Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 29.06.2009

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Landessozialgericht NRW, L 20 B 6/09 AS
Datum:
29.06.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 20 B 6/09 AS
Vorinstanz:
Sozialgericht Aachen, S 23 AS 145/08 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des
Sozialgerichts Aachen vom 27. November 2008 aufgehoben und dem
Antragsteller für das Verfahren vor diesem Prozesskostenhilfe bewilligt
sowie Rechtsanwalt O aus F beigeordnet. Kosten des
Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
1
Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Aachen vom
23.12.2008 ist auch begründet. Das SG hat den Antrag des Antragstellers, ihm
Prozesskostenhilfe (PKH) zu gewähren und Rechtsanwalt O aus F beizuordnen, zu
Unrecht abgelehnt.
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Gemäß § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO)
erhält ein Beteiligter, der auf Grund seiner persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse die Kosten für die Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten
aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte
Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint und hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Erfolgsaussichten in diesem Sinn bestehen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt
des Antragstellers aufgrund seiner Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden
Unterlagen zumindest für vertretbar erachtet und in tatsächlicher Hinsicht eine
Beweisführung für möglich hält. Dabei muss die Chance, den Prozess zu gewinnen,
mindestens genauso groß sein wie ihn zu verlieren (Beschluss des Landessozialgericht
[LSG] Hamburg vom 07.09.2007, Az. L 4 355/07). Dies ist grundsätzlich zu bejahen,
wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bisher ungeklärten
Rechtsfrage abhängt oder von Amts wegen weitere Ermittlungen gemäß § 103 SGG
durchzuführen sind, bevor die streiterheblichen Fragen abschließend beantwortet
werden können (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], NJW 1991, 413 ff.; NJW - RR
2002, 665 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.06.2007, Az. L 17 B 14/07 U;
Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 73 a Rn. 7 und 7
a). Diese Grundsätze gelten entsprechend für Verfahren des einstweiligen
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Rechtsschutzes (vgl. Leitherer, a.a.O., Rn. 2 b). Maßgebender Zeitpunkt für die Prüfung
der Erfolgsaussicht ist grundsätzlich derjenige der Entscheidung des Gerichts (Leitherer,
a.a.O., Rn. 7 d; Senatsbeschluss vom 26.04.2006, Az. L 20 B 65/06 AS). Fällt dieser
Zeitpunkt mit demjenigen der - bereits früher eingetretenen - Entscheidungsreife
auseinander, so ist der Erkenntnisstand bei Entscheidungsreife zu Grunde zu legen,
wenn sich die Entscheidung über den Antrag verzögert hat und Änderungen zum
Nachteil des Antragstellers eingetreten sind (Leitherer, a.a.O., Rn. 7 d; Senatsbeschluss
vom 26.04.2006, Az. L 20 B 65/06; vgl. BverfG, Beschluss vom 05.12.2008, Az. 1 BvR
746/08). Entscheidungsreife ist allerdings grundsätzlich erst dann eingetreten, wenn die
Antragsgegnerin eine Stellungnahme abgegeben hat, die Verwaltungsakten
beigezogen und sämtliche Erhebungen im Sinne von § 118 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 ZPO
zur Klärung der hinreichenden Erfolgsaussicht des PKH-Antrags durchgeführt worden
sind (vgl. Senatsbeschluss vom 26.04.2006, Az. L 20 B 65/06). Geht das Gericht von
Erhebungen im vorstehenden Sinne zu Ermittlungen im Sinne von §§ 103, 106 SGG
über oder hätte es dies tun müssen, ohne über den PKH-Antrag zu entscheiden, ist in
diesem Zeitpunkt die Entscheidungsreife gegeben; dieser Zeitpunkt ist dann auch für
die Prüfung des PKH-Antrags maßgeblich. Vorstehende Grundsätze kommen auch bei
der Entscheidung über die Bewilligung von PKH in Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes zur Anwendung.
Vorliegend ist das auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtete Verfahren weder
mutwillig noch mangelte es an einer hinreichenden Erfolgsaussicht im vorstehend
beschriebenen Sinne zur Zeit der hier maßgeblichen - vor dem Beschlusszeitpunkt
liegenden - Entscheidungsreife. Ausschlaggebend ist vorliegend der Vortrag des
Antragstellers, er sei allein lebend, wohne in der Tstraße 0, I und bilde keine
Bedarfsgemeinschaft mit seiner geschiedenen Ehefrau, was durch eine eidesstattliche
Versicherung bekräftigt worden ist. Bei den vom SG bereits in dem richterlichen
Hinweisschreiben vom 09.10.2008 zum Ausdruck kommenden Zweifeln an der
Richtigkeit dieses Vortrags hätte es sich spätestens aufgrund der schriftsätzlichen
Antwort des Antragstellers vom 16.10.2008 aufgedrängt, Ermittlungen von Amts wegen
gemäß §§ 103, 106 Abs. 3 Nr. 4 SGG durch Vernehmung der geschiedenen Ehefrau
des Antragstellers als Zeugin in einem Termin zur Beweisaufnahme durchzuführen.
Name und Adresse dieser Zeugin waren dem SG aus den Verwaltungsakten bereits
bekannt. Zudem hat das SG selbst weiteren Aufklärungsbedarf beispielsweise in der
Durchführung eigener Internetrecherchen zur Ermittlung des Stromverbrauchs in
Privathaushalten und bestimmter Kühlschranktypen gesehen und nicht dokumentiert,
dass es sich dabei lediglich um Erhebungen im Sinne von § 118 Abs. 2 S. 2 ZPO
handele.
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Die Prüfung der Bedürftigkeit des Antragstellers hat ergeben, dass dieser über kein
einzusetzendes monatliches Nettoeinkommen verfügt.
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Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes ist angesichts der Schwierigkeit des Streitstoffes
erforderlich, § 121 Abs. 2 ZPO.
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Kosten sind im Beschwerdeverfahren nach Maßgabe der §§ 73 a Abs. 1 S. 1 SGG, 127
Abs. 4 ZPO nicht zu erstatten.
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Diese Entscheidung ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
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