Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 16.07.2001

LSG NRW: befreiung von der versicherungspflicht, fachhochschule, angestellter, angestelltenverhältnis, satzung, rechtsgrundlage, nebentätigkeit, beiladung, rechtspflege, versorgung

Landessozialgericht NRW, L 3 RA 73/00
Datum:
16.07.2001
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 3 RA 73/00
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 2 RA 112/99
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 12 RA 6/01 B
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln
vom 05.09.2000 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Die
Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird
zugelassen.
Tatbestand:
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Der Kläger erstrebt eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für eine Tätigkeit
als Fachhochschullehrer im Angestelltenverhältnis.
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Der 1964 geborene Kläger ist seit September 1993 als Rechtsanwalt selbständig in
einer Sozietät aus mehreren Rechtsanwälten tätig. Seit März 1999 ist er zudem als
Fachhochschullehrer im Angestelltenverhältnis bei der R ... Fachhochschule e.V. K ...
mit einer Lehrverpflichtung von 9 Semesterwochenstunden zunächst vom 01.03.1999
bis zum 29.02.2000 zur Probe befristet, seit dem 01.03.2000 als Professor unbefristet
beschäftigt.
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Mit der Begründung, er sei gesetzliches Pflichtmitglied beim Versorgungswerk der
Rechtsanwälte Nordrhein-Westfalen, beantragte er die Befreiung von der
Versicherungspflicht für die Tätigkeit an der Fachhochschule.
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Mit Bescheid vom 25.03.1999 und Widerspruchsbescheid vom 13.10.1999 sowie
während des Klageverfahrens ergangenem Bescheid vom 04.07.2000 befreite die
Beklagte den Kläger le diglich für die zunächst ausgeübte befristete Beschäftigung bis
zum 29.02.2000 von der Versicherungspflicht, lehnte hingegen eine Befreiung von der
Versicherungspflicht für die Zeit ab 01.03.2000 ab. Sie führte aus, eine dauerhafte
Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 SGB VI sei es nicht möglich,
weil der Kläger nicht wegen der Tätigkeit als Fachhochschuldozent Mitglied einer
berufsständischen Versorgungseinrichtung sei. Bei dieser Tätigkeit handele es sich um
eine berufsfremde Tätigkeit. Nach § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI sei damit nur eine befristete
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Befreiung möglich.
Dagegen wandte sich der Kläger mit der Begründung, die Tätigkeit als
Fachhochschullehrer stehe in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner praktischen
Tätigkeit als Rechtsanwalt. Zudem sei er beim Versorgungswerk der Rechtsanwälte mit
dem Höchstbeitrag versichert, weshalb ein Bedürfnis nach weiterer Alterssicherung
nicht bestehe.
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Mit Urteil vom 05.09.2000 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide
aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Es sah den Kläger als
selbständigen Rechtsanwalt im Vergleich zu rentenversicherungspflichtig beschäftigten
Rechtsanwälten, die für die anwaltliche Tätigkeit Beiträge nach einem Arbeitsentgelt bis
zur Beitragsbemessungsgrenze zahlen, gleichheitswidrig benachteiligt, weil diese für
eine weitere Tätigkeit als Angestellte keine weiteren Rentenversicherungsbeiträge
zahlen müssten. Es läge eine Gesetzes lücke vor, die verfassungskonform zugunsten
einer Versicherungsfreiheit für die Angestelltentätigkeit geschlossen werden müsse.
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Gegen diese am 19.09.2000 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 17.10.2000
erhobene Berufung der Beklagten. Die Beklagte meint weiterhin, der Kläger erfülle die
gesetzlichen Vorausetzungen für eine Befreiung von der Versicherungspflicht nicht. Im
Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts werde der Kläger auch nicht zu einer
zusätzlichen Beitragsleistung herangezogen, weil er als selbständiger Rechtsanwalt
überhaupt nicht versicherungspflichtig sei. Die Beitragsleistung zum Versorgungswerk
sei kein Grund für eine Befreiung von der Beitragsleistung zur gesetzlichen
Rentenversicherung. Die Beklagte weist darauf hin, dass der Kläger auch als
angestellter Rechtsanwalt, der ein Gehalt über der Beitragsbemessungsgrenze
verdiene, für die Tätigkeit als Fachhochschullehrer nicht versicherungsfrei wäre,
sondern dass sich seine Beiträge gemäß § 22 Abs. 2 SGB IV lediglich anteilig auf beide
Beschäftigungsverhältnisse verteilten.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 05.09.2000 abzuändern und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichts- und die beigezogene Verwaltungsakte, deren Inhalt Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung der Beklagte ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat die
angefochtenen Bescheide zu Unrecht aufgehoben, weil diese den Kläger nicht
rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG belasten. Der Kläger hat kenen
Anspruch auf eine Befreiung von der Versicherungspflicht für seine Tätigkeit als
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angestellter Fachhochschullehrer.
Einer notwendigen Beiladung der Rheinischen Fachhochschule e.V. nach § 75 Abs. 2
Satz 1 1. Alternative SGG bedurfte es nicht. Denn mit der Ablehnung der Befreiung wird
nicht unmittelbar in die Rechtssphäre des Arbeitgebers des Klägers eingegriffen, wie
dies für eine notwendige Beiladung erforderlich ist. Die Ablehnung einer
Befreiungsmöglichkeit zieht nicht unmittelbar die Bejahung einer Versicherungs- und
Beitragspflicht nach sich, weil hiergegen noch weitere Einwendungen denkbar sind.
Somit brauchte die Entscheidung - anders als bei Streitigkeiten über die Versicherungs-
und Beitragspflicht Beschäftigter - auch dem Arbeitgeber gegenüber nicht einheitlich zu
ergehen (ähnlich BSG, Urteil vom 03.04.1997 - 12 RK 20/96 -).
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Eine Rechtsgrundlage für die Befreiung des Klägers von einer Versicherungspflicht für
die Tätigkeit als Fachhochschullehrer besteht nicht, insbesondere ist § 6 Abs. 1 Nr. 1
SGB VI keine geeignete Anspruchsgrundlage hierfür.
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Nach dieser Vorschrift werden von der Versicherungspflicht befreit Angestellte und
selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie
aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung
Mitglied einer öffentlich-rechtlichen berufsständischen Versorgungseinrichtung und
zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind,
wenn weitere - hier unstreitig erfüllte - Voraussetzungen (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 a - c SGB VI)
vorliegen.
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Der Kläger ist nicht wegen der Beschäftigung als Fachhochschullehrer, sondern wegen
der selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt und seiner Mitgliedschaft in der
Rechtsanwaltskammer Mitglied des Versorgungswerkes der Rechtsanwälte. Nach § 2
des nordrhein-westfälischen Gesetzes über die Rechtsanwaltsversorgung (RAVG NW)
i.V.m. § 10 der Satzung des Versorgungswerkes sind Mitglieder der
Rechtsanwaltskammer auch Mitglieder des Versorgungswerkes. Da der Kläger
Kammermitglied ist, ist er auch Mitglied des Versorgungswerkes.
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Der Senat ist der Auffassung, dass die Anwendung von § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI bereits
deswegen ausgeschlossen ist, weil der Kläger nicht versicherungspflichtiger
selbständiger Rechtsanwalt ist, die Fachhochschullehrertätigkeit jedoch in einem
Angestelltenverhältnis ausgeübt wird. Denn bereits der Wortlaut von § 6 Abs. 1 Nr. 1
SGB VI legt es nahe, dass nur Angestellte für eine berufsspezifische
Angestelltentätigkeit und nur versicherungspflichtige Selbständige für eine
berufsspezifische selbständige Tätigkeit befreit werden können, nicht jedoch dass nicht
versicherungspflichtige Selbständige für eine versicherungspflichtige
Angestelltentätigkeit befreit werden können. Es fehlt dann bereits an einem
Befreiungstatbestand, der auf die Nebentätigkeit ertreckt werden kann, vielmehr erstrebt
der Kläger eine Erstreckung seiner "Nicht-Versicherungspflicht" auf die
versicherungspflichtige Nebentätigkeit. Deshalb war es auch fehlerhaft, dass die
Beklagte den Kläger zunächst befristet von der Versicherungspflicht befreit hat. Der von
der Beklagten hierfür als Rechtsgrundlage beanspruchte § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI ist
nicht einschlägig. Diese Vorschrift setzt eine Befreiung von der Versicherungspflicht
nach den vorangegangenen Absätzen voraus, greift aber nicht, wenn eine selbständige
Tätigkeit ausgeübt wird, die gar nicht zur Versicherungspflicht dem Grunde nach führt.
Die Rechtswidrigkeit der befristeten Befreiung beschwert den Kläger allerdings nicht,
weshalb sie im gerichtlichen Verfahren nicht aufgehoben werden kann.
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Auch wenn man diesem Ansatz nicht folgt, kommt eine Befreiung hingegen nicht in
Betracht, denn es handelt sich bei der Tätigkeit als Fachhochschullehrer nicht um eine
berufsspezifische Tätigkeit eines Rechtsanwaltes. Als Rechtsanwalt ist der Kläger
gemäß § 1 BRAO unabhängiges Organ der Rechtspflege. Gemäß § 3 Abs. 1 BRAO ist
er der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten.
Maßgebliches Merkmal der anwaltlichen Tätigkeit ist damit die Beteiligung an der
Regelung von Rechtsangelegenheiten. Selbst wenn das Bild des reinen
Prozessanwaltes überholt sein sollte und auch die vermittelnde und schlichtende sowie
die rechtsgestaltende Tätigkeit zum Berufsbild des Anwaltes gehört, darf der
Zusammenhang mit "Rechtsangelegenheiten" nicht abgeschnitten werden (in diesem
Sinne auch Kilger, Anwaltsblatt - AnwBl. 1999, 571). Die Tätigkeit an der
Fachhochschule ist nach dem eigenen Vorbringen des Klägers eine reine Lehrtätigkeit.
Selbst wenn die praktischen Erfahrungen als Rechtsanwalt dabei von Nutzen sind, und
die Tatsache, dass der Kläger Rechtsanwalt ist, eine Voraussetzung dafür gewesen
sein sollte, dass er als Fachhochschullehrer angestellt wird, so ist er an der
Fachhochschule nicht als Organ der Rechtspflege tätig und nicht mit der Regelung von
Rechtsangegelegenheiten betraut. Es handelte sich damit nicht um eine
berufsspezifische Tätigkeit als Rechtsanwalt.
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Im Gegensatz zur Meinung des Sozialgerichts wird der Kläger durch die fehlende
Befreiungsmöglichkeit nicht i. S. d. Art. 3 Abs. 1 GG gleichheitswidrig benachteiligt.
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Der Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG ist betroffen, wenn wesentlich Gleiches
ungleich behandelt wird, ohne dass für die Differenzierung eine vernünftige Erwägung
als Grund dienen kann (allgemein hierzu Jarras/Pieroth, GG, 5. Aufl. 2000, Rdnr. 7 f., 15
f. zu Art. 3 GG).
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Es fehlt schon an der Vergleichbarkeit der Lebenssachverhalte, wenn das Sozialgericht
den selbständig tätigen Kläger mit einem rentenversicherungpflichtig beschäftigten
Angestellten vergleicht. Es ist dem Gesetzgeber unbenommen, an eine selbständige
Tätigkeit gänzlich andere Rechtsfolgen zu knüpfen als an ein Beschäftigungsverhältnis.
Dies ist Strukturmerkmal des gesamten Sozialversicherungsrechts, das i. d. R. allein
Beschäftigungsverhältnisse sozialversicherungspflichtig stellt, ohne dass dies
gleichheitswidrig wäre. Auch das BVerfG hat die Anwendung des Gleichheitssatzes
abgelehnt, wenn die Vergleichsfälle anderen rechtlichen Ordnungsbereichen
angehören und in anderen systematischen und sozialgeschichtlichen
Zusammenhängen stehen (vgl. hierzu Jarras/Pieroth a.a.O., Rdnr. 8 m. w. N.).
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Der Kläger ist zudem als selbständiger Rechtsanwalt nicht kraft Gesetzes
versicherungspflichtig, kann diese jedoch gemäß § 4 Abs. 2 SGB VI auf Antrag
herbeiführen. Dadurch ist er gegenüber einem angestellten Rechtsanwalt in
rentenversicherungsrechtlicher Hinsicht privilegiert. Auch gegenüber einem angestellten
Rechtsanwalt, der Mitglied in einer berufsständischen Versorgung ist und daraufhin
gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI von der Rentenversicherungspflicht befreit wurde, ist der
Kläger nicht bevorzugt, weil auch die ser evtl. Beiträge zur berufsständischen
Versorgung und zur gesetzlichen Rentenversicherung zahlen muss.
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Die Tatsache, dass ein selbständiger Rechtsanwalt, der hohe Beiträge zum
Versorgungswerk zahlt, daneben zur gesetzlichen Rentenversicherung herangezogen
wird, während ein rentenversicherungspflichtig angestellter Anwalt Beiträge nur bis zur
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Beitragsbemessungsgrenze zahlen muss, ist eine Benachteiligung, die nicht auf
rentenversicherungsrechtlichen, sondern allenfalls auf versorgungsrechtlichen
Regelungen beruht. Das SGB VI stellt sicher, dass Beiträge nur bis zur
Beitragsbemessungsgrenze erhoben werden, unabhängig davon, durch welche
Tätigkeiten das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt wird (§ 157 SGB VI).
Deshalb muß eine eventuelle Benachteiligung nicht durch ein Absehen von der
Versicherungspflicht, sondern allenfalls durch versorgungsrechtliche Regelungen
abgebaut werden. Demgemäß bestimmt § 30 Abs. 8 der Satzung des
Versorgungswerkes, dass selbständig tätige Mitglieder, die in der gesetzlichen
Rentenversicherung pflichtversichert sind, Beiträge zum Versorgungswerk unter
Anrechnung der von ihnen an die gesetzliche Rentenversicherung gezahlten
Pflichtbeiträge zahlen. Mit der Auffassung des Sozialgerichts würde demgegenüber ein
nicht gerechtfertigter und insbesondere nicht verfassungsrechtlich gebotener
vorrangiger Zugriff des Versorgungswerkes auf die vom Kläger zu entrichtenden
Aufwendungen zur Altersvorsorge konstituiert.
Gegen die vom Sozialgericht vorgenommene analoge Anwendung der
Befreiungsvorschrift spricht schließlich, dass § 6 SGB VI eine abschließend konzipierte,
nicht analogiefähige Ausnahmevorschrift ist (hierzu ausführlich BSGE 51, 157 f.).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160
Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.
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