Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 08.07.2009

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Landessozialgericht NRW, L 12 AL 21/08
Datum:
08.07.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 12 AL 21/08
Vorinstanz:
Sozialgericht Detmold, S 18 AL 104/06
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold
vom 08.02.2008 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind
auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
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Umstritten ist, ob die Klägerin für Fahrten zwischen Wohnort und Bildungsstätte als
Kostenersatz die einfache Fahrtstrecke ersetzt verlangen kann oder ob der gleiche
Betrag auch für die Rückfahrt anzusetzen ist. Der Streit wird um 932,40 Euro geführt.
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Die am 00.00.1968 geborene Klägerin nahm in der Zeit vom 23.10.2006 bis 22.03.2007
bei der O GmbH in E an einer Weiterbildungsmaßnahme zur Buchhaltungsfachkraft teil.
In der Zeit vom 23.10.2006 bis 22.01.2007 und am 22.03.2007 fand hierzu der
theoretische Unterricht am Maßnahmeort in E statt. Die einfache Entfernung zwischen
der Wohnung der Klägerin und der Unterrichtsstätte betrug 38,5 km. Der Unterricht fand
jeweils wöchentlich montags bis freitags statt.
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Mit Bescheid vom 06.10.2006 bewilligte die Beklagte der Klägerin unter anderem
Fahrtkosten für die Zeit des theoretischen Unterrichts in Höhe von insgesamt 932,40
Euro. Hierbei berücksichtigte sie für die ersten 10 km 36 Cent und für die restlichen 28
km 40 Cent, so dass sich ein Fahrtkostenbetrag pro Tag von 14,80 Euro ergab. Die
Beklagte legte jeweils die einfache Fahrtstrecke zu Grunde.
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Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte geltend, dass auch für den
Rückweg von der Unterrichtsstätte zur Wohnung Fahrtkosten zu erstatten seien. Mit
Widerspruchsbescheid vom 07.11.2006 wies die Beklagte den Widerspruch der
Klägerin mit der Begründung zurück, dass Fahrten mit dem Pkw anlässlich der
Teilnahme an der Maßnahme zur beruflichen Weiterbildung nach § 81 Abs. 2 Satz 1 des
Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III) nur für die kürzeste und für die
einfache Fahrtstrecke gewährt werden könnten. Das gelte sowohl für Fahrten zwischen
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Wohnung und Maßnahmeträger als auch für Fahrten zwischen Wohnung und
Praktikumsplatz. Berücksichtigt würden nach § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB III nur volle
Kilometer. Die kürzeste Entfernung zwischen Wohnung und der O GmbH betrage nach
Angaben der Klägerin 38,5 km, so dass volle 38 km berücksichtigt würden. Die
Fahrtkostenerstattung erfolge für die kürzeste Entfernung der einfachen Strecke mit 36
Cent für die ersten 10 km und 40 Cent ab dem 11 km. Hieraus errechnet sich der
Gesamtbetrag in Höhe von 932,40 Euro.
Hiergegen hat die Klägerin am 07.12.2006 Klage vor dem Sozialgericht Detmold
erhoben und hat weiterhin geltend gemacht, dass auch für den Rückweg eine
Fahrtkostenerstattung erfolgen müsse. Teilnehmern an einer Maßnahme nach § 77 SGB
III sei für jeden Tag, an dem sie die Bildungsstätte aufsuchten, als Fahrtkostenerstattung
eine Entfernungspauschale für die Entfernung zwischen Wohnung und Bildungsstätte
zu zahlen. Die gesetzliche Regelung beschränke sich nicht auf die einfache Entfernung.
Hausinterne Dienstanweisungen, die zur innerbehördlichen Arbeitsregelung verwandt
würden, würden keine Außenwirkung entfalten. Die Norm des § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB III
spreche von einer Entfernungspauschale. Eine der Fahrtkostenberechnung zur Grunde
zu legende Entfernung bestehe jedoch sowohl aus dem Weg Wohnung/Bildungsstätte
als auch aus dem Weg Bildungsstätte/Wohnort.
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Vor dem Sozialgericht hat die Klägerin sinngemäß beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 06.10.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 07.11.2006 zu verurteilen, ihr die aufgrund der Teilnahme
an der Weiterbildungsmaßnahme anfallenden Fahrtkosten auch für den Rückweg
zwischen Bildungsstätte und Wohnort zu erstatten, also nochmals 932,40 Euro.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist bei ihrer Auffassung geblieben, dass Fahrtkosten lediglich für die
einfache Strecke zu erstatten seien. Im Hinblick auf die gesetzlich vorgesehene
Entfernungspauschale handele es sich um die einfache Strecke. Hätte der Gesetzgeber
Hin- und Rückfahrt gewollt, wäre der Gesetzestext um die Formulierung "und zurück"
ersetzt worden. Unabhängig hiervon erfolge die Fahrtkostenberechnung in der ab
01.01.2004 gültigen Fassung des § 81 Abs. 2 SGB III in Anlehnung an das Steuerrecht.
Im Steuerrecht würde bei der Berücksichtigung von Fahrtkosten als Werbungskosten
ebenfalls nur die einfache Fahrtstrecke berücksichtigt.
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Mit Urteil vom 08.02.2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur
Begründung u. a. Folgendes wörtlich ausgeführt:
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"Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 06.10.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 07.11.2006 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht
in ihren Rechten im Sinne von § 54 Abs. 1 und Abs. 2 SGG. Die Beklagte hat zu Recht
im Rahmen der Berechnung der von der Klägerin zu beanspruchenden Fahrtkosten
wegen der Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme für die Zeit vom 23.10.2006
bis zum 22.01.2007 und für den 22.03.2007 lediglich die einfache Fahrstrecke
berücksichtigt und einen Gesamtfahrtkostenerstattungsbetrag in Höhe von 932,40 EUR
zugrunde gelegt. Gemäß § 81 Abs. 1 Nr. 1 SGB III i. V. m. §§ 77, 79 SGB III können
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Fahrtkosten für Fahrten zwischen Wohnung und Bildungsstätte (Pendelfahrten) als
Weiterbildungskosten übernommen werden. Gemäß § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB III sind als
Fahrkosten für jeden Tag, an dem der Teilnehmer die Bildungsmaßnahme aufsucht,
eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen
Wohnung und Bildungsstätte von 0,36 EUR für die ersten zehn Kilometer und 0,40 EUR
für jeden weiteren Kilometer anzusetzen. Die Entscheidung, ob Fahrtkosten
übernommen werden, steht nach der Regelung des § 81 Abs. 1 SGB III im Ermessen
des zuständigen Leistungsträgers. Das Ermessen ist ausschließlich ein
Entschließungsermessen, welches sich auf das "ob" der Leistung bezieht. Ein
Auswahlermessen, in welchem Umfang eine Fahrtkostenbeteiligung erbracht wird, steht
dem Leistungsträger dagegen nicht zu. Vorliegend ist die Beklagte zu der Entscheidung
gelangt, dass der Klägerin Fahrtkosten für die Teilnahme an der von ihr besuchten
Weiterbildungsmaßnahme zu erstatten sind. Demnach hat sie einen Anspruch auf
Fahrtkosten in dem gemäß § 81 Abs. 2 SGB III geregelten Umfang. Hiervon ausgehend
steht der Klägerin eine Fahrtkostenpauschale in Höhe von 14,80 EUR täglich zu ( 0,36
EUR x 10 Kilometer = 3,60 EUR und 0,40 EUR x 28 Kilometer = 11,20 EUR).
Ausgehend von 63 Unterrichtstagen ergibt sich somit eine Fahrtkostenpauschale in
Höhe von insgesamt 932,40 EUR. Ein weitergehender Leistungsanspruch steht der
Klägerin nicht zu. Bemessungsgrundlage für die Pauschale ist die Entfernung zwischen
Wohnung und Bildungsstätte, wobei auf jeden vollen Entfernungskilometer zwischen
dem Ort des Hausstandes und dem Weiterbildungsort abzustellen ist. Weiter
maßgebend ist die kürzeste Straßenverbindung. Gemäß § 81 Abs. 2 SGB III erfolgt
durch die dort geregelte Entfernungspauschale eine Abgeltung der Aufwendung für die
An- und Abreise (s. auch Stratmann in Niesei, Kommentar zum SGB III, 3. Auflage, § 81
Rdnr. 4). Demnach kann vorliegend für die Bemessung nur die einfache Wegstrecke
von 38 Kilometern und nicht 76 Kilometer (Hin-und Rückweg) berücksichtigt werden.
Dies ergibt sich auch aus dem Gesetzeswortlaut des § 81 Abs. 2 SGB III, wonach die
Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung "zwischen Wohnung
und Bildungsstätte" berücksichtigt wird. Von einer Entfernung zwischen "Bildungsstätte
und Wohnung" bzw. "und zurück" ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht die Rede.
Darüber hinaus stellt die Bemessung der Fahrtkosten nach § 81 Abs. 2 SGB III in
Anlehnung an das Steuerrecht gerade auf eine Entfernungspauschale ab, die das Ziel
hat, im Sinne einer Verwaltungsvereinfachung auf eine differenzierte Berechnung zu
verzichten (s. Stratmann a.a.O)."
Gegen dieses ihr am 20.02.2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 13.03.2008
eingelegte Berufung der Klägerin. Sie wiederholt ihren erstinstanzlichen Vortrag und
weist darauf hin, dass der Gesetzestext von einer Entfernungspauschale für jeden vollen
Kilometer zwischen Wohnung und Bildungsstätte spreche. Die darin enthaltenen
Ortsangaben geben lediglich eine Distanz des zurückgelegten Weges an. Keinesfalls
sei dem Gesetzestext zu entnehmen, dass eine Entfernungspauschale nur für die
Fahrtrichtung Wohnung/Bildungsstätte anzusetzen sei, nicht jedoch für den Rückweg.
Hätte der Gesetzgeber eine der Auffassung der Beklagten entsprechenden Regelung
gewollt, hätte er dies mit der Formulierung "für die einfache Fahrt" oder einer ähnlichen
Formulierung zum Ausdruck bringen können. Die Beklagte dokumentiere selbst, dass
der Gesetzeswortlaut nicht eindeutig sei. Sie habe immerhin eine Dienstanweisung
herausgegeben, welche die Arbeitsämter zur entsprechenden Handlung anleite. Eine
hausinterne Dienstanweisung entfalte jedoch keine Außenwirkung.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 08.02.2008 zu ändern und nach ihrem
erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und den Gesetzwortlaut für
eindeutig.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug
genommen. Diese Akten lagen bei der Urteilsfindung durch den Senat vor.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist zulässig. Der Streitwert liegt mit 932,40 Euro über der Grenze von
500,00 Euro nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - Fassung bis
31.03.2008.
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Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Senat hält die Ausführungen in den
Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils für überzeugend und nimmt hierauf
gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug.
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Die Ausführungen im Berufungsverfahren im Schriftsatz vom 17.04.2008 geben zu
keiner anderen Beurteilung Anlass. Der Wortlaut des § 81 Abs. 2 SGB III ist eindeutig.
Entschädigt wird die Fahrt von jedem Kilometer zwischen Wohnung und Bildungsstätte
und nicht, was in Satz 2 von § 81 Abs. 2 SGB III eben auch vorgesehen ist, die
Aufwendungen für die An- und Abreise. Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber
in Absatz 2 Satz 1 mit der Formulierung Entfernung zwischen Wohnung und
Bildungsstätte auch die Rückfahrt zusätzlich entschädigen wollte und diese in Absatz 2
Satz 2 dann für einen Sonderfall ausdrücklich regelt. Der Senat folgert daraus, dass die
gesetzliche Regelung in Anlehnung an das Steuerrecht bewusst nur die Entfernung
zwischen Wohnung und Bildungsstätte für erstattungswürdig hält (so auch Beschluss
des LSG NRW vom 19.09.2007 - L 20 B 80/07 AS -; Urteil des LSG Baden-Württemberg
vom 18.12.2008 - L 7 AS 3614/08 -; Stratmann in Niesel, 4. Auflage 2007 SGB III, § 81
Rdnr. 4; Schmidt in Eicher/Schlegel, SGB III, § 81 Rnr. 36-38). Die Auffassung des
Klägers wird, soweit ersichtlich, bisher weder im Schrifttum noch in der Rechtsprechung
vertreten.
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Die Rechnung der Beklagten ist der Höhe nach zutreffend. Die von der Klägerin
angegebenen vollen 38 Kilometer entsprechen auch denen, die ein Routenplaner für
die angegebenen Fahrtstrecke ausweist. Die angesetzten Beträge sind zudem
zutreffend ermittelt. Die Klägerin hat somit keinen Anspruch auf Erstattung von mehr als
932,40 Euro.
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Klage und Berufung konnten somit keinen Erfolg haben.
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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
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Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die hierfür in § 160 Abs. 2 Nr. 1und 2
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SGG aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Der Senat sieht insbesondere
keine offene bisher nicht entschiedene Rechtsfrage. Soweit ersichtlich, wird die
Rechtsauffassung der Klägerin weder in Literatur noch in der Rechtsprechung vertreten.