Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27.11.2001

LSG NRW: ärztliches gutachten, versorgung, empfehlung, zusage, arzneimittel, abrechnung, diagnose, medikament, fachgutachten, sachprüfung

Landessozialgericht NRW, L 5 KR 20/01
Datum:
27.11.2001
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 5 KR 20/01
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 5 KR 92/98
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom
22.11.2000 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
1
I.
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Der Kläger begehrt die Erstattung bzw. die Freistellung von Kosten, die ihm aufgrund
ärztlicher Behandlung durch den nicht an der vertragsärztlichen Versorgung
teilnehmenden Arzt Dr. B ... entstanden sind.
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Der am ...1949 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Seit dem
19.05.1994 befindet er sich in Behandlung des Dr. B ..., der in Köln eine ambulante
Tagesklinik für chronische Erkrankungen betreibt. Dr. B ... diagnostizierte bei dem
Kläger ein Chronique-Fatigue-Syndrom, wiederkehrendes subakutes Abdomen,
Intercostalneuralgie, Hepatopathien, wieder kehrende LWS-Syndrome, gutartige
Prostatahypertrophie, Hyperlipidämie, Thoraxschmerzen unklarer Genese, Infektion
Chlamydiapneumoniae, wiederkehrende Hodenerkrankung unklarer Genese und
wiederkehrende Migräne (Befundbericht vom 21.06.1999). Die Behandlung durch Dr. B
...erfolgte mittels einer sog. immunmodulatorischen Therapie, deren wesentlicher
Therapieanteil die Behandlung mit hochdosierten Thymopoietinen und
Immunglobulinen war. Darüber hinaus erhielt der Kläger auch Antibiotika.
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Die Kosten der Behandlung durch Dr. B ... trug die Beklagte bis zum 31.05.1997 nach
Maßgabe ihres Bescheides vom 03.05.1995, mit dem sie dem Kläger folgende Zusage
erteilt hatte: "Die DAK will sich ihren Argumenten nicht verschließen und ist daher
bereit, die Kosten für die Behandlung bei dem Nichtvertragsarzt Dr. B ... in Höhe der
Vertragssätze zu erstatten. Wir weisen besonders darauf hin, dass es sich um eine
Ausnahmeentscheidung ohne Präjudiz für künftig ähnliche oder gleichgelagerte Fälle
handelt".
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Durch Bescheid vom 30.05.1997 hob die Beklagte ihre Zusage der Übernahme der
Behandlungskosten des Dr. B ... auf. Den dagegen am 01.07.1997 eingelegten
Widerspruch wies die Beklagte durch den Widerspruchsbescheid vom 22.01.1998
zurück.
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Am 04.05.1998 beantragte der Kläger, den Bescheid vom 30.05.1997 zu überprüfen und
im Zugunstenverfahren gemäß § 44 Abs. 1 des Zehnten Buches des
Sozialgesetzbuches (SGB X) aufzuheben. Dies lehnte die Beklagte durch den Bescheid
vom 26.06.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.10.1998 mit der
Begründung ab, der Bescheid vom 30.05.1997 sei rechtmäßig und deshalb nicht gemäß
§ 44 Abs. 1 SGB X aufzuheben.
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Der Kläger hat am 17.11.1998 Klage vor dem Sozialgericht Köln erhoben.
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Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte müsse auch für die Kosten seiner
Behandlung durch Dr. B ... über den 31.05.1997 hinaus eintreten, weil eine erfolgreiche
Behandlung nur durch diesen Arzt und die von ihm angewandten Methoden
gewährleistet sei. Außerdem verletze die Beklagte das Prinzip des Vertrauensschutzes,
wenn sie sich von ihrer früher ausgesprochenen Kostenzusage löse.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.06.1998 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15.10.1998 zu verurteilen, den Bescheid vom 30.05.1997
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.1998 aufzuheben und die Kosten für
die Behandlung durch Dr. B ... über den 31.05.1997 hinaus zu übernehmen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat gemeint, der Bescheid vom 03.05.1995 verpflichte sie nicht, für alle Zeit die
Kosten der Behandlung des Klägers durch Dr. B ... zu übernehmen. Entscheidend sei,
dass nach den gesetzlichen Bestimmungen kein Anspruch auf Behandlung durch einen
Arzt bestehe, der nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehme.
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Das Sozialgericht hat Befundberichte des Dr. B ... vom 21.06.1999 und 20.12.1999
eingeholt, in denen der behandelnde Arzt u.a. die gestellten Diagnosen, erhobenen
Befunde und angewandten Behandlungsmaßnahmen beschrieben hat.
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Ferner hat das Sozialgericht eine Auskunft der Kassenärztlichen Bundesvereinigung -
Bewertungsausschuss - vom 21.02.2000 sowie des Bundesausschusses der Ärzte und
Krankenkassen - Geschäftsführung - vom 05.06.2000 eingeholt.
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Der Bewertungsausschuss hat mitgeteilt: Die Analyse der von Dr. B ... abgerechneten
Leistungspositionen ergebe, dass es sich - von Ausnahmen abgesehen - um Leistungen
gehandelt habe, die auch nach dem einheitlichen Bewertungsmaßstab als
vertragsärztliche Leistungen im Rahmen der Krankenbehandlung berechnungsfähig
gewesen wären. Lediglich einige spezielle diagnostische und therapeutische
Leistungen hätten nicht nach dem einheitlichen Bewertungsmaßstab als
vertragsärztliche Leistungen abgerechnet werden können.
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Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat ausgeführt, dass die dem
Kläger von Dr. B ... verabreichten Arzneimittel, die Thymopoietine und Immunglobuline,
den Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes unterlägen. Diese seien für die
beanspruchte Indikation nicht zugelassen. Der Behandlungsansatz sei in den
Beratungen des Arbeitsausschusses Arzneimittel nicht als erfolgversprechend
eingestuft worden.
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Dr. B ... hat daraufhin in einem an den Prozessbevollmächtigten des Klägers gerichteten
Schreiben vom 05.06.2000 folgendes ausgeführt: Zentrales Therapiekonzept der
Behandlung sei die Immunmodulation mit Thymopoietinen (THX). Dieses Medikament
stelle er nach § 57 des Arzneimittelgesetzes selbst her. Soweit ihm bekannt sei, gebe es
keinen Kassenarzt, der dieses selbst herstelle und zur Abrechnung bringen dürfe. Zwar
seien auch einige schulmedizinische, kassenärztlich verordnungsfähige Medikamente
angewandt worden. Diese besäßen aber sowohl therapeutisch wie auch kostenmäßige
marginale Bedeutung.
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Durch Urteil vom 22.11.2000 hat das Sozialgericht Köln die Klage abgewiesen. Wegen
der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
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Gegen das ihm am 06.01.2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 06.02.2001 Berufung
eingelegt.
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Zur Begründung bringt er vor: Aus den Befundberichten des Dr. B ... ergebe sich, dass
sich seine Beschwerden durch kassenärztlichen Leistungen nicht mit Erfolg behandeln
ließen. Dr. B ... habe die bis dahin nicht erkannte Diagnose des Chronique-Fatigue-
Syndrom gestellt. Für diese Erkrankung gebe es kein wirksames schulmedizinisches
Therapiekonzept. Diese Fragestellung hätte durch das Sozialgericht durch die
Einholung eines fachmedizinischen Gutachtens abgeklärt lassen müssen.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 22.11.2000 zu ändern und die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 26.06.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 15.10.1998 zu verurteilen, den Bescheid vom 30.05.1997 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22.01.1998 zurückzunehmen und die Kosten für die
Behandlung durch Dr. B ... über den 31.05.1997 hinaus zu übernehmen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
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Dr. B ... hat (unaufgefordert) durch Schreiben vom 03.08.2001 mitgeteilt, dass der
Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen gebeten worden sei, eine
Stellungnahme zu dem Präparat THX vorzulegen; ferner hat Dr. B ... mit gleichem
Schreiben ein an ihn gerichtetes Schreiben des Prof. Dr. R ..., W ..., vom 12.06.2001
vorgelegt, wonach von 1996 bis 2000 etwa 246.345 Patienten mit Thymuspräparaten
behandelt worden sind.
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Der Senat hat den Kläger darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung gemäß § 153
Abs. 4 SGG beabsichtigt sei, weil der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet
und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich halte.
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II.
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Der Senat konnte über die Berufung des Klägers durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4
SGG entscheiden, weil die Berufsrichter des Senats die Berufung einstimmig für
unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten haben.
Auch hat die erforderliche Anhörung der Beteiligten stattgefunden.
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Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage
zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 26.06.1998 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15.10.1998 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen
Anspruch darauf, dass die Beklagte den Bescheid vom 30.05.1997 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22.01.1998 gemäß § 44 Abs. 1 SGB X zu rücknimmt und
die Kosten für die Behandlung durch Dr. B ... über den 31.05.1997 hinaus übernimmt.
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Zur Begründung verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil des
Sozialgerichts Köln vom 22.11.2000, denen er sich nach eigener Sachprüfung in vollem
Umfang anschließt. Ergänzend weist der Senat auf folgendes hin: Soweit der Kläger
meint, das Sozialgericht bzw. der Senat habe ein ärztliches Fachgutachten zur
Feststellung der Wirksamkeit der von Dr. B ... angewandten Behandlungsmethoden
einholen müssen, verkennt er (die vom Sozialgericht ausführlich dargelegte)
Rechtslage. Es besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Behandlung durch einen nicht
an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt. Der Wirksamkeitsnachweis
einer von einem solchen Arzt angewandten, nicht allgemein anerkannten
Behandlungsmethode kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vergl.
Urteil vom 28.03.2000, Az B 1 KR 11/98 R, SozR 3-2500 § 135 SGB V Nr.14 mit
weiteren Nachweisen) nicht durch ein ärztliches Gutachten geführt werden. Insoweit ist
entscheidend - dies hat das Sozialgericht ebenfalls ausführlich dargelegt -, dass eine
positive Empfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vorliegt.
Dies ist nicht der Fall. Ob eine derartige positive Empfehlung des Bundesausschusses
der Ärzte und Krankenkassen nunmehr aufgrund der Aufforderung durch Dr. B ... erfolgt,
ist für die Entscheidung dieses Rechtsstreits unerheblich, weil nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Beschluss vom 08.02.2000, B 1 KR 18/99
B, SozR 3-2500 § 135 SGB V Nr.12) diese positive Empfehlung zum Zeitpunkt der
Inanspruchnahme der betreffenden Leistungen vorgelegen haben muss. Es kommt
ferner auch nicht darauf an, in welchem Umfang eine Behandlung von Patienten in der
Bundesrepublik Deutschland mit (irgendwelchen) Thymuspräparaten erfolgt ist. Dem
Schreiben des Prof. Dr. R ... an Dr. B ... ist nicht zu entnehmen, dass eine Behandlung
von Krankheiten, wie sie bei dem Kläger vorliegen, mit dem hier in Rede stehenden
Präparat THX in größerem Umfang durchgeführt wird. Es bestehen deshalb keinerlei
Anhaltspunkte für ein "Systemversagen" im Sinne der o.g. Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden.
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