Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 08.11.2001

LSG NRW: private krankenversicherung, selbständige erwerbstätigkeit, unternehmen, mitgliedschaft, einkünfte, versicherungspflicht, aufwand, verordnung, buchhaltung, anstellungsvertrag

Landessozialgericht NRW, L 5 KR 11/00
Datum:
08.11.2001
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 5 KR 11/00
Vorinstanz:
Sozialgericht Münster, S 2 KR 21/97
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster
vom 25.11.1999 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
1
Streitig ist, ob der Kläger aufgrund einer ab dem 15.05.1995 in dem Betrieb seines
Sohnes ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung Mitglied der Beklagten
geworden ist.
2
Der 1939 geborene Kläger ist selbständig tätig und Inhaber von zwei Unternehmen
(Unterhaltungselektronik und Branchen-Software- Entwicklung). Im Jahre 1995 betrugen
die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit 49.087,-- DM, die Einkünfte aus
nichtselbständiger Tätigkeit 12.000,-- DM (Einkommensteuerbescheid 1995 vom
17.02.2000). Mit dem Datum vom 15.05.1995 wurde zwischen dem Kläger und der ...-
GmbH, deren Geschäftsführer ein Sohn des Klägers ist, ein Anstellungsvertrag für
kaufmännische Angestellte unter schrieben. Danach sollte der Kläger in dem
Unternehmen als Buchhalter bei der Erfassung der Finanzbuchhaltung des
Unternehmens bei freier Zeiteinteilung tätig sein. Nach dem Vertrag sollte er in 14-
tägigen Abständen im Unternehmen anwesend sein, um die laufenden Belege zu
erfassen. Laut Arbeitsvertrag beträgt die Arbeitszeit "ca." 20 Stunden wöchentlich, das
Gehalt 1600.-- DM. Für die Anfahrten im eigenen Pkw sollte der Kläger eine - der Höhe
nach nicht bestimmte - Kilometerpauschale erhalten. Die Anmeldung bei der Beklagten
erfolgte am 24.05.1995.
3
Am 19.05.1995 erlitt der Kläger einen Herzinfarkt und wurde deshalb vom 19.05. bis
04.07.1995 und vom 25.07. bis 22.08.1995 stationär behandelt. Die Kosten dieser
Behandlungen hat die Beklagte getragen. Der Kläger war seit 1993 nicht mehr
versichert gewesen, die bis dahin bestehende private Krankenversicherung hatte er
beendet, weil er die Prämien nicht mehr bezahlen konnte. Im St. M ...Hospital L ..., wo
der Kläger ab dem 19.05.1995 behandelt wurde, wurde er zunächst als Selbstzahler
geführt. Auch in der vom Krankenhaus ausgestellten Verordnung über den
4
Krankentransport vom 19.05.1995 wurde als Kostenträger "privat" angegeben. Ebenso
war in der Verordnung von Krankenhausbehandlung durch den Internisten H ... vom
19.05.1995 zunächst maschinenschriftlich "privat" eingetragen worden, diese
Eintragung ist dann handschriftlich in "AOK Frankfurt/Oder" geändert worden.
Die Beklagte prüfte nach Bekanntwerden der Erkrankung das Vorliegen eines
versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses und kündigte schließlich mit
Bescheid vom 25.06.1996 die Mitgliedschaft rückwirkend zum 15.05.1995, da ein
missglückter Arbeitsversuch vorgelegen habe. Der Kläger wies bei seinem Widerspruch
darauf hin, er habe sogar schon vor der Arbeitsaufnahme Arbeit von wirtschaftlichem
Wert erbracht, da er ein Computersystem installiert und die Finanzbuchhaltung
softwaremäßig installiert habe. Im Krankenhaus habe er dann auf dem Laptop die
Buchhaltung nachgearbeitet. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.1996 wies die
Beklagte den Widerspruch zurück.
5
Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Beklagte sei verpflichtet,
Leistungen zu erbringen. Sie habe ihm noch im Februar 1996 eine
Mitgliedsbescheinigung und eine Versicherungspolice übersandt, daher sei es ihr
verwehrt, rückwirkend die Mitgliedschaft zu kündigen. Ferner hat er darauf hingewiesen,
dass die Beklagte von seinem Sohn fortlaufend Sozialversicherungsbeiträge fordere,
obwohl sie das Zustandekommen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung
verneine.
6
Die Beklagte hat eingeräumt, dass nach der neueren Rechtsprechung des BSG die
Figur des missglückten Arbeitsversuches nicht mehr anzuwenden sei. Unter Hinweis
auf eine Auskunft des Finanzamtes L ... vom 09.01.1998 hat sie geltend gemacht, der
Kläger sei hauptberuflich selbständig tätig, so dass Versicherungspflicht in der
Krankenversicherung nicht zustande gekommen sei. Dazu hat der Kläger vorgetragen,
er habe 1994 negative Einkünfte in Höhe von rund 15.000,-- DM erzielt; diese
Ertragslage sei Anlass gewesen, das streitige Beschäftigungsverhältnis zu beginnen.
7
Mit Urteil vom 25.11.1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat gemeint,
der Kläger sei zwar seit dem 15.05.1995 im Unternehmen seines Sohnes beschäftigt,
Versicherungspflicht in der Krankenversicherung sei wegen seiner hauptberuflichen
selbständigen Tätigkeit jedoch nicht zustande gekommen.
8
Im Berufungsverfahren trägt der Kläger vor, er habe aus einer Notlage heraus die
Beschäftigung aufgenommen. Die Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb seien "dem Erlös
einer stillen Gesellschaft zuzuordnen". Die Beschäftigung bei seinem Sohn habe er
aufgenommen, weil er bei Durchsicht dessen Steuererklärungen festgestellt habe, dass
es zu Fehlbuchungen gekommen sei. Er habe seinem Sohn angeboten, die
Buchhaltung zu erledigen, um Geld dazu zuverdienen. Ihm sei es auf jede Mark
angekommen, so dass er ihm gesagt habe, er solle zahlen, was er könne.
9
Dem Vorbringen des Klägers ist der Antrag zu entnehmen,
10
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 25.11.1999 zu ändern und unter Aufhebung
des Bescheides vom 25.06.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
05.12.1996 festzustellen, dass aufgrund der Beschäftigung ab 15.05.1995 eine
Mitgliedschaft bei der Beklagten zustande gekommen ist.
11
Die Beklagte beantragt,
12
die Berufung zurückzuweisen.
13
Sie hält die Auffassung des Sozialgerichts für zutreffend, dass der Kläger hauptberuflich
selbständig tätig sei und daher Krankenversicherungspflicht nicht bestanden habe.
14
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind.
15
Entscheidungsgründe:
16
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht
abgewiesen, denn der Kläger ist nicht Mitglied der Beklagten geworden.
17
Der Senat kann offen lassen, ob der Kläger am 15.05.1995 in ein abhängiges
Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV)
eingetreten ist, was Voraussetzung für eine Mitgliedschaft bei der Beklagten gewesen
wäre (§§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 186 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)). Zweifel
daran bestehen, weil zahlreiche Anhaltspunkte die Annahme nahelegen, dass wegen
der am 19.05.1995 festgestellten schweren Erkrankung, die Kosten von mindestens ca.
59.000,-- DM verursacht hat, zwischen ihm und seinem Sohn ein
Beschäftigungsverhältnis "konstruiert" worden ist. Da der Kläger seit 1993 nicht mehr
versichert war, bedeutete die Einweisung in das Krankenhaus für ihn eine kaum
tragbare Belastung. Eine abhängige Beschäftigung in einem weit von seinem Wohnort
entfernt liegenden Unternehmen war sehr ungewöhnlich (wobei zudem fraglich ist, ob
die im Anstellungsvertrag genannte Gestaltung "bei freier Zeiteinteilung" einem
abhängigen Beschäftigungsverhältnis entspricht). Erstaunlicherweise sollte das
Beschäftigungsverhältnis auch erst am 15.05.1995 beginnen, obwohl der Kläger nach
eigenem Bekunden schon zuvor für das Unternehmen tätig geworden war. Auch die
Tatsache, dass der Kläger zunächst im Krankenhaus als Privatpatient geführt wurde und
auch in der Verordnung von Krankenhauspflege maschinenschriftlich "privat"
eingetragen wurde, deutet darauf hin, dass dem Kläger eine angeblich schon seit vier
Tagen bestehende Mitgliedschaft bei der Beklagten nicht "bewusst" war.
18
Selbst wenn man annimmt, dass der Kläger eine versicherungspflichtige Beschäftigung
ausgeübt hat, stand der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung gemäß § 5
Abs. 5 SGB V entgegen, dass der Kläger hauptberuflich selbständig erwerbstätig ist.
Hauptberuflich ist eine selbständige Erwerbstätigkeit dann, wenn sie von der
wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand her die übrigen
Erwerbstätigkeiten zusammen deutlich übersteigt und den Mittelpunkt der
Erwerbstätigkeit darstellt (BT-Drucksache 11/2237, Seite 160). Entscheidend ist, ob bei
einer Gesamtschau die selbständige Tätigkeit von der wirtschaftlichen Bedeutung und
dem zeitlichen Aufwand her deutlich überwiegt, wobei bei einer vorausschauenden
Betrachtung ab dem Zeitpunkt des Zusammentreffens von abhängiger und
selbständiger Tätigkeit die selbständige Tätigkeit deutlich überwiegen muss (BSG SozR
3-5420 § 3 Nr. 3).
19
Nach diesen Kriterien war der Kläger hauptberuflich selbständig tätig. Vom
wirtschaftlichen Ergebnis her überwog eindeutig die Selbständigkeit, denn der Kläger
20
hat 1995 insgesamt 49.000,-- DM Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erzielt (eine der
Gesellschaften erreichte einen Gewinn von 64.000,-- DM, während die zweite
Gesellschaft einen Verlust von etwa 15.000,-- DM erlitt). Demgegenüber betrug der
Bruttolohn aus der nichtselbständigen Arbeit nur 12.000,-- DM; der zeitliche Aufwand
sollte laut Arbeitsvertrag nur 20 Stunden pro Woche betragen. Es kann davon
ausgegangen werden, dass der Kläger in seinen beiden Unternehmen auch mindestens
in diesem Umfang gearbeitet hat. Da bei der gebotenen Gesamtbetrachtung ein
deutliches Überwiegen eines Kriteriums ein geringes Zurückbleiben des anderen
Kriteriums kompensieren und dazu führen kann, dass ingesamt vom Überwiegen der
Selbständigkeit auszugehen ist (BSG a.a.O.), sprechen die Einkommensverhältnisse für
die Annahme einer hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit. Der Kläger hat im
Berufungsverfahren keine konkreten Tatsachen vorgetragen, die diese Beurteilung in
Frage stellen könnten. Die Auflagen des Gerichts vom 13.06.2000 hat er nicht erfüllt und
keine Unterlagen zu den Verhältnissen in den Jahren 1994 bis 1996 vorgelegt, die unter
Umständen zu einer anderen Beurteilung hätten führen können.
Somit ist eine Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten nicht zustande gekommen;
ob Versicherungspflicht in anderen Zweigen der Sozialversicherung begründet worden
ist, brauchte der Senat nicht zu entscheiden, da der Kläger sein Begehren auf die
Gewährung von Leistungen durch die Beklagte beschränkt hat.
21
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
22
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
23