Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 19.12.2007

LSG NRW: arbeitslosigkeit, zeitliche wirkung, unterbrechung, auszahlung, zwischenbeschäftigung, meldung, beendigung, erfüllung, verfügung, leistungsanspruch

Landessozialgericht NRW, L 1 AL 10/07
Datum:
19.12.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 1 AL 10/07
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 33 AL 88/06
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts
Duisburg vom 12.01.2007 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die
erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im
Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist die Geltendmachung eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit
vom 01.01.2006 bis 30.06.2006.
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Der 1946 geborene Kläger war bis zum 30.09.2000 als Personalleiter und anschließend
als Personalberater in Teilzeit tätig. Auf seinen Antrag vom 22.03.2001 bewilligte die
Beklagte ihm mit Bescheid vom 06.04.2001 bei einer Gesamtanspruchsdauer von 780
Tagen Alg für den 01.04.2001. In der Zeit vom 02.04.2001 bis zum 31.01.2005 übte der
Kläger eine freiberufliche Tätigkeit als Personalberater aus.
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Auf seine erneute Arbeitslosmeldung am 27.01.2005 bewilligte die Beklagte ab
01.02.2005 Alg für die Dauer von 779 Tagen. Am 24.11.2005 zeigte der Kläger
telefonisch eine Arbeitsaufnahme als freiberuflicher Personalberater für die Zeit vom
01.12. - 31.12.2005 bei der Beklagten an. Ausweislich des BewA-Vermerkes wurde dem
Kläger mitgeteilt, dass eine erneute Arbeitslosmeldung bei einer Arbeitsaufnahme unter
6 Wochen nicht erforderlich sei und die Weiterzahlung des Alg ab 01.01.2006 erfolge.
Unter dem 02.01.2006 bestätigte der Kläger telefonisch die Arbeitslosigkeit ab
01.01.2006 und machte die Auszahlung des Alg geltend.
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Mit Bescheid vom 01.02.2006 lehnte die Beklagte die Gewährung von Alg ab. Zur
Begründung führte sie aus, der mit dem Antrag vom 01.04.2001 erworbene Anspruch
auf Alg könne nicht mehr geltend gemacht werden, da nach seiner Entstehung bereits
vier Jahre verstrichen seien. Der Kläger erhob hiergegen am 23.01.2006 unter Hinweis
auf die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.10.2004 - B 11 AL 23/04 R - und
vom 25.05.2005 - B 11a/11 AL 61/04 R - Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheid vom
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03.04.2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte zur
Begründung aus, der Anspruch könne nach § 147 Abs. 2 des Dritten Buches des
Sozialgesetzbuches -Arbeitsförderung - (SGB III) nicht mehr geltend gemacht werden.
Der Rechtsprechung des BSG in dessen Urteil vom 25.05.2005 könne in Fällen der
vorliegenden Art bei Entfallen der Beschäftigungslosigkeit nicht gefolgt werden.
Der Kläger hat hiergegen am 07.04.2006 bei dem Sozialgericht (SG) Duisburg Klage
erhoben und unter Bekräftigung seiner Rechtsauffassung darauf verwiesen, der
Anspruch werde nur für den Zeitraum vom 01.01.2006 bis 30.06.2006 geltend gemacht.
Im Juli 2006 habe er Honorarumsätze gehabt und ab 01.08.2006 einen Antrag auf
Altersrente für Schwerbehinderte gestellt.
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Durch Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 12.01.2007 hat das SG die Beklagte
antragsgemäß verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.01.2006 bis
30.06.2006 zu gewähren. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
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Gegen das ihr am 30.01.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26.02.2007
Berufung eingelegt und ihre Auffassung bekräftigt, wonach das Urteil des BSG vom
25.05.2005 auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar sei. Zum einen habe der
mögliche "Brückentatbestand" der Unterbrechung der Arbeitslosigkeit nicht bereits am
Ende der Vier-Jahresfrist vorgelegen, sondern erst acht Monate nach deren Ablauf. Der
Begriff "Geltendmachung" in § 147 Abs. 2 SGB III könne überdies nur so verstanden
werden, dass ein Anspruch auf Alg wieder erhoben werde. Im Falle des Ruhens
bestehe der Anspruch durchgehend weiter, komme lediglich nicht zur Auszahlung.
Demgegenüber bestehe der Anspruch bei einer Unterbrechung der Arbeitslosigkeit
nicht. Darüber könne auch das Fortgelten der Arbeitslosmeldung nicht hinweghelfen. Im
Übrigen bestünden zwischen Ruhenstatbeständen und Unterbrechungen der
Arbeitslosigkeit auch erhebliche qualitative Unterschiede, da die Ruhenstatbestände
gesetzlich fixiert seien und eine Kumulation nur in recht engen Grenzen denkbar sei,
wohingegen die Arbeitslosigkeit auf vielerlei Arten gewillkürt unterbrochen werden
könne. Eine derartige Ausdehnung des Anspruchszeitraums stehe letztlich im
Widerspruch zum gesetzgeberischen Willen, die Realisierung des Alg-Anspruchs
zeitlich zu begrenzen.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgericht Duisburg vom 12.01.2007 zu ändern und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger, der dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf den Inhalt der Gerichtsakten und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der
Beklagten.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das SG hat zu Recht
entschieden, dass der Kläger für die Zeit vom 01.01.2006 bis 30.06.2006 Anspruch auf
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Alg hat.
Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, hat der Kläger einen Anspruch auf Alg gem. §
118 Abs. 1 SGB III, denn die Voraussetzungen dieser Vorschrift (Arbeitslosigkeit,
Arbeitslosmeldung und Erfüllung der Anwartschaftzeit) sind ab dem 01.01.2006 für die
Dauer von 479 Tagen und damit bis zum 30.06.2006 erfüllt.
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Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Restanspruch des Klägers auf Alg auch
nicht nach § 147 Abs. 2 SGB III erloschen. Der Senat verweist zur Vermeidung von
Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die zutreffenden
Ausführungen des Sozialgerichts.
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Auch das Berufungsvorbringen der Beklagten bietet keine Veranlassung, von dieser
Auffassung abzuweichen. Der Senat teilt insbesondere nicht die Ansicht, wonach die
Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 25.05.2005 - B 11a/11 AL 61/04 R -; BSGE
95, 1ff) auf Fälle der vorliegenden Art nicht übertragbar sei.
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Der Beklagten kann nicht darin gefolgt werden, dass im vorliegenden Fall - entgegen
der Situation bei einem Ruhen des Anspruchs etwa durch eine Reha-Maßnahme - ein
erneutes Geltendmachen des Alg-Anspruchs nach § 147 Abs. 2 SGB III erforderlich
gewesen wäre. Nach § 122 Abs. 2 SGB III wirkte die Arbeitslosmeldung der Klägers
vom 27.01.2005 trotz der Unterbrechung der Arbeitslosigkeit durch die vorübergehende
selbständige Tätigkeit des Klägers im Dezember 2006 fort, so dass es keiner erneuten
Arbeitslosmeldung bedurfte (vgl. BSG aaO m. w. N.). Es war daher formal keine erneute
Geltendmachung nach § 147 Abs. 2 SGB III erforderlich, da in einer nach § 122 SGB III
fortwirkenden Arbeitslosmeldung auch ein fortwirkender Alg-Antrag zu sehen ist (vgl.
Henke in Eicher/Schlegel, SGB III, § 147 Rdnr. 70 m.w.N.). Die Neuregelung des § 122
Abs. 2 SGB III hat mithin die zeitliche Wirkung der Arbeitslosmeldung grundlegend
geändert (vgl. BSG aaO.). Die innerhalb der Vier-Jahresfrist erfolgte Arbeitslosmeldung
des Klägers vom 27.01.2005 wirkte also während der den Zeitrahmen von sechs
Wochen nicht überschreitenden Zwischenbeschäftigung weiter. Nach deren
Beendigung bedurfte es keiner erneuten Arbeitslosmeldung und nach § 323 Abs. 1 Satz
2 SGB III auch keines erneuten Leistungsantrages.
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Gegen die Übertragbarkeit der Rechtsprechung des BSG auf den vorliegenden Fall
spricht ebenfalls nicht, dass die Unterbrechung der Arbeitslosigkeit durch die
Zwischenbeschäfti-gung erst acht Monate nach Ende der Vier-Jahresfrist des §§ 147
Abs. 2 SGB III eingetreten ist. Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des BSG
(a.a.O.) an, wonach die Vorschrift des § 147 Abs. 2 SGB III - wie im Übrigen auch bereits
die Vorgängervorschrift des § 125 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) - keine
absolute zeitliche Grenze für das Zustehen eines erworbenen Alg-Anspruchs regelt. Es
wird vielmehr mit dieser Vorschrift nur die Frist bestimmt, innerhalb der spätestens der
Anspruch auf die laufenden Auszahlung des zustehenden Anspruchs geltend zu
machen ist, um dieses Recht nicht zu verlieren. Ist danach aber die Geltendmachung
rechtzeitig erfolgt, steht dem Arbeitslosen die laufende Leistung über das Fristende
hinaus zu, so dass es keinen Unterschied macht, zu welchem Zeitpunkt eine kurzfristige
und damit für das Fortbestehen des Alg-Anspruchs unschädliche Unterbrechung
eingetreten ist.
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Der Kläger hat auch in hinreichend bestimmter Weise erklärt, im angesprochenen
Zeitraum die Anspruchsvoraussetzungen der Beschäftigungssuche nicht zu erfüllen und
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danach wieder Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung zu stehen.
Mit Wiedereintritt der Verfügbarkeit nach Beendigung der vorübergehenden
selbständigen Tätigkeit am 01.01.2006 erfüllte der Kläger damit sämtliche
Voraussetzungen für den geltend gemachten Leistungsanspruch. Die materiell-
rechtliche Wirkung der Arbeitslosmeldung wäre erst dann beseitigt worden, wenn - was
vorliegend nicht der Fall ist - die Unterbrechung über 6 Wochen angedauert hätte. Dabei
ist - worauf das BSG (a.a.O.) ausdrücklich hingewiesen hat - der Grund für die
Unterbrechung unerheblich, so dass auch bei einer Unterbrechung des
Leistungsbezuges aufgrund einer (angezeigten) Zwischenbeschäftigung des Klägers,
der Anspruch fortbestanden hat (vgl. auch Steinmeyer in Gagel, SGB III § 122 Rdnr.
41,42).
Dass der Gesetzgeber alle kurzfristigen Unterbrechungen begünstigen wollte, ergibt
sich zudem aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 13/4941, S. 176). Danach sollte
durch § 122 Abs. 2 SGB III ausdrücklich geregelt werden, "dass die Wirkung einer
persönlichen Meldung nur dann, aber auch immer dann erlischt, wenn die
Arbeitslosigkeit für einen zusammenhängenden Zeitraum von mehr als sechs Wochen
unterbrochen war. Die persönliche Meldung soll innerhalb eines Zeitraums von sechs
Wochen auch dann fort wirken, wenn der Arbeitslose durch Aufnahme einer
Beschäftigung oder durch sonstige Zeiten eines Versicherungspflichtverhältnisses eine
neue Anwartschaftszeit erfüllt hat". Damit kommt es auf die von der Beklagten
hervorgehobenen qualitativen Unterschiede zwischen Ruhenstatbeständen oder
Unterbrechungen der Arbeitslosigkeit nicht an.
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Letztlich überzeugt auch das Argument der Beklagten nicht, wonach durch häufige
gewillkürte Unterbrechungen der Anspruchszeitraum entgegen dem Willen des
Gesetzgebers auf viele Jahre ausgedehnt werden könnte. Abgesehen davon, dass
diese Erwägung im Hinblick auf die begrenzte Dauer des Anspruchs auf Alg eher
theoretischer Natur sein dürfte, hat der Senat keine Veranlassung gesehen, damit eine
vom Gesetz ausdrücklich vorgesehene Rechtsfolge abzulehnen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.
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