Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 25.01.2006

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Landessozialgericht NRW, L 11 (16) KR 5/04
Datum:
25.01.2006
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 11 (16) KR 5/04
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 5 KR 75/02
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom
12.11.2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten werden
auch im Berufungsverfahren nicht erstattet. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung für eine im Rahmen einer stationären
Behandlung durchgeführte autologe Chondrozytenimplantation (ACI) am Kniegelenk in
Höhe von 5.811,60 Euro.
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Auf Grund eines fortgeschrittenen femoralen Knorpelschadens am linken Kniegelenk
befand sich die Klägerin in der Zeit vom 3. bis 6. September 2001 in stationärer
Behandlung zur Durchführung einer Arthroskopie. Außerdem wurde eine
Knorpelbiopsie zur Knorpelanzüchtung durchgeführt. Für diese Knorpelzellzüchtung
beantragte sie am 20. September 2001 unter Vorlage ärztlicher Bescheinigungen bei
der Beklagten die Kostenübernahme. Nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes
der Krankenkassen (MDK) teilte die Beklagte ihr am 18. Oktober 2001 telefonisch mit,
die Kosten für die stationäre Behandlung zu übernehmen, jedoch keine weiteren
Sachkosten. Am 22. Oktober 2001 begab sich die Klägerin erneut in stationäre
Behandlung, in deren Verlauf am 23. Oktober 2001 die Knorpelzelltransplantation
durchgeführt wurde.
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Mit Bescheid vom 14. November 2001 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die
Knorpellzelltransplantation ab. Ihren dagegen gerichteten Widerspruch vom 3.
Dezember 2001 begründete die Klägerin damit, trotz der Ablehnung der
Kostenübernahme für die über den stationären Aufenthalt hinausgehenden Sachkosten
habe die Knorpelzellzüchtung veranlasst werden müssen, da die Verwahrdauer der
Knorpelzellen abzulaufen drohte und eine weitere Operation danach zusätzlich
notwendig geworden wäre. Die Behandlungsmethode der Knorpelzellzüchtung sei nach
10-jähriger Erfahrung mit 80-90 v. H. Erfolg zu beziffern. Die ACI würde von
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verschiedenen Kliniken mittlerweile angeboten, einige Krankenkassen würden die
Kosten übernehmen, weltweit seien bereits mehr als 2000 Patienten erfolgreich nach
dieser Methode behandelt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. März 2002 wies die Beklagte den Widerspruch
zurück.
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Hiergegen richtete sich die am 5. April 2002 vor dem Sozialgericht Köln erhobene
Klage, mit der die Klägerin die Erstattung der ihr in Rechnung gestellten Kosten in Höhe
11.368,00 DM (5.811,60 Euro) begehrte, anfangs gemäß einer Rechnung der Firma
Verigen für Chondrozytenkultivierung, später gemäß Rechnung eines Dr. Dr. H für
Auslagen für Autologe Chondrozyten Transplantation. Zur Begründung vertrat die
Klägerin die Auffassung, die streitige ACI sei in drei Fernsehberichten im September
und Oktober 2001 als zukunftsträchtige Methode dargestellt worden. Der Beschluss des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zur Durchführung der ACI im
ambulanten vertragsärztlichen Bereich datiere von April 2000, es sei ungeklärt, ob der
Bundesausschuss nicht mittlerweile einen weiterführenden Beschluss gefasst habe,
außerdem sei die Maßnahme bei ihr stationär durchgeführt worden. Für sie sei es
darüber hinaus nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte nicht innovative und
fortschrittliche Methoden vorantreibe und für ihre Versicherten keine
Einzelfallentscheidungen durchsetze. Im Übrigen halte sie es für widersprüchlich, dass
andere gesetzliche Krankenkassen die Kosten für die streitige Operation übernehmen
würden.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 14. November 2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18. März 2002 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, ihr die Kosten für die Chondrozytenimplantation in Höhe von 5.811,60 Euro
zu erstatten.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags hat die Beklagte sich im Wesentlichen
auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid bezogen. Darüber
hinaus hat sie darauf hingewiesen, es sei den Krankenhäusern überlassen, welche
Behandlungsmethoden im Einzelfall angewandt würden, das umfasse auch im
ambulanten Bereich nicht zugelassene Behandlungsmethoden. Da für die hier streitige
ACI kein Sonderentgelt vereinbart worden sei, seien die dadurch entstandenen Kosten
mit den allgemeinen Krankenhauskosten abgegolten.
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Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 12.11.2003 abgewiesen. Eine
Kostenübernahme scheitere bereits, weil die Klägerin den Beschaffungsweg nicht
eingehalten habe. § 13 Abs. 3 Alternative 2 des Sozialgesetzbuches (SGB) V als
maßgebliche Rechtsgrundlage sehe einen Kostenerstattungsanspruch nur für den Fall
vor, in dem die Kosten für eine selbst beschaffte Leistung dadurch entstanden seien,
dass die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt habe. Aus der gesetzlichen
Formulierung ergebe sich, dass zwischen dem die Haftung der Krankenkasse
begründenden Umstand in Form der rechtswidrigen Ablehnung und dem Nachteil der
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Versicherten in Form der Tragung der Kostenlast ein Kausalzusammenhang bestehen
müsse, ohne den die Bedingung des § 13 Abs. 1 SGB V für eine Ausnahme vom
Sachleistungsgrundsatz nicht erfüllt sei. Im Einzelfall ergebe sich daraus zum Einen,
dass die Krankenkasse nur für solche Leistungen aufzukommen habe, die sie auch bei
rechtzeitiger bzw. ordnungsgemäßer Bereitstellung der geschuldeten Leistung hätte
gewähren müssen und zum Anderen - sofern kein Notfall vorliege - Kosten für eine
selbst beschaffte Leistung nur zu ersetzen seien, wenn die Krankenkasse die
Leistungsgewährung vorher abgelehnt habe. Diese Voraussetzungen seien vorliegend
nicht gegeben, denn die Klägerin habe bereits vor der Antragstellung am 20. September
2001 die Knorpelbiopsie durchführen lassen, nämlich während des stationären
Aufenthalts vom 3. bis 6. September 2001 und sich dafür privat zur Kostentragung
gegenüber dem G-Hospital einverstanden erklärt. Damit seien die ihr in dieser Zeit
entstandenen Kosten auf Grund ihrer eigenen Entscheidung und nicht dadurch
entstanden, dass die Beklagte die beantragte Leistung abgelehnt habe. Eine zögerliche
Bearbeitung des Antrags durch die Beklagte sei nicht feststellbar. Ungeachtet dieses
formellen Aspekts habe die Beklagte die Leistung aber auch nicht zu Unrecht abgelehnt.
Die Beklagte sei zur Kostenerstattung nur verpflichtet, soweit es sich um Kosten für
Leistungen handele, die vom Sachleistungsprinzip umfasst seien. Dieses wirke sich im
Rahmen der Krankenhausbehandlung nach § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB V dahingehend aus,
dass Leistungen nur durch zugelassene Krankenhäuser (§ 108 SGB V) erbracht werden
dürften, mit denen Fallpauschalen, Sonderentgelte oder tagesgleiche Pflegesätze für
die stationären Behandlungen vereinbart seien. Mit diesen seien sämtliche Kosten für
die stationären Aufenthalte erfasst, darüber hinausgehende Vergütungen kämen nicht in
Betracht. So lange der für die stationäre Behandlung zuständige Unterausschuss
Krankenhaus (heute: Methodenbewertung) des Gemeinsamen Bundesausschusses die
Durchführung einer Untersuchungs- und Behandlungsmethode nicht ausdrücklich für
den stationären Bereich ausgeschlossen habe, sei es in das Ermessen des
Krankenhausarztes gestellt, diese durchzuführen, ohne dass dadurch jedoch ein
gesonderter Kostenerstattungsanspruch entstünde. An dieser durch das
Sachleistungssystem geprägten Rechtslage könne sich auch nichts dadurch ändern,
dass die Klägerin gegenüber dem St. G-Hospital eine private Verpflichtung
eingegangen sei, die Kosten für die Knorpelzellzüchtung selbst zu tragen. Soweit die
Klägerin sich auf ihrer Meinung nach anders lautende erstinstanzliche Entscheidungen
des Sozialgerichts Düsseldorf (Urteil vom 27.09.2001, Az.: S 4 KR 170/98) bzw. des
Sozialgerichts Hannover (Urteil vom 16. April 2002, Az.: S 4 KR 59/01) berufe, verkenne
sie, dass die Beklagten dort zwar zur Gewährung einer Chondrozytentransplantation
verurteilt worden seien, es sich dabei aber nicht um eine Verurteilung zur Erbringung
der ACI gehandelt habe, Streitgegenstand vielmehr der stationäre Aufenthalt als solcher
gewesen sei. Die Kosten dafür habe die Beklagte vorliegend aber übernommen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 7. Januar 2004. Die
vorgenommene Operation und die Knorpelzellzüchtung seien notwendig gewesen, um
eine weitere Verschlimmerung der Erkrankungen zu vermeiden. Durch die Behandlung
sei sogar eine Heilung des Knieschadens ermöglicht worden, denn sie könne
mittlerweile beschwerdefrei leben. Die ACI sei die einzige Möglichkeit gewesen, ihre
Gesundheit wiederherzustellen. Sie habe außerdem unter Zeitdruck gestanden, weil bei
längerem Abwarten auch diese Behandlungsmöglichkeit verspielt worden sei, denn der
Schaden an ihrem Kniegelenk sei progredient gewesen. Aus diesem Grunde sei zu
einem späteren Zeitpunkt wahrscheinlich nur noch der Einsatz einer Knieprothese
möglich gewesen, das hätte jedoch zu eindeutig höheren Kosten geführt. Bei der ACI
habe es sich um keine neue oder unerprobte Methode gehandelt, vielmehr gebe es
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auch im Ausland zahlreiche Studien, die zu wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen
bezüglich der Behandlungsmethoden kämen. Es könne nicht zu ihren Lasten gehen,
dass sie lediglich die Zusage für den stationären Aufenthalt bekommen habe, nicht aber
für die Übernahme der Kosten, die durch die Knorpelanzüchtung entstanden seien. Im
Übrigen entziehe es sich ihrer Kenntnis, aus welchem Grunde das Krankenhaus die
gesamten Behandlungskosten nicht mit der Beklagten abgerechnet habe.
Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 12.11.2003 abzuändern und die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 14. November 2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18. März 2002 zu verurteilen, die Kosten für die
Chondrozytenimplantation in Höhe von 5.811,60 Euro zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Ungeachtet der
Einhaltung des Beschaffungswegs könnten über die abgerechneten Kosten für den
stationären Aufenthalt hinaus keine weiteren übernommen werden.
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Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der Verwaltungsakte der Beklagten, die der Senat beigezogen hat und
deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, sowie den Vortrag
der Beteiligten im Übrigen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist zulässig, sie ist aber nicht begründet.
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Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, denn die Klägerin ist durch den
angefochtenen Bescheid vom 14. November 2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18. März 2002 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2
Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
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Hierzu bezieht der Senat sich vollinhaltlich auf die umfassenden Entscheidungsgründe
des angefochtenen Urteils, die er sich nach Prüfung der Sach- und Rechtslage zu eigen
macht (§ 153 Abs. 2 SGG).
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Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren führt zu keiner abweichenden
Beurteilung, denn es besteht im Wesentlichen in einer Wiederholung und Vertiefung
ihres Vortrags aus dem Widerspruchs- bzw. dem erstinstanzlichen Verfahren.
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Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch der 5. Senat des Landessozialgerichts
Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) in einer Entscheidung vom 19.07.2004 (Az.: L 5 KR
63/02) im Zusammenhang mit der im Rahmen einer stationären Behandlung
durchgeführten ACI am Kniegelenk entschieden hat, dass bei einer stationären
Behandlung alle medizinisch notwendigen Maßnahmen ausschließlich durch die
Pflegesätze vergütet werden. Soweit die behandelnden Krankenhausärzte eine ACI für
medizinisch erforderlich hielten, könnten auch die Kosten der Zellzüchtung nur über die
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Pflegesätze abgerechnet werden. Selbst eine Vereinbarung über Wahlleistungen nach
§ 22 der Bundespflegesatzverordnung (BBflV) sei nicht möglich, denn nach Abs. 1 Satz
2 der genannten Vorschrift dürften therapeutische Leistungen als Wahlleistungen nur
gesondert berechnet werden, wenn die allgemeinen Krankenhausleistungen nicht
beeinträchtigt würden. Für eine im Rahmen der Krankenhausbehandlung erforderliche
Maßnahme dürfe das Krankenhaus in keinem Fall eine Zusatzvergütung fordern oder
vom Patienten verlangen, sich auf eigene Rechnung eine für die Behandlung
notwendige Leistung zu beschaffen. Dem schließt sich der Senat an.
Sofern die Klägerin der Auffassung ist, die Beklagte müsse darauf hinwirken,
Einzelfallentscheidungen für Patienten durchzusetzen, verkennt sie das System der
gesetzlichen Krankenversicherung. Dieses besteht darin, die ärztliche Versorgung der
Bevölkerung im ambulanten und stationären Bereich sicherzustellen. Dabei sind die
Krankenkassen an Recht und Gesetz gebunden. Es ist nicht ihre Aufgabe,
versuchsweise in Einzelfällen innovative und fortschrittliche Methoden voranzutreiben,
um damit letztlich die Forschung zu finanzieren. Aus diesem Grunde kommt es auch
nicht darauf an, dass nach dem Vortrag der Klägerin weltweit 2000 Patienten erfolgreich
mit der Methode behandelt worden seien, abgesehen davon, dass diese Zahl bei
globaler Betrachtung als geringfügig und damit unbedeutend anzusehen ist.
Ebensowenig kann die Klägerin aus positiven Entscheidungen anderer Krankenkassen
zur Durchführung der ACI für sich Rechte ableiten, denn die - möglicherweise
rechtswidrigen - Entscheidungen anderer Krankenkassen sind für die Beklagte nicht
verbindlich. Zu Unrecht geht die Klägerin auch davon aus, es könne nicht zu ihren
Lasten gehen, dass sie lediglich die Zusage für den stationären Aufenthalt bekommen
habe, nicht aber auch die der Übernahme der Kosten für die Knorpelzüchtung. In
diesem Zusammenhang verkennt die Klägerin, dass sie - ungeachtet der Möglichkeit
der Anfechtung des ablehnenden Bescheides - an diesen Bescheid zunächst gebunden
ist und nicht dadurch eine Verpflichtung der Beklagten zur Kostenerstattung begründen
kann, indem sie sich über diese klare Aussage hinwegsetzt und eine privat-rechtliche
Verpflichtung gegenüber dem Krankenhaus eingeht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
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