Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.04.2010

LSG NRW (antrag, schuldner, sgg, beschwerde, akteneinsichtsrecht, zuständigkeit, gvg, rechtsmittelbelehrung, gkg, verweisung)

Landessozialgericht NRW, L 16 B 9/09 SV
Datum:
26.04.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 16 B 9/09 SV
Vorinstanz:
Sozialgericht Gelsenkirchen, S 1 SV 35/09
Sachgebiet:
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde der Beklagten vom 03. September 2009 wird der
Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 18. August 2009
aufgehoben. Es wird festgestellt, dass für die am 27. Juli 2009 beim
Sozialgericht Gelsenkirchen erhobene Klage auf Erteilung von
Auskünften über Zahlungen auf das Beitragskonto des
Transportunternehmers I G in der Zeit vom 01. Juli bis zum 30.
September 2005 der Sozialrechtsweg gegeben ist. Die Kosten des
Beschwerdeverfahrens trägt der Beschwerdegegner (Kläger).
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe:
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I. Die Beklagte (im Folgenden: Beschwerdeführerin -Bf-) wendet sich gegen die
Verweisung einer gegen sie erhobenen Klage an das Verwaltungsgericht (VG)
Gelsenkirchen.
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Der Kläger (im Folgenden: Beschwerdegegner -Bg-) ist vom Amtsgericht -
Insolvenzgericht - F mit Beschluss vom 01.12.2005 zum Insolvenzverwalter über das
Vermögen des I G - handelnd unter der Firma I G Transportunternehmen, C - (im
Folgenden: Schuldner) ernannt worden.
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Mit Schreiben vom 11.12.2008 bat der Bg die Bf, ihm mitzuteilen, welche Zahlungen
diese von dem Schuldner im Zeitraum vom 01.07. bis zum 30.09.2005 erhalten habe;
insbesondere bat er um Übersendung eines Ausdrucks des Beitragskontos. Er stützte
seinen Auskunftsanspruch auf § 1 des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG; Gesetz zur
Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes vom 05.09.2005,
Bundesgesetzblatt (BGBl.) I, S. 2722).
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Die Bf lehnte den Antrag mit Bescheid vom 08.01.2009 ab und führte zur Begründung
aus, ein Auskunftsanspruch bestehe nicht, da die geforderten Informationen aus dem
"eigenen Verantwortungsbereich" (§ 9 Abs. 3 IFG) stammten. Sollten dem Bg die
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Informationen nicht vorliegen, gälten vorrangig die Vorschriften der Insolvenzordnung
(InsO). Insoweit bestehe ein Auskunftsanspruch gegenüber dem Schuldner (§ 97 InsO).
Auch teile sie nicht die Auffassung, sie habe Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des
Schuldners gehabt. Den Widerspruch des Bg wies die Bf mit Widerspruchsbescheid
vom 01.07.2009 zurück. Sie bezweifelte bereits, ob das IFG auf sie anzuwenden sei;
denn sie sei ein Selbstverwaltungsträger, nicht aber eine Behörde des Bundes. Darüber
hinaus stehe einem Auskunftsanspruch entgegen, dass sich der Bg die nötigen
Informationen in zumutbarer Weise selbst beschaffen könne, indem er seinen
Auskunftsanspruch nach § 97 InsO gegenüber dem Schuldner durchsetzen könne. Mit
der Rechtsmittelbelehrung verwies die Bf den Bg auf die Klage zum Sozialgericht (SG)
Gelsenkirchen.
Am 27.07.2009 hat der Bg bei diesem SG gegen die Bf Klage erhoben und vorgebracht,
er sei als Insolvenzverwalter wie jede andere Person berechtigt, den
Informationszugangsanspruch nach dem IFG geltend zu machen. Er brauche sich nicht
darauf verweisen zu lassen, den Schuldner in Anspruch zu nehmen. Aus dem IFG
ergebe sich ein eigenständiger Auskunftsanspruch. Im Übrigen seien auch die
wirtschaftlichen Interessen der Sozialversicherung nicht beeinträchtigt (vgl. § 3 Nr. 6
IFG), da es nicht darum gehe, die Versichertendaten im Interesse von
Privatunternehmen oder Dritten auszuforschen. Schließlich bezweifelte er die
Zulässigkeit des Rechtswegs zu den SGn.
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Das SG hat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 18.08.2009
den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an
das VG Gelsenkirchen verwiesen, weil für Streitigkeiten nach dem
Informationsfreiheitsgesetz der Rechtsweg zu den VGn gegeben sei.
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Dagegen richtet sich die Beschwerde der Bf vom 03.09.2009. Sie meint, das
Auskunftsbegehren des Bg beinhalte eine originär krankenversicherungsrechtliche
Streitigkeit und falle daher unter die Zuständigkeitsnorm des § 51 Abs. Nr. 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Sie verweist dazu auf einen Beschluss des erkennenden
Senats vom 14.05.2009 (L 16 B 77/09 KR).
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Der Bg verweist darauf, dass § 9 Abs. 4 IFG davon ausgehe, dass der Rechtsweg
(allein) zu den VGn gegeben sei. Im Übrigen gehe es ihm als Insolvenzverwalter darum,
zu prüfen, ob die Bf als Einzugsstelle Versicherungsbeiträge in der Vergangenheit zu
Recht (in zutreffender Höhe) einbehalten habe. Darüber hinaus solle die Einhaltung
insolvenzrechtlicher Vorschriften geklärt werden. Deshalb stütze er seinen Anspruch
auch auf §§ 25 und 83 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X).
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und
der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
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II. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Für die Klage ist die Zuständigkeit der
Sozialgerichte gegeben, was nach § 17a Abs. 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)
festzustellen war.
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Nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG hat das Gericht, falls der beschrittene Rechtsweg
unzulässig ist, dies von Amts wegen auszusprechen und zugleich den Rechtsstreit an
das zuständige Gericht zu verweisen. Die Verweisung ist aber nur dann statthaft, wenn
der beschrittene Rechtsweg schlechthin, d.h. für den Klageanspruch mit allen in
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Betracht kommenden Klagegründen ausgeschlossen ist. Dabei ist auf der Grundlage
des Klageantrages und des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts zu
prüfen, ob für das Klagebegehren eine Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, die in
dem beschrittenen Rechtsweg zulässig wäre. Außer Betracht bleiben insoweit nur
geltend gemachte, aber offensichtlich nicht gegebene Anspruchsgrundlagen (BVerwG
NVwZ 1991, 358, 359; BVerwG NJW 1995, 2938, 2939). Ansonsten erfolgt eine
umfassende rechtliche Würdigung des Klagebegehrens, die sich nach § 17 Abs. 2 Satz
1 GVG auch auf "rechtswegfremde" Anspruchsgrundlagen erstreckt.
Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob für den Auskunftsanspruch nach § 1 IFG
die alleinige Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte gegeben ist, auch wenn dieser
Anspruch von einem Insolvenzverwalter im Rahmen des Insolvenzverfahrens geltend
gemacht wird und sich gegen Behörden richtet, deren Verwaltungshandeln
spezialverwaltungsgerichtlicher Kontrolle unterliegt (so für Klagen gegen
Sozialversicherungsträger OVG Münster, Beschluss vom 28.07.2008 - 8 A 1548/07;
OVG Hamburg, Beschluss vom 16.02.2009 - 5 So 31/09; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil
vom 12.02.2010 - 10 A 1156/09; für Auskunftsklagen gegen Finanzbehörden OVG
Münster, Beschluss vom 26.08.2009 - 8 E 1044/09; a.A. insoweit FG für das Saarland,
Urteil vom 17.12.2009 - 1 K 1598/08; siehe auch Senat, Beschluss vom 14.05.2009 - L
16 B 77/08 KR). Der Bg hat nämlich mit dem in Frage stehenden Antrag - auch - ein ihm
als Insolvenzverwalter zustehendes Akteneinsichtsrecht (§ 25 Abs. 1 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB X)) geltend gemacht. Er hat mit dem Antrag vom 11.02.2008 um
Auskunft gebeten, "welche Zahlung ihre Kasse auf Sozialversicherungsbeiträge in der
Zeit vom 01. Juli 2005 bis zum 30. September 2005" erhalten habe. Auch wenn diese
allgemeine Formulierung zunächst alle der Bf zugeflossenen
Sozialversicherungsbeiträge einschloss, bezog sich der Antrag ausschließlich auf das
Beitragskonto des Schuldners. Der Bg hatte nämlich nicht nur auf seine Bestellung als
Insolvenzverwalter hingewiesen, sondern vor allem auch einen Ausdruck "des"
Beitragskontos erbeten. Als Insolvenzverwalters ist der Bg nach § 80 Abs. 1 InsO im
Rahmen seines Verwaltungs- und Verfügungsrechts zu allen die Insolvenzmasse
betreffenden Maßnahmen berechtigt, die sich auf den Insolvenzzweck beziehen
(Braun/Kroth, InsO, 4. Aufl., § 80 RdNr. 25). Diese Befugnis schließt, jedenfalls soweit
es zur ordnungsgemäßen Verwaltung der Masse erforderlich ist, grundsätzlich das
Recht ein, in die den Schuldner betreffenden Verwaltungsunterlagen der Bf Einsicht zu
nehmen. Zwar war zum Zeitpunkt des Antrags kein Verwaltungsverfahren anhängig,
innerhalb dessen das Akteneinsichtsrecht besteht. Nach herrschender Meinung kommt
jedoch auch in der Zeit vor oder auch nach einem Verwaltungsverfahren ein
Akteneinsichtsrecht in Betracht, über das die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen
zu entscheiden hat (vgl. BVerwGE 67, 300, 304 f; 119, 11, 13; Kasseler
Kommentar/Krasney, § 25 SGB X RdNr. 4; KSW/Fichte, § 25 SGB X RdNr. 15; Lange in:
LPK - SGB X § 25 RdNr. 4; siehe auch LSG NRW, Beschluss vom 10.08.2006 - L 20 B
52/06 SO). Der Bg hat zwar in seinem Antrag als Rechtsgrundlage für sein
Auskunftsbegehren § 1 IFG genannt. Dies bedeutet aber nicht, dass er damit einen
allein auf dieses Gesetz gestützten Auskunftsanspruch erheben wollte. In dem Antrag
hat er zugleich auch die sein - mögliches - Akteneinsichtsrecht begründenden
Umstände - Status als Insolvenzverwalter, Einsicht in die vom Schuldner geleisteten
Zahlungen - mitgeteilt. Bei interessengerechter Auslegung seines Antrages musste die
Beklagte somit auch ein Akteneinsichtsrecht entsprechend § 25 Abs. 1 SGB X in
Betracht ziehen. Der Umstand, dass der Bg nunmehr im Beschwerdeverfahren seinen
Auskunftsanspruch ausdrücklich auch auf §§ 25, 83 SGB X stützt, zeigt, dass er mit
seinem Antrag keinesfalls einen auf § 1 IFG beschränkten Auskunftsanspruch geltend
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machen, sondern sein - behauptetes - Recht auf Einsicht in die Beitragsunterlagen des
Schuldners umfassend verfolgen wollte.
Für Anträge auf Akteneinsicht entsprechend § 25 Abs. 1 SGB X ist nach § 51 Abs. 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Zuständigkeit der SGe gegeben. Dabei kann
dahinstehen, ob, soweit eine Krankenkasse als Einzugsstelle (§ 28h Abs. 1 Satz 1
Viertes Buch Sozialgesetzbuch) tätig wird, eine krankenversicherungsrechtliche
Streitigkeit im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG gegeben ist, da in jedem Fall die
Auffangregelung der Nr. 5 a.a.O. eingreift (vgl. auch Keller in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 51 RdNr. 30). Somit ist für die erhobene Klage
auf Auskunft über das Beitragskonto des Schuldners der Sozialrechtsweg eröffnet; im
Rahmen dieser Klage ist ggf. auch zu prüfen, ob sich das geltend gemachte
Auskunftsrecht (auch) aus § 1 IFG ergibt.
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Die Kostenentscheidung (zu der Notwendigkeit BSG SozR 4-1720 § 17a Nr. 3) beruht
auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der Bg hat zwar entsprechend der
Rechtsmittelbelehrung Klage zum Sozialgericht erhoben, zugleich aber die Auffassung
vertreten, dass die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte gegeben sei. An dieser
Auffassung hat er auch im Beschwerdeverfahren festgehalten, so dass er als
Unterliegender die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen hat. Gerichtskosten
fallen nicht an, da keine der Gebührenziffern eingreift (s. insb. Kostenverzeichnis Nr.
7504, Anlage 1 zum GKG).
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Da keine wertabhängigen Gerichtsgebühren anfallen, ist kein Streitwert nach § 63 GKG
festzusetzen (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 40. Aufl., § 63 GKG RdNr. 16).
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Rechtsmittelbelehrung: Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde zum
Bundessozialgericht nicht anfechtbar (§ 17a Abs. 4 Satz 4 GVG). Die Voraussetzungen
für die Zulassung der Beschwerde liegen nicht vor.
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