Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21.03.2011

LSG NRW: verfügung von todes wegen, fremder, grundstück, erbschaft, erwerb, erlöschen, aufteilung, surrogat, ausführung, anfang

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss vom 21.03.2011 (rechtskräftig)
Sozialgericht Gelsenkirchen S 4 AS 1867/10
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 19 AS 66/11 B
Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 15.12.2010 geändert. Den
Klägern wird für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Q, N, beigeordnet.
Gründe:
Die in Bedarfsgemeinschaft lebenden Kläger zu 1), 2) und 3) wenden sich gegen die Versagung von
Prozesskostenhilfe für ihre Klage gegen Rückforderungsansprüche des Beklagten hinsichtlich nach dessen Ansicht
zu Unrecht erbrachter Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende -
(SGB II) wegen zunächst verschwiegenen Einkommenszuflusses.
Durch einen anonymen Hinweis erhielt der Beklagte am 29.06.2009 Kenntnis von Anfang 2007 den seinerzeit im
laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II stehenden Klägern zugeflossenen Mitteln.
Es stellte sich heraus, dass der Kläger zu 2) aus einer Erbauseinandersetzung 18.229,16 EUR erhalten hatte, die auf
seinem Girokonto am 24.01.2007 verbucht worden waren. Im Zuge der Anhörung zur beabsichtigten Aufhebung und
Rückforderung von Leistungen gaben die Kläger an, den erhaltenen Betrag im Wesentlichen zur Tilgung eigener und
fremder Schulden verbraucht zu haben. Mit zwei Bescheiden vom 10.09.2009 hob der Beklagte unter Verteilung der
zugeflossenen Mittel auf 18 Monate die Leistungsbewilligung der Kläger teilweise auf und forderte von der Klägerin zu
1) die Erstattung von 7.810,20 EUR, von der Klägerin zu 3) von 1.843,49 EUR und vom Kläger zu 2) in Höhe von
7.549,67 EUR.
Gegen diese Bescheide erhoben die Kläger keinen Widerspruch, wandten sich jedoch an den Petitionsausschuss des
Landtages. Diesen Vorgang sah der Beklagte als Antrag nach § 44 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch -
Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), gerichtet auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der
Bescheide vom 10.09.2009 an, beschied diesen Antrag mit Bescheid vom 27.05.2010 abschlägig, erteilte auf den
Widerspruch der Kläger gegen die Bescheide vom 27.05.2010 vier Änderungsbescheide vom 12.08.2010, mit denen
der Verteilzeitraum auf zwölf Monate und zudem die Beträge der Einzelforderungen reduziert wurden und wies die
Widersprüche der Kläger im Übrigen mit zwei Widerspruchsbescheiden vom 19.08.2010 zurück.
Mit der am 27.08.2010 erhobenen Klage, für die Prozesskostenhilfe begehrt wird, haben die Kläger ihre Argumentation
fortgesetzt, die erlangte Summe sei zur Tilgung von Schulden ausgegeben worden.
Mit Beschluss vom 15.12.2010 hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender
Aussicht und Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung abgelehnt. Auf die Begründung des Beschlusses wird Bezug
genommen.
Gegen den am 27.12.2010 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Kläger vom 07.01.2011, in deren
Verlauf der Hintergrund des Zuflusses von 18.229,16 EUR erläutert worden ist. Danach stammt der Betrag aus einer
Erbauseinandersetzung über das Vermögen der am 14.09.2006 verstorbenen Großmutter des Klägers zu 2), die er
anteilig zu 1/6 beerbt hat. Aus dem vorgelegten notariellen Vertrag vom 30.11.2006 über die Erbauseinandersetzung
ergibt sich u. a., dass der Kläger bereits zum Zeitpunkt des Todes seiner Großmutter Miterbe zu 1/6 des am
00.00.1999 verstorbenen und als Miteigentümer des von der Großmutter des Klägers vererbten Grundstückes
eingetragenen L war. Dieser habe keine Verfügung von Todes wegen hinterlassen. Die Erteilung eines Erbscheines
sei beantragt.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die nicht mutwillige Rechtsverfolgung der nach ihren glaubhaft gemachten
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen bedürftigen Klägern hat auch im Sinne von § 114 der
Zivilprozessordnung (ZPO) hinreichende Aussicht auf teilweisen Erfolg.
Zwar können die Kläger im Grundsatz nicht mit ihrer Argumentation gehört werden, sie hätten den erlangten Betrag
insgesamt oder doch zum überwiegenden Teil zur Tilgung fremder und eigener Schulden verwendet. Zahlungen zur
Tilgung von Schulden können nach soweit ersichtlich einheitlich befolgter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
im Recht der Grundsicherung für Arbeitssuchende grundsätzlich nicht vom Einkommen abgesetzt werden (BSG, Urteil
vom 19.09.2008 - B 14/7b AS 10/07 R -).
Auch begegnet der Ansatz des Beklagten, nach Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB II zugeflossene Mittel
als Einkommen anzusehen und unter Verteilung auf einen längeren Zeitraum anzurechnen, im Grundsatz keine
Bedenken. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 SGB
II grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält und Vermögen das, was er vor
Antragstellung bereits hatte (z. B. Urteil des BSG vom 28.10.2009 - B 14 AS 62/08 R -).
Nach dem im Beschwerdeverfahren zu Tage getretenen Hintergrund der erbrechtlichen Auseinandersetzung ist es
jedoch wahrscheinlich, dass der am 24.01.2007 dem Konto des Klägers zu 2) gutgeschriebene Betrag mindestens
teilweise surrogat des aus der Erbschaft nach dem am 10.08.2009 verstorbenen L erworbenen Miteigentumsanteiles
an dem seitens der Großmutter des Klägers zu 2) vererbten Grundstück ist.
Der Erwerb des Miteigentumsanteiles zu 1/6 nach dem verstorbenen L lag jedenfalls vor Antragstellung auf
Leistungen nach dem SGB II und war daher dem Vermögen der Kläger zuzurechnen. Dies wirft zum einen die Frage
auf, ob die Kläger bereits vor dem hier streitigen Aufhebungs- und Rückforderungszeitraum über
anspruchausschließendes Vermögen verfügten, und legt zudem - der Senat lässt dies im Rahmen der hier alleine
anzustellenden summarischen Prüfung offen - die Annahme nahe, dass die aus der Erbauseinandersetzung
zugeflossenen Mittel zumindest anteilig den Regeln zu unterwerfen sind, die für die Berücksichtigung von Vermögen
im SGB II gelten. Dies hätte insbesondere zur Folge, dass die Kläger hinsichtlich des ihrem Vermögensbestand
zuzurechnenden Anteils der am 24.01.2007 zugeflossenen Mittel die Vermögensfreibeträge nach § 12 Abs. 2 in
Anspruch nehmen könnten. Eine Reduzierung der Gesamtforderung schon unter diesem Gesichtspunkt erscheint
wahrscheinlich.
Hinreichende Erfolgsaussicht weist die beabsichtigte Rechtsverfolgung auch insoweit auf, als die Beklagte bei der mit
Bescheiden vom 12.08.2010 - in Ausführung ihrer Handlungsanweisungen - vorgenommenen Verteilung des
Einkommens auf zwölf Monate monatliche Anrechnungen in einer Höhe vorgenommen hat, die den Anspruch der
Kläger auf Leistungen nach dem SGB II insgesamt zum Erlöschen bringen. Diese Vorgehensweise wird anhand der
Rechtsprechung des BSG zum so genannten Verteilzeitraum zu messen sein. Hiernach ist die Aufteilung einmaliger
Einnahmen im Regelfall nicht vollständig auf die monatliche Leistung anzurechnen, vielmehr ist regelmäßig ein
Restleistungsbetrag zu belassen, der die Aufrechterhaltung der Versicherungspflichtverhältnisse gewährleistet (z. B.
Urteile des BSG vom 30.09.2008 - B 4 AS 29/07 R - sowie - B 4 AS 57/07 R -; abweichend im Hinblick auf die Höhe
eines Zuflusses von 2.500,00 EUR offensichtlich BSG im Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 76/08 R -, Rn 19 nach
juris).
Kosten des Beschwerdeverfahrens wegen Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind entsprechend § 127 Abs. 4 ZPO
nicht zu erstatten.
Dieser Beschluss ist nach § 177 SGG endgültig.