Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 10.02.2004

LSG NRW: eigenes verschulden, rechtsschutzversicherung, beschwerdefrist, verdacht, zustellung, post, auflage, rechtskraft, bekanntgabe, kostendeckung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landessozialgericht NRW, L 14 B 17/03 RJ
10.02.2004
Landessozialgericht NRW
14. Senat
Beschluss
L 14 B 17/03 RJ
Sozialgericht Dortmund, S 34 RJ 84/02
Rentenversicherung
rechtskräftig
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts
Dortmund vom 04.09.2003 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Das Sozialgericht hatte dem Kläger für das - inzwischen durch einen Vergleich erledigte -
Hauptsacheverfahren mit Beschluss vom 12.06.2002 Prozesskostenhilfe bewilligt. Diese
Entscheidung stützte sich auf die Erklärung des Klägers über seine persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse vom 18.03.2002, in der er die Frage, ob eine
Rechtsschutzversicherung die Kosten der Prozessführung trage, verneint hatte.
Nach der Erledigung der Hauptsache blieb zwischen den Beteiligten streitig, in welchem
Umfang die Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens zu
tragen hat. Die Beklagte erklärte sich mit Schriftsatz vom 20.03.2003 bereit, die Hälfte
dieser Kosten zu übernehmen. Die Bevollmächtigten des Klägers hielten es für
angemessen, dass die Beklagte die erstattungsfähigen Kosten in vollem Umfang trägt
(Schriftsatz vom 17.04.2003). Auf Rückfrage des Kammervorsitzenden vom 17.07.2003
bestanden die Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 29.07.2003 auf einer
Kostengrundentscheidung des Sozialgerichts. Die Notwendigkeit eines entsprechenden
Beschlusses begründeten sie wie folgt: "Die hinter dem Kläger stehende
Rechtsschutzversicherung wird anderenfalls angesichts des nach ihrer Ansicht vollen
Obsiegens des Klägers eine Kostendeckung auch hinsichtlich des nicht von der Beklagten
erstatteten Kostenanteils nicht gewähren".
Daraufhin entschied das Sozialgericht durch Beschluss vom 04.09.2003, dass die Beklagte
drei Viertel der außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt.
Mit weiterem Beschluss vom selben Tag hob das Sozialgericht die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe mit der Begründung auf, der Kläger sei ausweislich des Schriftsatzes
seiner Bevollmächtigten vom 29.07.2003 entgegen seiner Angabe in der Erklärung vom
18.03.2002 für dieses Verfahren rechtsschutzversichert.
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Die beiden Entscheidungen vom 04.09.2003 wurden den Bevollmächtigten des Klägers
ausweislich ihres Empfangsbekenntnisses am 16.09.2003 zugestellt.
Am 24.09.2003 sind bei dem Sozialgericht zwei - als solche ausdrücklich bezeichnete -
Kostenfestsetzungsgesuche der Bevollmächtigten des Klägers vom 22.09.2003
eingegangen. Mit dem einen Gesuch ist die Festsetzung der von der Beklagten zu
tragenden Rechtsanwaltsgebühren, mit dem anderen Gesuch die Festsetzung der von der
Landeskasse im Wege der Prozesskostenhilfe zu erstattenden Kosten begehrt worden.
Mit Schreiben vom 26.09.2003 hat der Kammervorsitzende die Prozessbevollmächtigten
des Klägers um Mitteilung gebeten, ob der Antrag auf Festsetzung der Kosten gegen die
Landeskasse als Beschwerde gegen den die Aufhebung der Bewilligung von
Prozesskostenhilfe betreffenden Beschluss vom 04.09.2003 zu verstehen sei.
Dies haben die Bevollmächtigten des Klägers mit dem beim Sozialgericht am 21.10.2003
eingegangenen Schriftsatz vom 20.10.2003 bejaht. Die Angabe im Schriftsatz vom
29.07.2003, die Kostengrundentscheidung sei wegen der Rechtsschutzversicherung
erforderlich, beruhe auf einem heute nicht mehr aufklärbaren Irrtum.
Der Kammervorsitzende hat am 27.10.2003 vermerkt, der "Beschwerde vom 22.09.2003"
werde nicht abgeholfen.
Der Vorsitzende des im Beschwerdeverfahren erkennenden Senats hat die
Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 05.11.2003 darauf hingewiesen, dass
erhebliche Bedenken gegen die Wahrung der Beschwerdefrist bestünden. Der Schriftsatz
eines Rechtsanwalts, der ausdrücklich und ausschließlich als Kostenfestsetzungsgesuch
bezeichnet werde, könne wohl kaum als Rechtsbehelf (Beschwerde) ausgelegt werden.
Die Bevollmächtigten des Klägers teilen diese Bedenken nicht. Wenn trotz "PKH-
Verweigerung" die Kostenfestsetzung beantragt werde, ergebe sich daraus mit Klarheit,
dass der vorausgegangene Beschluss nicht akzeptiert werde. Dies habe auch das
Sozialgericht so gesehen. Sie versichern im Übrigen an Eides statt, dass der Kläger ihnen -
den Prozessbevollmächtigten - gegenüber keine Rechtsschutzversicherung benannt habe.
Für das Hauptsacheverfahren habe auch tatsächlich keine Rechtsschutzversicherung
bestanden. Im Schriftsatz vom 29.07.2003 sei auch keine konkret von einer
Rechtsschutzversicherung geäußerte Ansicht wieder gegeben, sondern nur der "übliche"
Einwand der Rechtsschutzversicherer dargelegt worden, die bei derartigen
Fallgestaltungen regelmäßig Probleme bei der Regulierung machten.
II.
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig.
Sie ist frühestens mit dem am 21.10.2003 eingegangen Schriftsatz der Bevollmächtigten
des Klägers vom 20.10.2003 und damit entgegen der Bestimmung des § 173 SGG nicht
binnen eines Monats nach Bekanntgabe des mit einer zutreffenden
Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Beschlusses des Sozialgerichts vom 04.09.2003 am
16.09.2003 eingelegt worden. Das gegen die Landeskasse gerichtete
Kostenfestsetzungsgesuch vom 22.09.2003 kann entgegen der Annahme der
Bevollmächtigten des Klägers nicht als Beschwerde gegen die Aufhebung der Bewilligung
von Prozesskostenhilfe ausgelegt werden. Zwar ist die Verwendung des Wortes
"Beschwerde" nicht erforderlich. Ausreichend - aber auch erforderlich - ist, dass der
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Beschwerdeführer sein Missfallen über eine bestimmte Entscheidung deutlich macht und
zum Ausdruck bringt, dass die Entscheidung überprüft werden soll (Meyer-Ladewig, SGG,
7. Auflage, § 173 Rdnr. 4). Dies kann in besonderen Maße von einem Rechtsanwalt
erwartet werden. Hier wird in dem gegen die Landeskasse gerichteten
Kostenfestsetzungsgesuch der Beschluss über die Aufhebung der Bewilligung von
Prozesskostenhilfe überhaupt nicht erwähnt. Der Auffassung der Bevollmächtigten des
Klägers, aus der Vorlage des gegen die Landeskasse gerichteten
Kostenfestsetzungsgesuchs ergebe sich "mit Klarheit", dass die Aufhebung der
Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht akzeptiert werde, vermag der Senat nicht
beizutreten. Dem Empfänger dieses Gesuchs drängt sich bei objektiver Betrachtung eher
der Verdacht auf, dass - obwohl das unterschriebene Empfangsbekenntnis ausdrücklich
auf die Zustellung von zwei Beschlüssen hinweist - in der Kanzlei der
Prozessbevollmächtigten des Klägers versehentlich nur der Beschluss über die teilweise
Kostentragungspflicht der Beklagten, nicht aber auch der mit der selben Post übersandte
Beschluss über die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe registriert worden
ist. Dies gilt um so mehr, als der Kanzlei in der selben Angelegenheit nach dem
Eingeständnis der Prozessbevollmächtigten des Klägers schon ein anderes Versehen,
nämlich der unzutreffende Hinweis auf die angebliche Mitteilung einer nicht existierenden
Rechtsschutzversicherung unterlaufen ist. Unerheblich ist auch die Frage, ob das
Sozialgericht das Kostenfestsetzungsgesuch als Beschwerde angesehen hat. Der
Kammervorsitzende hat jedenfalls von dem ihm nach § 174 SGG zustehenden Abhilferecht
keinen Gebrauch gemacht. Damit liegt die Beschwerdeentscheidung allein beim
Landessozialgericht (§ 176 SGG).
Dem Kläger ist wegen der Versäumung der Beschwerdefrist keine Wiedereinsetzung in
den vorherigen Stand (§ 67 SGG) zu gewähren. Es fehlt bereits an einem entsprechenden
Antrag. Unabhängig davon kann aber auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger ohne
Verschulden gehindert war, die Beschwerdefrist einzuhalten. Obwohl der Vorsitzende des
Senats in seinem Schreiben vom 05.11.2003 erhebliche Bedenken gegen die Wahrung der
Beschwerdefrist geäußert hat, sind Wiedereinsetzungsgründe nicht dargetan worden. Die
Prozessbevollmächtigten des Klägers vertreten im Gegenteil die - wie oben dargelegt:
unzutreffende - Auffassung, dass schon das Kostenfestsetzungsgesuch die
Beschwerdefrist gewahrt habe. Für den Fall, dass der Beschluss über die Aufhebung der
Bewilligung von Prozesskostenhilfe in der Kanzlei der Bevollmächtigten des Klägers
zunächst übersehen worden ist, fehlt es an Angaben dazu, wie dies geschehen konnte. Ein
mögliches Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten muss sich der Kläger wie eigenes
Verschulden zurechnen lassen (§§ 73 Abs. 4 SGG, 85 Abs. 2 ZPO).
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).