 09.12.2009

LSG NRW (abrechnung, folge, vertragsarzt, arzt, zusage, sgg, versorgung, honorar, vergütung, vereinigung)

Landessozialgericht NRW, L 11 (10) KA 39/07
Datum:
09.12.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 11 (10) KA 39/07
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 14 KA 24/06
Sachgebiet:
Vertragsarztangelegenheiten
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 23.05.2007 abgeändert und die Klage abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Streitig ist das Honorar der Klägerin für ärztliche Leistungen, die sie aufgrund
vertragszahnärztlicher Überweisungen im Quartal II/2004 erbracht hat.
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Die Klägerin ist als Fachärztin für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in H
niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit der
Quartalsabrechnung II/2004 stellte sie u.a. ärztliche Leistungen in 117
Behandlungsfällen in Rechnung, denen Überweisungen von Vetragszahnärzten
zugrunde lagen. Die Beklagte reichte diese Überweisungsfälle ohne weitere inhaltliche
Prüfung jeweils mit dem Vermerk "zurückgestellt" zurück und lehnte die Abrechnung ab
(Bescheid vom 30.08.2004). Die Behandlungsausweise seien ungültig, da sie von
Zahnärzten ausgestellt worden seien. Der Klägerin wurde ausweislich des Bescheides
nachgelassen, in den fraglichen Behandlungsfällen von allen Patienten, ggf. von vorher
behandelnden Ärzten, Überweisungen für II/2004 anzufordern und diese mit der
Abrechnung III/2004 nachzureichen.
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Mit ihrem hiergegen gerichteten Widerspruch hat die Klägerin vorgetragen, aus den
Informationen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und der Kassenzahnärztlichen
Vereinigung (KZV) Nordrhein gehe nicht eindeutig hervor, dass die Patienten in diesen
Fällen auch noch eine Überweisung vom Hausarzt vorlegen müssten bzw. hier 10,00
EUR Praxisgebühr zu erheben seien. Deswegen und angesichts der Vorgaben der
Praxissoftware habe sie die strittigen Fälle datenmäßig als Patienten mit
Überweisungsschein-Zahnarzt und ohne erneute Erhebung einer Praxisgebühr erfasst.
Sie bitte um Mitteilung, wie sie in den 117 Fällen und weiterhin verfahren solle.
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Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 03.01.2005 zurück. Nach
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Änderung des Bundesmantelvertrages - Ärzte (BMV-Ä) sowie des Ersatzkassenvertrags
(EKV-Ä) zum 01.01.2004 sei eine vom Vertragszahnarzt ausgestellte formlose
Überweisung nur an einen ausschließlich auftragnehmenden Vertragsarzt möglich.
Danach könnten nur Ärzte für Laboratoriumsmedizin, Mikrobiologie und
Infektionsepidemiologie, Nuklearmedizin, Pathologie, Radiologische Diagnostik bzw.
Radiologie, Strahlentherapie und Transfusionsmedizin auf Überweisung in Anspruch
genommen werden. Im Informationsdienst der KZV 4/2004 sei auf die Änderung des
BMV-Ä zum 01.01.2004 hingewiesen worden.
Auf telefonische Nachfrage der Klägerin wegen des weiteren Vorgehens schlug die
Beklagte ihr vor, entweder die Überweisungsscheine der Hausärzte innerhalb der
Jahresfrist nachzureichen oder die Behandlungsfälle als Nachzügler in Form der
Selbstausstellung mit der Quartalsabrechnung IV/2004 einzureichen und unter Verzicht
auf die Praxisgebühr abzurechnen. Da die nachträgliche Anforderung von
Überweisungsscheinen der Klägerin als nicht praktikabel erschien, reichte sie die
"zurückgestellten" Behandlungsscheine im Quartal IV/2004 nochmals ein. Mit
Honorarbescheid vom 11.04.2005 erkannte die Beklagte für die im Quartal IV/2004
erbrachten Leistungen einen Betrag von 1.132,27 EUR an und kürzte im Übrigen das
Honorar der Klägerin für das Quartal IV/2004 wegen Überschreitung des
Individualbudgets um 19.398,65 EUR. Gegen den Abrechnungsbescheid legte die
Klägerin Widerspruch ein, da die im Quartal II/2004 erbrachten Leistungen nunmehr den
Leistungen des Quartals IV/2004 hinzugerechnet worden seien, was eine erhebliche
Überschreitung des Individualbudgets zur Folge habe. Die Abrechnungsscheine seien
jedoch fristgerecht für das Quartal II/2004 eingereicht worden. Die im Quartal II/2004
erbrachten und abgerechneten Leistungen seien auch diesem Quartal zuzurechnen.
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Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 22.12.2005).
Die eingereichten Behandlungsfälle seien ungültig und daher nicht abrechenbar
gewesen. Der Klägerin sei zwar die Möglichkeit gegeben worden, die Behandlungsfälle
mit der Scheinart "Selbstaussteller" abzurechnen. Dies habe jedoch nicht zur
Konsequenz, dass die Budgetierungsregeln des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM)
bzw. Honorarverteilungsvertrages (HVV) unberücksichtigt blieben. Die Berechnung der
Vergütung erfolge in dem Quartal, in dem die Behandlungsfälle zur Abrechnung
eingereicht worden seien.
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Die Klägerin hat Klage erhoben und zur Begründung u.a. darauf hingewiesen, dass die
im Quartal II/2004 fristgerecht eingereichten Abrechnungsscheine nur insoweit fehlerhaft
gewesen seien, als sie auf Überweisungen von Zahnärzten beruhten. Daher sei fraglich,
ob es sich tatsächlich um fehlerhaft abgerechnete Leistungen handele, denn die den
Scheinen zugrunde liegenden Leistungen selbst seien nicht fehlerhaft gewesen. Folge
einer nicht zulässigen Überweisung sei nur, dass die Behandlung der Patienten nicht
von den Ausnahmeregelungen des BMV-Ä zur Einziehung der Praxisgebühr erfasst
werde und von dem Honoraranspruch des Arztes daher - wie erfolgt - die tatsächlich
nicht eingezogenen Praxisgebühren abzuziehen seien. Eine fehlerhafte Überweisung
führe indessen nicht dazu, dass die gesamte Behandlung als falsch angesehen werden
könne. Es sei ihr auch ohne eine förmliche Überweisung möglich gewesen, die
Patienten im Quartal II/2004 zu behandeln. Für diese Behandlung hätte nur ein
Selbstausstellerschein ausgestellt werden müssen, was nachträglich erfolgt sei. Das
Nachreichen der - zuvor fristgerecht vorgelegten - Abrechnungsscheine sei nicht als
verspätete Einreichung der Scheine zu qualifizieren. Diese Situation sei daher nicht mit
der in § 4 Abs. 5 HVM ("Abrechnungsscheine, die der Arzt erst nach diesem Zeitpunkt
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erhält, können erst mit der nächsten Quartalsabrechnung eingereicht werden")
geregelten Situation vergleichbar. Dies gelte umso mehr, als nach der nunmehr
geltenden HV die Regelung in § 4 Abs. 5 HV wie folgt laute: "Nachträglich
abgerechnete Abrechnungsscheine nehmen an der Honorarverteilung im Einreichungs-
quartal nach dem im Leistungsquartal bestehenden Status teil". Im Übrigen sei die
Unrichtigkeit der Abrechnungsscheine mit Wissen und Wollen der Beklagten richtig
gestellt worden. Zudem habe die Beklagte die fehlerhaften Abrechnungen im Quartal
I/2004 noch akzeptiert. Wäre sie von der Beklagten bereits im Quartal I/2004 auf diese
Mängel hingewiesen worden, wäre es im Quartal II/2004 nicht dazu gekommen. Sie
habe aufgrund der Zusage der Beklagten auf die Abrechnung für das Quartal II/2004
vertrauen dürfen.
Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Honorarbescheides für das Quartal IV/2004 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.12.2005 zu verurteilen, über das
Honorar für das Quartal IV/2004 und für die 117 Behandlungsscheine für ärztliche
Leistungen des Quartals II/2004 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
neu zu entscheiden.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat vorgetragen, aufgrund der Änderungen des BMV-Ä zum 01.01.2004 seien mit
Ausnahme der in § 13 Abs. 4 BMV-Ä genannten Fälle Überweisungen von Zahnärzten
zu Ärzten nicht mehr möglich. Über die Änderungen sei die Klägerin durch
Veröffentlichungen im Deutschen Ärzteblatt und auch über den kassenzahnärztlichen
Informationsdienst rechtzeitig informiert worden. Die Selbstausstellerscheine seien erst
im Quartal IV/2004 zur Abrechnung eingereicht worden. Sie nähmen daher an der
Abrechnung des Einreichungs- quartals teil. Eine nachträgliche Teilnahme an der
Honorarverteilung des Leistungsquartals sei weder möglich noch zu irgendeinem
Zeitpunkt praktiziert worden. Insbesondere habe sich durch die Neuregelung des § 4
Abs. 5 HVV in der ab 01.04.2005 gültigen Fassung nichts geändert. Durch die
Neufassung werde lediglich klargestellt, dass jeweils der im Leistungsquartal
bestehende Status maßgeblich sein solle.
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Das Sozialgericht (SG) hat der Klage mit Urteil vom 23.05.2007 stattgegeben und
ausgeführt: Die Klägerin habe für das Quartal IV/2004 u.a. auf Veranlassung eines
Zahnarztes erbrachte ärztliche Leistungen abgerechnet. Überweisungen eines
Zahnarztes an einen Arzt der vertragsärztlichen Versorgung seien jedoch seit dem
01.01.2004 infolge Änderungen des BMV-Ä nicht mehr möglich. Entsprechende
Informationen seien in der KVNO-Aktuell 4/2004 und den Informationsdiensten der KZV
Nordrhein enthalten gewesen. Demgemäß habe die Beklagte die von der Klägerin
eingereichten 117 Behandlungsscheine zur Mit-/Weiterbehandlung auf Veranlassung
eines Vertragszahnarztes zu Recht beanstandet. Die Klägerin habe keine gültigen
Behandlungsausweise im Sinne des BMV-Ä zur Abrechnung gebracht. In der Folge
habe die Beklagte der Klägerin jedoch zugestanden, diese Behandlungsfälle
ausnahmsweise als ambulante Behandlungsfälle in der Form des Selbstausstellers mit
der nächsten Quartalsabrechnung, d.h. derjenigen für das Quartal IV/2004, einzureichen
und abzurechnen. Konsequenz dieser Abrechnungsform sei u.a., dass von dem Honorar
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der Klägerin die Praxisgebühr in Abzug gebracht werde. Unter welchen
Abrechnungsvoraussetzungen diese Behandlungsscheine zur Abrechnung hätten
kommen sollen, sei dem Zugeständnis der Beklagten nicht zu entnehmen. Auch aus
dem HVM ergebe sich insoweit keine eindeutige Regelung. Danach seien die
Abrechnungsunterlagen jeweils nach Beendigung eines Kalendervierteljahres der
zuständigen Bezirksstelle einzureichen. Abrechnungsscheine, die der Arzt erst nach
diesem Zeitpunkt erhalte, könnten erst mit der nächsten Vierteljahresabrechnung
eingereicht werden. Erst in dem ab 01.04.2005 geltenden HVV sei geregelt, dass
nachträglich eingereichte Abrechnungs- scheine an der Honorarverteilung im
Einreichungsquartal nach dem im Leistungsquartal bestehenden Status teilnehmen.
Dieser Regelung sei eindeutig zu entnehmen, dass mit Ausnahme des Status die
Bedingungen des Einreichungsquartals für die Berechnung des Honorars maßgebend
sein sollten. Auch wenn einiges dafür spreche, dass mit dieser Regelung lediglich eine
Klarstellung bezweckt sei, ergebe sich hieraus keine Schlussfolgerung für das
vorliegende Verfahren. Die Beklagte habe die Behandlungsscheine mit dem Vermerk
"zurückgestellt" versehen. Wenn sie der Klägerin sodann mit einem
Selbstausstellerschein eine erneute Einreichung der Abrechnungsunterlagen
ermögliche, sei bereits fraglich, ob ein Fall der "verspäteten" Einreichung angenommen
werden könne. Für die Klägerin sei jedenfalls der Eindruck entstanden, dass die
Abrechnungsscheine dem Leistungsquartal zugeordnet werden. Ihr sei zugute zu
halten, dass die bisherige Überweisungspraxis geändert und die betroffenen Ärzte
hiervon erst im Laufe des Quartals II/2004 unterrichtet worden seien. Die Beklagte habe
zudem die Abrechnung für das Quartal I/2004 unbeanstandet gelassen, obwohl die
Klägerin auch in diesem Quartal entsprechende Behandlungsscheine eingereicht habe.
Schließlich könne der Klägerin auch nicht entgegengehalten werden, dass der HVM
grundsätzlich eine nachträgliche Korrektur bereits eingereichter Abrechnungsscheine
ausschließe. Von dieser Regelung habe die Beklagte Abstand genommen, als sie der
Klägerin zugestanden habe, die Scheine als Selbstausstellerscheine erneut
einzureichen. Angesichts der Gesamtumstände und der finanziellen Auswirkungen für
die Klägerin sei es sachgerecht, dass die Beklagte die von ihr zurückgestellten
Abrechnungsscheine unter den Bedingungen des Quartals II/2004 erneut abrechne.
Diese Entscheidung greift die Beklagte fristgerecht mit der Berufung an. Sie trägt vor:
Die von der Klägerin vorgelegten "ungültigen Fälle" seien im Original zurückgereicht
und damit generell nicht zur Abrechnung angenommen worden. Der hiergegen
gerichtete Widerspruch sei bestandskräftig zurückgewiesen worden. Die Klägerin habe
von der ihr eingeräumten Möglichkeit zur Abgabe - bezogen auf die streitigen
Behandlungsfälle - neuer Abrechnungsunterlagen mit der Abrechnung ihrer Leistungen
für das Quartal IV/2004 Gebrauch gemacht, so dass die Behandlungsfälle der
Abrechnung des Einreichungsquartals unterlägen. Eine wie auch immer geartete
Zusage sei ihr nicht gemacht worden. Sie - die Beklagte - habe ihr auf telefonische
Nachfrage lediglich Möglichkeiten zum weiteren Vorgehen aufgezeigt.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23.05.2007 abzuändern und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung der Beklagten zurück zuweisen.
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Sie verweist auf das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor: Die Beklagte habe die
ursprünglichen Abrechnungsunterlagen selbst mit dem Vermerk "zurückgestellt"
versehen. Hieraus folge, dass diese gerade nicht, wie von der Beklagten behauptet,
"zurückgewiesen" worden seien. Es handele sich damit nicht um neue zur Abrechnung
eingereichte Behandlungsfälle, sondern allenfalls um eine von der Beklagten selbst
gebilligte Korrektur der fristgerecht eingereichten Abrechnungsunterlagen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten sowie des beigezogenen Verwaltungsvorganges der Beklagten Bezug
genommen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die statthafte und im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die
Klägerin ist durch den angefochtenen Honorarbescheid nicht beschwert im Sinne des §
54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da dieser rechtmäßig ist. Das
erstinstanzliche Urteil ist daher abzuändern.
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I. Streitgegenstand ist allein der Honorarbescheid vom 11.04.2005 für das Quartal
IV/2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.12.2005. Der
Honorarbescheid für das Quartal II/2004 ist bestandskräftig geworden. Zwar hat die
Klägerin gegen diesen Bescheid Widerspruch eingelegt, indessen hat die Beklagte den
Widerspruch mit Bescheid vom 03.01.2005 zurückgewiesen. Die Klägerin hat versäumt,
diesen Bescheid mittels Klage (§§ 87 ff. SGG) anzugreifen. In der Folge ist der Bescheid
bindend geworden (§ 77 SGG). Damit ist bestandskräftig entschieden, dass die
fraglichen 117 Behandlungsfälle nicht im Quartal II/2004 zur Abrechnung gelangen.
Streitgegenstand des Berufungsverfahren ist damit allein die Frage, ob die im Quartal
IV/2004 nachgereichten 117 Behandlungsfälle zu den rechtlichen Bedingungen dieses
Quartals oder zu jenen des Quartals II/2004 abzurechnen sind.
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II.
25
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch gegen die
Beklagte auf Zahlung höheren vertragsärztlichen Honorars ist § 85 Abs. 4 Satz 1 bis 3
SGB V in der Fassung des GKG-Modernisierungsgesetzes (GMG) vom 14.11.2003
(BGBI l 2190). Danach verteilt die Kassenärztliche Vereinigung die Gesamtvergütungen
an die Vertragsärzte, in der vertragsärztlichen Versorgung getrennt für die Bereiche der
hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung (Satz 1). Sie wendet dabei ab dem
01.07.2004 den mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der
Ersatzkassen erstmalig bis zum 30.04.2004 gemeinsam und einheitlich zu
vereinbarenden Verteilungsmaßstab an (Satz 2 1. Halbsatz). In diesem Rahmen steht
jedem Vertragsarzt ein Anspruch auf Teilhabe an den von den Krankenkassen
entrichteten Gesamtvergütungen entsprechend der Art und dem Umfang der von ihm
erbrachten - abrechnungsfähigen - Leistungen nach Maßgabe der
Verteilungsregelungen des HVM/HVV zu (BSG, Urteil vom 28.05.2008 - B 6 KA 49/07 R
-).
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1. Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 HVV in der für die Abrechnung der im Quartal III/2004
erbrachten ärztlichen Leistungen maßgeblichen ab 01.07.2004 geltenden Fassung (-
a.F. - Rhein. Ärzteblatt 6/2004 Seite 76 ff.) unterliegen Leistungen, die eine
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vertragsärztliche Praxis über das jeweils zugeordnete maximale Punktzahlvolumen
(Individualbudget) hinaus abrechnet, einer Kürzung auf dieses Punktzahlvolumen. Die
im Quartal II/2004 erbrachten und für das Quartal IV/2004 abgerechneten Leistungen
wurden im oben dargestellten Umfang über das der Klägerin für das maßgebliche
Abrechnungsquartal IV/2004 zugeordnete maximale Punktzahlvolumen (455.133)
hinaus abgerechnet, was zur beanstandeten Kürzung führte. Anhaltspunkte dafür, dass
die Vertragspartner des HVV das in § 85 Abs. 4 Satz 3 SGB V angesprochene Gebot
leistungsproportionaler Verteilung des Honorars sowie den aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art.
3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) herzuleitenden Grundsatz der
Honorarverteilungsgerechtigkeit nicht beachtet haben, liegen nicht vor (vgl. BSG, Urteil
vom 09.12.2004 - B 6 KA 44/03 -). Überdies ergeben sich nach Aktenlage keinerlei
Hinweise darauf, dass die Beklagte ein zu niedriges Individualbudget zugrunde gelegt
hat bzw. die Berechnung als solche fehlerhaft ist. Die Klägerin hat dies auch nicht
geltend gemacht.
Die Kürzung ist auch im Übrigen rechtmäßig. Nach § 4 Abs. 1 HVM vom 17.04.1999 in
der Fassung vom 30.11.2002 (Rhein. Ärzteblatt 1/2003, S. 76 ff.) ist die
Rechnungslegung auf gültigen Abrechnungsscheinen nach Maßgabe der einschlägigen
Bestimmungen, insbesondere des BMV-Ä bzw. AEV (Arzt-Ersatzkassenvertrag; im
Folgenden: EKV-Ä) sowie der hierzu ergangen Beschlüsse und der Vorschriften des
HVM vorzunehmen. Ergänzend bestimmt § 4 Abs. 3 Satz 1 HVM, dass für die
Abrechnungsfähigkeit von Überweisungsscheinen insbesondere die Bestimmungen
des § 24 BMV-Ä bzw. § 27 EKV-Ä maßgeblich sind. Die von der Klägerin vorgelegten
Behandlungsausweise entsprachen dem nicht. Sie hat nicht beachtet, dass infolge von
zum 01.01.2004 wirksam gewordenen Änderungen des BMV-Ä / EKV-Ä (§ 24 Abs. 10
BMV-Ä bzw. § 27 Abs. 10 EKV-Ä) vom Vertragszahnarzt ausgestellte formlose
Überweisungen nur noch an einen auftragnehmenden Vertragsarzt nach § 13 Abs. 4
BMV-Ä bzw. § 7 Abs. 4 EKV-Ä zulässig sind. Als Fachärztin für Mund-, Kiefer- und
Gesichtschirurgie rechnet die Klägerin hierzu nicht. Die Abrechnung für das Quartal
II/2004 hat die Beklagte auf dieser Grundlage - wie dargestellt - bestandskräftig
verweigert. Ungeachtet dessen hat sie der Klägerin konzilianterweise, d.h. ohne jegliche
Rechtspflicht, angeboten, die fraglichen Behandlungsfälle dennoch zur Abrechnung zu
bringen. Dem SG ist zuzustimmen, dass die Abrechnungsmodalitäten insoweit ungeklärt
waren. Das indessen ist unschädlich. War die Beklagte nicht mehr verpflichtet, die
fraglichen Fälle abzurechnen, und verweist sie im Wege des Entgegenkommens auf
eine Möglichkeit, die an sich ausgeschlossene Rechnungslegung nunmehr doch noch,
nämlich im Quartal IV/2004 durchzuführen, so mutet es durchaus als befremdlich an,
wenn die Klägerin aus dem Entgegenkommen der Beklagten meint, einen Anspruch
herzuleiten zu können, die ihr an sich für II/2004 verschlossene Abrechnung auch noch
zu den ihr günstigeren Bedingungen dieses Quartals vorzunehmen. M.a.W.: Die
Beklagte war zu diesem Entgegenkommen nicht verpflichtet. Die Klägerin hatte keinen
Anspruch darauf, dass die Abrechnung der 117 Behandlungsfälle in späteren Quartalen
gleichsam nachgeholt und ihr insoweit die Möglichkeit eingeräumt wird, den von ihr
verursachten Abrechnungsfehler zu kompensieren. Das bedeutet weiter: Da sie keinen
Abrechnungsanspruch hat, kann sie naturgemäß schon gar keinen Anspruch darauf
haben, dass die Abrechnung zu den HVM-Modalitäten des Quartals II/2004 erfolgt.
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Aus § 4 Abs. 5 Satz 7 HVV in der ab dem 01.04.2005 geltenden Fassung (Rhein.
Ärzteblatt 3/2005, S. 88 ff.) folgt nichts anderes. Hiernach nehmen nachträglich
eingereichte Abrechnungsscheine an der Honorarverteilung im Einreichungsquartal
nach dem im Leistungsquartal bestehenden Status teil. Der Begriff "Status" ist
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zulassungsrechtlich zu verstehen und bezieht sich auf den Zulassungsstatus
(Einzelpraxis, Praxisgemeinschaft, Gemeinschaftspraxis usw.). Ausweislich des
eindeutigen Wortlauts regelt § 4 Abs. 5 Satz 7 HVV mithin nur, dass der
Zulassungsstatus des Leistungsquartals auf das (spätere) Abrechnungsquartal einwirkt.
Ungeachtet dessen kann die Klägerin aus § 4 Abs. 5 Satz 7 HVV schon deswegen
nichts zu ihren Gunsten herleiten, weil diese Regelung nicht rückwirkend gilt. Vielmehr
merkt die Präambel des HVV ausdrücklich an, dass für den Zeitraum ab dem
01.04.2005 der am 30.06.2004 gültige HVM mit den zuletzt für den Zeitraum vom
01.07.2004 bis 31.03.2005 geltenden Änderungen in der nachstehenden Fassung, also
modifiziert um die §§ 1 ff. des HVV vom 01.04.2005 anzuwenden ist.
2. Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihr außerhalb des
Individualbudgets eine Nachvergütung zugesagt worden ist. Nach § 34 Abs. 1 SGB
Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) kann die zuständige Behörde eine Zusage
erteilen, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen
(Zusicherung); diese bedarf zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form. Abgesehen
davon, dass eine solche Zusage jedenfalls nicht schriftlich erteilt wurde, lässt auch der
Inhalt der "Goodwill-Entscheidung" der Beklagten nicht auf eine derartige Zusage
schließen. Das bedarf keiner weiteren Darlegungen.
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3. Die Klägerin kann sich ferner nicht auf Vertrauensschutzgesichtspunkte berufen.
Vertrauensschutz setzt einen gegenüber dem betroffenen Arzt gesetzten besonderen
Vertrauenstatbestand voraus (Senat, Urteile vom 14.11.2007 - L 11 KA 36/07 -,
14.11.2007 - L 11 KA 112/06 -, 10.12.2008 - L 11 KA 16/07 -). Schon daran fehlt es. Das
BSG hat in anderem Zusammenhang wiederholt ausgeführt, dass sachlich-rechnerische
Richtigstellungen aus Vertrauensschutzgründen nicht erfolgen dürfen, wenn die KV
über einen längeren Zeitraum eine systematisch fachfremde oder eine ohne
ausreichende fachliche Qualifikation ausgeübte Tätigkeit wissentlich geduldet und der
Vertragsarzt im Vertrauen auf die weitere Vergütung solcher Leistungen weiterhin
entsprechende Leistungen erbracht hat (BSG SozR 3-2500 § 95 Nr. 9 S. 38 f und BSGE
84, 290, 296 f = SozR 3-2500 § 95 Nr. 21 S. 91; BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 6 S. 35).
Es hat dafür eine längere Verwaltungspraxis gefordert, die über eine Zeit von wenigen
Monaten hinausgehen muss (BSGE 84, 290, 296 f = SozR 3-2500 § 95 Nr. 21 S. 91).
Hinsichtlich der rückwirkenden Korrektur von Honorarbescheiden hat das BSG in der
bloßen Duldung einer objektiv fehlerhaften Abrechnungspraxis durch eine
Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung keinen Vertrauenstatbestand gesehen (BSG SozR
4-2500 § 106a Nr. 1; s. auch SozR 4-2500 § 95 Nr. 8). Übertragen bedeutet dies: Selbst
wenn die Abrechnung der Klägerin im Quartal I/2004 unbeanstandet geblieben ist, wäre
das nach diesen Maßstäben unbeachtlich. Der "Fehler" der Beklagten betrifft nur die
Abrechnung für das Quartal I/2004. Soweit es das Quartal II/2004 anlangt, kann die
Klägerin sich schon deswegen nicht auf einen Vertrauenstatbestand berufen, weil sie
den Abrechnungsfehler eigenverantwortlich verursacht hat. Auf die Änderungen des
BMV-Ä/EKV-Ä ist die Klägerin - wie auch alle anderen Vertragsärzte im
Zuständigkeitsbereich der Beklagten - zeitig hingewiesen worden, nämlich durch
Veröffentlichungen im Deutschen Ärzteblatt Jahrgang 101, Heft 11 vom 12.03.2004
(Seite A 743, 744) und Heft 4 vom April 2004 (S. 183, 184) sowie in der KVNo Aktuell
4/2004 und dem Informationsdienst der KZV Nordrhein 4/2004.
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Soweit die Klägerin sich darauf bezieht, aus der KVNo Aktuell 4/2004 und dem
Informationsdienst der KZV Nordrhein 4/2004 gehe nicht eindeutig hervor, wie zu
verfahren sei, führt dies nicht weiter. Eine unklare Rechtslage kann nicht zum
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Vertrauensschutz führen. Eine unklare Rechtslage ist von vornherein ungeeignet,
Gewissheit von der Rechtmäßigkeit eines bestimmten Handelns zu vermitteln. Allenfalls
kann derjenige, der sich auf eine Rechtsposition beruft, darauf hoffen, dass sich die von
ihm vertretene Ansicht als zutreffend erweist. Im Übrigen aber hat der Betreffende
ebenso in Erwägung zu ziehen, dass sich die andere Ansicht durchsetzt, sich mithin
sein Handeln als unzulässig erweist (vgl. Senat, Urteil vom 10.12.2008 - L 11 KA 16/07 -
; Urteil vom 14.11.2007 - L 11 KA 36/07 -, bestätigt durch BSG, Urteil vom 05.11.2008 -
B 6 KA 63/07 R -).
4. Die Klägerin kann ihr Begehren schließlich auch nicht auf einen sozialrechtlichen
Herstellungsanspruch stützen. Ungeachtet der grundsätzlichen Frage, ob und inwieweit
dieses Rechtsinstitut im Vertragsarzrecht zur Anwendung gelangt (hierzu Senat, Urteil
vom 02.07.1997 - L 11 Ka 111/96 -), ist bereits fraglich, ob die Beklagte rechtswidrig bei
der Klägerin den Eindruck erweckt hat, sie könne die im Quartal II/2004 aus formellen
Gründen nicht abgerechneten Leistungen vollständig (unabhängig von ihrem
Individualbudget) noch geltend machen. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch
greift nach den allgemeinen richterrechtlichen Grundsätzen bei einer dem zuständigen
Sozialleistungsträger zuzurechnenden Pflichtverletzung ein, durch welche dem
Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden ist. Auf der
Rechtsfolgenseite muss durch die Vornahme einer Amtshandlung des Trägers ein
Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung
nicht erfolgt wäre (vgl. BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 5/05 R - ). Abgesehen
davon, dass schon zweifelhaft ist, ob die Klägerin einen solchen Anspruch dem Grunde
nach überhaupt geltend machen kann, kommt eine rechtswidrige Amtshandlung (wie die
Honorierung ärztlicher Leistungen über das Individualbudget hinaus) als Gegenstand
des Herstellungsanspruchs von vornherein nicht in Betracht (vgl. auch Senat, Urteil vom
14.02.2007 - L 11 KR 69/06 -).
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5. Auch im Übrigen existiert keine Anspruchsgrundlage, auf die das Begehren der
Klägerin gestützt werden könnte.
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a) Das von den Partnern der Gesamtverträge zu beachtende gesetzliche Gebot,
ärztliche Leistungen angemessen zu vergüten (§ 72 Abs. 2 SGB V) scheidet als
Anspruchsgrundlage aus. Diese Regelung enthält nur ein objektives Gebot, das im
allgemeinen keine subjektive Rechte der Vertragsärzte begründet (LSG Nordrhein-
Westfalen, Urteil vom 21.05.2003 - L 10 KA 52/02 -). Einzelne Ärzte können sich im
Rahmen einer Inzidentprüfung der für die Vergütungshöhe maßgeblichen Vorschriften
des EBM-Ä und des HVM / HVV entweder dann auf dieses Gebot berufen, wenn durch
eine zu niedrige Honorierung ärztlicher Leistungen das vertragsärztliche
Versorgungssystem als Ganzes - beziehungsweise zumindest hinsichtlich eines
Teilgebiets - und als Folge davon auch die berufliche Existenz der an dem
Versorgungssystem beteiligten ärztlichen Leistungserbringer gefährdet wäre, oder dann,
wenn in einem - fachlichen oder örtlichen -Teilbereich kein ausreichender finanzieller
Anreiz mehr besteht, vertragsärztlich tätig zu werden, und dadurch in diesem Bereich
die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung gefährdet ist (BSG, Beschluss
vom 11.03.2009 - B 6 KA 31/08 B -)
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Die Klägerin hat trotz des nicht unerheblichen Kürzungsvolumens nicht ansatzweise
dargetan, dass diese Voraussetzungen vorliegen.
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b) Ein Anspruch auf Vergütung der im Quartal II/2004 erbrachten vertragsärztlichen
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Leistungen nach den Abrechnungsmodalitäten dieses Quartals ergibt sich auch nicht
aus Art. 12 Abs. 1 GG. Bei der Prüfung, ob normative Regelungen der Honorarverteilung
den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG genügen, ist primär auf die generelle Situation
der betroffenen Arztgruppe und nicht auf die Ertragssituation einer einzelnen
vertragsärztlichen Praxis abzustellen. Dementsprechend ist unerheblich, in welcher
Höhe der einzelne Vertragsarzt Honoraransprüche erwerben und ob seine Praxis einen
ausreichenden Gewinn abwerfen kann. Die Berücksichtigung der generellen Situation
einer Arztgruppe schließt zugleich aus, dass ein Anspruch auf höhere Vergütung mit
Erfolg für nur einen kurzen Zeitraum oder für beliebig herausgegriffene Quartale geltend
gemacht werden kann (BSG, Urteil vom 09.12.2004 - B 6 KA 44/03 R -; vgl. auch Senat,
Urteil vom 03.09.2007 - L 11 KA 105/06 -).
Die Berufung der Beklagten musste nach alledem Erfolg haben.
38
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154
Verwaltungsgerichtsordnung.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2
SGG).
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