Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 30.03.2004

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Landessozialgericht NRW, L 6 V 20/03
Datum:
30.03.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 6 V 20/03
Vorinstanz:
Sozialgericht Münster, S 4 V 115/02
Sachgebiet:
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Münster vom 27. Januar 2003 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision
wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Die Klägerin beansprucht Hinterbliebenenversorgung nach dem
Bundesversorgungsgesetz (BVG).
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Sie ist 1927 geboren, polnischer Staatsangehörigkeit und lebt in Polen. Die Klägerin ist
die Witwe des am 00.00.1924 geborenen und am 03.10.1999 verstorbenen M G (MG).
Nach ihren Angaben besuchte ihr Ehemann bis 1938 die Volksschule und danach bis
1940 die Landwirtschaftsfachschule. Während dieser Zeit war er auch im elterlichen
Betrieb tätig. 1942 wurde MG zur deutschen Wehrmacht eingezogen. Im September
1943 erlitt er einen Schussbruch am linken Unterarm. Wegen der Folgen dieser
Verletzung bezog MG mit Bescheid vom 12.10.1965 Teilversorgung nach dem BVG.
Dabei legte der Beklagte als Schädigungsfolge "Gebrauchsunfähigkeit der linken Hand
nach Unterarmschussbruch der Speiche mit Armnervenlähmung" mit einer MdE von 50
v.H. vorlagen zugrunde. Nach Auskunft der Sozialversicherungsanstalt in Warschau
vom 28.10.2002 erhielt MG ab 01.04.1949 in seinem Heimatland eine
Kriegsinvalidenrente (Rentensymbol ZiW).
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Nach der Entlassung aus der Wehrmacht arbeitete MG bis 1958 im landwirtschaftlichen
Betrieb seines Vaters. Anschließend bewirtschaftete er zusammen mit der Klägerin eine
eigene 10.12 ha große Landwirtschaft. Den Betrieb übertrug er im Dezember 1983
seinem Sohn. Ab dem 21.12.1983 bezog er, ebenso wie auch die Klägerin, eine
Landwirtschaftsrente zu je 50 v. H. (Auskunft der Sozialversicherungsanstalt in
Warschau vom 28.10.2002). Seit dem Tod ihres Ehemannes erhält die Klägerin in Polen
eine Familienrente nach Maßgabe des Gesetzes vom 29.05.1974 über die Versorgung
von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten und deren Angehörige in Höhe von monatlich
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753,05 Zloty (Bescheid der Sozialversicherungsanstalt, Abteilung Oppeln,
Rentenabteilung vom 03.12.1999).
Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 23.01.2000, beim Versorgungsamt N am
03.02.2000 eingegangen, Hinterbliebenenteilversorgung. Der Beklagte wertete
zahlreiche von der Sozialversicherungsanstalt Oppeln erhaltene ärztliche Unterlagen
aus und lehnte mit Bescheid vom 09.03.2001 die Zahlung von Witwenrente ab. Die
Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 S. 1, S. 2 BVG für die Zahlung einer Teilversorgung
lägen nicht vor. Der Ehemann der Klägerin sei nicht an einem Leiden verstorben, das
als Folge einer Schädigung rechtsverbindlich anerkannt worden sei. Vielmehr habe
eine altersbedingte allgemeine Arteriosklerose zum Tod des MG geführt. Diese habe mit
den anerkannten Schädigungsfolgen in keinem Zusammenhang gestanden. Mit
weiterem Bescheid vom 12.03.2001 lehnte es der Beklagte auch ab, der Klägerin
Witwenbeihilfe als Teilversorgung zu zahlen. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1
BVG seien ebenfalls nicht erfüllt. Die der Klägerin jetzt gezahlte Witwenversorgung sei
nicht durch die Berufsaufgabe als selbständiger Landwirt erheblich gemindert worden.
Aus dem beigezogenen Rentengutachten vom 16.05.1978 ergebe sich, dass bei dem
Verstorbenen seit Jahren einer arteriellen Blutdruckerhöhung, eine allgemeine
Gefäßverkalkung und Einschränkungen im Bewegungsapparat (Wirbelsäule) bestanden
hätten. Die vorzeitige Berufsaufgabe als selbständiger Landwirt sei nicht
schädigungsbedingt erfolgt.
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Die Widersprüche der Klägerin, mit denen diese zumindest die Gewährung einer Kur
beanspruchte, wies der Beklagte mit Bescheid vom 08.02.2002 zurück.
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Im anschließenden Klageverfahren hat die Sozialversicherungsanstalt Oppeln auf
Anfrage des Sozialgerichts Münster mit Schreiben vom 14.10.2002 noch einmal
bestätigt, dass die Klägerin Familienrente nach einem Kriegsinvaliden in Höhe von
monatlich 753,05 Zloty erhält.
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Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27.01.2003 abgewiesen
und die angefochtenen Bescheide des Beklagten im Ergebnis bestätigt. Die Klägerin
habe bereits aufgrund der Vorschrift des § 7 Abs. 2 BVG keinen Anspruch auf
Versorgungsleistungen. Nach dieser auch auf Hinterbliebene anwendbaren Vorschrift
sei das BVG auf Kriegsopfer, die aus derselben Ursache einen Anspruch auf
Versorgung gegen einen anderen Staat besäßen, nicht anwendbar. Das gelte auch
dann, wenn die im Heimatland gezahlte Versorgung wertmäßig niedriger sei, als die
Leistungen nach dem BVG. Die Klägerin erhalte aufgrund der Kriegsverletzung ihres
Ehemannes Versorgung vom polnischen Staat. Etwas anderes ergebe sich auch nicht
aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen mit Polen.
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Die Klägerin, die den Gerichtsbescheid am 26.05.2003 erhalten hat, hat am 20.06.2003
Berufung eingelegt. Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts nicht für gerecht. Ihr
Ehemann habe seine Gesundheit für Deutschland geopfert und es müsse doch
wenigstens eine einmalige Hilfe als Wermutstropfen geben. Sie hat nach Erhalt der
Terminsbenachrichtigung mitgeteilt, dass sie zum Verhandlungstermin nicht erscheinen
und sich auch nicht vertreten lassen werde.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin habe neue Gesichtspunkte nicht vorgetragen. Die
Verwaltungsentscheidung sei zutreffend und er nehme hierauf erneut Bezug.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der
Beteiligten verwiesen sowie auf die Verwaltungsakten (vier Bände) des Beklagten
verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Obwohl für die Klägerin im Termin der mündlichen Verhandlung niemand erschienen
ist, konnte der Senat verhandeln und entscheiden. Die Klägerin ist in der
Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.
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Der Senat entnimmt dem schriftsätzlichen Vorbringen der Klägerin, dass sie
Hinterbliebenenversorgung nach dem BVG, jedenfalls aber eine einmalige Beihilfe in
Form zumindest einer Badekur beansprucht.
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Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin hat weder Anspruch auf
Witwenrente (§ 38 BVG) noch auf Witwenbeihilfe (§ 48 BVG). Dem geltend gemachten
Anspruch steht § 7 Abs. 2 BVG entgegen. Das mit der Berufung angefochtene Urteil des
Sozialgerichts ist richtig.
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Gemäß § 7 Abs. 2 BVG ist dieses Gesetz auf Kriegsopfer, die aus derselben Ursache
einen Anspruch auf Versorgung gegen einen anderen Staat haben, nicht anwendbar, es
sei denn, dass zwischenstaatliche Vereinbarungen etwas anderes bestimmen.
Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen gibt es derartige
zwischenstaatliche Vereinbarungen, die die Anwendung des § 7 Abs. 2 BVG für
polnische Kriegsopfer mit Anspruch auf Versorgung gegen ihr Heimatland
ausschließen, derzeit nicht.
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Der in § 7 Abs. 2 BVG verankerte Grundsatz des Ausschlusses einer Doppelversorgung
aus öffentlichen Mitteln bei gleicher Schädigungsursache erstreckt sich auch auf die
Klägerin. Sie gehört als Hinterbliebene eines Kriegsinvaliden auch zum
Kriegsopferversorgungs-System (KOV-System) des polnischen Staates. Ihr verstorbener
Ehemann bezog nach Auskunft der polnischen Sozialversicherungsanstalt seit 1949
Leistungen aus diesem System. Sie besitzt aus gleicher Ursache, nämlich seiner
Kriegsverletzung, einen solchen Versorgungsanspruch gegen die Republik Polen. Dies
hat die Sozialversicherungsanstalt Abteilung Oppeln mit zwei Schreiben vom
03.12.1999 und vom 14.10.2002 bestätigt. Grundlage für die ihr gezahlte Familienrente
nach einem Kriegsinvaliden ist das Gesetz vom 29.05.1974 über die Versorgung von
Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten und deren Angehörige. Dieses Gesetz betrifft auch
Kriegswitwenrenten nach Personen, die - wie MG - als Kriegsinvaliden in
Zusammenhang mit den Kriegsschädigungen im Dienste der Deutschen Wehrmacht
anerkannt worden sind. Es spricht in Art. 23 Abs. 1 Ziff. 2 ausdrücklich von Leistungen
für hinterbliebene Familienangehörige nach einem "verstorbenen Kriegsinvaliden". Die
Kriegswitwenrente (Rentensymbol WZR) berücksichtigt danach die Kriegsverletzung
des verstorbenen Ehemanns. Die Klägerin gehört somit zum Kreis der nach polnischem
Recht potentiell Anspruchsberechtigten und hat danach grundsätzlich keinen Anspruch
auf Versorgungsleistungen nach dem BVG. Unerheblich ist die Höhe der polnischen
Familienrente und es kommt auch nicht darauf an, ob diese Rente niedriger ist, als die
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entsprechenden Leistungen nach dem BVG. Der Zweck des § 7 Abs. 2 BVG besteht
neben der Vermeidung von Doppelleistungen auch darin, allein wegen der
Zugehörigkeit des Geschädigten (hier der Hinterbliebenen) zum KOV-System eines
anderen Staates sämtliche Ansprüche nach dem BVG auszuschließen
(Bundessozialgericht -BSG- Urteil vom 28.07.1996 -B 9 V 19/98 R- mit zahlreichen
Nachweisen zur höchstrichterliche Rechtsprechung; LSG Baden-Württemberg, Urteil
vom 21. Juli 1995, L 8 V 460/94). Die Klägerin hat insoweit auch keinen Anspruch auf
einmalige Beihilfen oder eine Badekur.
Dieser grundsätzliche Ausschluss aus dem Anspruchssystem des BVG ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies hat das BSG in seinem Urteil vom
20.05.1992 -9a RV 12/91- in SozR 3-3100 § 7 BVG Nr. 2 dargelegt. Der Senat schließt
sich der höchstrichterlichen Rechtsprechung an.
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Unerheblich ist, dass der Beklagte, der in seiner Verwaltungspraxis polnische ZiW
Renten nicht als Renten i.S.d. § 7 Abs. 2 BVG ansieht, dem verstorbenen Ehemann
lange Zeit unter Anrechnung der nach polnischen Gesetzen gezahlten
Kriegsinvalidenrente (Rentensymbol ZiW) in Kenntnis des § 7 Abs. 2 BVG
Teilversorgung gezahlt hat. Dies bindet den Senat nicht. Der Verfügungssatz der
entsprechenden Bescheide betrifft nur Leistungen an den Beschädigten. Hier geht es
aber um den Anspruch der Klägerin auf Witwenrente bzw. Witwenbeihilfe und die
Berücksichtigung ihrer in Polen gezahlten Kriegswitwenrente (Rentensymbol WZR).
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Das Sozialgericht hat danach zu Recht nicht die Feststellungen des Beklagten
überprüft, ob der Ehemann der Klägerin an den Folgen der anerkannten Schädigung
verstorben ist. Auch kommt es nicht darauf an, ob der Ehemann der Klägerin den Beruf
des selbständigen Landwirts schädigungsbedingt vorzeitig aufgeben musste. Diese
Frage kann dahingestellt bleiben und bedarf keiner Erörterung.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Satz 1 oder 2 SGG)
sind nicht gegeben.
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