Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28.11.2000

LSG NRW: fibromyalgie, innere medizin, numerus clausus, diagnose, behinderung, befund, sektion, tagung, analogie, icd

Landessozialgericht NRW, L 6 SB 46/98
Datum:
28.11.2000
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 6 SB 46/98
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 13 Vs 210/97
Sachgebiet:
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts
Duisburg vom 25.03.1998 abgeändert und die Klage abgewiesen.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird
nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Umstritten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem
Schwerbehindertengesetz (SchwbG).
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Bei der 1948 geborenen Klägerin war zuletzt wegen der Behinderungen
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"1. Wirbelsäulen-Syndrom, Verschleiß der Halswirbelsäule, Bandscheibenschäden,
Restbeschwerden nach Scheuermann-Erkrankung,
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2. Rezidivierende Bronchitis,
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3. Varikosis
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4. Verlust der Gebärmutter"
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ein GdB von 40 festgestellt worden (Bescheid vom 20.11.1987). In der diesem Bescheid
zugrundeliegenden gutachtlichen Stellungnahme vom 10.10.1987 waren für die
Behinderung zu 1. ein Einzel-GdB von 40 und für die weiteren Behinderungen Einzel-
GdB von jeweils 10 in Ansatz gebracht worden.
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Mit ihrem Änderungsantrag von Juli 1996 machte die Klägerin wegen Verschlechterung
ihres Gesundheitszustandes einen höheren GdB geltend. Zur Stützung ihres Antrags
reichte sie u.a. einen Arztbrief des Arztes für innere Medizin - Rheumatologie,
Psychotherapie - Dr. N ..., Chefarzt der II. Med. Klinik des E ...-K ... E ..., vom 07.03.1996
ein. Hierin heißt es u.a., dass sich deutliche Zeichen eines Fibromyalgie-Syndroms
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gefunden hätten.
Nach Beiziehung und Auswertung verschiedener Befund- und Behandlungsberichte
lehnte es der Beklagte ab, einen höheren GdB als 40 festzustellen. Dabei ergänzte er
die unter Ziffer 3. berücksichtigte Behinderung um: "Bewegungseinschränkung des
rechten Fußgelenkes nach Knochenbruch" (Bescheid vom 02.01.1997).
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Im anschließenden Widerspruchsverfahren (Widerspruch vom 13.01.1997) machte die
Klägerin unter Vorlage eines weiteren Arztbriefes des Dr. N ... vom 16.10.1996 geltend,
dass das von Dr. N ... diagnostizierte Fibromyalgiesyndrom nicht berücksichtigt worden
sei.
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Auf der Grundlage einer hierzu eingeholten weiteren versorgungsärztlichen
Stellungnahme vom 02.04.1997 ergänzte der Beklagte nun mehr die Behinderung zu
Ziffer 1. um: "Fibromyalgiesyndrom". Im übrigen wies er den Widerspruch zurück, weil
der GdB mit 40 weiterhin ausreichend bemessen sei (Widerspruchsbescheid vom
08.09.1997).
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Mit ihrer hiergegen am 16.09.1997 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren
weiterverfolgt und die Auffassung vertreten, ihre Behinderungen rechtfertigten einen
GdB von 50. Die mit ihren Behinderungen einhergehenden ständigen Schmerzen
würden zu erheblichen Einschränkungen in nahezu allen Bereichen des täglichen
Lebensführen. Im Termin am 25.03.1998 hat sie auf Befragen dem Sozialgericht Art und
Ausmaß ihrer Schmerzen geschildert.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 02.01.1997 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.09.1997 zu verurteilen, ab dem
01.01.1997 einen GdB von 50 festzustellen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hat die angefochtenen Bescheide für zutreffend erachtet.
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Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines fachorthopädischen
Gutachtens des Dr. A ... vom 05.01.1998. Hierin hat der Sachverständige ausgeführt, die
feststellbaren Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule rechtfertigten allenfalls, da
mehrere Wirbelsäulenabschnitte betroffen seien, einen GdB von 30. Das von Dr. N ...
festgestellte Fibromyalgiesyndrom, bei dem es sich um eine seronegative Erkrankung
aus dem rheumatologischen Formenkreis handele, bedinge keinen Einzel-GdB.
Vielmehr könne das Fibromyalgiesyndrom unter die Beschwerden, hervorgerufen durch
die Wirbelsäule, subsumiert werden. Insgesamt sei ein höherer GdB als 40 nicht
gerechtfertigt.
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Mit Urteil vom 25.03.1998 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und den
Beklagten verurteilt, ab dem 01.01.1997 einen GdB von 50 festzustellen. Dabei ist es
entsprechend der Einschätzung des Sachverständigen Dr. A ... davon ausgegangen,
dass die durch die Wirbelsäulenveränderungen hervorgerufenen
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Funktionsbeeinträchtigungen einen Teil-GdB von 30 bedingen. Entgegen der
Auffassung des Sachverständigen sei jedoch das Fibromyalgiesyndrom gesondert zu
bewerten. Ausgehend von der glaubhaften Beschwerdeschilderung der Klägerin sei das
in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz", 1996 (AHP) unter Ziffer
26.18, S. 136, erstmals aufgenommene Fibromyalgiesyndrom den entzündlich-
rheumatischen Krankheiten der Gelenke und/oder der Wirbelsäule mit geringen
Auswirkungen gleichzustellen. Aufgrund der Vielzahl der Gelenke, die bei der Klägerin
betroffen seien, und der erheblichen Schmerzen bei größtenteils noch leichtgradigen
Funktionseinbußen sei für das Fibromyalgiesyndrom ein Einzel-GdB von 40
angemessen. Insgesamt sei daher der GdB ab 01.01.1997 mit 50 zu bewerten.
Gegen dieses ihm am 07.04.1998 zugestellte Urteil richtet sich die am 05.05.1998
eingelegte Berufung des Beklagten. Der Beklagte meint weiterhin, dass in den
gesundheitlichen Verhältnisses der Klägerin keine so wesentliche Änderung
eingetreten ist, die die Feststellung eines GdB von 50 rechtfertige. Die ausdrückliche
Aufnahme des Fibromyalgie-Syndroms in die AHP bedinge keine wesentliche
Änderung. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts könne das
Fibromyalgiesyndrom nicht analog zu den entzündlich-rheumatischen Krankheiten der
Gelenke bewertet werden. Insgesamt sei ein höherer GdB als 40 nicht gerechtfertigt.
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Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 25.03.1998 abzuändern und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Im übrigen sieht sie sich durch
im Berufungsverfahren nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholtes
internistisch-rheumatologisches Gutachten des Dr. N ... vom 01.06.1999 bestätigt.
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Im Berufungsverfahren ist im wesentlichen Beweis erhoben worden durch Einholung
von Sachverständigengutachten des Dr. A ... vom 20.01.1999 und des Dr. N ... vom
01.06.1999 mit ergänzenden Stellungnahmen vom 14.02.2000 bzw. 07.04.2000. Dr. A ...
hat unter Berücksichtigung der muskulären Rückenbeschwerden für die
Wirbelsäulenveränderungen einen GdB von insgesamt 30 für vertretbar erachtet.
Demgegenüber hat Dr. N ... im wesentlichen unter Berücksichtigung eines Teil-GdB von
40 für ein Wirbelsäulensyndrom in mehreren Abschnitten und eines Teil-GdB von 50 für
eine Fibromyalgie mit mittelgradigen Auswirkungen (dauernde erhebliche
Funktionseinbuße, therapeutisch schwer beeinflussbare Krankheitsaktivität) den
Gesamt-GdB seit 1995 auf mindestens 50 eingeschätzt.
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Zur weiteren Sachverhaltsdarstellung und bzgl. des Vorbringens der Beteiligten im
einzelnen wird auf die Inhalte der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten
Bezug genommen. Die Inhalte die ser Akten waren Gegenstand der mündlichen
Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist begründet.
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Das Sozialgericht hat den Beklagten zu Unrecht verurteilt, einen GdB von 50
festzustellen. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sind die angefochtenen
Bescheide nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung
eines höheren GdB als 40; § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 10 (SGB X) und § 4 Abs. 1
und 3 SchwbG.
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Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist eine wesentliche Änderung i. S. d. § 48
SGB X, die einen höheren GdB als 40 rechtfertigen könnte, nicht nachgewiesen.
Vielmehr entsprechen auch die heute feststellbaren Funktionsstörungen im
wesentlichen den gesundheitlichen Verhältnissen, die dem Bescheid vom 20.11.1987
zugrundegelegen haben.
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Dies folgt zur Überzeugung des Senats unter Berücksichtigung der nach den AHP, die
nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts normähnliche Wirkung
haben (zuletzt Urteil vom 01.09.1999 - B 9 V 25/98 R -), maßgeblichen
Beurteilungskriterien insbesondere aus den Feststellungen der Sachverständigen Dr. A
... und des Dr. A ... Demgegenüber sind die vom Sozialgericht angeführten
Gesichtspunkte und auch das Gutachten des Sachverständigen Dr. N ... nicht geeignet,
eine wesentliche Änderung nachzuweisen.
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Auch heute sind die für die Höhe des GdB maßgeblich die Wirbelsäulenveränderungen
und die Schmerzsymptomatik. Nach den von den Sachverständigen Dr. A ... und Dr. A ...
mitgeteilten Befunden ist nicht erkennbar, dass sich die durch die Wirbelsäulenschäden
bedingten Funktionsstörungen verschlimmert haben. Denn hiernach finden sich heute
eher geringgradige Verschleißveränderungen und Bewegungseinschränkungen. Auch
die Schmerzsymptomatik ist nicht neu aufgetreten. Vielmehr klagte die Klägerin auch
früher schon immer neben Kopfschmerzen über diverse Schmerzen in Brust-, Schulter-
und Rückenbereich, die bereits in früheren medizinischen Unterlagen Erwähnung
gefunden haben und die in die letzte Bewertung des GdB mit 40 eingeflossen sind. Eine
wesentliche Verstärkung dieser Schmerzsymptomatik, die einen höheren GdB als 40
rechtfertigen könnte, ist auch nach den von Dr. N ... mitgeteilten Befunden nicht
nachweisbar.
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Allein die nunmehr gestellte Diagnose eines Fibromyalgie-Syndroms stellt keine
wesentliche Änderung dar. Dabei kann es offen bleiben, ob diese Diagnose zutreffend
ist oder ob sie angesichts der Ausführungen des Dr. A ..., wonach die recht diffusen
Beschwerden nicht mit den für eine Fibromyalgie zu fordernden typischen Schmerzen
an den Triggerpunkten deckungsgleich sind, zumindest zweifelhaft sein kann. Denn für
die GdB-Bewertung und damit auch für die Beurteilung einer wesentlichen Änderung i.
S. d.§ 48 SGB X ist nicht die Diagnose, die als Ursache einer
Funktionsbeeinträchtigung in Betracht kommt, maßgeblich. Entscheidend ist vielmehr
das tatsächliche Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung unter Berücksichtigung der
jeweiligen Organbeteiligung und der Auswirkungen auf den Allgemeinzustand.
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Auch unter Zugrundelegung eines Fibromyalgie-Syndroms sind zusätzliche bislang
nicht berücksichtigte Funktionsstörungen, die einen höheren GdB als 40 rechtfertigen,
nicht erkennbar. Neu ist insoweit lediglich die Diagnose, demgegenüber ist die
Erkrankung selbst nicht neu aufgetreten. Wie von Dr. A ... dargelegt ist die gesamte
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Symptomatik nicht neu, sondern nunmehr lediglich unter der Bezeichnung
Fibromyalgiesyndrom subsumiert. Auch nach den Ausführungen des Dr. N ... handelt es
sich um eine seit langem bestehende Erkrankung. Soweit Dr. N ... meint, es sei
gegenüber den früheren Feststellungen eine wesentliche Änderung eingetreten, weil
die seit langem bestehende primäre Fibromyalgie mit ihrer starken Schmerzhaftigkeit zu
einem erheblichen Leidensdruck mit depressiver Verstimmung geführt habe, lässt sich
hieraus eine wesentliche Änderung nicht nachweisen. Wie die Schmerzsymptomatik
stellt auch die depressive Verstimmung keinen neuen Befund dar. Denn bereits in dem
Bericht des praktischen Arztes Dr. W ... vom 15.01.1981 ist eine vegetative Dystonie mit
Depressionen aufgeführt.
Die neue Diagnose Fibromyalgie ist zwar geeignet, die seit Jahren bestehende
Schmerzsymptomatik und die damit einhergehenden Begleiterscheinungen zu erklären.
Sie vermag aber keine zusätzlichen für den GdB wesentlichen
Funktionsbeeinträchtigungen, die einen noch höheren GdB als 40 rechtfertigen,
nachzuweisen.
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Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts bewirkt auch die erstmalige Aufnahme des
Fibromyalgie-Syndroms in die AHP 1996 keine wesentliche Änderung. Dies folgt bereits
daraus, dass die Funktionsbeeinträchtigungen, die sich heute als Auswirkungen eines
Fibromyalgie-Syndroms darstellen, jedenfalls bereits bei den früheren Feststellungen
berücksichtigt worden sind. Im übrigen konnten auch vor dem 01.01.1997
Funktionsstörungen, die auf einem fibromyalgischen Krankheitsbild beruhen, ohne
weiteres bei Feststellungen nach dem SchwbG berücksichtigt werden. Die AHP
beinhalten keinen numerus clausus der berücksichtigungsfähigen
Gesundheitsstörungen (Ziffer 26.1 Abs. 2 AHP 1983 und 1996).
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Insgesamt ist es zur Überzeugung des Senats unter Würdigung sämtlicher
medizinischer Unterlagen nicht nachgewiesen, dass in den gesundheitlichen
Verhältnisses der Klägerin eine für den GdB wesentliche Änderung eingetreten ist. Auch
unter Berücksichtigung der Angaben der Klägerin lässt sich eine Verstärkung der
subjektiven Schmerzkomponente nicht nachweisen. Schon wegen des Fehlens einer
wesentlichen Änderung ist der Beklagte nicht verpflichtet, den früheren Bescheid vom
20.11.1987 abzuändern und einen höheren GdB als 40 festzustellen.
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Auch wenn man ungeachtet der nicht nachgewiesenen Änderung der Verhältnisse den
GdB auf der Grundlage der heute feststellbaren Funktionsstörungen - wie es das
Sozialgericht im Ergebnis getan hat - neu bildete, wäre dieser jedenfalls nicht höher als
40.
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Maßgeblich für die GdB-Bewertung sind zum einen die feststellbaren
Wirbelsäulenschäden und zum anderen die Schmerzsymptomatik, die sich als mögliche
Auswirkung einer Fibromyalgie darstellt.
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Für die feststellbaren Wirbelsäulenveränderungen kann ohne Berücksichtigung der
Schmerzsymptomatik allenfalls ein GdB von 20 in Ansatz gebracht werden. Denn nach
den von Dr. A ... und Dr. A ... erhobenen Befunde lassen sich lediglich eher
geringgradige degenerative Veränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule
feststellen. Wesentliche Verschleißerscheinungen fanden sich in keinem
Wirbelsäulenabschnitt. Zudem zeigte sich auch die Beweglichkeit der ein zelnen
Wirbelsäulenabschnitte nur mäßiggradig eingeschränkt. Bestätigt werden die von den
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Sachverständigen aufgezeigten allenfalls leichtgradigen Funktionsstörungen durch die
anlässlich des Heilverfahrens in der V ... G ... vom 11.01. bis 08.02.2000 erhobenen
Befunde. Denn hiernach war die Halswirbelsäule altersentsprechend freibeweglich und
die Lendenwirbelsäule in der Entfaltung lediglich altersentsprechend eingeschränkt.
Angesichts dieser Befunde lassen sich nur Wirbelsäulenschäden mit geringen
funktionellen Auswirkungen feststellen. Da keine mittelgradigen funktionellen
Auswirkungen erkennbar sind, hält der Senat nach den Bewertungskriterien der AHP
(Ziffer 26.18, S. 139f) auch unter dem Gesichtspunkt, dass mehrere
Wirbelsäulenabschnitte betroffen sind, für die Wirbelsäulenschäden allenfalls einen
GdB von 20 für angemessen. Soweit Dr. N ... demgegenüber einen GdB von 40
vorschlägt, steht diese Einschätzung auch unter Berücksichtigung der von ihm
mitgeteilten Befunde mit den Bewertungskriterien AHP nicht in Einklang, weil
mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten
nicht erkennbar sind. Ein GdB von allenfalls 30, wie ihn Dr. A ... und Dr. A ...
vorschlagen, lässt sich nur dann vertreten, wenn man bei der GdB-Bewertung für die
Wirbelsäulenschäden die Schmerzsymptomatik miteinbezieht. Subsumiert man
hingegen die Schmerzsymptomatik unter das Krankheitsbild Fibromyalgiesyndrom,
verbleibt es allein für die Wirbelsäuleschäden bei einem GdB von allenfalls 20.
Auch eine gesonderte Berücksichtigung des Fibromyalgie-Syndroms rechtfertigt
jedenfalls keinen höheren Gesamt-GdB als 40. Da für die Bewertung des Fibromyalgie-
Syndroms in den AHP keine speziellen GdB-Werte genannt sind, beurteilt sich der GdB
hierfür in Analogie zu vergleichbaren Gesundheitsstörungen (vgl. AHP Ziffer 26.1 Abs.
2, S. 48).
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Der vom Sozialgericht angenommene Teil-GdB von 40 für das Fibromyalgiesyndrom
lässt sich nicht aus den nach den AHP für entzündliche-rheumatische Krankheiten der
Gelenke und/oder der Wirbelsäule maßgeblichen Bewertungskriterien (AHP Ziffer
26.18, S. 135f) herleiten. Zwar ist das Fibromyalgiesyndrom als chronisches
Schmerzsyndrom ohne organischen Befund in Ziffer 26.18 der AHP 1996 den
rheumatischen Erkrankungen zugeordnet worden. Dabei sind die AHP der Systematik
der ICD (Internationale Classifikation der Krankheiten) - 10 gefolgt, in der das
Fibromyalgiesyndrom unter M 79.0 - "andere nicht näher bezeichnete
Weichteilerkrankungen" - aufgeführt ist (Niederschrift über die Tagung der Sektion
"Versorgungsmedizin" des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium
für Arbeit und Sozialordnung - BMA - vom 28. bis 29.04.1999). Dies rechtfertigt es aber
nicht, für die Bewertung des Fibromyalgie-Syndroms die für entzündlich-rheumatische
Krankheiten der Gelenke und/oder der Wirbelsäule (z. B. Bechterew- Krankheit)
geltenden GdB-Werte zu übernehmen, wie es das Sozialgericht getan hat. Bei
entzündlich-rheumatischen Erkrankungen kommt ein GdB von 40 nur bei erheblichen
Gelenkbeteiligungen in Betracht. Denn maßgeblich für die Bewertung ist u.a. Art und
Umfang des Gelenkbefalles. Eine solche Gelenkbeteiligung oder anderweitige
Organbeteiligung ist hier nicht erkennbar. Allein die Schmerzsymptomatik rechtfertigt es
nicht, den für entzündlich- rheumatische Erkrankungen vorgesehenen GdB von 40 zu
übernehmen.
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Als Vergleichsmaßstab kommen bei einem Fibromyalgiesyndrom wie auch bei anderen
Krankheitsbildern (z. B. chronisches Müdigkeitssyndrom, Multiple chemical sensivity)
mit vegetativen Symptomen, gestörter Schmerzverarbeitung, Leistungseinbußen und
Körperfunktionsstörungen, denen kein oder kein primär organischer Befund zu
grundeliegt, am ehesten die in Ziffer 26.3, S. 60 AHP unter "Neuologischen
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Persönlichkeitsstörungen" genannten psychovegetativen oder psychischen Störungen
mit Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und evtl. sozialen
Anpassungsschwierigkeiten in Betracht (Niederschrift über die Tagung der Sektion
"Versorgungsmedizin" des ärztlichen Sachverständigenbeirates bei BMA vom 25. bis
26.11.1998).
Hiernach ist für leichtere psychovegetative oder psychische Störungen ein
Bewertungsrahmen von 0 - 20 vorgesehen. Ein GdB von 30-40 ist erst bei stärker
behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und
Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere, depressive, hypochondrische, asthenische,
oder phobische Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) gegeben.
Ein GdB von 50 kann erst bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit
mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten in Ansatz gebracht werden (vgl.
AHP S. 60f).
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Unter Berücksichtigung dieser Bewertungskriterien ist der von Dr. N ... für das
Fibromyalgiesyndrom vorgeschlagene GdB von 50 als überhöht anzusehen. Denn die
von Dr. N ... als Folgen des Fibromyalgie-Syndroms beschriebene starke
Schmerzhaftigkeit, die mit einer depressiven Verstimmung einhergeht, kann nicht mit
schweren Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten
gleichgestellt werden. Nach ihren dem Senat gemachten Angaben bezieht die Klägerin
nunmehr Arbeitslosengeld, sie steht also dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Da sie auch
keinen Rentenantrag gestellt hat, kann schon deshalb nicht davon ausgegangen
werden, dass es wegen der fibromyalgischen Erkrankung, z. B. durch einen Rückzug
aus dem Erwerbsleben zu mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten
gekommen ist.
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Eine Gleichstellung mit ausgeprägteren depressiven Störungen, die einen GdB von 30-
40 rechtfertigen, erscheint angesichts der von Dr. N ... angegebenen bloßen
depressiven Verstimmung ebenfalls nicht möglich. Auch die sich im wesentlichen auf
subjektive Empfindungen der Klägerin gründende Schmerzhaftigkeit lässt sich nicht mit
einer stärker behindernden Störung, die zu einer wesentlichen Einschränkung der
Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit führt, gleichstellen. Insbesondere sind auch die
Angaben der Klägerin zu Art und Ausmaß der Schmerzen nicht geeignet, derartige
Einschränkungen, wie sie bei ausgeprägteren depressiven oder somatoformen
Störungen gegeben sind, nachzuweisen. Zudem sind auch nach dem
Entlassungsbericht über das im Januar/Februar 2000 in der V ... durchgeführte
Heilverfahren Aggravationstendenzen nicht auszuschließen.
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Insgesamt sind die mit der fibromyalgischen Erkrankung einhergehenden
Begleiterscheinungen unter Würdigung sämtlicher medizinischer Unterlagen am
ehesten mit leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen zu vergleichen,
so dass hierfür innerhalb des Bewertungsrahmens von 0 - 20 ein GdB von 20 in Ansatz
gebracht werden kann.
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Auch unter Berücksichtigung dieses eigenständigen Teil-GdB von 20 für die
Fibromyalgie, der im wesentlichen durch die Schmerzkomponente bedingt ist, ist im
Ergebnis der von Dr. A ... vorgeschlagene GdB von insgesamt 30 zutreffend. Denn bei
den zu berücksichtigenden Teil-GdB von jeweils 20 für die Fibromyalgie und die reinen
Wirbelsäulenschäden erscheint ein GdB von 30 vertretbar. Je denfalls ist ein höherer
GdB als von insgesamt 40 nicht gerechtfertigt. Letzteres gilt im übrigen auch dann, wenn
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man die durch die Fibromyalgie hervorgerufenen Störungen mit stärker behindern den
Störungen, die eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit
bedingen, gleichstellen wollte und einen GdB-Rahmen von 30-40 für vertretbar
erachtete. Denn selbst bei Annahme eines GdB von 40 für das Fibromyalgiesyndrom
würde dieser GdB durch den Teil-GdB von 20 für die reinen Wirbelsäulenschäden nicht
auf 50 erhöht. Denn nach den für die Bildung des Gesamt-GdB maßgeblichen
Beurteilungskriterien ist es auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem
GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes
der Behinderung zu schließen. Letzteres ist hier der Fall. Entscheidend hierfür ist, dass
die reinen Wirbelsäulenschäden lediglich leichte Funktionsstörungen bedingen und
sich diese Funktionsstörungen zu dem mit der durch das Fibromyalgiesyndrom
bedingten Schmerzsymptomatik überschneiden.
Insgesamt ist auch unter Zugrundelegung der heute feststellbaren Funktionsstörungen
ein höherer GdB als 40 nicht gerechtfertigt. Auch wenn man ein Fibromyalgiesyndrom
als nachgewiesen ansieht, lässt sich aus der hierdurch bedingten im wesentlichen auf
subjektiven Empfindungen beruhenden Schmerzsymptomatik jedenfalls nicht die
Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin herleiten. Abgesehen hiervon sind - wie
oben ausgeführt - die angefochtenen Bescheide jedenfalls bereits deshalb nicht zu
beanstanden, weil eine wesentliche Änderung der Verhältnisse i. S. d. § 48 SGB X nicht
nachgewiesen ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz.
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Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen.
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