Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 10.03.2004

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Landessozialgericht NRW, L 10 KA 6/03
Datum:
10.03.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 10 KA 6/03
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 17 KA 238/99
Sachgebiet:
Vertragsarztrecht
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.01.2003 wird zurückgewiesen. Die
Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des
Klägers auch im zweiten Rechtszug. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des dem Kläger für das Quartal I/1997
erteilten Abrechnungsbescheides. Der Kläger begehrt eine höhere Vergütung
psychotherapeutischer Leistungen aus dem Kapitel G IV des Einheitlichen
Bewertungsmaßstabes (EBM).
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Der Kläger ist Diplom-Psychologe und war im Quartal I/1997 im Wege des
Delegationsverfahrens an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligt. Gegen den
Abrechnungsbescheid für das Quartal I/1997 vom 23.07.1997, mit dem die
psychotherapeutischen Leistungen mit 8 Pfennigen (Pf.) vergütet wurden, legte er
Widerspruch mit der Begründung ein, dass der Punktwertverfall kein wirtschaftliches
Arbeiten zulasse. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom
22.09.1998 mit der Begründung zurück, sie sei an den EBM gebunden.
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Mit seiner Klage vom 30.09.1998 hat der Kläger die Auffassung vertreten, dass die ihm
gewährte Vergütung im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG, Urteil vom 12.09.2001 - B 6 KA 58/00 R -) zur Vergütung zeitgebundener und
genehmigungspflichtiger Leistungen nach dem Kapitel G IV EBM unzureichend sei.
Danach sei nämlich ein Punktwert von 10 Pf. zu Grunde zu legen. Für ein Abweichen
von diesem Wert habe die Beklagte kein nachvollziehbares Zahlenwerk vorgelegt; die
von ihr genannten - und bestrittenen - Abweichungen der Honorarüberschüsse der Ärzte
für Allgemeinmedizin bzw. praktischen Ärzte in ihrem Bereich im Vergleich zu den vom
BSG herangezogenen bundesdurchschnittlichen Werten in Höhe von 9,12 % stellten
keine signifikante Abweichung im Sinne der Rechtsprechung des BSG dar.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung des Abrechnungsbescheides für das Quartal I/1997 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.09.1998 zu verurteilen, seine
Leistungen aus dem Abschnitt G IV EBM mit einem Punktwert von 10 Pfennigen zu
vergüten.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe für das Quartal I/1997 eine
Nachvergütung von 2.155,93 Euro erhalten; damit seien die zeitgebundenen und
genehmigungspflichtigen Leistungen nunmehr mit einem Punktwert von 9,1404 Pf.
vergütet worden. Ein Anspruch auf eine Stützung auf einen Punktwert in Höhe von 10
Pf. komme ab 1997 nicht in Betracht, da der durchschnittliche Ertrag der Ärzte für
Allgemeinmedizin bzw. Praktischen Ärzte in Nordrhein gesunken sei. Für das Jahr 1997
belaufe sich deren Honorarüberschuss durchschnittlich auf 122.689,29 DM und weiche
damit von dem vom BSG herangezogenen bundesdurchschnittlichen Wert von
135.014,00 DM um 12.325,41 DM, mithin also um 9,12 %, ab. Diese Abweichung sei
signifikant und berechtige nach der Rechtsprechung des BSG zu einer entsprechenden
Anpassung des Punktwerts für die streitigen psychotherapeutischen Leistungen. Ein
Rückgang des Umsatzvolumens um rund 10% könne insbesondere vor dem
Hintergrund des Differenzierungsgebotes nicht als unerheblich eingestuft werden.
Zudem müsse berücksichtigt werden, dass sie den gestützten Punktwert nicht nur für
zeitgebundene und genehmigungspflichtige G-IV-Leistungen gezahlt habe, sondern
auch für probatorische Sitzungen. Die Vorteile, die den psychotherapeutischen
Leistungserbringern durch die zusätzliche Stützung zugeflossen seien, dürften bei der
Prüfung des Anspruches auf eine angemessene Vergütung nicht außer Betracht
bleiben.
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Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 08.01.2003
stattgegeben und die Beklagte unter Abänderung des Abrechnungsbescheides für das
Quartal I/1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.09.1998 verurteilt,
die zeitgebundenen und genehmigungspflichtigen Leistungen des Klägers aus dem
Abschnitt G IV EBM mit einem Punktwert von 10 Pf. zu vergüten. Zur Begründung hat
das SG u.a. ausgeführt: Die Beklagte sei verpflichtet, die zeitgebundenen Leistungen
der sog. großen Psychotherapie nach Abschnitt G IV EBM auf einen Punktwert von 10
Pf. zu stützen. Für eine Ausnahme bestehe kein Raum, da die von der Beklagten für den
eigenen Bereich vorgetragene Abweichung des Honorarüberschusses von 9,12 % nicht
signifikant sei. So seien die Kassenärztlichen Vereinigungen erst dann zur Überprüfung
und Nachbesserung bei der Bildung von Honorartöpfen bei überweisungsgebundenen
Leistungen verpflichtet, wenn der Punktwert um 15 % abfalle. Im Umkehrschluss seien
Abweichungen von weniger als 15 % als nicht deutliche Abweichungen und damit als
nicht signifikant zu werten. Eine Ausnahme von der Regelvergütung für Leistungen der
großen Psychotherapie lasse sich auch nicht daraus ableiten, dass die Beklagte die
probatorischen Sitzungen mit einem Punktwert von über 9 Pf. bewertet habe. In Streit
stehe nicht die Angemessenheit der Vergütung; es gehe vielmehr um die
Honorarverteilungsgerechtigkeit.
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Gegen den am 14.01.2003 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung der
Beklagten vom 24.01.2003, mit der sie ihr Vorbringen vertieft und nochmals darauf
hinweist, dass der Honorarumsatz bei den in ihrem Bereich niedergelassenen
Allgemeinärzten im Verhältnis zu dem vom BSG herangezogenen
bundesdurchschnittlichen Wert im Jahr 1997 um 9,12,% niedriger sei. Davon
ausgehend sei auch ihre Entscheidung über die Höhe der Vergütung der
zeitgebundenen und genehmigungspflichtigen Leistungen aus dem Abschnitt G IV EBM
nicht zu beanstanden; diese Leistungen seien gerade nicht unabhängig von der übrigen
Umsatz- und Ertragsentwicklung. Die vom SG für signifikante Abweichungen
herangezogene Rechtsprechung stehe mit dem vorliegenden Sachverhalt in keinem
Zusammenhang; das SG habe den Maßstab für eine signifikante Abweichung zu hoch
angesetzt und damit ein Vergütungsniveau für die psychotherapeutisch tätigen
Leistungserbringer festgeschrieben, das höher liege als das anderer Fachgruppen.
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Der Beklagte beantragt,
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den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.01.2003 abzuändern und
die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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Er bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und
die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand
der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht - und
mit im Wesentlichen zutreffender Begründung - verurteilt, die Leistungen des Klägers
aus dem Abschnitt G IV EBM mit einem Punktwert von 10 Pfennig zu vergüten.
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Der Abrechnungsbescheid der Beklagten für das Quartal I/1997 steht nicht mit den
Grundsätzen in Einklang, die das BSG in seinen Urteilen vom 20.01.1999 (BSGE 83,
205 = SozR 3-2500 § 85 Nr. 29), 25.08.1999 (BSGE 84, 235 = SozR 3-2500 § 85 Nr.
33), 26.01.2000 (BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 35) und vom 12.09.2001 - B 6 KA 58/00 R -
zur Vergütung psychotherapeutischer Leistungen entwickelt hat. Diese Grundsätze,
denen sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt, gelten auch für das hier
betroffene Quartal des Jahres 1997. Nach der zitierten Rechtsprechung des BSG haben
die ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Vertragsärzte sowie die an der
vertragsärztlichen Versorgung im Delegationsverfahren teilnehmenden Psychologen
nach den bis Ende 1998 geltenden gesetzlichen Vorschriften im Rahmen der
Honorarverteilung gemäß § 85 Abs. 4 SGB V angesichts des von der Beklagten zu
beachtenden Gebotes der Honorarverteilungsgerechtigkeit (Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3
Abs. 1 Grundgesetz (GG)) grundsätzlich Anspruch auf Honorierung der zeitgebundenen
und genehmigungsbedürftigen Leistungen nach Abschnitt G IV EBM mit einem
Punktwert von 10 Pf. Wenn dieser Punktwert auf der Basis der konkreten
Honorarverteilungsmechanismen rechnerisch nicht erreicht wird, ist die Beklagte im
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Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG sowie auf der Grundlage
ihres Sicherstellungsauftrags (§ 75 Abs. 1 SGB V) verpflichtet, den Punktwert auf 10 Pf
zu stützen.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger die Voraussetzungen für eine
Punktwertstützung erfüllt. Die Beklagte selber hat ihren ursprünglichen
Abrechnungsbescheid bereits abgeändert und die Leistungen des Klägers statt
zunächst mit einem Punktwert von 8 Pf. zwischenzeitlich mit 9,1404 Pf. vergütet.
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Die Beklagte bestreitet vielmehr ihre Verpflichtung, den Punktwert für die
zeitgebundenen psychotherapeutischen Leistungen, die der Kläger in dem
streitbefangenen Quartal erbracht hat, höher festzusetzen. Gegen den von dem Kläger
geltend gemachten Anspruch, seine Leistungen mit einem Punktwert von 10 Pf. zu
honorieren, wendet die Beklagte ein, dass mit der o.a. Rechtsprechung des BSG von
diesem Punktwert abgewichen werden könne, wenn anerkennungswürdige Umstände
für eine abweichende Honorierung vorlägen. Dies sei der Fall, da die
Umsatzentwicklung der nordrheinischen Vertragsärzte (Ärzte für
Allgemeinmedizin/Praktische Ärzte) 1997 signifikant hinter den Ergebnissen
zurückgeblieben wäre, die das BSG bei seinen Entscheidungen zur Berechnung des
Punktwerts für psychotherapeutische Leistungen zu Grunde gelegt habe. Diese
Erwägungen tragen die Berufung nicht. Die Berechnung der Beklagten ist nicht
fehlerfrei. Im Ergebnis besteht kein signifikanter Unterschied zwischen den jeweiligen
Umsatzentwicklungen. Ein Abweichen von dem Punktwert von 10 Pf. ist nicht
gerechtfertigt.
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Bei dem Vergleich zwischen bundesweiten und nordrheinischen Ärzten für
Allgemeinmedizin bzw. Praktischen Ärzten sind die jeweiligen Honorarumsätze und der
Praxiskostenanteil entscheidend; aus diesen errechnet sich dann der jeweilige
Honorarüberschuss. Für den von Ärzten für Allgemeinmedizin bzw. Praktischen Ärzten
erzielte bundesdurchschnittliche Überschuss geht die Beklagte von dem vom BSG für
das Jahr 1996 errechneten Betrag i.H.v. 135.014,00 DM aus. Dieser Wert ergibt sich,
indem aus dem Honorarumsatz aus dem Jahr 1996 i.H.v. durchschnittlich 320.700,00
DM der für dieses Jahr ermittelten Kostenanteil i.H.v. 57,9 % in Abzug gebracht wird
(BSG, Urteil 25.08.1999 - B 6 KA 14/98 R -). Diesem stellt die Beklagte den
durchschnittlichen Honorarumsatz der nordrheinischen Ärzte für Allgemeinmedizin bzw.
Praktischen Ärzte aus dem Jahr 1997 i.H.v. 301.447,88 DM gegenüber und bringt davon
einen Kostenanteil von 59,3% in Abzug, der sich nach ihren Bekundungen aus der
Anlage 3 zu den Allgemeinen Bedingungen A I EBM ergibt und damit dem
durchschnittlichen Kostensatz für Allgemeinmediziner / Praktischen Ärzte aus dem Jahr
1994 entspricht.
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Für diese unterschiedliche Berechnungsweise mangelt es an jedem rechtlichen oder
sachlichen Grund; dies gilt insbesondere für den unterschiedlichen Ansatz des
Kostenanteils. Für die Berechnung des Honorarüberschusses der nordrheinischen Ärzte
für Allgemeinmedizin bzw. Praktischen Ärzten muss naturgemäß ebenfalls der
Kostenanteil von 57,9 % zu Grunde gelegt werden. Daraus ergibt sich dann ein
Honorarüberschuss von 126.909,55 DM, der mit 8.104,45 DM bzw. ca. 6 % Differenz nur
marginal von dem bundesdurchschnittlichen Überschuss der Ärzte für Allgemeinmedizin
bzw. Praktischen Ärzte i.H.v. 135.014,00 DM abweicht. Wird zudem hinsichtlich des
bundesdurchschnittlichen Honorars die Entwicklung im Jahr 1997 berücksichtigt und
werden damit die Überschüsse auf gleicher Ausgangsbasis errechnet, indem
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durchgängig die Werte des Jahres 1997 eingestellt werden, verringert sich die Differenz
weiter auf 6.982,40 DM und damit auf ca. 5,1 % (bundesdurchschnittlicher
Honorarumsatz der Ärzte für Allgemeinmedizin bzw. Praktischen Ärzte 1997 i.H.v
317.800 DM./. 57,3 % bundesdurchschnittlichem Kostenanteil 1997 = 135.700,6 DM
Honorarüberschuss 1997 (Quelle: Kassenärztliche Bundesvereinigung, Grunddaten zur
vertragsärztlichen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, D 9 -
Honorarumsatz, Betriebsausgaben und Überschuss je Arzt im Jahresdurchschnitt 1997
bis 1997 sowie Honorarumsatz 1997 - und D 3 - Honorarumsatz aus vertragsärztlicher
Tätigkeit je Arzt nach Arztgruppen 1998 sowie Betriebskostenanteil 1997 -) im Vergleich
zum nordrheinischen durchschnittlichen Honorarumsatz der Ärzte für Allgemeinmedizin
bzw. Praktischen Ärzte 1997 i.H.v. 301.447,88./. 57,3 % Kostenanteil 1997 = 128.718,2
DM Honorarüberschuss 1997.
Die damit im Bereich des Honorarüberschusses tatsächlich bestehende Differenz von
maximal 6% ist nicht signifikant und rechtfertigt ein Abweichen von dem Punktwert von
10 Pf. nicht. Der Senat berücksichtigt dabei - ebenso wie das SG -, dass den
Modellberechnungen des BSG Annahmen zu Grunde liegen, die für die
Delegationstherapeuten bzw. überwiegend psychotherapeutisch tätigen Vertragsärzte
eher nachteilig sind. Es wird nämlich eine voll ausgelastete psychotherapeutische
Praxis zu Grunde gelegt und diese dann mit allen Ärzten für Allgemeinmedizin und
Praktischen Ärzten verglichen, so dass in deren Durchschnittswerten auch zahlreiche
nicht ausgelastete Praxen erfasst sind. Letztlich ist darauf hinzuweisen, dass auch das
BSG eine Abweichung von ca. 8% als geringfügig, und damit eben nicht als signifikant,
qualifiziert (BSG, Urteil vom 12.09.2001 - B 6 KA 58/00 R - a.E. zur Bedeutung
unterschiedlicher Punktwerte).
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG a.F.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2
SGG).
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