Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 09.04.2010

LSG NRW (anspruch auf rechtliches gehör, rechtliches gehör, stellungnahme, neues vorbringen, klinik, begründung, sgg, antrag, zpo, gutachten)

Landessozialgericht NRW, L 6 SB 73/10 B ER RG
Datum:
09.04.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 6 SB 73/10 B ER RG
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 43 SB 261/09 ER
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellung der Antragstellerin gegen
den Beschluss des Senats vom 08.02.2010 werden zurückgewiesen.
Der Antrag, den Sachverständigen Dr. I wegen Besorgnis der
Befangenheit abzulehnen, wird abgelehnt. Kosten haben die Beteiligten
einander nicht zu erstatten.
Gründe:
1
I.
2
Die Antragstellerin wendet sich gegen den Beschluss des Senats vom 08.02.2010, mit
dem ihre Beschwerde gegen die Ablehnung der Gewährung des Merkzeichens "aG"
(außergewöhnlich gehbehindert) im Eilverfahren zurückgewiesen worden ist.
3
Mit Bescheid vom 10.03.2003 stellte das Versorgungsamt E bei der Antragstellerin
wegen der Funktionsbeeinträchtigungen
4
1. Verschleiß der Kniegelenke, Kniegelenksersatz rechts, Fußfehlform, Schwellneigung
der Beine (Grad der Behinderung - GdB - 50) 2. Wirbelsäulenverschleiß,
Schulterarmbeschwerden, Daumengrundgelenksverschleiß (GdB 20) 3. Bluthochdruck
mit Herzschädigung, Herzklappenfehler (GdB 20) 4. Speiseröhrenentzündung (GdB 20)
5
einen Grad der Behinderung von 70 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen
Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "G" (erheblich gehbehindert) fest.
6
Auf einen Verschlimmerungsantrag der Antragstellerin vom 30.05.2008, mit dem diese
auch die Nachteilsausgleiche "aG" (außergewöhnlich gehbehindert), "B"
(Notwendigkeit ständiger Begleitung) und "RF" (Befreiung von der Rundfunk- und
Fernsehgebührenpflicht) begehrte, erhöhte das Versorgungsamt E den GdB nach
Auswertung einer Vielzahl medizinischer Berichte mit Bescheid vom 03.07.2008 auf 80.
Dabei ging es von den Funktionsbeeinträchtigungen
7
1. Verschleiß der Kniegelenke, Kniegelenksersatz rechts, Fußfehlform, Schwellneigung
der Beine, Lymphödeme (GdB 50) 2. Wirbelsäulenverschleiß, Schulter-
Armbeschwerden, Daumengrundgelenksver schleiß, Polyarthrose der Hände (GdB 30)
3. Harninkontinenz (GdB 20) 4. Schlafapnoe-Syndrom (GdB 20) 5.
Speiseröhrenentzündung (GdB 20) 6. Bluthochdruck mit Herzschädigung,
Herzklappenfehler (GdB 20)
8
aus. Die Voraussetzungen für die beantragten Merkzeichen lägen nicht vor. Den
Widerspruch der Antragstellerin vom 25.07.2008 wies die Bezirksregierung Münster mit
Widerspruchsbescheid vom 29.10.2008 zurück. Hiergegen hat die Antragstellerin am
28.11.2008 Klage beim Sozialgericht Dortmund (SG) erhoben (Az. S 43 SB 253/08) und
ihr Begehren weiter verfolgt.
9
Am 12.06.2009 hat die Antragstellerin den Erlass einer Einstweiligen Anordnung
beantragt und die Ausstellung eines Ausweises mit dem Merkzeichen "aG" bis zur
Entscheidung in der Hauptsache begehrt. Sie hat geltend gemacht, dass sie dem in Nr.
11 der zu § 46 Straßenverkehrsordnung erlassenen Verwaltungsvorschrift genannten
Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten gleichzustellen sei. Um den Erfolg
einer kürzlich durchgeführten Operation am rechten Knie zu sichern, sei sie auf eine
Vielzahl von Behandlungen angewiesen, zu denen sie nur per Taxi oder Mietwagen
gelangen könne. Die Krankenkasse übernehme die Fahrkosten zu diesen
Behandlungen nur dann, wenn bei ihr das Merkzeichen "aG" festgestellt sei. Da sie
lediglich eine Rente beziehe, seien die wirtschaftlichen Auswirkungen für sie erheblich.
10
Das SG hat im Hauptsacheverfahren nach Einholung verschiedener Befundberichte ein
orthopädisches Gutachten bei dem Sachverständigen Dr. I in Auftrag gegeben.
11
Den Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das SG mit
Beschluss vom 12.08.2009 abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es
sowohl an einem Anordnungsanspruch als auch an einem Anordnungsgrund fehle. Die
Voraussetzungen für die Gewährung des Nachteilsausgleichs "aG" lägen nach den
bisherigen Erkenntnissen nicht vor. Die Antragstellerin zähle nach den aktenkundigen
Befunden nicht zu dem in § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes i.V.m. der
allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 46 der Straßenverkehrsordnung genannten
Personenkreis der schwerbehinderten Menschen, die sich wegen der Schwere ihres
Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres
Kraftfahrzeugs bewegen könnten. Diesem Personenkreis sei sie auch nicht
vergleichbar. Unter Berücksichtigung der Berichte und Bescheinigungen ihrer
behandelnden Ärzte sei es nicht hinreichend wahrscheinlich, dass sich die
Antragstellerin nur noch mit fremder Hilfe oder nur noch mit großer Anstrengung
praktisch von den ersten Schritten an außerhalb des Kraftfahrzeugs fortbewegen könne.
Ausweislich des Entlassungsberichts der X-Klinik vom 25.06.2009 sei sie nach erfolgter
Mobilisierung an zwei Unterarmgehstützen unter Vollbelastung in der Lage, eine
Gehstrecke von 300 bis 400 m problemlos zurückzulegen. Eine erheblich schwerere
Einschränkung lasse sich aus den Berichten ihrer derzeit behandelnden Ärzte nicht
ablesen.
12
Darüber hinaus fehle es an einem Anordnungsgrund, d.h. einer besonderen
Eilbedürftigkeit der Angelegenheit. Es sei nicht zu erkennen, dass der Antragstellerin
schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, wenn die gewünschte
13
Regelungsanordnung nicht erlassen würde. Zum einen sei der von ihr geltend
gemachte erhöhte Therapiebedarf nach Entlassung aus der X-Klinik nicht belegt und im
Entlassungsbericht auch nicht genannt. Die von der Antragstellerin konkret genannten
Arztbesuche fänden zum Teil nur unregelmäßig statt, zum Teil könne sie die
Fahrtkosten durch Aufsuchen eines ortsnäheren Orthopäden reduzieren. Daneben sei
das Bestehen eines Anordnungsgrundes auch deshalb nicht ersichtlich, weil die
Antragstellerin nicht zwingend auf die Eintragung des Merkzeichens "aG" in ihren
Schwerbehindertenausweis angewiesen sei, um die Übernahme notwendiger
Fahrtkosten durch die Krankenkasse zu erreichen. Aus § 8 Abs. 3 S. 2 der Richtlinien
des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenfahrten,
Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 12 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Krankentransport-Richtlinien) ergebe sich, dass
auch Fahrten zur ambulanten Behandlung bei Versicherten genehmigt werden könnten,
bei denen kein "aG" eingetragen sei, die aber nach ärztlicher Verordnung in ihrer
Mobilität vergleichbar betroffen seien und einer ambulanten Behandlung über einen
längeren Zeitraum bedürften. Es bleibe der Antragstellerin somit unbenommen, ihrer
Krankenkasse eine Verordnung nach § 8 Abs. 3 S. 2 der Krankentransport-Richtlinien
vorzulegen.
Gegen den Beschluss des Sozialgerichts hat die Antragstellerin am 15.09.2009
Beschwerde eingelegt. Durch die vorliegenden Arztberichte und -bescheinigungen sei
belegt, dass bei ihr seit mehr als 10 Jahren eine schwere Kniegelenksschädigung
linksseitig in Form einer Arthrose bestand und noch bestehe. Bereits im Hinblick darauf
könne - als Beweis des ersten Anscheins - davon ausgegangen werden, dass ihr
Gehvermögen ganz erheblich durch Schmerzen bei jedem Schritt eingeschränkt sei.
Dieser Beweis werde durch den Bericht der X-Klinik vom 25.06.2009 nicht erschüttert.
Die dortige Behauptung, die Antragstellerin könne eine Gehstrecke von 300 bis 400 m
zurücklegen, sei mit der Wirklichkeit nicht in Einklang zu bringen und werde auch im
Entlassungsbericht nicht durch belastbare Fakten getragen. Die Aussage der X-Klinik
halte sie für strafbar und habe deshalb Strafanzeige erstattet. Im Übrigen habe das
Sozialgericht die weiteren ärztlichen Bescheinigungen im Verfahren nicht ausreichend
bzw. fehlerhaft berücksichtigt. Zumindest hätte sich das Sozialgericht zu weiteren
Ermittlungen gedrängt fühlen müssen. Auch ein Anordnungsgrund liege vor. Zwar
ergebe sich der erhöhte Therapiebedarf der Klägerin nicht aus dem Entlassungsbericht
der X-Klinik, hätte jedoch den weiteren Verfahrensunterlagen und Einlassungen
entnommen werden können. Die Behandlungen seien nicht lediglich "gelegentlich",
sondern regelmäßig erfolgt. Im Übrigen habe sie bereits den vom Sozialgericht
angesonnenen Weg beschritten und sich gegenüber der Krankenkasse auf § 8 Abs. 3 S.
2 der Krankentransport-Richtlinien berufen. Die Krankenkasse habe eine Übernahme
der Kosten jedoch abgelehnt und sie auf Hausbesuche der behandelnden Ärzte
verwiesen. Diesbezüglich seien zwei Widerspruchsverfahren anhängig.
14
Der Senat hat eine gutachterliche Stellungnahme des vom SG im Hauptsacheverfahren
beauftragten Sachverständigen Dr. I vom 15.12.2009 eingeholt, die dieser aufgrund
einer Untersuchung der Antragstellerin vom 11.11.2009 erstellt hat. Dr. I ist zu dem
Ergebnis gelangt, dass die Antragstellerin eine Wegstrecke von 100 Metern ohne Pause
und nach einer Pause eine weitere Gehstrecke von 50 Metern, dies auch mehrfach,
zurücklegen könne.
15
Mit Beschluss vom 08.02.2010 hat der Senat die Beschwerde der Antragstellerin gegen
den Beschluss des SG Dortmund zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für den Erlass
16
einer einstweiligen Anordnung lägen nicht vor. Es fehle (jedenfalls) an einem
Anordnungsanspruch. Die aus den aktenkundigen medizinischen Befunden abgeleitete
Annahme des SG, dass die Antragstellerin die Voraussetzungen des Merkzeichens
"aG" nicht erfülle, sei durch die im Beschwerdeverfahren durchgeführte
Beweisaufnahme bestätigt worden. Der Sachverständige Dr. I habe nach Untersuchung
und Beobachtung des Gangbildes der Antragstellerin ausgeführt, dass ihr Gehvermögen
zwar sehr stark beeinträchtigt sei, jedoch (noch) nicht in einer derartigen Weise, dass es
ihr bereits vom ersten Schritt außerhalb des Kraftfahrzeugs nur noch mit fremder Hilfe
oder nur noch mit großer Anstrengung möglich sei, sich fortzubewegen.
Gegen den ihr am 20.02.2010 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am
08.03.2010 Anhörungsrüge und Gegenvorstellung erhoben sowie den
Sachverständigen Dr. I wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
17
Die Anhörungsrüge sei begründet, weil der Senat ihr vor Erlass der Entscheidung nicht
in gehöriger Weise Gelegenheit gegeben habe, sich zu der gutachterlichen
Stellungnahme des Dr. I zu äußern. Diese Stellungnahme sei ihr lediglich formlos
anstatt mit qualifiziertem Zugangsnachweis übersandt worden und habe auch keine
Frist zur Stellungnahme, sondern lediglich den Hinweis zur Kenntnisnahme enthalten
sowie die Aufforderung, die Beschwerde zurückzunehmen, da sie keine Aussicht auf
Erfolg habe. Dadurch sei ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden. Diese
Verletzung sei entscheidungserheblich, denn der angegriffene Beschluss könne darauf
beruhen. Wäre ihr in gehöriger Weise die Möglichkeit zur Äußerung gewährt worden,
hätte sie Einwendungen gegen das Gutachten vorgebracht, die das Gericht zu weiterer
Sachaufklärung veranlasst hätten, denn das Gutachten sei unbrauchbar. Die vom
Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen fußten auf einer mangelhaften,
unvollständigen Tatsachengrundlage. Im Übrigen verletze der Beschluss des Senats
ihren Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch, dass er wesentliches Vorbringen,
insbesondere ihre Kritik am Gutachten der X-Klinik, ersichtlich nicht erwogen habe.
Gleiches gelte für ihre Ausführungen zum Beweis des ersten Anscheins. Hätte das
Gericht das Gutachten der X-Klinik unberücksichtigt gelassen und hingegen nicht nur
ihre orthopädischen, sondern auch ihre inneren Erkrankungen berücksichtigt, sei nicht
auszuschließen, dass es zu einem für sie günstigeren Ergebnis gelangt wäre.
18
Die zulässige Gegenvorstellung sei begründet, weil die vom Senat dem angegriffenen
Beschluss beigegebenen Begründung nicht zureichend sei und damit das sich aus Art.
3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz ergebende Willkürverbot verletze. Sie habe
mit ihrer Beschwerdebegründung als neues Vorbringen gerügt, dass und warum das SG
im Rahmen seiner Beweiswürdigung das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht
ausreichend und umfassend berücksichtigt habe. Hierauf gehe der Beschluss des
Senats in seiner Begründung nicht ein, sondern stütze sich ohne Nennung von Gründen
auf die Begründung des SG und gleichzeitig die Stellungnahme des Dr. I. Dieser aber
habe der maßgeblichen Begründung des SG ausdrücklich widersprochen, was den
Schluss nahe lege, dass die (fehlende) Begründung auf sachfremden Erwägungen
beruhe und somit willkürlich sei.
19
Schließlich sei der Sachverständige Dr. I als befangen abzulehnen, weil er durch völlig
willkürliche Schätzung der Gehfähigkeit anhand des Gangbildes den Boden
wissenschaftlicher Tatsachenermittlung verlassen und auch die aktenkundigen
Herzbeschwerden nicht berücksichtigt habe. Dies gebe Anlass, an seiner Objektivität
und Unvoreingenommenheit zu zweifeln. Die Frist zur Ablehnung des
20
Sachverständigen gem. § 406 Abs. 2 S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) sei auch noch
nicht abgelaufen, da dessen Ernennung nicht zugestellt worden sei, die Frist also nicht
zu laufen begonnen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, insbesondere des Vorbringens der
Antragstellerin im Einzelnen, wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen. Dieser ist
Gegenstand der Beratung gewesen.
21
II.
22
Die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellung sind zulässig, jedoch nicht begründet.
Das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen Dr. I ist unzulässig.
23
Die gemäß § 178a Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig erhobene Anhörungsrüge ist
unbegründet. Nach dieser Vorschrift ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche
Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein
Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung nicht gegeben
ist und das Gericht den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in
entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundeverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundessozialgerichts (BSG) soll der
Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 des Grundgesetzes, §§ 62, 128 Abs. 2 SGG)
verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf
Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich
nicht äußern konnten, und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht in seine
Erwägungen einbezogen wird (BSG, Beschluss vom 08.11.2006, B 2 U 5/06 C, in SozR
4-1500 § 178 a Nr. 6 m.w.N.). Das Gebot des rechtlichen Gehörs erfordert lediglich, die
Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidung in
Erwägung zu ziehen. Hingegen wird hierdurch weder die Richtigkeit der
Tatsachenermittlung durch das Gericht noch die Zugrundelegung der Rechtsansicht
eines Beteiligten garantiert (LSG NRW, Beschluss vom 27.08.2009, L 6 B 90/09 AS ER
RG). In Anwendung dieser Grundsätze ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der
Antragstellerin nicht erkennbar. Die Stellungnahme des Dr. I ist der Antragstellerin mit
gerichtlichem Schreiben vom 28.12.2009, gefertigt am 29.12.2009 und nach ihrer
Erklärung mit Poststempel vom 05.01.2010 versehen, übersendet worden. Mit weiterem
gerichtlichem Schreiben vom 11. Januar 2010 wurde die Antragstellerin an die
Beantwortung der Anfrage erinnert. Ihr stand bis zur Beschlussfassung des Senats am
08.02.2010 etwa ein Monat - und somit eine in einem Eilverfahren überdurchschnittlich
lange Zeitspanne - zur Verfügung, um Kritik an der Stellungnahme von Dr. I in das
Verfahren einzubringen. Einer förmlichen Zustellung der vom Gericht eingeholten
Beweise bedarf es zur Gewährung rechtlichen Gehörs entgegen der Auffassung der
Antragstellerin nicht. Im Übrigen konnte sie durch die Entscheidung vom 08.02.2010
auch bereits deshalb nicht überrascht werden, weil sie bereits mit Übersendung der
Stellungnahme des Dr. I ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass die
Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg habe.
24
Soweit die Antragstellerin geltend macht, der Senat habe wesentliches Vorbringen,
insbesondere ihre Kritik am Gutachten der X-Klinik und den von ihr für einschlägig
gehaltenen Beweis des ersten Anscheins ersichtlich nicht erwogen, ist dies
offensichtlich unzutreffend. Schon grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das
Gericht einen entgegengenommenen Vortrag in seine Erwägungen einbezieht (Meyer-
Ladewig, a.a.O., Rn 7 m.w.N.). Dies gilt um so mehr wenn der Senat das
25
Beschwerdevorbringen in den genannten Punkten - wie hier - ausdrücklich im
Tatbestand der Entscheidung wiedergibt. Eine Auseinandersetzung mit allen
vorgetragenen Ausführungen in den Entscheidungsgründen ist nicht erforderlich (Meyer-
Ladewig, a.a.O.; BVerfG, Beschluss vom 07.10.1996, 1 BvR 520/95 = NJW 1997, 122).
Die zulässige Gegenvorstellung der Antragstellerin, die auch nach Einführung der
Anhörungsrüge durch Einfügung des § 178a in das SGG zum 01.01.2005 weiterhin
zulässig ist (BSG, Urteil vom 28.07.2005, B 13 RJ 178/05 B in SozR 4-1500 § 178a Nr.
3) ist ebenfalls unbegründet. Eine Gegenvorstellung hat Erfolg, wenn die getroffene
Entscheidung in offensichtlichem Widerspruch zum Gesetz steht und insbesondere
unter Verletzung von Grundrechten ergangen ist, so dass sie im Wege der
Verfassungsbeschwerde angegriffen werden könnte, oder wenn die Entscheidung zu
einem groben prozessualen oder sozialen Unrecht führen würde (vgl. BSG, Beschluss
vom 28.07.2005, B 13 RJ 178/05 B, a.a.O.; Beschluss vom 10.03.1998, B 8 KN 4/98 B
m.w.N. in SozR 3-1500 § 160 a Nr. 24). Soweit die Antragstellerin meint, die
Begründung des angefochtenen Beschlusses vom 08.02.2010 sei nicht zureichend, weil
sie - insbesondere mangels Auseinandersetzung mit ihrem (Beschwerde-)Vorbringen -
auf sachfremden Erwägungen beruhe, wendet sie sich im Kern allein gegen die
materielle (inhaltliche) Richtigkeit der Entscheidung des Senats. Die Gegenvorstellung
eröffnet jedoch - wie die Anhörungsrüge - keine weitergehende inhaltliche
Auseinandersetzung mit einem ansonsten unanfechtbaren Beschluss. Sie dient nicht
der Fortführung des Verfahrens, sondern allein der Überprüfung, ob die Entscheidung
unter Verstoß gegen Verfassungsrecht zustande gekommen ist. Dies ist hier nicht der
Fall. Ein grobes prozessuales oder soziales Unrecht oder eine Grundrechtsverletzung
sind nicht belegt. Eine gerichtliche Entscheidung ist nicht bereits deshalb als willkürlich
anzusehen, weil ein Beteiligter die Auffassung vertritt, die der Entscheidung beigefügte
Begründung sei nicht ausreichend.
26
Der gegen den Sachverständigen Dr. I gerichtete Befangenheitsantrag ist unzulässig.
27
Ein Sachverständiger kann als Richtergehilfe gemäß § 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §
406 Abs. 1 S. 1 ZPO und § 60 Abs. 3 SGG abgelehnt werden. Der Antrag ist nach § 406
Abs. 2 ZPO spätestens binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des
Beschlusses über die Ernennung des Sachverständigen zu stellen. Nach diesem
Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass der
Ablehnungsgrund unverschuldet nicht früher geltend gemacht werden konnte (§ 406
Abs. 2 S. 2 ZPO). Der Antrag muss dann jedoch unverzüglich nach Kenntnis des
Ablehnungsgrundes gestellt werden. Hier hat die Antragstellerin auf die ihr Anfang
Januar zugesandte Stellungnahme des Sachverständigen Dr. I trotz Erinnerung nicht
reagiert und Ablehnungsgründe erst nach Zustellung der Entscheidung des Senats am
08. März genannt. Ob der Antrag der Antragstellerin in einem von ihr angestrengten
Eilverfahren spätestens binnen weniger Tage nach Erhalt der Stellungnahme des Dr. I
hätte gestellt werden müssen, kann hier dahinstehen. Jedenfalls widerspricht ihr
Abwarten über zwei Monate klar dem Zweck der Vorschrift des § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO,
das Verfahren zu beschleunigen und ist damit deutlich verspätet. Dies gilt um so mehr
als davon ausgegangen werden kann und muss, dass der Antragstellerin in
besonderem Maß an einer zügigen Bearbeitung des Verfahrens gelegen ist, wenn sie
einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei Gericht verfolgt. Das
Beschleunigungsgebot des § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO setzt entgegen der Auffassung der
Antragstellerin keine förmliche Zustellung des Gutachtens voraus.
28
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
29
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§§ 178a Abs. 4 S. 3, 177 SGG).
30