Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 17.01.2005

LSG NRW: aufschiebende wirkung, unternehmen, freizügigkeit der arbeitnehmer, verleiher, ungarn, entsendung, europäisches recht, soziale sicherheit, überwiegendes interesse, vollziehung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landessozialgericht NRW, L 2 B 9/03 KR ER
17.01.2005
Landessozialgericht NRW
2. Senat
Beschluss
L 2 B 9/03 KR ER
Sozialgericht Düsseldorf, S 22 RA 157/03 ER
Krankenversicherung
rechtskräftig
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.07.2003 wird zurückgewiesen. Der
Antragsteller trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der
Streitwert wird auf 5.198.994,59 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die Vollstreckung einer
Beitragsnachforderung in Höhe von etwa 5,2 Millionen Euro.
Der Antragsteller ist ungarischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in M. Er wurde im Juli
2002 von der Staatsanwaltschaft L - u.a. - angeklagt, als Verleiher gewerbsmäßig
Ausländer einem Dritten ohne Erlaubnis überlassen zu haben. Er habe ab 1995 in Ungarn
verschiedene Kapitalgesellschaften gegründet oder übernommen, angeblich
unselbständige Zweigniederlassungen dieser Gesellschaften in M angemeldet und alle
wesentlichen Aktivitäten dieser Unternehmen von dort aus als formeller bzw. faktischer
Geschäftsführer bestimmt. Insbesondere habe er mit deutschen Unternehmen aus dem
Bereich der Blech- und Fleischverarbeitung Verträge geschlossen, die als Werkverträge
bezeichnet worden seien, bei denen es sich aber tatsächlich um - unerlaubte -
Arbeitnehmerüberlassung gehandelt habe (Anklageschrift vom 16.07.2002). Während die
als Mittäter angeklagten ungarischen Staatsangehörigen L und I durch Urteil des
Landgerichts Köln vom 11.09.2000 rechtskräftig zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, ist das Verfahren gegen den Antragsteller
weiter rechtshängig. Der Antragsteller wurde aus der zunächst angeordneten
Untersuchungshaft aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit im November 2002 - zunächst
vorläufig - entlassen. Später wurde der Haftbefehl aufgehoben (Beschluss vom
15.04.2003).
Die Antragsgegnerin ist aufgrund dieses Sachverhalts in ein Beitragsprüfungsverfahren
eingetreten (§ 28 p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV)) und hat eine
Beitragsnachforderung - einschließlich Säumniszuschlägen - von knapp 5,2 Millionen Euro
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Beitragsnachforderung - einschließlich Säumniszuschlägen - von knapp 5,2 Millionen Euro
festgestellt. Der Antragsteller habe als verantwortlich Handelnder der Firmen D Kft, Dr. Q N
und Partner Kft, N1 Kft und N2 Kft, alle Q-Straße 00 in M, ungarische Arbeitnehmer
deutschen Unternehmen zur Arbeitsleistung überlassen, ohne im Besitz der dafür nach
dem Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung
(Arbeitnehmerüberlassungsgesetz - AÜG) erforderlichen Erlaubnis zu sein. Als Entgelt
zahlender Verleiher hafte er für die nach deutschem Sozialversicherungsrecht zu
entrichtenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge daher neben dem jeweiligen Entleiher
als Gesamtschuldner (Bescheid vom 09.10.2002). Gegen diesen Bescheid legte der
Antragsteller am 04.11.2002 Widerspruch ein (Widerspruchsschreiben vom 31.10.2002)
und beantragte die Aussetzung der Vollziehung bis zum Abschluss des
Widerspruchsverfahrens. Die Antragsgegnerin lehnte die Aussetzung der Vollziehung ab
(Bescheid vom 03.12.2002).
Der Antragsteller hat beim Sozialgericht (SG) Köln begehrt, im Wege der einstweiligen
Anordnung die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 31.10.2002 gegen den
Beitragsbescheid vom 09.10.2002 herzustellen (Antragsschrift vom 22.05.2003). Er sei
lediglich Geschäftsführer der Firma Dr. N und Partner Kft gewesen. Den übrigen Firmen sei
er bei ihren geschäftlichen Aktivitäten lediglich behilflich gewesen. Der Beitragsbescheid
sei offensichtlich rechtswidrig. Arbeitnehmerüberlassung sei bisher nicht erwiesen.
Außerdem sei eine persönliche Inanspruchnahme des Antragstellers für die vier
ungarischen Firmen ausgeschlossen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung sei
erforderlich, weil das Hauptzollamt in E die Vollstreckung aus dem Bescheid vom
09.10.2002 angekündigt habe. Diese Zwangsvollstreckung treibe ihn in den Ruin.
Die Antragsgegnerin meint, der Antragsteller habe in Deutschland ein Firmenkonsortium
gegründet, die "N-Gruppe", und sei als formeller bzw. faktischer Geschäftsführer aller
Firmen aufgetreten. Bei den mit deutschen Unternehmen geschlossenen Verträgen habe
es sich um Scheinwerkverträge gehandelt, tatsächlich habe unerlaubte
Arbeitnehmerüberlassung vorgelegen. Es handele sich deshalb um inländische
Beschäftigungsverhältnisse, die faktisch nur in Deutschland ausgeübt worden seien.
Deshalb liege auch keine Einstrahlung vor.
Das SG Düsseldorf, an das das SG Köln die Sache zuständigkeitshalber verwiesen hatte,
hat den Antrag abgelehnt. Die Abwägung der Interessen an der Vollziehung des
Bescheides einerseits und an der Herstellung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs andererseits falle im Rahmen der hier gebotenen summarischen Prüfung
zugunsten der sofortigen Vollziehbarkeit aus. Der Beitragsbescheid sei nicht offensichtlich
rechtswidrig. Der Vorwurf der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung stehe weiter im Raum.
Die mitangeklagten L und I seien insoweit rechtskräftig verurteilt worden. Es spreche
Einiges dafür, dass die rechtliche Bewertung des Sachverhalts durch die Antragsgegnerin -
auch soweit diese eine Entsendung verneine - zutreffe. Sei aber der Beitragsbescheid nicht
offensichtlich rechtswidrig, müsse es beim gesetzlichen Regelfall der sofortigen
Vollziehbarkeit verbleiben, da der Antragsteller Tatsachen, die den Schluss auf ein
überwiegendes Interesse an der Herstellung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs begründen könnten, nicht geltend gemacht habe (Beschluss vom
25.07.2003).
Dagegen hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat
(Beschluss vom 25.08.2003).
Während des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin den Widerspruch des
Antragstellers zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 19.09.2003). Dagegen hat der
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Antragsteller am 22.10.2003 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben (Aktenzeichen
(Az) S 22 RA 297/03).
Zur Begründung seiner Beschwerde trägt der Antragsteller vor, das SG habe sich nicht mit
der Frage auseinandergesetzt, aus welchem Rechtsgrund er für die geltend gemachten
Gesamtsozialversicherungsbeiträge hafte. Keiner der eingesetzten Arbeitnehmer habe in
einem Beschäftigungsverhältnis zu ihm gestanden. Auch liege nach dem Gesamtbild der
Verhältnisse keine Arbeitnehmerüberlassung vor. Sogar die Staatsanwaltschaft L habe
angeregt, zur Frage, ob Arbeitnehmerüberlassung vorliege, ein
Sachverständigengutachten einzuholen.
Durch die Einzugsstelle werde zwischenzeitlich die Zwangsvollstreckung aus dem
Bescheid vom 09.10.2002 betrieben. Dieses Vorgehen sei nicht mehr verhältnismäßig. Die
Antragsgegnerin versuche, die Existenz des Antragstellers zu vernichten. Es werde
insoweit die Einrede der Vorausklage gegen die ungarischen Kapitalgesellschaften, mit
denen die Beschäftigungsverhältnisse bestanden, erhoben. Inlandsvermögen des
Antragstellers zur Sicherung der streitigen Beitragsforderung der Antragsgegnerin sei nicht
vorhanden. Soweit das Landgericht Köln aus Anlass des Strafverfahrens zunächst den
Arrest in das Vermögen des Antragstellers sowie der ungarischen Unternehmen
angeordnet habe, habe es sämtliche Arrestbefehle zwischenzeitlich aufgehoben. Damit sei
bewiesen, dass Arbeitnehmerüberlassung nicht nachgewiesen werden konnte. Tatsächlich
werde die Arbeitgebereigenschaft des Antragstellers unterstellt, obwohl sie tatsächlich
nicht gegeben sei. Er sei auch nicht faktischer Arbeitgeber der ungarischen Arbeitnehmer
gewesen, da diese ausschließlich dem Weisungsrecht der ungarischen Firmen unterlegen
hätten. Wenn überhaupt, so hafte der Antragsteller nur subsidiär wie ein Bürge. Das
Vorbringen der Antragsgegnerin, es liege keine Entsendung vor, sei unbeachtlich, da der
Antragsteller hierzu nicht angehört worden sei und der Bescheid vom 09.10.2002 dazu
auch keine Ausführungen erhalte. Der Antragsteller habe persönlich keine Arbeitsverträge
geschlossen. Eine Betriebsstätte im Inland sei lediglich unter steuerrechtlichen
Gesichtspunkten entstanden. Die Antragsgegnerin trage lediglich unbegründete
Scheinargumente vor. Die Werkverträge mit den deutschen Unternehmen seien von den
Mitarbeitern L und I ausgehandelt worden. Nach alldem bestehe keine große
Wahrscheinlichkeit, dass die Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren obsiegen werde.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.07.2003 aufzuheben und die
aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 09.10.2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 19.09.2003 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie meint weiter, der Antragsteller hafte persönlich, weil er faktisch Geschäftsführer einer
Reihe von ungarischen Gesellschaften gewesen sei. Für die von diesen beschäftigten
Arbeitnehmern fehle es an den Entsendevoraussetzungen nach § 5 SGB IV. Die von der
Einzugsstelle zwischenzeitlich eingeleiteten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen
begründeten keine abweichende Beurteilung, sie stellten insbesondere keinen
Anordnungsgrund dar. Etwaige Fehler der Zwangsvollstreckung seien im
Vollstreckungsverfahren geltend zu machen. Das Vorliegen einer illegalen
Arbeitnehmerüberlassung, auf die sie im Bescheid vom 09.10.2002 abgestellt habe, sei nur
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ein Aspekt unter mehreren, der die Beitragspflicht begründe. Die Haftung des Antragstellers
hänge weder davon ab, ob tatsächlich Arbeitnehmerüberlassung vorliege, noch davon, ob
ein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliege. Die Versicherungspflicht beruhe allein
darauf, dass keine Entsendung vorliege, und sich deshalb die Beschäftigungsverhältnisse
nach deutschem Sozialversicherungsrecht beurteilten. Tatsächlich habe es sich um
inländische Arbeitsverhältnisse gehandelt. Der Antragsteller habe zusammen mit L und I
eine selbständige Unternehmung gegründet und einen eigenen Betrieb in Deutschland
errichtet. Eine Entsendung sei nicht bewiesen. Insoweit trage der Antragsteller auch die
Beweislast. Seine persönliche Haftung ergebe sich aus §§ 11 Abs 2 des GmbH-Gesetzes
und § 128 Handelsgesetzbuch (HGB). Liege keine Arbeitnehmerüberlassung vor, habe der
Antragsteller jedenfalls eine eigene Arbeitsorganisation mit Betrieb im Inland geschaffen.
Dann sei aber das deutsche Sozialversicherungsrecht anzuwenden. Soweit der
Antragsteller etwa seine Vollmachten überschritten haben sollte, hafte er nach §§ 166, 179
des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) persönlich. Er sei im Geschäftsverkehr in eigenem
Namen aufgetreten und habe Verträge in eigenem Namen, aber auch für die
verschiedenen ungarischen Gesellschaften geschlossen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug
genommen.
II.
Die Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat, ist zulässig. Insbesondere ist das
Rechtsschutzbedürfnis nicht dadurch entfallen, dass sich der Antrag auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs teilweise durch den Erlass des
Widerspruchsbescheides erledigt hat. Dem hat der Antragsteller Rechnung getragen,
indem er jetzt nur noch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage begehrt.
Darin liegt nur eine Beschränkung seines Begehrens nach § 86 b Abs 1 Nr 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG), mithin keine Antragsänderung im Rechtssinne (vgl § 99 Abs 3
Nr 2 SGG).
Gemäß § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen,
in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die
aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Antrag, die aufschiebende
Wirkung anzuordnen, zielt grundsätzlich darauf ab, diese Entscheidung für die Dauer des
gesamten Verfahrens bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit der angegriffenen
Verwaltungsentscheidung zu erreichen. Das entspricht dem Interesse an effektivem
Rechtsschutz. Dementsprechend war bereits in der Rechtsprechung zur Vorläufer-
Regelung in § 80 Abs 5 VwGO bis zur Schaffung von § 80b VwGO durch das 6. VwGO-
Änderungsgesetz (6. VwGOÄndG vom 01.12.1996, BGBl I 1626) anerkannt, dass die durch
Beschluss angeordnete aufschiebende Wirkung bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des
Verwaltungsakts andauert, wenn das Gericht sie nicht befristet (BVerwGE 78, 192ff, 208 =
DVBl 1988, 289f = NVwZ 1988, 251, 255). Dem stimmte die Literatur zu (vgl. z.B. Kopp,
VwGO, 10. Auflage, § 80 Rdnr 34; Scholle in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §
80 Rdnr 295, Fn 1073; Ruppert, NVwZ 1997, 654ff, 655 Fn 21 und 22, jeweils mwN). An
diese Rechtslage hat der Gesetzgeber mit der Schaffung von § 86b SGG angeknüpft, ohne
die Regelung des § 80 b VwGO zu übernehmen. Damit erfasst der Antrag auf Anordnung
der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs zugleich jenen auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung der (später erhobenen) Klage.
Begründet ist die Beschwerde jedoch nicht. Die Voraussetzungen dafür, die begehrte
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Anordnung zu erlassen, sind nicht erfüllt. Zu entscheiden ist nach pflichtgemäßen
Ermessen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz von der Regel ausgeht, dass bei
der Entscheidung über Beitragspflichten die aufschiebende Wirkung entfällt (§ 86a Abs 2
Nr 1 2. Fall SGG). Nur ausnahmsweise kann nach dem Rechtsgedanken der insoweit
entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 86 a Abs 3 Satz 2 SGG (Meyer-Ladewig.
SGG. Kommentar. 7. Auflage 2002, § 86b Rdnr 12) die aufschiebende Wirkung anzuordnen
sein, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes
bestehen oder wenn die Vollziehung [ ...] eine unbillige, nicht durch überwiegende
öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Dies ist hier, wie das SG im Ergebnis
zutreffend ausgeführt hat, nicht der Fall. Bei der gebotenen lediglich summarischen Prüfung
bestehen weder ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen
Verwaltungsaktes (dazu im Folgenden 1.) noch hätte die Vollziehung für den Antragsteller
eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge
(dazu im Folgenden 2.).
(1) Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung bestehen nur,
wenn aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des
Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Das
entspricht der gesetzlichen Wertung des § 86a Abs 2 SGG, nur im Ausnahmefall davon
abzusehen, Beiträge sofort entrichten zu lassen, um die Erfüllung der Aufgaben zu sichern,
denen die Beiträge zu dienen bestimmt sind. Im Zweifel sind Beiträge zunächst zu
erbringen. Das Risiko, im Ergebnis zu Unrecht in Vorleistung treten zu müssen, trifft nach
dieser Wertung den Zahlungspflichtigen (vgl dementsprechend OVG NW, Beschluss (B.) v.
31.03.2004, Az.: 11 B 116/04; vom 17.03.1994, Az.: 15 B 3022/99, NWVBl 1994, 337f mwN;
VGH B-W, B.v. 27.01.1984, Az.: 14 S 2429/83, DVBl 1984, 345; OVG Rh.-Pf. B. v.
21.05.1992, Az.: 7 B 10444/92 NVwZ-RR 1992, 1426; OVG Hbg., B.v. 23.04.1991, Az.: Bs II
16/91, DVBl 1991, 1325; OVG Saarl., B.v. 30.06.1986, Az.: 2 W 803/86, DÖV 1987, 1115;
Renck NVwZ 1992, 338; Zeihe, Das SGG und seine Anwendung, 7. Auflage, Stand
01.11.2004, § 86a Rdnr. 33; Meyer-Ladewig, aaO, § 86a Rn 27, jeweils mwN, auch zu aA).
Bei summarischer Prüfung ist ein Erfolg des Antragstellers und Klägers im
Hauptsacheverfahren nicht wahrscheinlicher als ein Misserfolg. Nach Lage der Akten
spricht Einiges dafür, dass der Antragsteller für die von der Antragsgegnerin ihm gegenüber
nach § 28p Abs 1 SGB IV geltend gemachte Beitragsforderung als Arbeitsentgelt zahlender
Verleiher im Rahmen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung nach § 28e Abs 2 Sätze 3 und
4 SGB IV persönlich haftet, weil die eingesetzten Arbeitnehmer bei den jeweiligen
Betrieben der Blech- und/oder Fleischverarbeitung auf Grund einer gewerbsmäßigen
Arbeitnehmerüberlassung tätig geworden sind, ohne dass dies erlaubt war.
Der Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer ist nach § 9 Nr. 1 AÜG
unwirksam, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 AÜG erforderliche Erlaubnis zur
gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung hat. Über eine solche Erlaubnis verfügten
weder der Antragsteller noch die Firmen, für die er auftrat.
Es spricht bei summarischer Prüfung auch Einiges dafür, dass es sich in der Sache um
gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung handelt. Nach der ständigen Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichts ist nicht jeder drittbezogene Arbeitseinsatz eine
Arbeitnehmerüberlassung iSd AÜG. Diese ist vielmehr durch eine spezifische
Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Verleiher und Entleiher einerseits (dem
Arbeitnehmerüberlassungsvertrag) und zwischen Verleiher und Arbeitnehmer andererseits
(dem Leiharbeitsvertrag) sowie durch das Fehlen einer arbeitsvertraglichen Beziehung
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zwischen Arbeitnehmer und Entleiher gekennzeichnet (BAGE 87, 186 = AP AÜG § 1 Nr. 24
= EzA AÜG § 1 Nr. 9, zu I 1 der Gründe mwN).
Bei der Arbeitnehmerüberlassung werden dem Entleiher die Arbeitskräfte zur Verfügung
gestellt. Der Entleiher setzt sie nach seinen Vorstellungen und Zielen in seinem Betrieb wie
eigene Arbeitnehmer ein. Die Arbeitskräfte sind voll in den Betrieb des Entleihers
eingegliedert und führen ihre Arbeiten allein nach dessen Weisungen aus. Die
Vertragspflicht des Verleihers gegenüber dem Entleiher endet, wenn er den Arbeitnehmer
ausgewählt und ihn dem Entleiher zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt hat. Von der
Arbeitnehmerüberlassung ist die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten auf Grund
eines Werk- oder Dienstvertrags zu unterscheiden. In diesen Fällen wird der Unternehmer
für einen anderen tätig. Er organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs
notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die
Erfüllung der im Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten
Werks gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich. Die zur Ausführung des Dienst-
oder Werkvertrags eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen der Weisung des Arbeitgebers
und sind dessen Erfüllungsgehilfen. Der Werkbesteller kann jedoch, wie sich aus § 645
Abs 1 Satz 1 BGB ergibt, dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen
Anweisungen für die Ausführung des Werkes erteilen. Solche Dienst- oder Werkverträge
werden vom Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nicht erfasst (ständige Rechtsprechung vgl
BAG BAGE 67, 124 = AP AÜG § 10 Nr. 8 = EzA AÜG § 10 Nr. 3, zu III 1 der Gründe; BAGE
77, 102 = AP AÜG § 1 Nr. 16 = EzA AÜG § 1 Nr. 4, zu IV 2 a der Gründe; BAG AP Nr 6 zu §
9 AÜG).
Über die rechtliche Einordnung eines Vertrags entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht
die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge oder eine Bezeichnung, die dem
Geschäftsinhalt tatsächlich nicht entspricht. Der Geschäftsinhalt kann sich sowohl aus den
ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien als auch aus der praktischen
Ausführung des Vertrags ergeben. Widersprechen sich beide, so ist die tatsächliche
Durchführung des Vertrags maßgebend, weil sich aus der praktischen Handhabung der
Vertragsbeziehungen am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen lassen, von welchen
Rechten und Pflichten die Vertragsparteien ausgegangen sind, was sie also wirklich
gewollt haben. Der so ermittelte wirkliche Wille der Vertragsparteien bestimmt den
Geschäftsinhalt und damit den Vertragstyp (BAGE 67, 124 = AP AÜG § 10 Nr. 8 = EzA
AÜG § 10 Nr. 3, zu II 2 der Gründe mwN). Einzelne Vorgänge der Vertragsabwicklung sind
zur Feststellung eines vom Vertragswortlaut abweichenden Geschäftsinhalts nur geeignet,
wenn es sich dabei nicht um untypische Einzelfälle, sondern um beispielhafte
Erscheinungsformen einer durchgehend geübten Vertragspraxis handelt. Dabei muss
diese abweichende Vertragspraxis den auf Seiten der Vertragspartner zum
Vertragsabschluß berechtigten Personen bekannt gewesen und von ihnen zumindest
geduldet worden sein; denn sonst kann eine solche Vertragsdurchführung nicht als
Ausdruck des wirklichen Geschäftswillens der Vertragspartner angesehen werden (BAG
aaO, zu IV 2 der Gründe; BAG AP Nr 6 zu § 9 AÜG).
Nach dem aufgrund der tatsächlichen Durchführung und der praktischen Handhabung
ermittelten wirklichen Willen der Vertragspartner spricht viel dafür, dass hier (unerlaubte)
Arbeitnehmerüberlassung anzunehmen ist. Der Antragsteller hat mit den Unternehmen der
Fleisch- und/oder Blechverarbeitung selbst oder über L und/oder I Verträge abgeschlossen,
in deren Folge er diesen Unternehmen ungarische Arbeitskräfte zur Verfügung stellte, die
planmäßig in die dortigen Betriebsabläufe integriert wurden und ihre Tätigkeit nach den
Weisungen der jeweiligen Unternehmen verrichteten. Eine maßgebliche Einflussnahme
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des Antragstellers oder seiner Gehilfen L oder I auf die Tätigkeit der ungarischen
Arbeitnehmer in den jeweiligen Unternehmen ist ebenso wenig erkennbar wie eine
fachspezifische Sachkunde oder eine vertragliche Absprache, die ihnen eine derartige
Einflussnahme ermöglicht hätte. Tatsächlich spricht nach dem aktenkundigen, von der
Staatsanwaltschaft L, dem Hauptzollamt B und der Beklagten ermittelte Sachverhalt, der
sich in Auswertung des bei der Durchsuchung am 16.01.2002 beschlagnahmten
Beweismaterials, der Aufzeichnungen über die erfolgte Telefonüberwachung und der
Aussagen der gehörten Zeugen und (Mit)-Beschuldigten ergibt, alles dafür, dass der
Antragsteller mit seinen Helfern L und/oder I geeignete Arbeitnehmer lediglich ausgewählt
und den jeweiligen Vertragspartnern zu Verfügung gestellt haben, und diese im Folgenden
die Arbeit allein nach den Weisungen des entleihenden Unternehmens versehen haben.
Der Sachverhalt deutet auch auf eine persönliche Haftung des Antragstellers als Entgelt
zahlender Verleiher hin.
Auf die Beschäftigungsverhältnisse der in Deutschland auf der Grundlage von Verträgen
mit deutschen Unternehmen aus dem Bereich der Blech- und/oder Fleischverarbeitung zur
Arbeitsleistung eingesetzten ungarischen Arbeitnehmer findet deutsches
Sozialversicherungsrecht Anwendung. Das ergibt sich aus dem in § 3 Nr 1 Viertes Buch
Sozialgesetz (SGB IV) niedergelegten Territorialitätsprinzip, wonach die Vorschriften über
die Versicherungspflicht, soweit sie eine Beschäftigung voraussetzen, für alle Personen
gelten, die im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs beschäftigt sind. Danach streitet
eine Vermutung dafür, dass bei Vollzug von Beschäftigungsverhältnissen im Inland
unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Beschäftigten oder ihrer Arbeitgeber
deutsches Sozialversicherungsrecht gilt, sofern nicht ausnahmsweise die
Voraussetzungen der Einstrahlung nach § 5 SGB IV vorliegen. Gemäß § 5 SGB IV gelten
die deutschen Vorschriften über die Versicherungspflicht nicht für Personen, die im
Rahmen eines außerhalb des Geltungsbereichs des Sozialgesetzbuchs bestehenden
Beschäftigungsverhältnisses in diesen Geltungsbereich entsandt werden, wenn die
Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich
begrenzt ist. Nach Lage der Akten bestehen erhebliche Bedenken, ob dies der Fall ist.
Einstrahlung setzt nämlich voraus, dass während der inländischen Beschäftigung das
ausländische Vertragsverhältnis fortbesteht (BSG SozR 3-4100 § 141 b Nr 9). Davon kann
nur ausgegangen werden bei fortbestehender hinreichender Intensität der tatsächlichen
und rechtlichen Bindung zu dem entsendenden Unternehmen (BSG SozR 3-2400 § 5 Nr 2).
Liegt der Schwerpunkt des Beschäftigungsverhältnisses dagegen im Inland, liegt keine
Einstrahlung vor (BSG aaO). Davon ist auszugehen, wenn die Arbeitsleistung einem
inländischen (Teil-)Betrieb mit eigener Wirtschaftsführung sowie eigener Gewinn- und
Verlustrechnung zugerechnet wird, der das Arbeitsentgelt zahlt und als Betriebsausgabe
absetzt (BSG aaO). So dürfte es hier aber liegen. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob
überhaupt die Grundvoraussetzungen der Entsendung, nämlich ein
Beschäftigungsverhältnis mit Schwerpunkt im Ausland bei zeitweiliger, vorübergehender
Tätigkeit für dieses Unternehmen im Inland vorliegen. Dies setzte etwa voraus, dass die
Beschäftigung aufgrund von Weisungen des ausländischen Arbeitnehmers
schwerpunktmäßig im Ausland erfolgt und im Rahmen der arbeitsvertraglichen Pflichten
lediglich vorübergehend im Inland ausgeübt wird, etwa aufgrund vertraglicher Beziehungen
ausländischen Beschäftigungsunternehmens beim Vertragspartner im Inland. So liegt der
Fall aber hier gerade nicht. Denn alle maßgeblichen Vereinbarungen sind im Inland durch
den Antragsteller - nach seiner Behauptung für ungarische Unternehmen - getroffen
worden. Die ungarischen Gesellschaften haben alle einen Betriebssitz im Inland und
firmieren insoweit unter der Privatanschrift des Antragstellers. Der Antragsteller bzw. die
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genannten ungarischen Firmen haben das Arbeitsentgelt an die beschäftigten
Arbeitnehmer im Inland gezahlt. Die ungarischen Firmen haben auch steuerrechtlich - wie
der Antragsteller selbst einräumt - ihren Betriebssitz im Inland. Es ist nichts Erhebliches
dazu behauptet oder sonst bekannt, dass diese Unternehmen in Ungarn ebenfalls
gleichartige Unternehmenzwecke im Bereich der Blech- und/oder Fleischverarbeitung
verfolgen und die hier tätigen Arbeitnehmer insoweit in Ungarn entsprechend einsetzen.
Anknüpfungspunkt dafür, dass sie etwa schwerpunktmäßig in Ungarn tätig sind und die
hier eingesetzten Arbeitnehmer dort im Wesentlichen beschäftigen, mit der Folge, dass die
Tätigkeit in Deutschland nur als vorübergehende Entsendung zu qualifizieren wäre, finden
sich nicht, vgl dazu Nrn 3.3.1 und 4.1 der Richtlinien zur versicherungsrechtlichen
Beurteilung von Arbeitnehmern bei Ausstrahlung (§ 4 SGB IV) und Einstrahlung (§ 5 SGB
IV) vom 20. November 1997. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass das zentrale
Weisungsrecht, dem die eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen, weiter von einem
ausländischen entsendenden Unternehmen ausgeübt wird. Nach allem was bekannt ist,
wurde es offenbar von den hier ansässigen (Teil-)Betrieben aus vom Antragsteller selbst
ausgeübt.
Etwas anderes ergibt sich weder aus über- noch aus zwischenstaatlichem Recht, § 6 SGB
IV.
EU Recht - etwa die EWG-Verordnung 1408/71 - kommt unmittelbar nicht zur Anwendung,
da Ungarn erst zum 01. Mai 2004 Vollmitglied der Europäischen Union geworden ist (A Art
1 Abs 1, Art 2 Abs 2 des EU-Beitrittsvertrags vom 16.04.2003, EU-Beitrittsvertragsgesetz
vom 18.09.2003, BGBl II, 1408ff), und es sich um in der Vergangenheit abgeschlossene
Sachverhalte handelt. Anhaltspunkte dafür, dass für die beigetretenen Staaten EU-
Vorschriften rückwirkend in Kraft gesetzt werden sollten, enthält der EU- Beitrittsvertrag
nicht (vgl im Gegenteil B Art 2, Art 4, Art 53; Schlussakte II 13. "Erklärung zur Freizügigkeit
der Arbeitnehmer: Ungarn"). Aus Art 37ff des Europaabkommens vom 16.12.1991 zur
Gründung einer Assoziation zwischen den europäischen Gemeinschaften und ihren
Mitgliedsstaaten einerseits und der Republik Ungarn andererseits (Gesetz vom 26.08.1993,
BGBl II 1993, 1473ff) ergibt sich nichts Abweichendes. Dort ist ausschließlich die
Gleichbehandlung der jeweiligen Arbeitnehmer geregelt. Auch das zum 01.05.2000 in Kraft
getretene Gesetz vom 04.10.1999 zum Abkommen vom 02. Mai 1998 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn über Soziale Sicherheit (SVA) mit
Schlussprotokoll und Durchführungsvereinbarung vom gleichen Tage (zum Inkrafttreten vgl
Art 42 des Gesetzes iVm der Bekanntmachung vom 23.03.2000, BGBl II, 644) sieht keine
abweichende Regelung vor, sondern setzt die entsprechenden Begriffe der
"Beschäftigung" bzw. "Entsendung" voraus (vgl Art 6 und 7 SVA, Nr 5f Schlussprotokoll).
Bescheinigungen im Sinne von Art 4 Abs 3 der Durchführungsvereinbarung sind offenbar
nicht ausgestellt worden, so dass zu deren Verbindlichkeit Überlegungen entbehrlich sind.
Auch auf die Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und
der Ungarischen Volksrepublik über die Entsendung ungarischer Arbeitnehmer aus in der
Ungarischen Volksrepublik ansässigen Unternehmen zur Beschäftigung auf der Grundlage
von Werkverträgen vom 03.01.1989 (BGBl II, 245), zuletzt geändert durch Vereinbarung
vom 17.12.1997/ 08.04.1998 (Bekanntmachung vom 28.05.1998, BGBl II, 1396) kann sich
der Antragsteller nicht berufen. Wie bereits zu § 5 SGB IV ausgeführt, bestehen erhebliche
Bedenken, von einem Entsendungsfall (hier: iS von Art 1 dieser Vereinbarung)
auszugehen. Dass die hierfür erforderliche Arbeitserlaubnis - u.U. zu Unrecht - erteilt
worden ist, steht der - im Rahmen der summarischen Prüfung - originären rechtlichen
Bewertung des Sachverhalts in diesem Zusammenhang nicht entgegen. Die
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abschließende Klärung dieser Frage muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Vor diesem Hintergrund spricht auch Einiges dafür, das der Antragsteller als Verleiher
persönlich in Anspruch genommen werden darf. Er ist nämlich nach der tatsächlichen
Praxis, wie sie sich in den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und der großen
Strafkammer abgezeichnet hat, als tatsächlicher Verleiher aufgetreten. Danach führte er
alle maßgeblichen Verhandlungen entweder selbst oder durch die - seiner Weisung
unterstehenden - I und/oder L geführt hat. Er hatte danach die volle Verfügungsgewalt über
die eingehenden Gelder und sorgte für die Bezahlung der Arbeitnehmer. Insoweit wird
insbesondere auf Bl 106-110 der Anklageschrift verwiesen. Von seiner Verfügungsgewalt
machte er danach auch Gebrauch, indem er nach Belieben Gelder zwischen "Firmen-" und
"Privat-Konten" verschob. Die formal zwischengeschalteten ungarischen Firmen, die alle
unter seiner Privatanschrift gemeldet waren, dienten dem entsprechend nur zum Schein als
Vertragspartner. Nach den tatsächlichen Verhältnissen und der praktischen Durchführung
der Verträge war dagegen nach dem Stand der Ermittlungen der Antragsteller
Vertragspartner. Die bisherigen Ermittlungsergebnisse lassen erwarten, dass auch die
noch erforderlichen Ermittlungen des SG im Klageverfahren nicht zu einem anderen
Ergebnis führen werden. Diese Bewertung entspricht auch den Feststellungen im Urteil des
Landgerichts Köln vom 11.09.2002, durch das L und I u.a. wegen der - auch dem
Antragsteller vorgeworfenen - Verstöße gegen das AÜG rechtskräftig zu Freiheitsstrafen
auf Bewährung verurteilt worden sind.
Darauf, dass es sich bei den - wie dargelegt, nur zum Schein zwischengeschalteten -
Unternehmen nach ungarischem Recht um Gesellschaften handelte, bei denen - ähnlich
wie bei der GmbH deutschen Rechts - die persönliche Haftung der Gesellschafter
ausgeschlossen ist, kann der Antragsteller sich nicht berufen. Es spricht zunächst - wie
dargelegt - viel dafür, dass diese Firmen nur zum Schein zwischengeschaltet waren.
Deshalb kommt es nicht darauf an, dass - vorbehaltlich einer abweichenden
zwischenstaatlichen Vereinbarung (vgl BGHZ 153, 353ff), die zwischen Deutschland und
Ungarn nicht besteht (auch der deutsch-ungarische "Vertrag über freundschaftliche
Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa" vom 06.02.1992, BGBl 1992 II S 474ff,
enthält eine solche Regelung nicht), sich der Status einer in Deutschland tätigen
ausländischen Gesellschaft nach inländischem, deutschem Recht beurteilt (sog Sitztheorie,
vgl BGHZ 153, 353ff; 151, 204ff; 78, 318ff; 53, 18ff). Danach entsteht eine solche (Kapital-)
Gesellschaft erst mit der Eintragung in das Handelsregister (§ 11 Abs 1 GmbH-Gesetz).
Anhaltspunkte, von einer Vorgesellschaft oder einer GmbH iG auszugehen, bestehen nicht.
Die Anwendung deutschen Rechts muss erst recht gelten, wenn - was hier nahe liegt - von
vorneherein beabsichtigt war, unternehmerische Tätigkeit ausschließlich im Inland zu
entfalten (BGHZ 53, 181ff) oder den Sitz nach Gründung im Ausland ins Inland zu verlegen
(BGHZ 151, 204ff). In solchen Fällen gilt die ausländische Kapitalgesellschaft nach
deutschem Recht als Personengesellschaft nach § 14 Abs 2 BGB (in Kraft seit dem
30.06.2000 gemäß Gesetz vom 27.06.2000, BGBl I, 897, 1139; vgl zur BGB-Gesellschaft:
BGH aaO; BGHZ 146, 341ff; BGH NJW 2002, 271f). Die Einwände, die der Europäische
Gerichtshof (EuGH) gegen die sog Sitztheorie erhoben hat (EuGHE I 2002, 9919ff, Urteil
vom 05.11.2002 Az C-208/00), greifen für Zeiträume und Sachverhalte nicht, auf die
europäisches Recht - wie hier, vgl oben - keine Anwendung findet. Eine entsprechende
Anwendung des Rechtsgedankens dieser Rechtsprechung fordert der Vertrag vom
06.02.1992 gerade nicht.
Die vom Antragsteller erhobene Einrede der Vorausklage geht ins Leere, weil eine solche -
subsidiäre - Haftung im deutschen Recht nicht vorgesehen ist. Die Beitragsforderungen
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sind auch nicht - teilweise - verjährt, weil der Antragsteller die Beiträge vorsätzlich
vorenthalten hat, was zur Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist führt, § 25 Abs 1
Satz 2 SGB IV. Es spricht nach dem zuvor Gesagten Einiges dafür, dass der Antragsteller
seine gesamte unternehmerische Tätigkeit in Deutschland planmäßig gestaltet und
durchgeführt hat, um das Bestehen von sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnissen zu verschleiern.
(2) Die Vollziehung des Beitragsbescheides stellt für den Antragsteller auch keine
unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte dar. Das Gesetz
sieht vielmehr bei Beitragsschulden vor, dass im Regelfall das Interesse an der
Vollziehung des Beitragsbescheides das Interesse des in Anspruch Genommenen, vor der
endgültigen Zahlung eine Beitragspflicht in einem gerichtlichen Verfahren überprüfen zu
lassen, überwiegt. Tatsachen, die es rechtfertigten, ihn ausnahmsweise vorläufig zu
entpflichten, hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Allein die Höhe der Beitragsforderung
und die mit der Zahlung für ihn verbundenen ökonomischen Konsequenzen führen nicht zu
einer solchen unbilligen Härte, da es sich lediglich um die Erfüllung der gesetzlich
auferlegten Pflichten handelt. Es erscheint in Anbetracht dessen auch nicht
unverhältnismäßig, es im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bei der - vorläufigen -
Zahlungspflicht zu belassen. Im Streitverfahren betreffend die Aufhebung der Arrestbefehle
sind Landgericht und Oberlandesgericht Köln von einer Unverhältnismäßigkeit der
angeordneten Arreste ausgegangen, weil das Strafverfahren auch aufgrund von aus der
Sphäre des Staates kommenden Umständen unnötig (und damit unverhältnismäßig)
verzögert werde. Solche Überlegungen können im hier maßgeblichen Betragsrecht von
vorneherein nicht zum Tragen kommen, weil die gerichtliche Entscheidung im
einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur dazu führt, dass es beim gesetzlich angeordneten
Regelfall verbleibt, zumal das bisherige Beweisergebnis eine Bestätigung der
Haftungsentscheidung erwarten lässt.
Darüber hinaus gehende Umstände, die eine unbillige Härte darstellen könnten, hat der
Antragsteller nicht vorgetragen. Sie sind - angesichts der bisherigen vergeblichen
Vollstreckungsversuche - auch sonst nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von §§ 197a SGG,
154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Da sich der Antragsteller gegen die festgesetzte Beitragsschuld mit der Begründung
wendet, diese bestehe insgesamt nicht, ist der Streitwert in Höhe von 5.198.994,59 Euro
festzusetzen. Auch nach der Neubekanntmachung des Gerichtskostengesetzes (Im
Folgenden: nF) durch Art 1 des Kostenmodernisierungsgesetzes (KostRMoG) vom
05.05.2004 (BGBl I, 718 ff) richtet sich die Festsetzung des Streitwerts noch nach dem
Gerichtskostengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.12.1975 (BGBl I, 3047
ff; im Folgenden: aF), weil das Beschwerdeverfahren vor dem 01.07.2004 (dem Zeitpunkt
des Inkrafttretens der Neufassung des GKG, Art 8 KostRMoG) anhängig geworden ist, § 72
Nr 1 GKG nF. Auf dieser Basis beträgt der Streitwert nach § 13 Abs 2 GKG aF 5.198.994,59
Euro. Die Entscheidung über den Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren obliegt dem
SG, § 25 Abs 2 Satz 1 GKG aF.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden, § 177 SGG.