Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 04.12.2009

LSG NRW (ast, überwiegende wahrscheinlichkeit, erste instanz, anordnung, hauptsache, antrag, beschwerde, erlass, ehefrau, sgg)

Landessozialgericht NRW, L 12 B 48/09 SO ER
Datum:
04.12.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 12 B 48/09 SO ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 17 SO 49/09 ER
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers (Ast) gegen den Beschluss des
Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 03.07.2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu
erstatten.
Gründe:
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Die Beschwerde bezüglich der Ablehnung einer einstweiligen Anordnung (L 12 B 48/09
SO ER) ist zulässig, aber nicht begründet.
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Im Streit sind vorläufige Leistungen nach dem SGB XII für die Zeit ab 04.06.2009. Das
SG hat den Eilantrag des Ast mit Beschluss vom 09.07.2009 abgelehnt, weil es Zweifel
an den dargelegten Vermögensverhältnissen des Ast hegte. Wegen der genauen
Begründung wird auf den Wortlaut der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
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Mit seiner Beschwerde rügt der Ast, dass ihm weiterhin Zweifel im Hinblick auf seine
Mexikoreise um die Jahreswende 2008/2009 vorgehalten würden, die zudem nicht
berechtigt seien. Aktuell gehe es aber um den laufenden Lebensunterhalt, den er für
sich und seine Ehefrau von 106,16 EUR im Monat bestreiten müsse. Dieser Betrag
verbliebe, wenn von seiner Rente in Höhe 374,16 EUR die Miet- und Stromkosten in
Höhe von 268,00 EUR abgezogen würden. Er habe nur überleben können, weil er -
bedingt durch die unberechtigte Weigerung der Antragsgegnerin (Ag), Leistungen zu
erbringen - von Freunden und Bekannten Sach- und Geldleistungen erhalten habe. Die
Schulden beliefen sich inzwischen auf 1.430,00 EUR.
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Die rechtzeitig eingelegte Beschwerde ist nicht begründet.
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Zu Recht hat es das Sozialgericht abgelehnt, eine einstweilige Anordnung zugunsten
des Ast zu treffen.
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Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht in der Hauptsache auf Antrag eine
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einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein
streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung).
Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein
Anspruch auf die begehrten Leistungen besteht (Anordnungsanspruch) und dass die
Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist
(Anordnungsgrund). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht
isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, als die
Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw.
Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und
umgekehrt. Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet,
so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund
grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die
Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die
Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass
der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf
einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des
Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder
Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, ist im Wege einer
Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung
in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Dabei sind grundrechtliche Belange des
Antragstellers umfassend in der Abwägung zu berücksichtigen. Insbesondere bei
Ansprüchen, die darauf gerichtet sind, als Ausfluss der grundrechtlich geschützten
Menschenwürde das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern, ist ein nur
möglicherweise bestehender Anordnungsanspruch, vor allem wenn er eine für die
soziokulturelle Teilhabe unverzichtbare Leistungshöhe erreicht und für einen nicht nur
kurzfristigen Zeitraum zu gewähren ist, in der Regel vorläufig zu befriedigen, wenn sich
die Sach- oder Rechtslage im Eilverfahren nicht vollständig klären lässt (BVerfG vom
12. 05. 2005 - 1 BvR 569/05 - unter Hinweis auf BVerfGE 82, 60, 80). Denn im Rahmen
der gebotenen Folgenabwägung hat dann regelmäßig das Interesse des
Leistungsträgers ungerechtfertigte Leistungen zu vermeiden gegenüber der
Sicherstellung des ausschließlich gegenwärtig für den Antragsteller verwirklichbaren
soziokulturellen Existenzminimums zurückzutreten (LSG NRW, Beschluss vom 27.
07.2005 - L 7 AS 18/05 ER -).
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Sowohl Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der
Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen.
Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die
Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch,
sondern abschließend zu prüfen (BVerfG vom 12.05.2005 - a.a.O.). Die
Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte
und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde
Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des
Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, §
86 b Rn. 16 b, 16 c, 40). Maßgebend für die Beurteilung der
Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der
gerichtlichen Entscheidung (vgl. etwa Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., Rn. 42).
Deshalb sind auch Erkenntnisse, die erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens zutage
getreten sind, vom Senat zu berücksichtigen (LSG NRW, Beschluss vom 6.01.2006 - L 7
AS 87/05 ER -).
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Der Ast hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
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Gemäß § 41 Abs. 2 SGB XII erhalten Leistungen nach diesem Gesetz u.a. Personen,
die das 65. Lebensjahr vollendet haben, ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus
Einkommen oder Vermögen nach den §§ 82 - 84 und 90 SGB XII beschaffen können,
sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Der Leistungsempfänger
ist dabei hinsichtlich seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse darlegungs- und
beweisbelastet.
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Zwar dürfen Leistungsträger existenzsichernde Leistungen nicht aufgrund von bloßen
Mutmaßungen verweigern, die sich auf vergangene Umstände stützen, wenn diese über
die gegenwärtige Lage eines Anspruchstellers keine eindeutigen Erkenntnisse
ermöglichen. Die schlichte Behauptung des Sozialleistungsträgers, es seien weitere
Einnahmen vorhanden, ist daher für die Leistungsverweigerung nicht ausreichend (vgl.
LSG NRW, Beschluss vom 7.12.2005 - L 7 AS 81/05 ER-). Andererseits trifft den Ast
eine Pflicht, alles ihm Zumutbare an der Aufklärung des Sachverhalts zu leisten.
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Dem Senat sind auch vor dem Hintergrund der vorstehenden Erwägungen Zweifel
daran verblieben, dass der Ast hilfebedürftig ist.
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Dabei lässt der Senat alle Umstände außer Betracht, die dem Ast im Zusammenhang
mit seiner Mexikoreise vorgehalten worden sind. Selbst wenn man unterstellt, dass die
damaligen Angaben teilweise nicht nachvollziehbar gewesen sind, so kann dies einem
Ast nach dem BVerfG (aaO) nicht auf Dauer vorgehalten werden. Auch die Nichtvorlage
der Kontoauszüge der Volksbank L aus dem Jahr 2008 kann dem Ast nicht auf Dauer
vorgehalten werden, da das Konto bereits Ende 2008 aufgelöst worden ist.
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Der Ast trägt vor, derzeit mit seiner Ehefrau von 106,16 EUR im Monat zu leben, was nur
mit der Unterstützung von Freunden und Bekannten möglich sei und zu einer
Verschuldung von derzeit 1.430,00 EUR geführt habe. Wäre dies hinreichend glaubhaft,
wäre an den Erlass der beantragten Anordnung zu denken, weil dann das Argument,
der Ast oder seine Ehefrau verfügten noch über weiteres nicht angegebenes Vermögen
oder Einkommen, entkräftet würde. Der Senat hat versucht, in dieser Hinsicht
Sachaufklärung zu betreiben, um den Vorgaben des BVerfG Rechnung zu tragen. Der
Ast hat es jedoch abgelehnt, die Personen namentlich zu benennen, die ihm bisher ein
Leben ohne Leistungen der Ag ermöglicht haben. Der Ast verhindert damit eine
mögliche Sachaufklärung. Dies geht zu seinen Lasten. Nachvollziehbare Gründe, die
Namen und Adressen der ihn unterstützenden Personen nicht zu nennen, hat der Ast
nicht vorgetragen. Die Entscheidung des SG war daher im Ergebnis zu bestätigen.
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Da der Eilantrag keinen Erfolg hat, kann auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (L
12 B 82/09 SO) für die erste Instanz nicht in Betracht. Auch der Antrag für die zweite
Instanz, so er denn noch aufrecht erhalten wird, ist abzulehnen.
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Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
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