Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 18.10.2001

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Landessozialgericht NRW, L 16 P 22/99
Datum:
18.10.2001
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 16 P 22/99
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 34 P 191/96
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 3 P 15/01 R
Sachgebiet:
Pflegeversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 19. März 1999 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche
Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Streitig ist im Berufungsverfahren nur noch die Bewilligung von feuchtem
Toilettenpapier und feuchten Einmal-Waschlappen als Pflegehilfsmittel im Sinne des §
40 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI).
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Die am ...1957 geborene Klägerin leidet an einer Paraparese der Arme und Beine. Der
Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) hat sie mit Gutachten vom
12.12.1994 der Pflegestufe III zugeordnet.
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Mit dem angefochtenen Bescheid vom 10.10.1995 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 19.09.1996 (ergangen auf den Widerspruch der Klägerin
vom 19.10.1995) lehnte die Beklagte u.a. die unter Vorlage von Rechnungen beantragte
Kostenübernahme für feuchtes Toilettenpapier und feuchte Einmal-Waschlappen ab. Im
Rahmen des § 40 Abs. 1 SGB XI komme eine Versorgung mit Pflegehilfsmitteln nur in
Betracht, sofern diese unter Berücksichtigung des Grades der Pflegebedürftigkeit
indiziert seien und im Pflegehilfsmittel-Verzeichnis nach § 78 Abs. 2 SGB XI aufgeführt
würden. Toilettenpapier und Einmal-Waschlappen seien in diesem Verzeichnis nicht
enthalten.
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Hiergegen hat die Klägerin am 10.10.1996 Klage erhoben und u.a. geltend gemacht, die
beantragten Mittel seien zur Pflege des Intimbereichs erforderlich. Die Grundlage für die
Erstattung der Einmal-Waschlappen und der anderen Hilfsmittel würde entfallen, sobald
eine ordnungsgemässe Reinigung im Anal- und Vaginalbereich durch den beantragten,
von der Beklagten aber bislang abgelehnten Closomaten möglich wäre.
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Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.10.1995 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 19.09.1996 zu verurteilen, ihr die Kosten
selbstbeschaffter Pflegemittel zu erstatten.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat an ihrer bislang vertretenen Auffassung festgehalten.
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Das Sozialgericht hat zur Erforderlichkeit der streitigen Pflegemittel eine Anfrage an den
behandelnden Neurologen und Psychiater Dr. F ..., ..., gerichtet. Dieser teilte unter dem
27.01.1997 u.a. mit, die Klägerin leide an einer chronischen neurologischen
Systemerkrankung mit zunehmenden Ausfällen des ersten centralen Neurons mit
Spastizität einhergehend sowie auch kortikalen Atrophiezeichen, die eine
hirnorganische Wesensänderung bedingten. Hinzu komme ungewöhnlicher Weise auch
ein Betroffensein des periphären Neurons mit Muskelschwunderscheinungen,
insbesonde re im Bereich beider Hände. Das von der Klägerin beantragte feuchte
Toilettenpapier erleichtere die Reinigung nach der Toilettenbenutzung beträchtlich, was
wegen der Lähmung im Bereich beider Hände im Zusammenhang mit dem hier
sichtbaren Muskelschwund von besonderer Bedeutung sei. Die feuchten Einmal-
Waschlappen stünden an mehreren Stellen in der Wohnung verteilt, da die Klägerin auf
diese Weise im Rahmen ihrer Bewegungsungeschicklichkeit entstehende leichte
Verschmutzungen an den Händen oder im Gesicht leicht selbst beseitigen könne. Die
Klägerin könne feuchte Normal-Waschlappen nicht auswringen. Zusammenfassend
lasse sich sagen, dass die angegebenen Pflegehilfsmittel zur Erleichterung der Pflege
und Ermöglichung einer selbständigen Lebensführung Gebrauch fänden.
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Mit Urteil vom 19.03.1999, auf das Bezug genommen wird, hat das Sozialgericht die
Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, bei der
Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, würden Gegenstände, die zum täglichen
Lebensbedarf gehörten, auch wenn sie die Pflege erleichterten, nicht berücksichtigt.
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Gegen dieses ihr am 10.04.1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10.05.1999
Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie im Anschluss an den am 21.12.2000
durchgeführten Erörterungstermin ergänzend vorgebracht, sie habe im Jahre 1997 auf
eigene Kosten einen - gemeint ist hier zweiten - Closomaten einbauen lassen, des sen
Kosten die Beklagte erst im Juni 2000 in einem Sozialgerichtsverfahren übernommen
habe. Dieser Closomat enthalte jedoch keinen Vaginalstrahl, da sich herausgestellt
habe, dass dieser nicht in der Lage sei, eine ausreichende Hygiene in diesem Bereich
herbei zuführen. Darüber hinaus brauche die Klägerin feuchte Waschlappen zur
Reinigung, wenn sie ihre Tage oder Durchfall habe. Sie wieder holt, sie sei durch ihre
Behinderung nicht in der Lage, Stoff- Waschlappen auszuwringen.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 19.03.1999 zu ändern und die Beklagte
unter Änderung des Bescheides vom 10.10.1995 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 19.09.1996 zu verurteilen, sie mit feuchten
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Einmalwaschlappen und mit feuchtem Toilettenpapier als Pflegehilfsmittel aus der
Pflegeversicherung zu versorgen bzw. ihr die dafür bereits entstandenen Kosten zu
erstatten.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und betont, die Kosten für
Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens fielen in den Verantwortungsbereich des
Pflegebedürftigen und dürften in der Pflegeversicherung nicht berücksichtigt werden. Im
übrigen habe sie bereits Ende September 1993 den Einbau eines - gemeint ist ersten -
Closomaten im Erdgeschoss (Kosten in Höhe von DM 7.038,00) bewilligt gehabt.
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Die Verwaltungsakte der Beklagten hat neben der Prozessakte vorgelegen. Wegen
weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Der Senat konnte aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung entscheiden, da die
Beklagte sich damit schriftlich einverstanden erklärt hat.
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
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Die Klägerin hat weder Anspruch auf Versorgung mit feuchtem Toilettenpapier und
feuchten Einmal-Waschlappen noch auf die Erstattung der hierfür von ihr aufgewandten
Kosten.
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Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB XI haben Pflegebedürftige Anspruch auf Versorgung mit
Pflegehilfsmitteln, die zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung der Beschwerden
des Pflegebedürftigen beitragen oder ihm eine selbständigere Lebensführung
ermöglichen, soweit die Hilfsmittel nicht wegen Krankheit oder Behinderung von der
Krankenversicherung oder anderen zuständigen Leistungsträgern zu leisten sind. § 40
Abs. 2 SGB XI legt fest, dass die Aufwendungen der Pflegekassen für zum Verbrauch
bestimmte Hilfsmittel monatlich den Betrag von 60,-- DM nicht übersteigen dürfen.
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Zur Überzeugung des Senats kann dahingestellt bleiben, ob die vor genannten
Zweckbestimmungen bzw. Definitionsmerkmale des § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB XI
vorliegend erfüllt sind. Denn bei feuchtem Toilettenpapier und feuchten Einmal-
Waschlappen handelt es sich um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, die in
den Verantwortungsbereich des Einzelnen fallen und nicht zu Lasten der Pflegekasse
beansprucht werden können. Zwar schließt das Gesetz im Recht der sozialen
Pflegeversicherung allgemeine Gebrauchsgegenstände nicht ausdrücklich aus, wie das
etwa im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung für die Versorgung mit Hilfsmitteln
in § 33 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche
Krankenversicherung (SGB V) der Fall ist. Aber der dort geltende Leitgedanke, dass die
gesetzliche Krankenversicherung nur für me dizinische Mittel einer gezielten
Krankheitsbekämpfung aufzukommen hat und nicht für solche, die der
Eigenverantwortung des Versicherten zuzuordnen sind, ist entsprechend auf das Recht
der sozialen Pflegeversicherung zu übertragen (Vogel in Lehr- und Praxiskommentar
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LPK - SGB XI § 40 Rz. 10; Udsching in Soziale Pflegeversicherung - Kommentar, 2.
Auflage, § 40 Rz. 7). Gebrauchsgegen stände, die im täglichen Leben in einem
Haushalt üblicherweise vorhanden sind, und Gegenstände, die auch von Gesunden
oder nicht pflegebedürftigen Bürgern benutzt werden, zählen nicht zu den
Pflegehilfsmitteln der sozialen Pflegeversicherung. Diese Auffassung findet sich zudem
in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos
der Pflegebedürftigkeit unter den Erläuterungen zu § 36 Abs. 1: "Mittel, die zum
täglichen Lebensbedarf gehören, werden nicht berücksichtigt, auch wenn sie die Pflege
erleichtern" (Bundestagsdrucks. 12/5262). Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden,
dass feuchtes Toilettenpapier und feuchte Einmal-Waschlappen allgemein im täglichen
Leben verwendet werden und von einer grossen Zahl von Personen benutzt werden.
Der Vortrag der Klägerin, sie benötige die betreffenden Gegenstände wegen ihrer
Erkrankung, ändert hieran nichts.
Unabhängig davon hat der Senat bereits Zweifel, ob eine Versorgung der Klägerin mit
feuchtem Toilettenpapier und feuchten Einmal- Waschlappen auch noch nötig ist,
nachdem ihre Wohnung nunmehr mit einem zweiten Closomaten ausgestattet worden
ist. Denn die Klägerin hat in der Klagebegründung unmißverständlich geltend gemacht,
die Grundlage für die Erstattung der Einmal-Waschlappen würde entfallen, sobald eine
ordnungsgemässe Reinigung des Anal- und Vaginalbereichs durch den beantragten,
von der Beklagten aber bislang abgelehnten zweiten Closomaten möglich wäre.
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Im Hinblick auf das vorstehende Ergebnis spielt es keine Rolle, dass Pflegehilfsmittel
grundsätzlich als Sachleistungen zur Verfügung gestellt werden (vgl. § 78 Abs. 1 SGB
XI) und über die entsprechenden Lieferanten zu beziehen sind.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (§ SGG).
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Der Senat hat die Revision gemäss § 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG zugelassen, da er der hier
entscheidungserheblichen Rechtsfrage, ob Gebrauchsgegenstände des täglichen
Lebens nicht zu den Pflegehilfsmitteln des § 40 SGB XI zählen, grundsätzliche
Bedeutung beimißt.
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