Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 06.01.2006

LSG NRW: rückzahlung, alter, glaubhaftmachung, rente, handschrift, notiz, anfang, hauptsache, erlass, quittung

Landessozialgericht NRW, L 1 B 13/05 AS ER
Datum:
06.01.2006
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 1 B 13/05 AS ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 23 AS 179/05 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin werden der
Teilabhilfebeschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.07.2005
aufgehoben und der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom
15.06.2005 teilweise geändert: Der Antrag des Antragstellers zu 2) auf
Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung im Wege der einstweiligen Anordnung wird
abgelehnt. Außergerichtliche Kosten der Beteiligten im
Beschwerdeverfahren sowie die außergerichtlichen Kosten des
Antragstellers zu 2) im ersten Rechtszug sind nicht zu erstatten.
Gründe:
1
Im Beschwerdeverfahren wird in zulässiger Weise nur noch über den Antrag des
Antragstellers zu 2) auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung gestritten. Die Beschwerdeschrift der Antragsgegnerin greift den
Beschluss des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 15.06.2005 und den
Teilabhilfebeschluss des SG vom 05.07.2005 mit hinreichender Deutlichkeit nur
hinsichtlich des Antragstellers zu 2) an. Im Übrigen ist bezüglich der Antragstellerin zu
1) ein Rechtsschutzbedürfnis an einer Beschwerdeentscheidung auch nicht erkennbar,
nachdem die im Beschwerdeverfahren beigeladene ARGE S ihren Anspruch auf
Arbeitslosengeld II zwischenzeitlich anerkannt hat.
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Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des SG vom
15.06.2005 in der Fassung des Teilabhilfebeschlusses vom 05.07.2005 ist begründet.
Der Antragsteller zu 2) hat keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Wege des einstweiligen
Rechtsschutzes.
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Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) können die Sozialgerichte
einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein
streitiges Rechtsverhältnis (Anordnungsanspruch) erlassen, wenn eine solche
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Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Anordnungsgrund).
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2
Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung).
Im vorliegenden Fall scheitert der Erlass einer einstweiligen Anordnung schon daran,
dass der Antragsteller zu 2) den erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft
gemacht hat.
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Bei der Beurteilung des Anordnungsanspruchs orientiert sich der Senat an den
Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf das Grundrecht auf
effektiven Rechtsschutz aus Art 19 Abs. 4 Grundgesetz aufgestellt hat (Beschluss v.
12.05.2005, 1 BvR 569/05). Danach dürfen sich die Gerichte nicht auf eine bloß
summarische Prüfung der Erfolgsaussichten und die Anforderungen an die
Glaubhaftmachung durch den Antragsteller nicht überspannen. Ist eine Prüfung der
Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht möglich, so hat eine Folgenabwägung
stattzufinden.
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Die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache ergibt, dass der Antragsteller zu 2)
keinen Anspruch auf die begehrte Leistung hat. Denn es steht nicht fest, dass er seinen
Lebensunterhalt nicht aus seinem Einkommen und Vermögen beschaffen kann (§ 41
Abs. 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB XII]). Für diese anspruchsbegründende
Voraussetzung trägt der Antragsteller zu 2) auch im Verfahren auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung die materielle Beweislast zumindest im Sinne einer
Glaubhaftmachung. Das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs ist indessen nicht
einmal wahrscheinlich.
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Nach dem unstreitigen Vortrag der Beteiligten steht fest, dass dem Antragsteller zu 2)
am 05.01.2004 ein Betrag von insgesamt 19.771,13 EUR als Barscheck zugeflossen ist.
Die durch eidesstattliche Versicherung bekräftigte Behauptung des Antragstellers zu 2),
er habe hiervon einen Teilbetrag von 19.270,00 EUR zur Rückzahlung von Darlehn an
insgesamt sechs verschiedene Gläubiger verwandt, ist insbesondere angesichts der
hierzu im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Umstände nicht glaubhaft.
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Der Antragsteller zu 2) hat zur Glaubhaftmachung vier offenkundig in derselben
Handschrift ausgestellte Quittungen über 1.470,00 EUR, 2.557,00 EUR, 725,00 EUR
und 805,00 EUR, davon drei unleserlich und eine gar nicht unterzeichnet vorgelegt.
Außerdem hat er zwei Ablichtungen von Schuldscheinen überreicht: einen
Schuldschein vom 07.02.1996 über ein Darlehn von 10.000,00 DM zu einem Zinssatz
von 3 % mit einer darauf kopierten Notiz, wonach das Darlehn vom 07.02.1996
"erloschen" sei, und einen Schuldschein vom 10.01.1994 über ein Darlehn von
12.000,00 DM zu einem Zinssatz von 2 %, ebenfalls mit einer darauf kopierten Notiz,
wonach das Darlehn mit Zinsen "zurückerhalten" worden sei. Die angeblich die
Rückzahlung bescheinigenden Erklärungen sind wiederum in derselben Handschrift
abgefasst wie die Quittungen und tragen ebenso wie diese keine lesbaren
Unterschriften. Keines der sechs Schriftstücke lässt den Namen eines Gläubigers auch
nur ansatzweise erkennen. Schon angesichts dieser Umstände bedarf es keiner
näheren Darlegung, dass die Quittungen ebenso wie die Ablichtungen der
Schuldscheine nicht geeignet sind, eine Zahlung der Beträge in der angegebenen Höhe
an Dritte plausibel zu machen.
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Es kommt hinzu, dass die Darstellung des Antragstellers zu 2) zu der angeblichen
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Rückzahlung in sich widersprüchlich ist. Nachdem ihn der Senat zu ergänzendem
Vortrag hierzu aufgefordert hat, hat er erstmals im Beschwerdeverfahren die Namen der
angeblichen Gläubiger benannt, allerdings mit ehemaligen Geschäftsadressen und
ohne eine einzige aktuelle ladungsfähige Anschrift. Im Anschluss an seine Bitte um
Fristverlängerung um zwei Wochen zur Benennung der ladungsfähigen Anschriften mit
Schriftsatz vom 24.08.2005 hat der Antragsteller zu 2) zur Erreichbarkeit der
angeblichen Gläubiger nichts mehr vorgetragen.
Aus dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 09.03.2004, mit dem diese den Antrag des
Antragstellers zu 2) auf Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz abgelehnt hat
und dessen Inhalt der Antragsteller zu 2) nicht entgegengetreten ist, ergibt sich, dass der
Antragsteller zu 2) dem Sozialamt der Antragsgegnerin am 13.02.2004 drei Quittungen
vorgelegt hat. Tatsächlich datieren die erstinstanzlich vorgelegten Quittungen vom
05.01., 31.01., 20.02. und 24.02.2004. Die übrigen Quittungen sind undatiert. Eine
dieser Quittungen trägt den Ortszusatz "L", die anderen drei tragen den Ortszusatz "N".
Die Rückzahlung eines weiteren Darlehns soll im Februar 2004 erfolgt sein. Daraus
ergibt sich zwingend, dass es dem Antragsteller zu 2) im Januar/Februar 2004 gelungen
sein muss, sämtliche sechs Gläubiger ausfindig zu machen - drei davon inzwischen
sogar in einer anderen Stadt - und ihnen die geschuldeten Beträge verzinst
zurückzuzahlen. Es kommt hinzu, dass die Unterschriften Anfang März 2004 auf einem
Treffen in der Gaststätte "F" (richtig vermutlich: "F1") in L geleistet worden sein sollen.
Damit ist es dem Antragsteller zu 2) seinem eigenen Vortrag nach - wenn auch unter
Einschaltung eines ebenfalls nicht namentlich benannten Bekannten - ein zweites Mal
gelungen, alle sechs Gläubiger zu erreichen und sogar zu einem gemeinsamen Treffen
zu bewegen. Welche Schwierigkeiten angesichts dessen bestehen sollen, die
ladungsfähigen Anschriften zu benennen oder die Erreichbarkeit der Gläubiger für den
Senat auf andere Weise zu gewährleisten, ist nicht nachvollziehbar.
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Ebenso wenig hat der Antragsteller zu 2) schlüssig dargelegt, wieso sich die
Betreffenden geweigert haben sollen, ihre Unterschriften unter die von ihm vorbereiteten
Quittungen zu setzen, um stattdessen zu Beweiszwecken wertlose unleserliche
"Fantasie-Unterschriften" zu leisten, und welche Einwände sie gegen ihre Benennung
gegenüber der Antragsgegnerin bzw. dem Gericht gehabt haben sollen. Der
Antragsteller zu 2) hat hierzu in den Verfahren 11 K 4262/04 und 11 K 5489/04 VG
Düsseldorf vorgetragen, die Betreffenden hätten offenbar Angst vor steuerstrafrechtlicher
Verfolgung gehabt. Abgesehen davon, dass sich hieraus, wie das Verwaltungsgericht in
seinen Urteilen vom 14.07.2005 zutreffend dargelegt hat, kein Recht des Antragstellers
zu 2) auf Verweigerung seiner Mitwirkung im vorliegenden Verfahren aus § 65 Abs. 3
Erstes Buch Sozialgesetzbuch ergibt, weil die angeblichen Gläubiger, soweit erkennbar,
nicht zu den ihm nahestehenden Personen des § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ZPO gehören,
ist der entsprechende Vortrag auch in sich nicht schlüssig. Solange eine Rückzahlung
der Darlehn durch den Antragsteller zu 2) nicht erfolgt ist, kann sich deren Gewährung
für die Gläubiger allenfalls als Betriebsausgabe und damit die Steuerlast mindernd
dargestellt haben. Die Nichtangabe der Gewährung eines Darlehns gegenüber den
Finanzbehörden kann mithin auch aus Sicht eines steuerrechtlichen Laien die Gefahr
einer strafrechtlichen Verfolgung nicht begründen. Eine solche könnte allenfalls
bestehen, wenn die Rückzahlung der verzinsten Darlehn verschwiegen werden soll.
Jedenfalls Anfang 2004 kann sich eine entsprechende Steuerverkürzung jedoch
allenfalls im Planungsstadium befunden haben. Vollständig unverständlich ist, was den
Antragsteller zu 2) dazu veranlasst haben könnte, seinen Gläubigern die Darlehn ohne
entsprechende beweiskräftige Quittung zurückzuzahlen, und zwar umso weniger, als er
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spätestens seit seiner Vorsprache beim Sozialamt der Antragsgegnerin am 13.02.2004
um die Notwendigkeit solcher Quittungen wusste. Gleichwohl will er danach mindestens
noch zwei Rückzahlungen ohne entsprechenden Nachweis (nämlich am 20.02. und
24.02.2004) geleistet haben.
Im Hinblick auf diesen unglaubhaften und widersprüchlichen Vortrag hat sich der Senat
zu weiteren Ermittlungen hinsichtlich des Verbleibes des am 05.01.2004 ausgekehrten
Betrages von 19.771,13 EUR von Amts wegen nicht gedrängt gesehen. In der
Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch im Amtsermittlungsverfahren selbst
substantiierten Beweisanträgen nicht nachgegangen werden muss, wenn sie auf einem
in wesentlichen Punkten widersprüchlichen und unglaubhaften tatsächlichen
Vorbringen beruhen (BVerwG, Beschluss v. 26.10.1989, 9 B 405/89, NVwZ-RR 1990,
379; BVerwG, Beschluss v. 24.11.2003, 1 B 100/03, 1 PKH 34/03; vgl. auch LSG
Niedersachsen, Urteil v. 03.06.1954, L 3 U 983/54, BG 1954, 491). Erst recht besteht in
diesem Fall keine Veranlassung, nach dem Verbleib ehemaliger Gewerbetreibender zu
forschen, von denen lediglich zehn Jahre alte Geschäftsadressen benannt werden. Da
ein anderer Verwendungszweck für den genannten Betrag nicht ersichtlich ist, ist weder
erwiesen noch glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller zu 2) hierüber nicht mehr
verfügt. Der Betrag hätte auch ausgereicht, um seinen Grundsicherungsbedarf unter
Einrechnung seiner Rente in Höhe von 304,25 EUR für den Zeitraum vom 12.01.2004
bis zur Senatsentscheidung zu decken.
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Es kommt hinzu, dass zumindest erhebliche Zweifel am Vorliegen eines
Anordnungsgrundes bestehen. Die Antragsteller verfügen nach Bewilligung des
Arbeitslosengeldes II gegenüber der Antragstellerin zu 1) über gemeinsam zumindest
745,75 EUR (304,25 EUR Rente des Antragstellers zu 2) zuzüglich 441,50 EUR
Arbeitslosengeld II). Das entspricht rund 80 % des ihnen nach den jeweiligen auf sie
zutreffenden Leistungsgesetzen zustehenden Bedarfs und damit einem Betrag, den die
verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung im Rahmen der Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes für angemessen gehalten hat (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen,
Beschluss v. 10.05.2002, 12 B 423/02, ZfSH/SGB 2002, 610 ff.).
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
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Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
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