Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 01.03.2011

LSG NRW: sinn und zweck der norm, auflage, ermessen, mündlichkeit, bischof, einzelrichter, vergütung, einverständnis

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss vom 01.03.2011 (rechtskräftig)
Sozialgericht Köln S 20 AS 14/09 ER
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 7 B 296/09 AS
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 25.06.2009 wird
zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe der von der Staatskasse zu erstattenden Vergütung einer Rechtsanwältin.
Mit Beschluss vom 11.02.2009 hat das Sozialgericht (SG) Köln der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens
Prozesskostenhilfe für das einstweilige Anordnungsverfahren bewilligt und die Beschwerdeführerin, Rechtsanwältin U
aus L, beigeordnet.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 12.05.2009 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des SG Gebühren
und Auslagen in Höhe von 238,- EUR anstatt der beantragten 464,- EUR fest. Die Differenz ergibt sich aus der
Nichtberücksichtigung der fiktiven Terminsgebühr nach § 49 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) i.V.m. Nr. 3601
S. 2 Nr. 3 VV RVG in Höhe von 200,- EUR nebst Umsatzsteuer.
Hiergegen hat die Beschwerdeführerin Erinnerung eingelegt mit der Begründung, der Rechtsstreit sei durch
Anerkenntnis erledigt worden. Unter Hinweis auf den Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) NRW sei die fiktive
Terminsgebühr im einstweiligen Rechtsschutzverfahren entstanden (LSG NRW, Beschluss vom 26.04.2007 - L 7 B
36/07). Mit Beschluss vom 25.06.2009 hat das SG die Erinnerung zurückgewiesen.
Gegen den am 27.07.2009 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin am 07.08.2009 beim SG Beschwerde
eingelegt. Sie verfolgt ihr Begehren weiter.
II.
Über die Beschwerde entscheidet nicht der Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern, sondern der Einzelrichter
nach §§ 56 Abs. 1 S. 1, 33 Abs. 8 S. 1. HS 2 RVG. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung, nachdem der
Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern das Entstehen der fiktiven Terminsgebühr in Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes verneint und seine bisherige gegenteilige Aufassung aufgegeben hat (LSG NRW,
Beschluss vom 24.02.2011 - L 7 B 400/08 AS).
Das Rubrum war von Amts wegen zu korrigieren. Antragstellerin und Beschwerdeführerin ist in Verfahren, die die
Höhe der Rechtsanwaltsvergütung bei gewährter Prozesskostenhilfe betreffen, die/der Rechtsanwältin/Rechtsanwalt
selbst. Beschwerdegegner ist die Landeskasse, vertreten durch den Bezirksrevisor. Die durch die Prozesskostenhilfe
begünstigte Partei ist nicht beteiligt (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 40. Auflage 2010, § 56 RVG, Rn. 2-4; LSG NRW,
Beschluss vom 24.11.2010 - L 9 AS 878/10 B; LSG NRW, Beschluss vom 13.02.2009 - L 12 B 159/08 AS; LSG
NRW, Beschluss vom 15.07.2009 - L 20 B 27/09 AS).
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin, der das SG nicht abgeholfen hat, ist gemäß § 56 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 3
Satz 1 RVG zulässig, weil der Wert des Beschwerdegegen-standes 200,00 EUR erreicht und mit der Umsatzsteuer
überschreitet (Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Mathias/Uher, Kommentar zum RVG, 3. Auflage 2009, § 33 Rn.
36). Sie wurde auch fristgerecht eingelegt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG).
Die Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Voraussetzungen einer fiktiven Terminsgebühr verneint.
Nicht entscheidungserheblich war, ob der Rechtstreit vorliegend durch ein Anerkenntnis beendet worden ist. Auch bei
Zugrundelegung eines Anerkenntnisses sind die Voraussetzungen für eine Terminsgebühr nicht gegeben. Diese ist
nach Nr. 3106 VV RVG nicht angefallen. Grundsätzlich fällt eine Terminsgebühr an, wenn tatsächlich eine mündliche
Verhandlung stattgefunden hat. In den folgenden Nummern des Nr. 3106 VV RVG sind die Ausnahmefälle geregelt, in
denen auch ohne Termin eine sog. fiktive Terminsgebühr anfällt. Danach entsteht die Terminsgebühr in Verfahren vor
den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG) auch, wenn 1. in einem Verfahren, für
das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung
entschieden wird, 2. nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird
oder 3. das Verfahren nach angenommenen Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.
Die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden Nr. 3 liegen nicht vor. Eine fiktive Terminsgebühr fällt in
Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht an. Der Senat gibt seine abweichende Rechtsprechung (Beschluss
vom 26.04.2007 - L 7 B 36/07 AS) insoweit auf. Zwar lässt sich zur Überzeugung des Senats die Rechtsfolge nicht
unmittelbar dem Wortlaut der Nr. 3 entnehmen. Dementsprechend wird zum Teil in Rechtsprechung und Literatur die
Auffassung vertreten, dass auch ein Anerkenntnis in einem Eilverfahren eine fiktive Terminsgebühr begründet (vgl.
LSG NRW, Beschluss vom 14.07.2010 - L 1 AS 57/10 B unter Aufgabe seiner abweichenden Rechtsprechung;
Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 26.11.2008 - L 6 B 130/08 SF, Rn. 25; LSG NRW, Beschluss vom
18.09.2008 - L 5 B 43/08 KR; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, Kommentar zum RVG, 19. Aufl. 2010, Nr. 3106 VV
RVG Rn. 6). Der Wortlaut der Nr. 3 lässt jedoch durchaus auch die Auslegung zu, dass hier nur eine Regelung in
Bezug auf solche Verfahren getroffen wurde, die regelmäßig aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden werden.
Jedenfalls Sinn und Zweck der Norm sprechen dafür, dass Verfahren, die eine mündliche Verhandlung nicht zwingend
erfordern und im Regelfall durch Beschluss entschieden werden, einen Anspruch auf die Terminsgebühr nach Nr. 3106
VV-RVG nicht auslösen (LSG NRW, Beschluss vom 03.01.2011 - L 6 AS 1399/10 B; Beschluss vom 22.12.2010 - L
19 AS 1138/10 B; Beschluss vom 24.11.2010 - L 9 AS 878/10 B; Beschluss vom 03.03.2010 - L 12 B 141/09 AS;
Beschluss vom 20.10.2008 - L 20 B 67/08 AS; Sächsisches LSG, Beschluss vom 7.2.2008 - L 6 B 33/08 AS-KO; VG
Bremen, Beschluss vom 20.4.2009 - S 4 E 518/09; Curkovic, a.a.O., Nr. 3106 VV RVG Rn. 7; BVerwG, Beschluss
vom 5.12.2007 - 4 KSt 1007/07 bezogen auf Nr. 3104 Abs. 1 VV RVG; BGH, Beschluss vom 25.9.2007 - VI ZB
53/06). Nach Nr. 3 soll vermieden werden, dass der Rechtsanwalt von einer schriftlichen Annahmeerklärung absieht,
damit ein Termin durchgeführt wird. Er soll bei einer schriftlichen Annahmeerklärung nicht um eine Terminsgebühr
gebracht werden, die im Klageverfahren grundsätzlich anfällt. Anders als in Klageverfahren (§ 124 Abs. 1 SGG) ist in
den Verfahren nach § 86b SGG eine mündliche Verhandlung jedoch nicht vorgeschrieben. Im Regelfall ergeht eine
Entscheidung nach § 86b SGG durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 3 i. V. m. § 86b Abs. 4
SGG). Dies bedeutet, dass das Gericht nach Ermessen entscheidet, ob eine mündliche Verhandlung anberaumt wird
oder nicht (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage 2008, § 124 Rn. 5). Die
Beteiligten können eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht verhindern, so dass keine Notwendigkeit
besteht, eine (fiktive) Terminsgebühr zu gewähren, um prozessökonomisches Verhalten des Rechtsanwalts nicht zu
benachteiligen (VG Bremen, a.a.O.). Diese Auslegung entspricht dem gesetzgeberischen Willen, der mit der Regelung
bezweckte, Rechtsanwälte, die an sich erwarten können, im Hinblick auf den Grundsatz der Mündlichkeit eine
Terminsgebühr zu verdienen, nicht gebührenrechtlich schlechter zu stellen, wenn sie durch eine bestimmte
Verfahrensgestaltung auf eine mündliche Verhandlung verzichten (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 209).
Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG).
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 56 Abs. 2
Satz 1, § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG, § 177 SGG).