Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27.05.2008

LSG NRW: wirtschaftliche einheit, wesentlicher nachteil, wirtschaftliches interesse, behandlung im ausland, unternehmen, zahnärztliche behandlung, öffentliches interesse, krankenversicherung

Landessozialgericht NRW, L 11 B 6/08 KR ER
Datum:
27.05.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 11 B 6/08 KR ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 40 KR 236/07 ER
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Dortmund vom 24.01.2008 wird zurückgewiesen. Die
Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin. Der
Streitwert wird auf 1.000.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
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I.
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Die Antragstellerin (AS) wendet sich gegen das Angebot von sog. Wahltarifen durch die
Antragsgegnerin (AG).
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Die AG, ein Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, bietet ihren Mitgliedern nach
Maßgabe der §§ 26 - 29 ihrer durch das Landesversicherungsamt Nordrhein-Westfalen
genehmigten Satzung Wahltarife an, die die Kostenerstattung für Leistungen im Ausland
(§ 26), Kostenerstattung der Krankenhauszuzahlung (§ 27), Kostenerstattung bei
Wahlleistung "Ein- oder Zwei-Bett-Zimmer" im Krankenhaus (§ 28) sowie
Kostenerstattung des Zahnersatzes (§ 29) beinhalten.
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Am 23.05.2007 beantragte die AS, ein privates Krankenversicherungsunternehmen, den
Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Ziel, der AG das Angebot dieser
Wahltarife zu untersagen.
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Das zunächst angerufene Landgericht (LG) Köln hat den Rechtsstreit an das
Sozialgericht (SG) Köln verwiesen (Beschluss des LG Köln vom 27.06.2007, Beschluss
des Oberlandesgerichts Köln vom 20.07.2007); dieses hat den Rechtsstreit an das
örtlich zuständige SG Dortmund verwiesen.
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Die AS hat die Auffassung vertreten, dass die AG durch ihr Angebot der Wahltarife
insbesondere gegen § 4 Nr. 11 des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) in
Verbindung mit (i.V.m.) § 194 Abs. 1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sowie §
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30 Viertes Buch Sozialgesetzbuch verstoße. Die eingeführten Wahltarife könnten nicht
auf § 53 Abs. 4 SGB V gestützt werden. Nach dieser Vorschrift könne lediglich die Höhe
der Kostenerstattung variabel gestaltet werden; eine Ausweitung des Leistungsumfangs
der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) sei hingegen nicht möglich. Die
angebotenen Tarife seien aber nicht vom Leistungsauftrag der GKV umfasst. Das
Angebot einer Kostenerstattung für Ein- oder Zweibettzimmer verstoße gegen das
Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V, diese Versorgung sei bei einer
Krankenhausbehandlung nicht notwendig. Die Kostenerstattung für
"Krankenhauszuzahlungen" verkehre die Regelung des § 39 Abs. 4 SGB V über die
Zuzahlungen von Versicherten ins Gegenteil. Eine Kostenerstattung bei Zahnersatz
widerspreche insbesondere der Festbetragsregelung des § 55 SGB V. Bei allen von der
AG angebotenen Leistungen handele es sich um klassische Angebote der privaten
Krankenversicherung (PKV). Derartige Zusatzversicherungen dürfe die GKV nach § 194
Abs. 1 a SGB V lediglich vermitteln, nicht aber selbst anbieten. Aus § 194 Abs. 1 a SGB
ergebe sich auch, dass die GKV nicht mit der PKV in Konkurrenz treten dürften. Da die
AG dem zuwider handele, ergebe sich ein Anordnungsanspruch nach § 8 Abs. 1 und 3
Nr. 1 i.V.m. § 4 Nr. 11 UWG; es liege ein wirtschaftliches Handeln der AG vor, das den
Regelungen des Wettbewerbsrecht unterfalle. Nach § 4 Nr. 11 UWG handele derjenige
unlauter und rechtswidrig, der einer gesetzlichen Vorschrift zuwider handle, die auch
bestimmt sei, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Ein
Unterlassungsanspruch ergebe sich zudem aus Art. 12, 14 und 3 Grundgesetz (GG). Es
werde in Art. 12 und 14 GG eingegriffen, da die Angebote der AG nicht von § 53 Abs. 4
SGB V gedeckt und zudem nach § 194 Abs. 1a SGB V der PKV vorbehalten seien. Die
AG verhalte sich auch nicht marktkonform, da die GKV ein Angebotsmonopol nutzen
könnten, ohne in einen Leistungswettbewerb mit der PKV eintreten zu müssen. Ein
Eingriff sei nicht gerechtfertigt, da ausreichende Angebote der PKV bestünden. Eine
unzulässige Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG liege vor, weil die GKV
entsprechende Zusatzversicherungen abschließen könnten, die PKV-Unternehmen
aber daran gehindert seien, ihre Versicherungsleistungen den Mitgliedern der GKV
anzubieten. Es werde auch gegen Art. 86 und 82 des Vertrages zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaft (EGV) verstoßen. Die GKV seien Unternehmen im Sinne
von Art. 86 Abs. 1 EGV; ein Verstoß liege vor, da die GKV aufgrund ihres Monopols
Wettbewerbsvorteile auf benachbarten, aber getrennten Märkten erzielen könnten. Mit
der verbotenen Quersubventionierung werde Art. 82 EGV verletzt. Die Gestaltung der
Wahltarife der AG - Fehlen von Risikoprüfung, Risikoausschlüssen und Wartezeiten -
offenbare, wie auch ihre - der AS - Berechnung zeige, dass diese ohne eine
Quersubventionierung nicht möglich seien. Damit werde die durch Art. 82 EGV
gewährleistete Chancengleichheit verzerrt. Gleichzeitig werde damit auch gegen § 33
Abs. 1 und 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verstoßen; die
Allgemeinen Ortkrankenkassen hätten einen Marktanteil von 36 %.
Ein Anordnungsgrund werde nach § 12 Abs. 2 UWG vermutet. Im Übrigen bestehe
aufgrund der großen Resonanz auf die Wahltarife der AG Eilbedürftigkeit. Es seien
bereits über 20.000 Policen abgeschlossen worden; dadurch würden endgültige
Tatsachen geschaffen. Zudem komme der AG eine Vorreiterrolle zu, da auch andere
GKV vergleichbare Angebote beabsichtigten.
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Die AS hat beantragt,
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die Antragsgegnerin hat es unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der
Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR -
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ersatzweise Ordnungshaft - oder der Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten zu
unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Versicherungsleistungen in Form von
Kostenerstattungstarifen für Zusatzleistungen anzubieten und/oder anbieten zu lassen
und/oder zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, welche als Zusatzversicherungen
außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen liegen, wie dies in
den §§ 26 - 29 der Satzung der Antragsgegnerin vom 01.04.2007 mit den Angeboten:
Tarif für die Kostenerstattung für Leistungen im Ausland (§ 26), Tarif für die
Kostenerstattung "Krankenhauszuzahlungen" (§ 27) Tarif für die Kostenerstattung bei
Wahlleistung "Ein- oder Zweibettzimmer" im Krankenhaus (§ 28) und/oder Tarif für die
Kostenerstattung bei Zahnersatz (§ 29) vorgesehen ist.
Die AG hat beantragt,
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den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen, hilfsweise die
Vollziehung der einstweiligen Verfügung von einer angemessenen Sicherheitsleistung
durch die Antragstellerin abhängig zu machen.
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Sie hat entgegnet: Ein Anordnungsanspruch stehe der AS nicht zu. § 4 Nr. 11 UWG sei
schon deshalb nicht anwendbar, weil das Landesversicherungsamt ihre Satzung
genehmigt und damit das Anbieten der Wahltarife erlaubt habe. Die Vorschrift greife
aber auch deshalb nicht, weil es sich bei § 53 Abs. 4 SGB V um eine
Marktzutrittsregelung handele. Sinn und Zweck des § 53 Abs. 4 SGB V sei die Stärkung
der Wettbewerbsfähigkeit der GKV gegenüber den privaten Anbietern. Den
Krankenkassen solle es u.a. ermöglicht werden, die Versicherten zu binden. Dies könne
nur durch entsprechend attraktive Wahltarife erreicht werden. Nach dem Willen des
Gesetzgebers, der sich innerhalb der Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr.
12 GG bewege, sollen zudem auch sozial Schwächere in den Genuss solcher
Wahltarife kommen. Die angebotenen Tarife würden auch nicht den Leistungskatalog
der GKV erweitern, sondern lediglich Mehrleistungen regeln, die ihrer Art nach
Leistungen der GKV seien. § 194 Abs. 1a SGB V schließe das Angebot von Wahltarifen
nicht aus. Es gehe nicht um den Vertrieb von Zusatzversicherungen, sondern vielmehr
um das Angebot von Wahltarifen. Der EGV sei nicht anwendbar, weil die GKV keine
Unternehmen i.S. dieser Normen seien. Zudem fehle es an einer Monopolstellung; sie
habe lediglich 1,9 Millionen Mitglieder und könne die Tarife nur ihren eigenen
Versicherten anbieten. Andere Allgemeine Ortskrankenkassen hätten keine
vergleichbaren Angebote. Es fehle auch an der Zwischenstaatlichkeit, da die GKV nur
auf dem deutschen Markt tätig würden. Art. 12 GG schütze nicht vor Konkurrenz, Art. 14
GG schütze keine zukünftigen Betätigungsmöglichkeiten. Ein Ungleichbehandlung
i.S.d. Art. 3 GG liege nicht vor, da der Wettbewerb durch die Wahltarife überhaupt erst
eröffnet werde. Quersubventionen seien nach § 53 Abs. 9 SGB V ausgeschlossen. Ihre
Tarife seien vom Landesversicherungsamt genehmigt und die Systemgerechtigkeit der
Kalkulation durch einen Aktuar bestätigt worden. Die Kalkulation beruhe im Ergebnis
auf der tatsächlichen Morbidität ihres Versichertenbestandes. Eilbedürftigkeit bestehe
nicht. § 12 Abs. 2 UWG greife nicht, da dieser auf öffentlich-rechtliche Streitigkeiten
keine Anwendung finde und zudem die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)
vorrangig und abschließend seien. Im Übrigen seien ihre Angebote regional begrenzt
und könnten bundesweit operierende PKV-Unternehmen nicht beeinflussen. Negative
Auswirkungen habe die AS auch nicht glaubhaft dargelegt. Bis zum 07.01.2008 hätten
erst 7.387 Versicherte von den streitigen Wahltarifen - die übrigen Wahltarife nach § 53
SGB V seien nicht Streitgegenstand - Gebrauch gemacht. Dies ließe sich im Falle des
Obsiegens der AS in der Hauptsache auch rückgängig machen; damit seien allenfalls
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zeitlich begrenzt finanzielle Nachteile für sie zu befürchten.
Das SG Dortmund hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit
Beschluss vom 24.01.2008 abgelehnt: Der AS sei im Rahmen der gebotenen
Interessenabwägung zumutbar, das Ergebnis eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten,
da der ihr drohende wirtschaftliche Schaden nicht als besonders erheblich
einzuschätzen sei. Einen eingetretenen oder drohenden Schaden habe sie nicht
beziffert. Unter Zugrundelegung von 20.000 zwischenzeitlich abgeschlossenen
Wahltarifen und bei 48 PKV-Unternehmen würden statistisch ca. 400 Neuabschlüsse
auf die AS entfallen. Aber auch dieser Anteil stelle nur eine bloße Erwerbsaussicht dar,
da nicht klar sei, wie viele der Versicherten der AG tatsächlich eine Zusatzversicherung
bei der AS abgeschlossen hätten. Bei Beitragseinnahmen von ca. 1,3 Milliarden Euro
sei eine erhebliche Beeinträchtigung der AS für den Fall der Ablehnung der
einstweiligen Anordnung nicht erkennbar. Demgegenüber ließen sich die Wahltarife bei
Feststellung eines Verstoßes im Hauptverfahren relativ schnell abwickeln. Die
Versicherten seien dann für die AS nicht verloren. Der vorübergehende Schaden wäre
gering, da von den Beitragseinnahmen die Versicherungsaufwendungen abzuziehen
wären. Im Übrigen bleibe bei summarischer Prüfung offen, ob der AS ein
Unterlassungsanspruch zustehe. Eine ins Einzelne gehende Prüfung der
aufgeworfenen schwierigen Rechtsfragen könne im Rahmen des einstweiligen
Rechtsschutzes nicht bewerkstelligt werden. Gegen die Anwendung des § 4 Nr. 11
UWG spreche jedenfalls, dass § 53 Abs. 4 SGB V als reine Marktzutrittsregelung
angesehen werden könne, die den Träger der GKV erst den Zutritt zum Markt der
privaten Zusatzversicherungen ermögliche, und dass das Landesversicherungsamt die
Satzung der AG genehmigt habe. Allerdings könnten durch die Genehmigung der
Aufsichtsbehörde Mängel der Satzung nicht geheilt werden; dass die Genehmigung an
einem zur Nichtigkeit führenden Mangel leide, sei indes nicht ersichtlich. Es sei auch
nicht ohne Weiteres erkennbar, dass die streitigen Wahltarife nicht von der
Ermächtigungsgrundlage des § 53 Abs. 4 SGB V gedeckt seien. Zwar spreche der
Wortlaut nur von Tarifen der Kostenerstattung bzw. von einer Variationsmöglichkeit
hinsichtlich der Höhe der Kostenerstattung. Da die Regelung damit aber nur die
Möglichkeit der Erstattung von Kosten nach der GOZ bzw. GOÄ erfasse, komme ihr
keine praktische Bedeutung zu und es könne das gesetzgeberische Ziel, die
Wettbewerbsfähigkeit der GKV zu stärken, so kaum erreicht werden. Dies spreche dafür,
dem Willen des Gesetzgebers ein weites Verständnis zugrunde zu legen. Dies führe
dazu, dass die Wahltarife von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt sein könnten. Ein
Unterlassungsanspruch folge nicht aus § 33 Abs. 1 GWB in Verbindung mit Art. 81 oder
82 EGV bzw. auch nicht aus einer Verletzung von sonstigem unmittelbar anwendbaren
Europarecht. Offen bleiben könne, ob die AG ein Unternehmen im Sinne von Art. 82
EGV sei; jedenfalls habe sie - als bisher einzige gesetzliche Krankenkasse, die
Wahltarife eingeführt habe, - keinen so erheblichen Marktanteil, dass man ihre Stellung
auf dem Gemeinsamen Markt bzw. auf einem wesentlichen Teil desselben als
marktbeherrschend bewerten könne. Ein Missbrauchstatbestand könne auch nicht ohne
Weiteres angenommen werden, da die Wahltarife nur den eigenen Mitgliedern
angeboten werden könnten und § 53 Abs. 9 S. 1 SGB V jede Quersubvention
ausschließe. Derzeit sei auch davon auszugehen, dass die Wahltarife selbsttragend
seien. Soweit Art. 86 Abs. 1 EGV die Mitgliedstaaten selbst in die Pflicht nehme, sei
eine Verletzung nicht ersichtlich. Art. 86 Abs. 1 i.V.m. 82 EGV sei ebenfalls nicht verletzt,
da die AG nicht auf Grundlage gesetzlicher Regelungen zu einem missbräuchlichen
Verhalten gezwungen und ihr auch nicht ein besonderes oder ausschließliches Recht
verliehen worden sei. Außerdem sei z. Zt. nicht zu erkennen, dass sie sich infolge einer
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Ausnutzung der durch § 53 Abs. 4 SGB V eingeräumten Möglichkeiten missbräuchlich
verhalte. Dementsprechend scheide auch ein Unterlassungsanspruch nach § 33 Abs. 1
i.V.m. §§ 19 ff. GWB aus. Es liege keine marktbeherrschende Stellung i.S.d. § 19 Abs. 2
GWB vor, eine missbräuchliche Ausnutzung einer solchen Stellung sei gegenwärtig
nicht erkennbar. Ein Unterlassungsanspruch sei auch nicht aus § 1004 Bürgerliches
Gesetzbuch i.V.m. mit Grundrechtsverletzungen bzw. direkt aus den Grundrechten
herzuleiteten. Im Rahmen der summarischen Prüfung sei eine Grundrechtsverletzung
nicht festzustellen. Art. 12 GG schütze grundsätzlich nicht vor Wettbewerb. Eine
ausnahmsweise Eröffnung des Schutzbereichs komme nur in Betracht, wenn eine
Monopolstellung begründet werde oder ein Verdrängungswettbewerb verbunden mit
einer unzumutbaren Einschränkung der Betätigungsmöglichkeit der Privatunternehmen
stattfinde. Beides sei nicht ersichtlich. Es ein Verstoß gegen Art. 14 GG liege nicht vor.
Geschützt werde der Bestand an vermögenswerten Gütern vor ungerechtfertigten
Eingriffen und gerade nicht den Erwerb oder eine in der Zukunft liegende
Erwerbschance. Auch der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 werde nicht verletzt, da
grundsätzlich schon keine Vergleichbarkeit zwischen gesetzlicher und privater
Krankenversicherung bestehe. Sachlicher Grund für eine differenzierende Behandlung
durch den Gesetzgeber sei, dass die GKV auf dem Solidarprinzip fußte und durch
einkommensabhängige Beiträge finanziert würde; die PKV sei aufgrund einer
individuellen Risikobewertung tätig. Auch in der Einführung der Wahltarife scheine kein
Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu liegen; denn dadurch werde vielmehr erst der
Wettbewerb zwischen PKV und GKV eröffnet. Dies sei Ziel des Gesetzgebers, dem ein
besonders weiter Gestaltungsspielraum auf dem Gebiet des Sozialrechts zustehe. Eine
Über-prüfung könne sich deshalb nicht auf die Frage erstrecken, ob der Gesetzgeber die
zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden habe, sondern
allenfalls darauf, ob er willkürlich bzw. unverhältnismäßig gehandelt habe. Dies sei nicht
ersichtlich.
Gegen diese am 25.01.2008 zugestellte Entscheidung hat die AS am 14.02.2008
Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat. Die AS ist unter Vertiefung
ihres erstinstanzlichen Vorbringens der Auffassung, es liege insbesondere ein Verstoß
gegen § 194 Abs. 1a SGB V vor. Dieser regele nach seinem Wortlaut und auch unter
Beachtung der Gesetzeshistorie, dass die GKV ausschließlich die im Einzelnen
benannten klassischen Zusatzversicherungen, die die AG in identischem Umfang
anbiete, vermitteln dürften. Schon deshalb könne § 53 Abs. 4 SGB V nicht dahingehend
interpretiert werden, dass er Ermächtigungsgrundlage für das Angebot der Wahltarife
der AG sei. Darüber hinaus lägen die von den Wahltarifen der AG erfassten Leistungen
außerhalb des Leistungskatalogs der GKV und seien nicht von § 53 Abs. 4 SGB V
gedeckt. Durch § 53 Abs. 4 SGB V sollten gerade Umfang und Leistungen der GKV
nicht verändert werden. Es sollte für gesetzlich Versicherte lediglich die Möglichkeit
geschaffen werden, wie Privatversicherte behandelt werden zu können. Aufgrund dieser
Gesetzesverstöße zum Teil i.V.m. der marktbeherrschenden Stellung der AG ergebe
sich ein Unterlassungsanspruch u.a. aus dem UWG, dem nationalen und europäischen
Kartellrecht sowie aus dem Verfassungs- und Wettbewerbsrecht. Marktbeherrschung
bestehe, weil entweder auf die wirtschaftliche Einheit "Gesetzliche Krankenkassen" mit
überragender Markstellung auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, auf die
wirtschaftliche Einheit "AOK-Gemeinschaft" mit einem Marktanteil von 36% oder auf die
auf den räumlichen Teilmarkt Rheinland/Hamburg begrenzte wirtschaftliche Einheit der
AG, der auf diesem Teilmarkt größten Krankenkasse, abgestellt werden müsse. Ein
Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung ergebe sich im Wesentlichen aus dem
Verstoß gegen das in § 53 Abs. 9 SGB normierte Verbot der Quersubventionierung; die
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Wahltarife der AS seien für sich allein nicht tragfähig. Im Übrigen liege ein
Anordnungsgrund bereits aufgrund der Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG
vor. Zudem richte sich das Angebot der AG auf eine äußerst relevante Schnittmenge
von Versicherten.
Die AS beantragt sinngemäß,
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den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 24.01.2008 abzuändern und nach
ihrem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.
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Die AG beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen,
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hilfsweise anzuordnen, dass die Antragstellerin binnen einer vom Gericht zu
bestimmenden Frist Klage in der Hauptsache zu erheben hat.
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Sie legt unter ausführlicher Aufbereitung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ihre
Auffassung dar, dass weder Anordnungsgrund noch -anspruch bestünden.
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Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
Bezug genommen.
22
II.
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Die zulässige Beschwerde der AS ist nicht begründet.
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Das SG hat den Antrag der AS mit zutreffender Begründung, die sich der Senat in
entsprechender Anwendung des § 153 Abs. 2 SGG zu Eigen macht, abgewiesen.
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Ergänzend bzw. abgrenzend führt der Senat aus: Die AS hat einen Anordnungsrund
nicht glaubhaft gemacht; zudem spricht die Interessenabwägung überwiegend zu
Gunsten der AG; ein Anordnungsanspruch der AS besteht bei summarischer Prüfung
der Sach- und Rechtslage eher nicht.
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1. Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist bindend festgestellt (§ 17a Abs. 5
Gerichtsverfassungsgesetz); er ergibt sich im Übrigen aus § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs.
2 Satz 1 SGG. Danach sind bei Streitigkeiten in Angelegenheiten der GKV aufgrund von
Entscheidungen oder Verträgen der Krankenkassen oder ihrer Verbände, auch soweit
Dritte betroffen werden, mit Ausnahme bestimmter Fragen aus dem
Krankenhausbereich, ausschließlich die Sozialgerichte zuständig (vgl. BSG SozR 3-
2200 § 376d Nr. 1).
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2. Ein Zuwarten auf weitere Ausführungen der Beteiligten erachtet der Senat als nicht
geboten. Ungeachtet, dass dadurch die Zielsetzung eines auf einstweiligen
Rechtsschutz gerichteten Verfahren konterkariert würde, hatten die Beteiligten nunmehr
über 1 Jahr Gelegenheit, ihre Rechtsauffassung darzulegen. Sie haben diese durch ca.
500 Seiten umfassenden Vortrag auch hinreichend genutzt.
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3. Durch das am 02.01.2002 in Kraft getretene 6. SGG-ÄndG (BGBI. l S. 2144 ff) ist der
einstweilige Rechtsschutz im SGG geregelt worden. Nach dessen § 86 b Abs. 2 kann
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das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag
eine einstweilige Anordnung nach Maßgabe der in Absatz 1 bzw. Absatz 2 genannten
Voraussetzungen treffen. Danach ist zwischen Sicherungs- (§ 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG)
und Regelungsanordnung (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG) zu unterscheiden. Der Erlass
einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten
in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen
Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs
(Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung
(Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920
Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Droht dem AS bei Versagung einstweiligen
Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in
seinen Rechten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt
werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher
Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten / zu machenden Anspruchs -
einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -;
LSG NRW, Beschlüsse vom 04.09.2006 - L 10 B 2/06 KA ER - und vom 23.11.2007 - L
10 B 11/07 KA ER -), es sei denn, dass überwiegende, besonders gewichtige Gründe
entgegenstehen (BVerfGE 93, 1 ff). Andererseits müssen die Gerichte unter Umständen
wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit Rechtsfragen nicht vertiefend
behandeln und ihre Entscheidung maßgeblich auf der Grundlage einer
Interessenabwägung treffen können (BVerfG NJW 1997, 479, 480, LSG NRW,
Beschlüsse vom 15.11.2006 - L 10 B 14/06 KA ER -, vom 12.02.2007 - L 10 B 35/06 KA
ER - , vom 23.11.2007 - L 10 B 11/07 KA ER - und vom 11.02.2008 - L 11 (10) B 17/07
KA ER -).
a) Ausgehend von diesen Grundsätzen ergibt sich, dass die AS einen Anordnungsgrund
nicht glaubhaft gemacht hat.
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Den Anordnungsgrund definiert § 86 b Abs. 2 SGG für die Sicherungsanordnung
einerseits und Regelungsanordnung andererseits jeweils eigenständig. Die
Sicherungsanordnung setzt die Gefahr voraus, dass durch die Veränderung des
bestehenden Zustand die Verwirklichung eines Rechts des AS vereitelt oder wesentlich
erschwert wird (§ 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG); hingegen verlangt die Regelungsanordnung,
dass die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs.
2 Satz 2 SGG). Hierunter fallen die praktisch häufigen Fälle eines Verpflichtungs- oder
Leistungsbegehrens (vgl. Düring in Berliner Kommentare, SGG, 2. Auflage, 2006, § 86 b
Rdn. 11). Die Abgrenzung der Sicherungs- von der Regelungsanordnung ist unsicher.
Sie ist letztlich unerheblich; denn beide Fälle unterliegen derselben Behandlung (hierzu
Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Auflage, 2007, § 940
Rdn. 1). Ein striktes "Entweder/Oder" zwischen Regelungs- und Sicherungsanordnung
besteht demgemäß nicht (LSG NRW, Beschlüsse vom 14.12.2006 - L 10 B 21/06 KA ER
-, vom 23.11.2007 - L 10 B 11/07 KA ER - und vom 11.02.2008 - L 11 (10) B 17/07 KA
ER -, so im Ergebnis wohl auch OVG Münster vom 02.05.1979 - XV B 578/79 -).
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b) Auf die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes kann nicht verzichtet werden.
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Die Auffassung der AS, ein Anordnungsgrund sei vorliegend nicht darzulegen bzw.
glaubhaft zu machen, weil nach § 12 Abs. 2 UWG zur Sicherung der im UWG
bezeichneten Unterlassungsansprüche einstweilige Verfügungen auch ohne die
Darlegung und Glaubhaftmachung der in den §§ 935 und 940 ZPO bezeichneten
Voraussetzungen erlassen werden können, teilt der Senat nicht. Die im
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sozialgerichtlichen Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu
erfüllenden Voraussetzungen sind in § 86b SGB geregelt. Danach sind u.a., wie sich
aus dem Verweis des § 86b Abs. 2 Satz 3 SGG auf § 920 Abs. 2 ZPO zwingend ergibt,
Anspruch und Arrestgrund glaubhaft zu machen. Befreiungstatbestände enthält das
SGG nicht. Auch § 12 Abs. 2 UWG enthält für das sozialgerichtliche Verfahren keine
Ausnahmereglung; er verweist ausschließlich auf die Vorschriften für das
zivilprozessrechtliche Verfahren. Angesichts dieser gesetzlichen Vorgaben des § 86b
SGG ist auch für eine entsprechende Anwendung des § 12 Abs. 2 UWG kein Raum.
Darüber hinaus sieht der Senat keinen Gesichtspunkt, der für eine Privilegierung
bestimmter AS im sozialgerichtlichen Verfahren sprechen könnte. Des Weiteren trifft §
69 SGB V eine Werteentscheidung, die generell die Anwendung der Vorschriften des
UWG und weitgehend des GWB auf das Leistungsrecht des SGB V ausschließt, und
zwar auch dann, wenn durch die aufgrund gesetzlicher Vorschriften des SGB V
angebotenen Leistungen an Versicherte Dritte betroffen sind (Beschluss des LSG NRW
vom 07.05.2008 - L 5 B 8/08 KR ER).
c) Bei der Prüfung, ob und inwieweit das Angebot der streitigen Leistungen durch die
AG auf Seiten der AS wesentliche Nachteile zur Folge hat oder eine
Rechtsverwirklichung vereitelt bzw. wesentlich erschwert, ist grundsätzlich auf die
wirtschaftlichen Folgen abzustellen.
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Ob und inwieweit wesentliche wirtschaftliche, d.h. finanzielle Nachteile für die AS zu
besorgen sind, ist von ihr nicht dargetan und erst recht nicht glaubhaft gemacht. Ihr in
der Gesamtbewertung lediglich pauschales Vorbringen einer Beeinflussung der
Marktchancen ihrer dem Angebot der AG entsprechender Versicherungsleistungen
genügt den an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes zu stellenden
Anforderungen nicht. In Literatur und Rechtsprechung wurde mehrfach herausgestellt,
dass allein eine etwaige Rechtsverletzung schon deshalb keinen Anordnungsgrund
begründet, weil anderenfalls jedes rechtswidrige Handeln einer Behörde einen
Anordnungsgrund erfüllen, mithin zu einer konturenlosen Ausuferung des einstweiligen
Rechtsschutzes führen würde (Frehse a.a.O. Rdn. 124 m.w.N.; z.B. zuletzt LSG NRW,
Beschluss vom 11.02.2008 - L 11 (10) B 17/07 KA ER -), und dass eine konkrete
Darlegung eines Umsatzrückganges - oder ggf. entsprechender wirtschaftlicher
Nachteile - erforderlich ist (u.v.a. LSG NRW, Beschlüsse vom 12.02.2007 - L 10 B 35/06
KA ER -, vom 23.11.2007 - L 10 B 11/07 KA ER - und vom 11.02.2008 - L 11 (10) B
17/07 KA ER -). Es hätte also im Einzelnen konkreter und glaubhaft zu machender
Ausführungen dazu bedurft, welche Folgen ein Umsatzrückgang bzw. eine
Umsatzeinbuße für die AS hätte, wobei z.B. allein ein Hinweis darauf, dass die
Profitabilität zwingende Voraussetzung für den Fortbestand ist und ein Umsatzrückgang
Konsequenzen für die Beschäftigtenzahl habe, diesen Anforderungen ebenso wenig
genügt wie etwa das Vorbringen eines Umsatzrückganges von ca. 5% (LSG NRW,
Beschluss vom 14.12.2006 - L 10 B 21/06 KA ER -).
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Von den an die Darlegung eines wesentlichen Nachteils zu stellenden Anforderungen
abzuweichen, besteht für den Senat kein Ansatzpunkt, zumal die AG nicht nur
unwidersprochen, sondern auch durch die Pressemitteilung der AS vom 12.03.2008
belegt, deren Geschäftsverlauf im Jahr 2007 mit deutlichem Wachstum über den
Branchenschnitt beschrieben hat.
36
Aber auch im Übrigen vermag der Senat nicht zu erkennen, inwieweit die AS überhaupt
- von Einzelfällen abgesehen - durch das streitige Angebot der AG berührt sein, ihr also
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überhaupt ein nennenswerter Nachteil bei Unterbleiben der von ihr begehrten
Anordnung drohen könnte. Nach den einzig konkret benannten Zahlen (s. dazu z.B.
Schriftsatz der AG vom 15.04.2008) ist hochgerechnet von ca. 10.000 Versicherten /
Jahr auszugehen, die die streitigen Wahltarife nach § 53 Abs. 4 SGB V, auf die es hier
allein ankommt, in Anspruch genommen haben. Ungeachtet der Ungewissheit der
weiteren Entwicklung - z.B. vor dem Hintergrund, dass die AG damit ggf. bereits den
größten Teil ihrer Versicherten, die derartige Wahltarife in Anspruch zu nehmen
gedenken, erreicht haben könnte - ist zunächst zu berücksichtigen, dass damit der AS
keineswegs 10.000 Versicherungsverträge entgangen sind, da bereits nach ihren
Angaben mindestens 48 PKV-Unternehmen potentielle Versicherungsnehmer
bewerben. Zudem erschließt sich nicht, aus welchem Grund Mitglieder der AG, denen
z.T. seit Jahrzehnten entsprechende bzw. ähnliche Versicherungsleistungen der PKV
angeboten worden sind, sich nunmehr - ab April 2007 - "plötzlich" entschlossen haben
sollten, bei diesen einen solchen Vertrag abzuschließen, daran aber von dem Angebot
der AG abgehalten worden sind; es ist also mithin zweifelhaft, ob und inwieweit hier
überhaupt relevante Überschneidungen auf dem "Versichertenmarkt" vorliegen. Dies gilt
umso mehr, als sich das Angebot der PKV-Unternehmen typischerweise auf sog. gute
Versicherungsrisiken (z.B. im Hinblick auf Alter und Gesundheitszustand) beschränkt,
während das Angebot der AG nicht differenziert, sondern sich auf alle ihre Mitglieder
erstreckt. Dies Alles - s. dazu ergänzend auch die Ausführungen des SG im Rahmen
seiner Interessenabwägung - zugrunde gelegt spricht Einiges dafür, dass eher nur eine
rein theoretische Möglichkeit eines wirtschaftlichen Nachteils der AS besteht. Ein
wesentlicher Nachteil droht ihr jedenfalls nicht.
Soweit die AS schließlich Interessen anderer PKV-Unternehmen einführt, begründet
dies schon deshalb keinen Anordnungsgrund, weil ein wesentlicher Nachteil im Sinne
von § 86 b SGG nur dann gegeben ist, wenn ohne die einstweilige Anordnung eine
Verletzung von Rechten des AS droht. Dieses Erfordernis dient insbesondere dem
Ausschluss der Popularklage (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 54 RdNr. 13). Die
möglicherweise drohende Verletzung von Rechten Dritter kann die AS also nicht
geltend machen.
38
4. Aus den Erwägungen zu 3. ergibt sich nahezu zwangsläufig bei der im Rahmen des §
86b SGG vorzunehmenden Interessenabwägung ein deutlich untergeordnetes Interesse
der AS an einer vorläufigen Regelung zu Lasten der AG. Dies hat bereits das SG
zutreffend ausgeführt. Ergänzend merkt der Senat an, dass dem ggf. drohenden
geringen wirtschaftlichen Nachteil der AS erhebliche Interessen der AG, aber auch ein
öffentliches Interesse entgegen stehen. Würde dem Antrag der AS nämlich
stattgegeben, wäre es der AG untersagt, sämtlichen ihrer Mitgliedern Wahltarife nach §
53 Abs. 4 SGB V anzubieten, obwohl allenfalls ein geringer Teil von diesen als
potentielle Versicherungsnehmer der AS in Betracht kommt. Die begehrte Untersagung
wäre mithin schon aus diesem Grund unverhältnismäßig. Darüber hinaus würde die
vorläufige Untersagung zu einem bedeutsamen Vertrauensverlust der gesetzlich
Versicherten letztlich in die Stabilität der GKV führen. Insbesondere aber würde den
gesetzlich Versicherten, denen aufgrund ihres Versicherungsrisikos vertragliche
Leistungen der PKV-Unternehmen einschließlich der AS verschlossen sind, die
Inanspruchnahme von Wahltarifen nach § 53 Abs. 4 SGB V unmöglich sein, obwohl
daran kein auch nur im Ansatz schützenwertes Interesse der AS bestehen kann.
39
5. Soweit der Senat darüber hinaus zusätzlich noch in die tatsächliche und rechtliche
Prüfung des in einem Hauptsacheverfahren geltend zu machenden Anspruchs eintritt,
40
ergibt sich, dass zumindest derzeit ein Anordnungsanspruch eher nicht wahrscheinlich
scheint. Es spricht nämlich im Rahmen der summarischen Prüfung mehr dafür, dass die
von der AG angebotenen Wahltarife von § 53 Abs. 4 SGB V erfasst sind und damit
mithin kein Unterlassungsanspruch der AS - gleich auf welcher Rechtsgrundlage -
besteht.
a) Der Senat teilt zunächst nicht den Schluss der AS, dass sich aus § 194 Abs. 1 a SGB
V zwingend ergibt, dass die dort ausdrücklich genannten Verträge über
Wahlarztbehandlung im Krankenhaus, den Ein- oder Zweibettzuschlag im Krankenhaus
sowie die Auslandskrankenversicherung ausschließlich vermittelt werden dürfen. Diese
zum 01.01.2004 (GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003) eingeführten
Regelungen beruhten - wie die AS im Einzelnen zutreffend dargelegt hat - letztlich
darauf, dass es den Krankenkassen zuvor nicht erlaubt war, ihren Versicherten in
Kooperation mit PKV-Unternehmen diese Leistungen als Zusatzversicherungen zu
vermitteln. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass deshalb in den später,
durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen
Krankenversicherung vom 26.03.2007 eingeführten und mit Wirkung zum 01.04.2007 in
Kraft getretenen Reglungen des § 53 Abs. 4 SGB V das eigene Angebot ähnlicher oder
entsprechender Leistungen durch die GKV ausgeschlossen ist. Vermittlung und
Angebot, soweit dieses nach § 53 Abs. 4 SGB V zulässig ist, sind nach den
gesetzlichen Vorgaben optional ("kann"), schließen also weder tatsächlich noch
rechtlich einander aus. Die AS verkennt, dass das Vermitteln von Zusatzversicherungen
rechtlich und tatsächlich etwas Anderes darstellt, als das Angebot von Wahltarifen (so
Beschluss des LSG NRW vom 07.05.2008, a.a.O.).
41
b) Beiden Beteiligten ist zuzugestehen, dass der Wortlaut des § 53 Abs. 4 SGB V -
einschließlich der Überschrift des § 53 SGB V "Wahltarife" - erhebliche
Verständnisschwierigkeiten mit sich bringt. Dies zeigen die diversen Deutungen u.a. der
Beteiligten deutlich auf. Auch der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
(BT-Drucksache 16/3100, S. 108) führt zunächst nicht entscheidend weiter, in dem darin
beispielhaft die Möglichkeit aufgeführt wird, dem Versicherten den 2,3-fachen Satz nach
GoÄ/GoZ zu erstatten. Die Sinnhaftigkeit dieser Begründung erschließt sich nämlich
nicht, wenn damit dem in der GKV Versicherten letztlich nur die Möglichkeit gegeben
werden sollte, die ihm ohnehin schon zustehende ärztliche Leistung aufgrund erhöhter
eigener Beitragszahlung höher vergüten zu lassen. Deshalb versteht der Senat dieses
Beispiel dann auch dahin, dass damit den Versicherten der GKV ein den Versicherten
der PKV ähnlicher Versicherungsschutz eingeräumt werden sollte, ohne dass dafür - mit
Ausnahme der Abs. 8 und 9 des § 53 SGB V - weitere gesetzliche Vorgaben normiert
wurden. Dies deckt sich letztlich auch mit einer der Intentionen des Gesetzgebers,
nämlich den Versicherten der GKV die Wahl für ein qualitätsvolleres und
umfassenderes Leistungsangebot zu ermöglichen (z.B. Gesetzentwurf der
Bundesregierung - BT-Drucksache 16/3950, S. 14) bzw. die Wettbewerbsposition der
GKV gegenüber der PKV zu stärken (BT-Drucksache 16/3100, S. 108).
42
Davon ausgehend dürfte das Angebot der AG in § 53 Abs. 4 SGB V seine
Rechtsgrundlage haben.
43
Die Bedenken der AS, dass durch die streitigen Wahltarife Leistungen außerhalb des
Leistungskatalogs der GKV eingeführt bzw. neu begründet würden, greifen nach dem
Verständnis des Senats nicht. Einigkeit besteht und auch keiner Diskussion bedarf,
dass die GKV keine Leistungen anbieten darf, die ihr nach Art und Inhalt fremd sind.
44
Dies ist hier jedoch nicht der Fall; ärztliche Behandlung und Unterkunft einschließlich
Verpflegung in einem Krankenhaus (§§ 27, 39 SGB V), zahnärztliche Behandlung
einschließlich Versorgung mit Zahnersatz (§§ 27, 55 SGB V) sowie Leistungen bei
Erkrankung im Ausland (§§ 17 f SGB V) sind regelhafte Leistungen der GKV.
Wechselnden Regelungen unterworfen waren / sind lediglich die jeweils konkrete
Ausgestaltung des Leistungs- bzw. Erstattungsumfangs, ohne dass dabei die
Grundleistung an sich in Frage gestellt wurde. Um nichts Anderes als solche dem
Wesen nach regelhafte GKV-Leistungen geht es aber bei den Wahltarifen der AG, die
im Wesentlichen die Höhe der Vergütung ärztlicher Behandlung sowie die Höhe des
Entgelts für Unterbringung und Verpflegung im Krankenhaus, die Kostenerstattung für
medizinisch notwendigen Zahnersatz oder medizinisch notwendige ärztliche
Behandlung im Ausland beinhalten.
Den Angeboten der AG steht auch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V nicht
entgegen. Bei Zahnersatz und Krankenbehandlung im Ausland ergibt sich dies
weitgehend bereits aufgrund der Beschränkung des Angebots auf medizinisch
notwendige Maßnahmen. Ungeachtet dessen und insbesondere im Hinblick auf die
Leistungen im Krankenhaus ergibt sich aber auch ansonsten kein anderes Ergebnis. §
12 SGB V stellt die Vorgaben für die allen Versicherten der GKV ausnahmslos
zustehenden Leistungen und damit für die entsprechende Leistungsverpflichtung bzw. -
berechtigung der GKV auf. Darüber hinaus ist § 12 SGB V für Wahlleistungen, wenn
diese wie hier grundsätzlich dem Leistungskatalog der GKV zugerechnet werden
können, indes dahingehend zu verstehen, dass diese Wahlleistungen wirtschaftlich
i.S.d. § 54 Abs. 9 Satz 1 SGB V seien müssen. Ansonsten bestünde nach dem
Verständnis des Senats überhaupt kein Raum für Wahltarife bzw. eine Stärkung der
GKV gegenüber der PKV.
45
Bedenken gegen die Gesetzgebungskompetenz bestehen im Übrigen nicht. Das SG hat
bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass dem Gesetzgeber auf dem Gebiet des
Sozialrechts insbesondere im Hinblick auf die fortwährenden schnellen Veränderungen
des Arbeits-, Wirtschafts- und Soziallebens ein besonders weiter Gestaltungsspielraum
zusteht. Dass dessen Grenzen überschritten sein könnten, erschließt sich dem Senat
nicht.
46
c) Die Berufung der AS auf die nach § 69 Abs. 2 SGB V zu beachtenden §§ 19 bis 21
GWB führt zumindest im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht weiter. So ist
bereits fraglich, ob der AG, auf die allein abzustellen ist, mit über 3 Millionen
Versicherten (http://www.aok.de/rh/rd/wir-ueber-uns-169240.php) oder gar nur 1,9
Millionen Versicherten (so die AG im Schriftsatz vom 07.12.2007) gemessen an einer
regionalen Einwohnerzahl (vgl. dazu Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, § 69
Anm. 7) von etwa 11.375 Millionen (Regierungsbezirk Köln: 4.378.622 Einwohner,
Regierungsbezirk Düsseldorf: 5.226.648 Einwohner, Hamburg: 1.770.291 Einwohner -
http://de.wikipedia.org unter Nordrhein-Westfalen bzw. Hamburg) eine
marktbeherrschende Stellung i.S.d. § 19 Abs. 2 bzw. Abs. 3 Satz 1 GWB zukommt.
Darüber hinaus liegt auf der Hand, dass der für die Anwendung des § 19 GWB
erforderliche Missbrauch durch eine Quersubventionierung (§ 53 Abs. 9 SGB V) - sofern
es letztendlich darauf überhaupt ankommt - einer eingehenden, ggf. gutachterlichen
versicherungsrechnischen Überprüfung bedarf, die dem Hauptsacheverfahren
vorbehalten bleiben muss. Dies gilt erst recht im Hinblick darauf, dass zum Einen die
Tarife der AG durch das Landesversicherungsamt Nordrhein-Westfalen genehmigt
worden sind und dass zum Anderen bereits die Berechnungsgrundlagen streitig sind (s.
47
dazu u.a. Schriftsatz der AS vom 23.08.2007, Schriftsatz der AG vom 18.09.2007).
6. Der Streitwert wird auf 1.000.000,00 EUR festgesetzt.
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Nach § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) in der Fassung des
Kostenmodernisierungsgesetzes vom 01.07.2004 (BGBl. I, 718) bestimmt sich die Höhe
des Streitwertes nach der sich aus dem Antrag ergebenden Bedeutung der Streitsache
für den AS. Maßgebend ist grundsätzlich sein wirtschaftliches Interesse am Ausgang
des Verfahrens (BSG, SozR 3-1930 § 8 Nr. 2, SozR 3-1930 § 8 Nr. 1 und Nr. 2; LSG
NRW, Beschlüsse vom 26.03.2003 - L 10 B 2/03 KA-, vom 13.08.2003 - L 10 B 10/03 KA
ER- und vom 24.02.2006 - L 10 B 21/05 KA -). Bietet der Sach- und Streitstand für die
Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von
5.000 EUR anzunehmen (§ 52 Abs. 2 GKG).
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Davon ausgehend scheint zunächst der Ansatz eines Streitwertes von 5.000 EUR
zutreffend, da die AS - wie ausgeführt - ihr mit ihrem Begehren verfolgtes
wirtschaftliches Interesse nicht dargetan hat. Dies erachtet der Senat nicht allein im
Hinblick auf den von Beteiligten dezidiert angeführten Meinungsstand zur rechtlichen
Problematik der von der AG angebotenen Wahltarife als bei Weitem untersetzt. Dies gilt
vielmehr insbesondere im Hinblick darauf, dass das Begehren der AS darauf gerichtet
ist, der AG das Angebot ihrer Wahltarife vollständig zu unterbinden, so dass -
spiegelbildlich - auch das erhebliche wirtschaftliche Interesse der AG zu
berücksichtigen ist. Der Senat macht deshalb von seiner Befugnis der Schätzung (BSG,
Beschluss vom 01.02.2005 - B 6 KA 70/04 B -) Gebrauch und setzt den Streitwert mit
1.000.000,00 EUR fest.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154
Verwaltungsgerichtsordnung.
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Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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