Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 30.06.2004

LSG NRW: schlüssiges verhalten, arbeitslosenhilfe, zustandekommen, vorstellungsgespräch, firma, arbeitsamt, arbeitslosenversicherung, arbeitsförderung, auflage, glaubwürdigkeit

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landessozialgericht NRW, L 12 (9) AL 208/03
30.06.2004
Landessozialgericht NRW
12. Senat
Urteil
L 12 (9) AL 208/03
Sozialgericht Duisburg, S 12 AL 253/02
Arbeitslosenversicherung
nicht rechtskräftig
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg
vom 16. September 2003 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im
Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit und die damit verbundene Aufhebung
der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe.
Der 1965 geborene Kläger bezog seit 1987 mit Unterbrechungen Leistungen von der
Beklagten. Zuletzt war er vom 15.01.1996 bis 31.07.1998 und vom 01.02.2000 bis
31.05.2000 als Kraftfahrer beschäftigt. Seither bezog er Arbeitslosenhilfe, seit 01.01.2002
nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von 420 Euro und Leistungsgruppe A
1 nach einem wöchentlichen Leistungssatz von 156,31 Euro.
Am 16.07.2000 bot die Beklagte dem Kläger mit Rechtsfolgenbelehrung für den Fall der
Nichtannahme und der Verhinderung des Zustandeskommens des
Beschäftigungsverhältnisses durch sein Verhalten eine Stelle als Kraftfahrer in
Güternahverkehr bei der X Personal-Service GmbH in E an. Am 22.07.2002 brachte der
Kläger bei der auf Einladung des Arbeitsamts E erfolgten persönlichen Vorstellung laut
Beratungsvermerk zum Ausdruck, dass das am selben Tag später noch stattfindende
Vorstellungsgespräch sowieso nichts ergeben werde, weil die meisten Firmen schlecht
zahlen würden und er die ihm erläuterte Zumutbarkeit nicht nachvollziehen könne. Wegen
fehlender Motivation wurde der Kläger daraufhin für eine Maßnahme "subjektive
Hemmnisse" vorgemerkt. Die X Personal-Service GmbH teilte der Beklagten durch die
Zeugin T mit, der Kläger habe sich am 22.07.2002 vorgestellt, werde aber nicht eingestellt,
weil er für nicht geeignet gehalten werde. Er sei patzig geworden, weil er den
Bewerberbogen ausfüllen sollte und habe ein sehr schlechtes Benehmen gezeigt. Laut
Beratervermerk vom 15.08.2002 teilte die Zeugin T der Beklagten auf telefonische
Nachfrage ferner mit, der Kläger habe sich aufgrund seines Verhaltens die Möglichkeit
verbaut, eingestellt zu werden. Er habe einen sehr unmotivierten Eindruck gemacht und
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sich kaum auf ein Gespräch eingelassen. Das Grundgehalt hätte mindestens 1.170 Euro,
netto über 900 Euro betragen. Als Berufskraftfahrer mit Führerschein Klasse II hätte er gute
Chancen gehabt, von der beauftragenden Firma übernommen zu werden.
Mit Bescheid vom 26.09.2002 stellte die Beklagte den Eintritt einer zwölfwöchigen
Sperrzeit für die Zeit vom 23.07.2002 bis 14.10.2002 fest und hob die Bewilligung der
Arbeitslosenhilfe ab 23.07.2002 auf. Hiergegen erhob der Kläger ab 01.10.2002 mit der
Begründung Widerspruch, er sei bei der X Personal-Service GmbH vorstellig geworden,
habe einen Personalfragebogen ausgefüllt, habe danach gehen können und nichts mehr
von der Firma gehört, obwohl ihm gesagt worden sei, man werde ihm Bescheid geben.
Durch Widerspruchsbescheid vom 16.10.2002 wies die Beklagte den Widerspruch des
Klägers zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe trotz Belehrung über die
Rechtsfolgen durch sein Verhalten das Zustandekommen eines
Beschäftigungsverhältnisses vereitelt, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Nach
Angaben des Arbeitgebers habe er bei der Vorstellung ein ausgesprochen schlechtes
Benehmen an den Tag gelegt, einen sehr unmotivierten Eindruck gemacht und sich kaum
auf ein Gespräch eingelassen. Dies finde seine Bestätigung darin, dass er bei seiner
persönlichen Vorstellung beim Arbeitsamt am selben Tag bereits angegeben habe, nicht
mit seiner Einstellung zu rechnen. Ferner habe er seine grundsätzliche Abneigung gegen
Arbeitnehmerüberlassungen wegen schlechter Bezahlung der meisten dieser Firmen zum
Ausdruck gebracht. Durch sein mangelndes Interesse habe er den Arbeitgeber veranlasst,
ihn aus dem Bewerberkreis auszuschließen und habe dadurch das Zustandekommen
eines Arbeitsverhältnisses vereitelt.
Am 23.10.2002 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Duisburg Klage erhoben. Zur
Begründung hat er vorgetragen, bei der Vorstellung habe er gesagt, dass er sich als Fahrer
bewerbe, die Eintragung des Berufs in dem Fragebogen habe er lediglich vergessen. Die
fehlende Eintragung sei aber nachgeholt worden. Ihm sei entgegengehalten worden, er
habe offenbar keine Lust zum Arbeiten. Die fehlende Eintragung sei kein schlechtes
Benehmen. Er hätte die Arbeit als Fahrer bei der Firma angenommen. Eine der vier
anwesenden Frauen habe ihm gesagt, dass im Moment keine Stelle zu besetzen sei und
man sich melden werde, wenn man etwas habe.
Das Sozialgericht hat über den Hergang des Vorstellungsgesprächs bei der X Personal-
Service GmbH am 22.07.2002 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin B T. Wegen
des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 16.09.2003
Bezug genommen.
Mit Urteil vom 16.09.2003 hat das Sozialgericht die Klage im Wesentlichen mit der
Begründung abgewiesen, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bestünden keine
Zweifel daran, dass der Kläger durch sein Verhalten bei dem Vorstellungsgespräch ohne
wichtigen Grund das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses vereitelt habe,
im Zeitpunkt des Vorstellungsgesprächs die Stelle als Fahrer auch noch zu besetzen
gewesen sei und sie dem Kläger auch zumutbar gewesen sei. Wegen der weiteren
Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen.
Gegen das ihm am 26.09.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.10.2003 Berufung
eingelegt. Zur Begründung trägt er vor: Die Zeugin T sei seiner Ansicht nach nicht
glaubwürdig. Sie habe ihn als besoffenen Penner dargestellt. Er habe keine Arbeit
abgelehnt. Die X Personal-Service GmbH habe vielmehr für ihn keine Arbeit gehabt.
Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16.09.2003 zu ändern und den Bescheid vom
26.09.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Der Senat hat Frau B T nochmals als
Zeugin vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die
Niederschrift vom 30.06.2004 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug
genommen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten
vom 26.09.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2002 ist
rechtmäßig. Die Beklagte hat zu Recht den Eintritt einer Sperrzeit vom 23.07.2002 bis
14.10.2002 festgestellt und durfte die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe für diesen Zeitraum
aufheben.
Gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 2 3. Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) tritt eine
Sperrzeit von 12 Wochen ein, wenn der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen
eine vom Arbeitsamt unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit
angebotene Beschäftigung nicht angenommen oder nicht angetreten oder die Anbahnung
eines solchen Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere das Zustandekommen eines
Vorstellungsgesprächs, durch sein Verhalten verhindert, ohne für sein Verhalten einen
wichtigen Grund zu haben (Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung).
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt
hat, vor.
Dabei umfasst die Vorschrift nicht nur das direkte ausdrückliche "Nichtannehmen" der
angebotenen Beschäftigung, sondern es reicht vielmehr auch aus, wenn die angebotene
Arbeit nicht angenommen wird durch schlüssiges Verhalten (vgl. Urteil des Senats vom
04.09.2002 - L 12 AL 69/02 -; Niesel, SGB III, 2. Auflage § 144 Rdnr. 57).
Nach Würdigung des gesamten Ergebnisses des Verfahrens und der erneuten Aussage
der Zeugin T steht für den Senat fest, dass der Kläger eine ihm angebotene zumutbare und
auch tatsächlich vorhandene Beschäftigung nicht angenommen hat. Er schließt sich
deshalb in der rechtlichen Würdigung dem Urteil des Sozialgerichts an und sieht insoweit
von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gem. § 153 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) ab.
Die Zeugin T hat ihre Aussage vor dem Sozialgericht zunächst nochmals bestätigt, dass
die Vorstellung des Klägers bei der X Personal-Service GmbH am 22.07.2002 sicher nicht
so abgelaufen ist, wie es vom Kläger dargestellt wird. Insbesondere fehlen jegliche
Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugin dem Kläger vorgehalten hat, keine Lust zum Arbeiten
zu haben oder ihn als besoffenen Penner dargestellt hat. Mangels Interesses am Ausgang
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des Rechtsstreits bestehen auch keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin,
wohingegen das Klägerinteresse das Aufstellen derartiger Behauptungen ohne weiteres
nachvollziehbar erscheinen lässt. Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser klägerischen
Behauptungen ergeben sich außerdem daraus, dass der Kläger die Behauptungen, ihm sei
vorgehalten worden, offenbar keine Lust zum Arbeiten zu haben, und er sei als besoffener
Penner behandelt worden, erstmals im Klage- und Berufungsverfahren vorgetragen hat,
während er dies im Widerspruchsverfahren nicht vorgebracht hat, nicht einmal, dass er bei
dem Vorstellungsgespräch unfreundlich behandelt worden sei. Dieses aber bereits im
Widerspruch vorzubringen, hätte wegen der zeitlichen Nähe zum Geschehen gerade
nahegelegen. Die Zeugin hat zudem nachvollziehbar und glaubhaft geschildert, dass das
Verhalten des Klägers beim Ausfüllen des Bewerbungsbogens und beim
Vorstellungsgespräch der Grund dafür war, ihn für nicht geeignet zu halten und ihn nicht
einzustellen. Aufgrund ihrer Aussage ist der Senat insbesondere davon überzeugt, dass
nicht lediglich, wie der Kläger Glauben machen will, die Nichtangabe bzw. eine
vergessene Berufungsangabe im Bewerbungsbogen Anlass war, der Beklagten
mitzuteilen, dass der Kläger als ungeeignet nicht eingestellt werde, sondern dass der
Kläger die Aufforderung den Bewerbungsbogen auszufüllen, anfänglich schroff von sich
gewiesen hat, so dass die Nichteinstellung und die entsprechende Mitteilung an die
Beklagte die zwangsläufige Folge war. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Zeugin bei
ihrer Aussage vor dem Sozialgericht im Gegensatz zu ihrer Aussage vor dem Senat keine
konkrete Erinnerung an den Kläger hatte und ihm auch die Äußerung bei der Aufforderung
zum Ausfüllen des Bewerbungsbogens "Was soll der Scheiß?" oder "Warum soll ich den
Scheiß ausfüllen?" nicht konkret dem Kläger zuordnen wollte. Gleichwohl steht aufgrund
ihrer Aussage zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger jedenfalls ein
unbotmäßiges, der Bewerbungssituation nicht entsprechendes Verhalten gezeigt hat, das
die Erfolgsaussicht der Bewerbung zunichte machen musste. Denn aus dem Unterschied
der Aussagen der Zeugin vor dem Sozialgericht und vor dem Senat kann jedenfalls nicht
geschlossen werden, dass der Kläger sich nicht in entsprechender Art und Weise geäußert
hat, und schließlich gibt es keine Hinweise dafür, dass die entsprechende Mitteilung der
Zeugin an die Beklagte ohne Grund erfolgte.
Klage und Berufung konnten somit keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1
oder 2 SGG nicht vorliegen.