Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 30.09.2002

LSG NRW: allgemeine versicherungsbedingungen, versorgung, pflege, krankenversicherung, avb, erlass, ermächtigung, erleichterung, rechtsverordnung, krankengymnastik

Landessozialgericht NRW, L 3 P 48/01
Datum:
30.09.2002
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 3 P 48/01
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 8 P 1/00
Sachgebiet:
Sozialrecht
Rechtskraft:
Rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts
Dortmund vom 22.10.2001 geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten in beiden
Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Streitig ist die Übernahme von Anschaffungs- und Einbaukosten für einen Pkw-
Schwenksitz als Leistung aus der privaten Pflegeversicherung.
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Der am 00.00.1940 geborene Kläger ist Postbeamter im Ruhestand und bei der
Beklagten in Ergänzung seiner Beihilfeberechtigung mit einer Deckungsquote von 30
v.H. privat pflege- und krankenversichert.
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Der Kläger leidet an den Folgen einer langjährigen Parkinsonerkrankung, die zur
Zusage von Leistungen entsprechend der Pflegestufe I ab dem 01.08.1997, von
Leistungen der Pflegestufe II ab Januar 1998 und von Leistungen der Pflegestufe III ab
Januar 2000 führten. Der Kläger lebt in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner
Ehefrau, die die Pflege durchführt.
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Im März 2000 beantragte der Kläger die Übernahme der Kosten für Anschaffung und
Einbau eines Pkw-Schwenksitzes unter Vorlage eines Kostenvoranschlages über
6.237,32 DM brutto. Dieser Schwenksitz wurde nach Angaben in der mündlichen
Verhandlung vor dem Sozialgericht dann auch eingebaut. Mit Schreiben vom
24.03.2000 und 13.04.2000 lehnte die Beklagte die Übernahme von Kosten als Leistung
der privaten Pflegeversicherung ab, weil Schwenksitze nicht im
Pflegehilfsmittelverzeichnis der privaten Pflegepflichtversicherung aufgeführt seien, und
auch unter Berücksichtigung des Einzelfalles eine Versorgung aus der privaten
Pflegepflichtversicherung nicht möglich sei.
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Mit der Klage zum Sozialgericht hat der Kläger die medizinische Notwendigkeit der
Nutzung eines Schwenksitzes betont und darauf hingewiesen, dass die
Krankenversicherung eine Kostenübernahme ebenso abgelehnt habe wie die
Beihilfestelle. Die Bezuschussung der Anschaffung eines Schwenksitzes komme
sowohl in seiner Eigenschaft als Pflegehilfsmittel, als technische Hilfe wie auch zur
Verbesserung des Wohnumfeldes nach dem SGB XI in Betracht.
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Mit Urteil vom 22.10.2001 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die
Beklagte verurteilt, dem Kläger 6.237,32 DM zu zahlen sowie die außergerichtlichen
Kosten des Klägers zu erstatten. Ein Anspruch auf die Kosten des Schwenksitzes
bestehe nach § 40 SGB XI. Das Pflegehilfsmittelverzeichnis sei nicht ausschließlich.
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Gegen das ihr am 02.11.2001 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten,
mit der sie darauf hinweist, dass Ansprüche des Klägers überhaupt nur entsprechend
der versicherten Erstattungsquote von 30 v.H. als Leistung der mit ihr abgeschlossenen
privaten Pflegeversicherung denkbar seien. Als Anspruchsgrundlage komme allein § 4
Abs. 7 AVB i.V.m. Nr. 4 des Tarifs PV in Betracht. Danach seien ausschließlich die im
Pflegehilfsmittelverzeichnis aufgeführten Pflegehilfsmittel erstattungsfähig. Dieses
Verzeichnis enthalte keinen Schwenksitz.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.10.2001 abzuändern und die
Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Auch er nimmt nur noch einen Anspruch gegen die Beklagte zu 30 v.H. der
Gesamtkosten des Schwenksitzes an. Dieser allerdings bestehe, da das
Pflegehilfsmittelverzeichnis nicht ausschließlich sei. Anderenfalls komme es zu einer
vom Gesetz verbotenen Ungleichbehandlung zwischen sozial und privat
Pflegeversicherten. Im Übrigen sei die Anschaffung des Schwenksitzes im Hinblick auf
die ansonsten für die Krankenkasse entstehenden Aufwendungen wirtschaftlich.
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Den Beteiligten ist die Entscheidung des BSG in dem Verfahren B 3 P 10/01 R vom
11.04.2002 übermittelt worden. Zu Einzelheiten wird auf den Inhalt der
Verwaltungsakten des Klägers bei der Beklagten sowie der Prozessakten Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist auch begründet. Dem Kläger steht der geltend
gemachte Anspruch auf Erstattung der Anschaffungs- und Einbaukosten für einen Pkw-
Schwenksitz weder auf der vom Sozialgericht gesehenen Rechtsgrundlage noch aus
anderen Gründen zu. Das Urteil war daher abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der vom Sozialgericht gesehene Erstattungsanspruch unmittelbar aus § 40 SGB XI
besteht schon deshalb nicht, weil diese Anspruchsgrundlage entsprechend dem
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privatrechtlichen Charakter des zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden
Pflegepflichtversicherungsverhältnisses durch die diesem Verhältnis zugrunde
liegenden vertraglichen Vereinbarungen verdrängt wird. Doch auch hiernach besteht
der geltend gemachte Anspruch nicht: Nach § 4 Abs. 7 AVB (Allgemeine
Versicherungsbedingungen für die private Pflegepflichtversicherung) in Verbindung mit
Nr. 4 des Tarifs PV, der der Versicherung des Klägers bei der Beklagten zugrunde liegt,
haben versicherte Personen gemäß Nr. 4 des Tarifs PV Anspruch auf Ersatz von
Aufwendungen für Pflegehilfsmittel und technische Hilfen oder deren leihweise
Überlassung, wenn und soweit die Pflegehilfsmittel und technischen Hilfen zur
Erleichterung der Pflege oder zur Linderung von Beschwerden der versicherten Person
beitragen oder ihr eine selbstständigere Lebensführung ermöglichen und diese
Versorgung notwendig ist. Nach Nr. 4 des Tarifs PV sind nur Aufwendungen für die im
Pflegehilfsmittelverzeichnis der privaten Pflegepflichtversicherung aufgeführte
Pflegehilfsmittel und technische Hilfen erstattungsfähig. Einen Pkw-Schwenksitz enthält
dieses Verzeichnis nicht, ebensowenig ein auch nur im Grundsatz vergleichbares
Hilfsmittel.
Soweit der Kläger darauf hinweist, dies führe zu einer Ungleichbehandlung privat
Pflegeversicherter im Verhältnis zu sozial Pflegeversicherten (für die es zumindest
derzeit trotz der nach § 40 Abs. 5 SGB XI bestehenden gesetzlichen Ermächtigung kein
Pflegehilfsmittelverzeichnis gibt), stützt diese Überlegung den behaupteten Anspruch
des Klägers im Ergebnis nicht. Zwar mag es Bedenken begegnen, ob in der privaten
Pflegepflichtversicherung der Anspruch auf Erstattung der für ein Pflegehilfsmittel
aufgewendeten Kosten schon vor dem Erlass einer (inhaltsgleichen) Rechtsverordnung
nach § 50 Abs. 5 SGB XI davon abhängig gemacht werden kann, dass das Hilfsmittel
aufgeführt ist (BSG, Urt. vom 11.04.2002 - B 3 P 10/01 R - unter Bezug auf die Annahme
des SG in jenem Verfahren). Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Betrachtung, da
die Kostenerstattung hier wie in dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall
schon deshalb ausgeschlossen ist, weil dieses Hilfsmittel für die in § 40 Abs. 1 SGB XI
vorausgesetzten Ziele, die in der privaten Pflegepflichtversicherung über § 4 Abs. 7 MB-
PPV (Musterbedingungen für die private Pflegepflichtversicherung 1996) verbindlich
sind, nicht notwendig ist (hierzu und im Folgenden: BSG aaO). Pflegehilfsmittel können
grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Betätigungen beansprucht werden, die für die
Lebensführung im häuslichen Umfeld erforderlich sind (BSG SozR 3 3300 § 40 Nr. 1).
Soweit der Kläger den Schwenksitz benötigt, um zu Ärzten, zur Krankengymnastik oder
zu Ergotherapie gefahren zu werden, dient dies zwar dem von der Pflegeversicherung
vorrangig verfolgten Ziel, eine Fortsetzung der Lebensführung im häuslichen Umfeld zu
ermöglichen. Hieraus ergibt sich jedoch im Hinblick auf das Gleichwertigkeitsgebot
noch keine Verpflichtung privater Pflegeversicherungsunternehmen, schwenkbare
Autositze als erstattungsfähige Pflegehilfsmittel anzusehen und sie in den
Hilfsmittelkatalog aufzunehmen. Denn bei einem Versicherten der sozialen
Pflegeversicherung, der gemäß § 20 SGB XI zugleich krankenversichert ist, träte im
derartigen Fall allein die Leistungspflicht der Krankenversicherung ein. Es besteht keine
Veranlassung, vielmehr wegen des Gleichwertigkeitsgebots ein nicht zu überwindendes
Hindernis, dies für den Bereich der privaten Pflegepflichtversicherung anders zu sehen.
Dass der schwenkbare Pkw-Sitz nicht primär dem weiteren Ziel "Linderung der
Beschwerden des Pflegebedürftigen" dient, ist offensichtlich und bedarf keiner weiteren
Darlegung. Ein schwenkbarer Pkw-Sitz ist aber auch nicht im Sinne von § 40 Abs. 1
SGB XI geeignet, dem Pflegebedürftigen eine selbstständigere Lebensführung zu
ermöglichen. Auch insoweit ist das übergeordnete Ziel der Pflegeversicherung bei der
Versorgung mit Pflegehilfsmitteln und technischen Hilfen, nämlich dem
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Pflegebedürftigen das Verbleiben im häuslichen Umfeld zu ermöglichen, vorrangig zu
beachtendes Ziel.
Der schwenkbare Sitz verbessert die selbstständige Lebensführung allenfalls außerhalb
des zu betrachtenden Bereiches. Als, wie vom Kläger-Bevollmächtigten vorgeschlagen,
"Maßnahme zur Verbesserung des Wohnumfeldes" kommt ein gerade zum Verlassen
dieses Umfeldes bestimmter und nur außerhalb von ihm nutzbarer Schwenksitz auch
bei großzügigstem Verständnis nicht in Frage.
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Die Kostenentscheidung trägt dem Misserfolg der Klage Rechnung und beruht auf § 193
Abs. 1, 193 Abs. 4 SGG in der bis zum 01. Januar 2002 geltenden Fassung vor
Änderung durch Art. 17 des 6. SGG-Änderungsgesetzes vom 17.08.2001 (BGBl. I S.
2144).
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Ein Anlass zur Zulassung der Revision nach § 160 SGG besteht vor allem mit Rücksicht
auf das Urteil des BSG vom 11.04.2002 - B 3 P 10/01 R - nicht. In diesem Urteil hat das
BSG zu allen auch in diesem Fall maßgeblichen Fragen vor dem Hintergrund eines
vergleichbaren Sachverhalts eingehend und überzeugend Stellung genommen.
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