Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24.02.1999

LSG NRW (krankenversicherung, heilmittel, leistungserbringer, recht auf freiheit, besonderes rechtsverhältnis, versorgung, bundesverfassungsgericht, 1995, objektiv, hilfsmittel)

Landessozialgericht NRW, L 11 KA 19/98
Datum:
24.02.1999
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 11 KA 19/98
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 19 Ka 11/97
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 6 KA 26/99 R
Sachgebiet:
Vertragsarztrecht
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom
26.11.1997 wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat die
außergerichtlichen Kosten des Beklagten auch für das
Berufungsverfahren zu tragen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob Diättherapie als Heilmittel anzuerkennen ist.
2
Die Klägerin ist staatlich geprüfte Diätassistentin und seit 1986 in Köln in eigener Praxis
selbständig tätig. Dort führt sie eigenverantwortlich diättherapeutische Maßnahmen und
Ernährungsberatung im Rahmen ärztlicher Anordnungen durch. Der Verband Deutscher
Diätassistenten e. V., dessen Mitglied die Klägerin ist, bemüht sich seit 1992 um eine
Anerkennung der Diättherapie als Heilmittel im Sinne der gesetzlichen
Krankenversicherung. Der Beklagte lehnte zuletzt mit Schreiben vom 20.07.1995 und
07.08.1996 eine Anerkennung von Diätberatung und -therapie als verordnungsfähiges
Heilmittel ab. Der Arbeitsausschuß sei nach eingehender Diskussion zu dem Konsens
gekommen, daß es sich um eine reine Beratungsleistung handele. Darüberhinaus stelle
die Diätberatung/Diättherapie kein klassisches Heilmittel dar, weil unter Heilmittel
medizinische Maßnahmen zu verstehen seien, die unmittelbar am Körper des Patienten
und durch äußerliche Einwirkung auf den Körper durchgeführt würden.
3
Zur Begründung ihrer im Januar 1997 erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen,
die Auffassung des Beklagten, es handele sich nicht um ein Heilmittel, weil die
Maßnahme nicht unmittelbar am Körper des Patienten ansetze, greife zu kurz. Der
Begriff des Heilmittels sei offen und für Neuerungen zugänglich. Jedenfalls dann, wenn
Diättherapie der Linderung, Eindämmung oder Heilung ernährungsbedingter
Krankheiten diene, könne ihr die Qualität als Heilmittel nicht abgesprochen werden. Es
fänden sich in den Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien auch Mittel wie etwa die
Beschäftigungstherapie, die ähnlich wie die Diättherapie zu bewerten sei.
4
Die Ernährungsberatung sei ein wichtiger Teil der Versorgung, der von den
niedergelassenen Ärzten nicht vollständig abgedeckt werden könne. Wenn ihr der
Zugang zum System der gesetzlichen Krankenversicherung verwehrt werde, verletze
dies ihr Recht auf Freiheit der Berufsausübung aus Art. 12 Grundgesetz (GG).
5
Die Klägerin hat beantragt,
6
1. den Beklagten zu verurteilen, die Diättherapie im Sinne des § 3 des Gesetzes über
den Beruf des Diätassistenten als Heilmittel anzuerkennen sowie 2. über den
therapeutischen Nutzen der Diättherapie zu entscheiden.
7
Der Beklagte hat beantragt,
8
die Klage abzuweisen.
9
Er hat geltend gemacht, die Diättherapie sei kein Heilmittel im Sinne der Heil- und
Hilfsmittelrichtlinien, weil auch die diätische Ernährung der allgemeinen Lebensführung
zuzurechnen sei und deshalb nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung
verordnet werden könne. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine Änderung der
Richtlinien, weil sie von ihnen allenfalls mittelbar und in tatsächlicher Hinsicht betroffen
sei. Rechtspositionen für in das System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht
eingebundene Leistungserbringer würden durch die Richtlinien nicht begründet.
10
Mit Urteil vom 26.11.1997 hat das Sozialgericht Köln die Klage abgewiesen. Die
Grundrechte der Klägerin aus Art. 12 und Art. 14 GG seien nicht verletzt, weil durch die
Ablehnung des Beklagten nur Chancen und Erwerbsmöglichkeiten betroffen seien. Die
Klägerin sei grundsätzlich nicht gehindert, ihre Leistungen anzubieten. Der Ausschluß
dieser Leistungen aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung berühre den
grundrechtlichen Schutzbereich nicht.
11
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie trägt im wesentlichen vor, bei der
Teilnahme an der gesetzlichen Krankenversicherung handele es sich nicht lediglich um
eine zusätzliche Chance und einen zusätzlichen Absatzmarkt, sondern es gehe bei
einem Ausschluß aus diesem System praktisch um eine Zulassungssperre. Das
Bundesverfassungsgericht gehe ganz offenkundig vom Vorliegen einer objektiven
berufsregelnden Tendenz aus, wenn es in seiner Kassenarztentscheidung anerkenne,
daß der nicht einbezogene Leistungserbringer praktisch an der Behandlung zahlreicher
Patienten gehindert sei, die ihn sonst in Anspruch nehmen würden. Die Diätassistenten
stellten die einzige Berufsgruppe dar, die ein parlamentarisches Berufsgesetz
vorweisen könnten, das eine Therapieform regele, die gleichwohl nicht in das System
der gesetzlichen Krankenversicherung integriert sei. Auch im Europäischen Ausland,
etwa in der Schweiz, sei die Diättherapie als eigenständiges Heilmittel anerkannt und in
das System der Krankenversicherung integriert. Wenn Art. 12 GG als Maßstab
heranzuziehen sei, sei der Bundesausschuß nicht hinreichend legitimiert,
entsprechende Eingriffe vorzunehmen. Anders als bei dem Methadonurteil des
Bundessozialgerichts (BSG) seien hier nicht Versicherte und Vertragsärzte betroffen,
sondern externe Leistungserbringer, die am System der Selbstverwaltung in der
gesetzlichen Krankenversicherung nicht beteiligt seien. Es bestehe schließlich ein
großer Bedarf an diättherapeutischen Leistungen, der nicht durch Vertragsärzte gedeckt
werden könne.
12
Die Klägerin beantragt,
13
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 26.11.1997 abzuändern und nach dem
Klageantrag zu erkennen.
14
Der Beklagte beantragt,
15
die Berufung zurückzuweisen.
16
Er ist der Auffassung, es fehle an der für ein Heilmittel charakteristischen äußeren
Einwirkung auf den Körper. Unabhängig davon handele es sich bei der Diättherapie um
eine Maßnahme, die der allgemeinen Lebensführung zuzurechnen und entsprechend
dem in § 33 SGB V festgelegten Grundsatz nicht von der Leistungspflicht der
gesetzlichen Krankenversicherung umfaßt sei. Soweit sich aus einer Erkrankung die
Notwendigkeit einer besonderen Ernährung ergebe, sei der behandelnde Arzt gehalten,
den Patienten über die Notwendigkeit der Ernährungsumstellung zu beraten. Ein Eingriff
in Art. 12 GG sei nicht gegeben. Die Aufnahme oder der Ausschluß von Heil- und
Hilfsmitteln in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung wirke sich
lediglich reflexartig auf die Berufausübungschancen der Klägerin aus.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, auch des Vorbringens
der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakte verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der
mündlichen Verhandlung war.
18
Entscheidungsgründe:
19
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage
zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufnahme der Diättherapie
in die Heilmittel und Hilfsmittel-Richtlinien des Beklagten.
20
Die Klage der Klägerin ist als Leistungsklage auf Erlaß einer Maßnahme der
Selbstverwaltung zulässig gewesen (vgl. BSG vom 01.10.1990 - 6 RKA 22/88 - BSGE
67, 251- SozR 3-2500 § 92 Nr. 2; BSG vom 01.10.1990 - 6 RKa 3/90 -. Die Leistungen
1992, 315). Eine Anfechtungsklage scheidet mangels Vorliegens eines
Verwaltungsaktes aus. Die Schreiben des Beklagten an den Verband Deutscher
Diätassistenten sind keine Verwaltungsakte, sondern lediglich Mitteilungen, die sich
zudem nicht an die Klägerin, sondern an den Verband richteten.
21
Der Senat läßt es gerade angesichts der ausführlichen Erörterungen in der mündlichen
Verhandlung offen, ob es sich bei der Ernährungsberatung und Diättherapie per
definitionen um ein Heilmittel handelt und ob die Einbeziehung in den Heilmittelkatalog
der gesetzlichen Krankenversicherung rechtlich notwendig, zweckmäßig oder sinnvoll
ist oder nicht. Die Klägerin hat jedenfalls weder einen Rechtsanspruch auf eine
Änderung der Heilmittel- und Hilfsmittel-Richtlinien und Anerkennung der Diättherapie
noch auf eine formelle Entscheidung des Beklagten.
22
Die Heilmittel- und Hilfsmittel-Richtlinien werden gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V
vom Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen beschlossen und sollen die
Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der
Versicherten geben. Gemäß § 92 Abs. 8 SGB V sind sie Bestandteil der
23
Bundesmantelverträge. In den Richtlinien ist gemäß § 92 Abs. 6 Nr. 1 SGB V
insbesondere ein Katalog der verordnungsfähigen Heilmittel aufzustellen. Vor seiner
Entscheidung hat der Bundesausschuß den in § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten
Organisationen der Leistungserbringer Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, § 92
Abs. 6 Satz 2 SGB V. Der Bundesausschuß wird gemäß § 91 Abs. 1 SGB V gebildet
von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, den Bundesverbänden der
Krankenkassen, der Bundesknappschaft und den Verbänden der Ersatzkassen.
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung aller mit Vertragsarztrecht und
Krankenversicherung befaßten Senate des Bundessozialgerichts an, nach der den
Richtlinien des Bundesausschusses Rechts normqualität zukommt (vgl. BSG SozR 3-
2500 § 13 Nr. 4; § 92 Nrn. 6 und 7; § 101 Nr. 1; § 135 Nr. 4). Das Bundessozialgericht
sieht den Bundesausschuß aufgrund seiner Struktur als gemeinsames Gebilde der ihn
tragenden Körperschaften als verbandsdemokratisch legitimiert an, verbindliche
Regelungen gegenüber den Mitgliedern der Körperschaften zu schaffen (kritisch zu
dieser Rechtsprechung u.a.: Knittel, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Stand
April 1998, § 92 Rdnr. 41, 42; Ossenbühl, Richtlinien im Vertragsarztrecht, NZS 1997,
497 ff.; Plantholz, Verfassungsmäßige Wirkung der Richtlinien im Vertragsarztrecht auf
Außenseiter, SGb 1997, 549 ff.). Der Bundesausschuß kann damit sowohl die
Kassenärztlichen Vereinigungen und ihre Mitglieder als auch die Krankenkassen mit
seinen Richtlinien binden. In seiner Rechtsprechung zu den Bedarfsplanungs-
Richtlinien hat das Bundessozialgericht es auch gebilligt, daß die Richtlinien-
Bestimmungen im Sinne einer sog. Außenseitererstreckung auch Wirkung für Dritte
entfalten, nämlich für Ärzte, die noch nicht an der vertragsärztlichen Versorgung
teilnehmen und ihre Zulassung erst erreichen wollen (vgl. Urteile vom 18.03.1998 - B 6
KA 35/97 R und B 6 KA 37/95 R).
24
Durch die Heilmittel- und Hilfsmittel-Richtlinien gibt der Beklagte einerseits dem
Vertragsarzt vor, welche Mittel von ihm zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen
verordnet werden können, an dererseits konkretisiert die Richtlinie den Anspruch des
Versicherten auf Versorgung mit Heilmitteln aus § 32 Abs. 1 SGB V. Neue Heilmittel
dürfen gemäß § 138 SGB V nur verordnet werden, wenn der Bundesausschuß zuvor
ihren therapeutischen Nutzen anerkannt und in den Richtlinien Empfehlungen für die
Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben hat. Die von der
Klägerin angebotene "Diättherapie" ist in den geltenden Richtlinien des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Heilmitteln
und Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung vom 17.06.1992, zuletzt geändert
am 18.02.1998, nicht aufgeführt. Sie ist damit in der gesetzlichen Krankenversicherung
nicht verordnungsfähig.
25
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Änderung der Richtlinien. Ein besonderes
Rechtsverhältnis, aus dem sie einen solchen Anspruch herleiten könnte, etwa eine
Mitgliedschaft, eine Zulassung oder ein Vertrag, bestehen nicht. Eine gesetzlich
geschützte Rechtsposition hat die Klägerin auch nicht durch die Einfügung von § 92
Abs. 6 Satz 2 SGB V erlangt. Normiert ist dort nur ein Recht der Verbände der
Heilmittelerbringer, zu den Richtlinien vor ihrem Erlaß Stellung zu nehmen (Plantholz,
aaO, 554 spricht von einem Recht auf Verfahrensteilhabe). Der Bundesausschuß hat
sich mit den vorgetragenen Argumenten auseinanderzusetzen. Damit wird dem
Umstand Rechnung getragen, daß zwar keine rechtlich geschützten Positionen, wohl
aber wirtschaftliche Interessen von Herstellern und Erbringern von Heil- und Hilfsmitteln
betroffen sind ( vgl. Hess, in: Kasseler Kommentar, Stand Dezember 1998, § 92 Rdnr.
26
16 a). Subjektive Rechte einzelner Leistungserbringer werden damit nicht begründet.
Auch nach den Richtlinien selbst, hier Anlage 1 Nr. 3, kann die begehrte Entscheidung
des Beklagten über die Verordnungsfähigkeit und den therapeutischen Nutzen neuer
Heilmittel nur auf begründeten Antrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer
Kassenärztlichen Vereinigung oder eines Spitzenverbandes der Krankenkassen
erfolgen. Die Klägerin als Anbieter von sonstigen Dienstleistungen, ihr Verband und z.
B. Vertreiber von Geräten gehören dazu nicht. Unabhängig davon hat sich der Beklagte
tatsächlich mit der Diättherapie befaßt. Ein weiteres Tätigwerden kann die Klägerin
rechtlich nicht verlangen.
27
Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus den Grundrechten der Klägerin. Der Senat hält
an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, wonach Richtlinien des Bundesausschusses
der Ärzte und Krankenkassen nicht in die grundrechtlich geschützte Sphäre der
außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung stehenden
Leistungserbringer und -anbieter eingreifen (vgl. Urteile des Senats vom 21.08.1991 - L
11 Ka 20/90 -, vom 10.11.1993 - L 11 Ka 112/92 - NZS 1994, 267 - und vom 15.02.1995
- L 11 Ka 57/94). Er sieht sich darin durch die oben skizzierte Anerkennung der
normativen Wirkung der Richtlinien gegenüber den Korporationsmitgliedern und die
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Bundesverfassungsgerichts aus
früherer und nachfolgender Zeit zur Grundrechtsbetroffenheit externer
Leistungserbringer bestätigt. Den Richtlinien fehlt nicht nur final, sondern auch objektiv
eine die Berufsausübung der nicht unmittelbar am System Beteiligten regelnde
Tendenz.
28
Das BSG hat in den schon genannten zwei Entscheidungen vom 01.10.1990 in
vergleichbaren Konstellationen einen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 12 und 14
GG durch Richtlinien des Bundesausschusses verneint. Betroffen war in einem Fall (6
RKa 22/88) der Inhaber eines Kurbades, der sich gegen den Ausschluß von römisch-
irischen und russisch-römischen Bädern von der Verordnungsfähigkeit als Heilmittel im
Rahmen der kassenärztlichen Versorgung wandte. Das BSG hat in dieser Entscheidung
im wesentlichen ausgeführt, daß der Leistunganbieter von Heil- und Hilfsmitteln keine
Ansprüche auf Änderung einer Richtlinie des Bundesausschusses geltend machen
könne, weil die Richtlinie für ihn allenfalls wirtschaftliche Auswirkungen habe, aber
keine Rechtsposition begründe oder beseitige. Aus den Grundrechten der Berufsfreiheit
(Art. 12 Abs. 1 GG) und der Gewährleistung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG)
könne ein Leistungsanbieter grundsätzlich keine Steuerungsentscheidungen durch die
Richtlinien des Bundesausschusses angreifen, weil sie sich nicht an diese
Leistungserbringer, sondern an einen anderen Adressatenkreis, nämlich Vertragsärzte,
Versicherte und Krankenkassen, richteten und die Leistungserbringer allenfalls mittelbar
beträfen. Eine objektiv berufsregelnde Tendenz bestehe nicht, weil weder
vorgeschrieben werde, wie eine bestimmte Leistung zu erbringen sei, noch die
Verordnungsfähigkeit wegen der Art der Leistungen ausgeschlossen werde. Es werde
lediglich nicht die Notwendigkeit gesehen, bestimmte Leistungen in den Kreis der
verordnungsfähigen Leistungen aufzunehmen. Dies sei aber eine Frage des
unternehmerischen Risikos. Kein Leistungsanbieter habe einen Rechtsanspruch auf
Abnahme seiner Leistung. Mit dem Argument, daß bloße Umsatz- und Gewinnchancen
nicht geschützt seien, hat das BSG auch einen Verstoß gegen Art. 14 GG verneint. Aus
denselben Gründen negativ entschieden hat das BSG am 01.10.1990 über die Klage
eines Arzneimittelherstellers gegen den Ausschluß der Verordnungsfähigkeit (6 RKa
3/90) von Saftzubereitungen durch die Arzneimittel-Richtlinien.
29
Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 20.09.1991 (- 1 BvR
1621/89 - Die Leistungen 1992, 237) ausgeführt, der Ausschluß von Arzneimitteln
gegen bestimmte Erkrankungen durch § 34 Abs. 1 SGB V habe für die Berufsausübung
der Hersteller dieser Arzneimittel lediglich Reflexwirkung. Eine objektiv berufsregelnde
Tendenz, die eine Prüfung am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz zur Folge hätte,
sei dabei nicht erkennbar. Die Einbindung in das System der gesetzlichen
Krankenversicherung wirke sich für die Arzneimittelhersteller zwar umsatzfördernd aus,
dies sei aber lediglich eine Nebenfolge der gesetzlichen Regelung für Dritte, die
Versicherten und die Kostenträger. Ein Recht der Arzneimittelhersteller auf
Beibehaltung eines bestimmten Leistungsspektrums komme nicht in Betracht.
30
Im Beschluss vom 20.09.1991 (- 1 BVR 879/90 - SozR 3-2500 § 34 Nr. 1 - NJW 1992,
735) hat das Bundesverfassungsgericht allerdings eine objektiv berufsregelende
Tendenz für die Arzneimittelhersteller angenommen durch die gesetzliche
Ermächtigung zum Ausschluß unwirtschaftlicher Arzneimittel von der Versorgung in §
34 Abs. 3 SGB V, weil dieser Ausschluß darauf gerichtet sei, die Verschreibung
derartiger Arzneimittel weitgehend zurückzudrängen und für die Hersteller damit
erhebliche Umsatzeinbußen verbunden seien. Eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG
hat das Gericht aber letztlich verneint, weil § 34 Abs. 3 SGB V der Sicherung der
Stabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung diene und damit ein vernünftiger
Zweck des Gemeinwohls verfolgt worden sei.
31
Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hat in seinem Vorlagebeschluß an das
Bundesverfassungsgericht vom 14.06.1995 (3 RK 20/94 - NZS 1995, 502 ff.) zu Recht
bemängelt, daß die unterschiedliche Bewertung durch das Bundesverfassungsgericht in
diesen beiden Entscheidungen nicht näher begründet worden ist. Der 1. Senat des BSG
hat sich in einer Entscheidung vom 16.07.1996 ( - 1 RS 1/94 - SozR 3-2500 § 34 Nr. 5),
die ebenfalls die Klage eines Arzneimittelherstellers gegen den Ausschluß bestimmter
Arzneien wegen Unwirtschaftlichkeit betraf, ohne nähere Begründung der
Argumentation des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren 1 BVR 879/90
angeschlossen. Konsequenz dieser Auffassung, die erhebliche Umsatzeinbußen als
grundrechtsrelevant ansieht, ist, daß eine Grundrechtsbetroffenheit auch bei
Arbeitnehmern zu bejahen wäre, die infolge einer Änderung der rechtlichen oder
tatsächlichen Verhältnisse ihren Arbeitsplatz verlieren. Darauf hat das BSG bereits in
seinen früheren Entscheidungen hingewiesen. Eine wirtschaftliche Betroffenheit kann
für sich gesehen jedoch kein Indikator für einen Eingriff in die Berufsfreiheit sein. Das
unternehmerische Risiko wird durch dieses Grundrecht nicht abgesichert. Würde allein
auf die wirtschaftliche Komponente abgestellt, würde jede Berufsgruppe, die sich ein
Tätigkeitsfeld im medizinischen Bereich erschließt, unter Berufung auf Art. 12 Abs. 1 GG
den Zugang zum System der gesetzlichen Krankenversicherung fordern können. Das
BSG führt in seinen Entscheidungen aus 1990 nach Auffassung des Senates zutreffend
aus, daß wirtschaftlichen Nachteilen einzelner Gruppen nur durch eine umfassende
Wirtschaftslenkung begegnet werden könnte, die unsere Rechtsordnung aber nicht
vorsieht.
32
Selbst wenn man aber die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in der zuletzt
genannten Entscheidung zugrundelegt, kann ein Anspruch der Klägerin hieraus nicht
hergeleitet werden. Im Unterschied zu den Arzneimittelherstellern, deren Produkte vor
dem Inkrafttreten der angegriffenen gesetzlichen Regelung in der gesetzlichen
Krankenversicherung verordnungsfähig waren, sind die Leistungen der Klägerin bislang
33
nicht in das System eingebunden. Für die Klägerin geht es nicht um eine Beschneidung
bereits realisierter wirtschaftlicher Betätigungsfelder, sondern um die Öffnung eines
zusätzlichen Markt. Sie hat keinen Umsatzrückgang zu befürchten, sondern will durch
die Aufnahme in das System eine Umsatzsteigerung erreichen. Die fehlende
Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe, die grundsätzlich in das System der GKV integriert
ist und deren Leistungen von Versicherten in diesem System nachgefragt werden
können, unterscheidet die Berufsgruppe der Klägerin auch von den Ärzten, die aufgrund
der Bedarfsplanungsrichtlinien von der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung
ausgeschlossen sind und bei denen das BSG eine Außenseitererstreckung der
Richtlinien-Bestimmungen annimmt (vgl. Urteile vom 18.03.1998 - B 6 KA 35/97 R und
B 6 KA 37/96 R). Aus diesem Grund kann auch nicht, wie die Klägerin meint, eine
Parallele zur Kassenarztentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (E 11, 30 ff.)
gezogen werden. Wenn dort ausgeführt wird, der nicht zur Kassenpraxis zugelassene
Arzt sei praktisch an der Behandlung zahlreicher Patienten gehindert, die ihn sonst in
Anspruch nehmen würden, so ist dies im Zusammenhang damit zu sehen, daß es sich
bei der ärztlichen Tätigkeit um die Kernleistung der Krankenversicherung handelt, die im
System auch angeboten wurde. Es ging lediglich um die Frage der Begrenzung der
Zahl der ärztlichen Leistungserbringer.
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht unter Zugrundelegung der Ausführungen
des 3. Senat des BSG in seinem oben genannten Beschluss vom 14.06.1995. Danach
soll die Festbetragsregelung in § 35 SGB V die Arzneimittelhersteller in ihrem
Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz treffen (kritisch zu dieser Entscheidung:
Schelp, NZS 1997, 155 ff.). Sie habe objektiv eine die Berufsausübung regelnde
Tendenz, weil sie eine preisregulierende Wirkung i.S. eines dirigistischen Eingriffs in
den Marktablauf habe. Wenn nicht Krankheiten vom Versicherungsschutz
ausgenommen würden, sondern einzelne Leistungen als unwirtschaftlich, liege eine
Situation wie bei einer ungleichen Subventionierung vor. Wesentlicher Ansatzpunkt für
Annahme eines Eingriffs in die Berufsfreiheit ist damit die unterschiedliche Betroffenheit
der Arzneimittelhersteller von der Festbetragsregelung und der daraus resultierende
Eingriff in den Marktablauf. Diese Überlegung greift hier aber nicht.
Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Gruppe der Diätassistenten werden nicht
verändert. Wie bei den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Konstellationen
der Arzneimittelhersteller besteht auch hier der Unterschied zum Fall der Klägerin darin,
daß es nicht um den Ausschluß der Verordnungsfähigkeit einer bestimmten, der Art
nach von der gesetzlichen Krankenversicherung umfaßten Leistung, sondern um die
Frage der Notwendigkeit der Aufnahme einer neuen, bisher noch nicht gewährten
Leistung in den Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung geht. Eine Aufnahme
der Diättherapie in die Heilmittel-Richtlinien würde nicht zu einer Verschiebung
innerhalb des Marktes in der gesetzlichen Krankenversicherung zu Lasten einer Gruppe
von Leistungserbringern führen, sondern einen zusätzlichen Markt für bestimmte
Leistungserbringer öffnen, die bisher nicht in das System integriert sind. Die parallele
Situation im Subventionsrecht, das der 3. Senat zum Vergleich heranzieht, wäre hier,
daß kein Leistungsanbieter eine Subvention erhält. Ein Anspruch auf eine Subvention,
das stellt auch das BSG heraus, besteht aber nicht.
34
Schließlich sieht der Senat sich in seiner Rechtsauffassung bestätigt durch den
Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senates des Bundesverfassungsgerichts vom
01.11.1996 (- 1 BvR 580/93- NJW 1997, 791), mit dem eine Grundrechtsbetroffenheit bei
Apothekern verneint wurde, die sich gegen gesetzliche Vorschriften zur Regelung eines
Preismoratoriums für apothekenpflichtige Fertigarzneimittel, die Budgetierung von
35
Arznei- und Heilmitteln und die Zuzahlung von Versicherten zu verordneten Arznei- und
Verbandsmitteln gewandt hatten. Soweit infolge der entsprechenden Vorschriften der
eigene Umsatz und Gewinn geschmälert werde, so das BVerfG in dieser Entscheidung,
sei dies lediglich eine Reflexwirkung, die nicht ausreiche, um die Apotheker als selbst
und unmittelbar betroffen zu qualifizieren.
Eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG ist weder gerügt noch ersichtlich. Es sind
lediglich Erwerbschancen und Marktstellung der Klägerin betroffen. Sie werden vom
Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG aber nicht umfaßt.
36
Der Hinweis der Klägerin auf Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz führt nicht weiter. Allein der
Umstand, daß sie in einem Teilbereich Leistungen anbietet, die auch Ärzte erbringen,
rechtfertigt ihre Gleichstellung mit den ärztlichen Leistungserbringern in der GKV nicht.
Andere nichtärztliche Leistungserbringer, die identische Leistungen wie die Klägerin
anbieten, gibt es im System derzeit aber nicht.
37
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 und 193 SGG.
38
Im Hinblick auf die wieder grundsätzlich gewordene Bedeutung des Rechtsstreits hat
der Senat gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Revision zugelassen.
39