Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 11.05.2010

LSG NRW (konstitutive wirkung, wiedereinsetzung in den vorigen stand, antrag, gesetzliche frist, ratio legis, wirkung, sgg, afg, link, arbeitslosenhilfe)

Landessozialgericht NRW, L 6 AS 189/10
Datum:
11.05.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 6 AS 189/10
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 6 AS 71/09
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom
21.07.2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch
im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Zeit vom
01.01.2008 bis zum 07.01.2008. Die 1957 geborene Klägerin bezog von der Beklagten
aufgrund des Bescheides vom 13.06.2007 für die Zeit vom 01.07.2007 bis einschließlich
31.12.2007 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 609,30 EUR monatlich
(Regelleistung zzgl. Kosten der Unterkunft). Mit Unterschrift vom 20.09.2007, bei der
Beklagten eingegangen am 24.09.2007, bestätigte die Klägerin der Beklagten, deren
"Hinweise und Informationen" im Zusatzblatt Mitteilungspflichten ALG II zur Kennntnis
genommen zu haben. In dieser Informationsschrift für Leistungsbezieher führt die
Beklagte zur Antragstellung u.a. aus, dass "für Tage vor der Anmeldung" keine
Leistungen bewilligt werden könnten. Die Klägerin übermittelte der Beklagten am
08.01.2008 die Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2006 und erkundigte sich
zugleich, warum für Januar 2008 noch keine Leistungen gezahlt worden seien. Nach
Eingang des schriftlichen Fortzahlungsantrages der Klägerin bei der Beklagten am
14.01.2008 bewilligte diese der Klägerin mit Bescheid vom 17.01.2008 für die Zeit vom
08.01.2008 bis 30.06.2008 Leistungen nach dem SGB II. Dagegen legte die Klägerin
am 12.02.2008 Widerspruch ein und wandte sich gegen einen "Entzug der laufenden
Leistung für die Zeit vom 01.01.2008 bis 07.01.2008". Die Beklagte wies den
Rechtsbehelf mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2008 als unbegründet zurück, denn
für den Anspruch auf Leistungen für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis 07.01.2008
mangele es an einem Antrag im Sinne von § 37 Abs. 1 SGB II. Einen Antrag bereits im
Dezember 2007 habe die Klägerin nicht gestellt. Die Klägerin hat am 02.12.2008 bei
dem Sozialgericht (SG) Köln Klage erhoben, ohne diese weiter zu begründen. Das SG
hat die Klage mit Urteil vom 21.07.2009 als unbegründet abgewiesen. Nach § 37 Abs. 1
SGB II sei die getroffene Entscheidung der Beklagten rechtmäßig. Die Norm habe auch
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für Fortzahlungsanträge konstitutive (anspruchsbegründende) Wirkung. Die Beklagte
habe deshalb zu Recht keine Leistungen vor dem 08.01.2007 gewährt. Sollte aus dem
Klagebegehren eine Behauptung der Klägerin dahingehend, bereits vor Januar 2008
den Antrag gestellt zu haben, abgeleitet werden können, wäre ebenfalls keine frühere
Leistungsgewährung möglich. Die Zweifel in diesem Punkt gingen vielmehr zu Lasten
der Klägerin. Schließlich käme auf Grund des am 08.01.2007 erfolgten Antrages keine
rückwirkende Leistungsgewährung in Betracht, da nach § 37 Abs. 2 SGB II Leistungen
der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht
würden. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen, §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz
(SGG). Gegen das ihr am 26.08.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22.09.2009
Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom
01.02.2010 im Hinblick auf die höchstrichterlich nicht geklärte Rechtsfrage, ob § 37 Abs.
2 Satz 1 SGB II auch für Folgeanträge nach Ablauf eines Bewilligungszeitraums gelte,
zugelassen. Die Klägerin, die die Berufung nicht weiter begründet hat, beantragt
schriftsätzlich sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 21.07.2009 zu ändern
und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 17.01.2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 25.11.2008 zu verurteilen, ihr Leistungen nach dem SGB
II auch für die Zeit vom 01.01.2008 bis 07.01.2008 zu gewähren. Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Wegen
der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der von der
Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen; dieser ist Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist zulässig.
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Die Beklagte ist als eine nach § 44b SGB II in der Fassung des Kommunalen
Optionsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 2014) gebildete Arbeitsgemeinschaft
nach § 70 Nr. 2 SGG beteiligtenfähig. § 44 b SGB II ist ungeachtet seiner
Verfassungswidrigkeit bis zum 31.12.2010 weiterhin anwendbar (BVerfG, Urteil vom
20.12.2007, 2 BvR 2433/04 und 2 BvR 2434/04 = BVerfGE 119, 331).
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Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der
angefochtene Bescheid vom 17.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 25.11.2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54
Abs. 2 Satz 1 SGG). Sie hat keinen Anspruch auf Zahlung von Leistungen nach dem
SGB II für die Zeit vom 01.01.2008 bis 07.01.2008.
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Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden (nur) auf Antrag (§ 37 Abs. 1
SGB II) und nicht für Zeiten vor der Antragstellung (§ 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II) erbracht.
Entscheidend für den Leistungsbeginn ist mithin grundsätzlich das Datum der
Antragstellung, hier von der Beklagten zu Recht angenommen der 08.01.2008. Denn
erst zu diesem Datum ist ein Fortzahlungsantrag der Klägerin bei der Beklagten
eingegangen. Da es sich bei diesem Antrag um eine einseitige empfangsbedürftige
Willenserklärung handelt, auf die die zivilrechtlichen Vorschriften über den Zugang von
Willenserklärungen anwendbar sind, ist der Antrag erst mit Zugang an diesem Tag beim
Leistungsträger wirksam geworden (§ 130 Bürgerliches Gesetzbuch). Lässt sich der
Zugang eines Antrags zu einem früheren Zeitpunkt nicht feststellen, wirkt sich dies nach
dem Grundsatz der objektiven Beweislast zum Nachteil der Klägerin aus, die aus dieser
Tatsache Rechte herleiten wollte.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin gilt die Regelung in § 37 SGB II unabhängig
davon, ob es sich um einen Erst- oder aber einen Folgeantrag für weitere
Bewilligungsabschnitte handelt (ebenso Landessozialgericht - LSG - Hessen, Urteil vom
18.12.2009, L 7 AS 413/09 = Revision beim Bundessozialgericht - BSG - B 4 AS 29/10
R; LSG NRW, Urteil vom 17.04.2009, L 19 B 63/09 AS; LSG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 16.03.2009, L 29 AS 162/09 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 13.03.2009, L 14 B 2368/08 AS PKH; LSG NRW, Urteil vom 17.04.2008, L 9 AS
69/07; SG Bremen, Gerichtsbescheid vom 07.01.2010, S 18 AS 664/09; SG Reutlingen,
Urteil vom 03.03.2009, S 2 AS 4577/08 und Urteil vom 17.03.2008, S 12 AS 2203/06;
Link in Eicher-Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 37 Rn 19; aA Schoch in LPK-SGB II, 3.
Aufl. 2009, § 37 Rn 8).
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Der Wortlaut des § 37 SGB II, der allein den Begriff "Antrag" verwendet, differenziert
nicht zwischen Erst- und Folgeantrag. Auch im Wege der weiteren Auslegung ist eine
solche Unterscheidung nicht nur nicht geboten; sie widerspricht sogar der mit der
Regelung verfolgten Absicht des Gesetzgebers.
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Eine einschränkende Auslegung der Vorschrift des § 37 SGB II allein auf "Erstanträge"
ergibt sich nicht aus den Gesetzesmaterialien. Ebenso wie im Gesetzestext wird hier
ohne inhaltliche Unterscheidung von dem "Antrag" gesprochen. Zur Begründung der
später in Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1 ungeändert in das Gesetz übernommenen
Entwurfsfassung heißt es, dass der Antrag auf Leistungen konstitutive Wirkung habe
und es, anders als im Sozialhilferecht, nicht auf die Kenntnis des Leistungsträgers von
der Hilfebedürftigkeit ankomme. Lediglich dann, wenn der Leistungsträger keine
Dienstbereitschaft habe, wirke ein am Öffnungstag gestellter Antrag zurück (BT-Drs
15/1516, S. 62). Hätte der Gesetzgeber allein einem Erstantrag konstitutive Wirkung
beimessen, diese bei Folgeanträgen jedoch ausschließen wollen, so wäre hier eine
differenzierende Begründung oder zumindest ein Hinweis zu erwarten gewesen. Dies
gilt um so mehr vor dem Hintergrund, dass bereits der Entwurf des Gesetzes keine
durchgängigen Leistungen auf einmalige Antragstellung hin, sondern in § 41 die
Leistungsbegrenzung auf Bewilligungsabschnitte von regelmäßig 6 Monaten vorsah
(BT-Drs 15/1516, S. 18). Nach der Gesetzesbegründung zu § 41 SGB II sollte der
sechsmonatige Bewilligungsabschnitt eine regelmäßige Überprüfung der
Hilfebedürftigkeit in überschaubaren zeitlichen Abständen sicherstellen (BT-Drs
15/1516, S. 63). Dies aber impliziert regelmäßige Folgeanträge der Hilfebedürftigen,
denen mit einer differenzierenden Regelung hätte Rechnung getragen werden können
und müssen, wenn man die Rechtswirkungen von Erst- und Folgeanträgen
unterschiedlich hätte gestalten wollen.
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Auch in Ansehung allgemeiner verfahrensrechtlicher Grundsätze und Bestimmungen
sind hier Erst- und Folgeanträge nach Maßgabe des § 37 SGB II gleich zu behandeln.
So kann ein bloßes Fortwirken des Erstantrags über das Ende des
Bewilligungszeitraums hinaus nicht angenommen werden. Mit dem Antrag signalisiert
ein potentieller Leistungsempfänger dem Leistungsträger, dass er nunmehr die
Einleitung eines Verwaltungsverfahrens (§§ 8 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch -SGB
X - i.V.m. der Leistungsvorschrift, hier § 40 Abs. 1 SGB Il) begehrt. Dieses
Verwaltungsverfahren wird regelmäßig mit dem Erlass eines Verwaltungsaktes
(Ablehnung oder Bewilligung der Leistung in Bescheid oder Widerspruchsbescheid)
abgeschlossen (§ 8 SGB X; von Wulffen in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 8 Rn 9,
§ 18 Rn 9; vgl. auch BSG, Urteil vom 28.10.2009, B 14 Ab 56/08 R Rn 16).
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Entsprechend bleibt ein verfahrensrechtlicher Antrag (nur) so lange wirksam und wirkt
(nur) so lange fort, wie über diesen noch nicht entschieden ist bzw. so lange wie der in
seiner Folge ergangene Bescheid Wirkungen entfaltet. Die Wirkung eines
(ursprünglichen) Antrags auf Leistungen der Grundsicherung erlischt demzufolge nach
Ablauf des Bewilligungszeitraums (vgl. § 41 Abs. 1 SGB II), so dass ein neuer (Folge-
)Antrag notwendig ist (LSG NRW, Urteil vom 17.04.2008, L 9 AS 69/07 Rn 27; Link, in:
Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 37 Rn 19).
Die Begrenzung der Wirksamkeit eines Antrags auf einen Bewilligungsabschnitt findet
seine Bestätigung auch in der Judikatur des BSG, wonach Bewilligungsbescheide für
Folgezeiträume nicht in analoger Anwendung des § 96 SGG Gegenstand bereits
laufender Klageverfahren werden (st. Rspr. z.B. BSG, Urteil vom 22.03.2010, B 4 AS
39/09 R Rn 12 mit Verweis u.a. auf BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 14/06 R, dort
Rn 30, jeweils juris). Sind aber Folgezeiträume nicht in laufende Klageverfahren
einzubeziehen, spricht dies dafür, dass auch die von den Hilfebedürftigen gestellten
Anträge jeweils nur Wirkung für den Bewilligungsabschnitt, nicht aber darüber hinaus,
entfalten.
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Die Auffassung, der Antrag wirke über das Ende des Bewilligungszeitraums hinaus fort,
lässt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des BSG zu Anträgen auf die (frühere)
Arbeitslosenhilfe ableiten (noch jeweils zum Arbeitsförderungsgesetz – AFG -: BSG,
Urteil vom 29. Januar 2001, B 7 AL 16/00 R Rn 23 m.w.N. = SozR 3-4300 § 196 Nr. 1;
Urteil vom 29.06.2000, B 11 AL 99/99 R Rn 15 = SozR 3-4100 § 152 Nr. 10: Urteil vom
29.11.1990, 7 RAr 6/90 Rn 25 = SozR 3-4100 § 139a Nr. 1; Urteil vom 12.12.1985, 7
RAr 75/84 Rn 12). Die Notwendigkeit von Folgeanträgen für weitere
Bewilligungszeiträume ist vor dem Hintergrund der jeweiligen gesetzgeberischen
Konzeption zu beantworten und erfordert eine funktionsdifferente Betrachtung (BSG,
Urteil vom 29.09.2009, B 8 SO 13/08 R Rn 14). Eine Fortwirkung des Antrags im
Rahmen der Hilfegewährung nach dem SGB II ist nicht geboten. Bei dem
Antragserfordernis in § 37 SGB II handelt es sich nicht um eine materiell-rechtliche,
sondern - aus der Stellung im Gesetz erkennbar - (nur) um eine verfahrensrechtliche
Voraussetzung für die Leistungserbringung (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil
vom 11. März 2008, L 7 AS 143/07 = FEVS 60, 127 Rn 18; Striebinger in Gagel, SGB II,
§ 37 Rn 1; Link, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 37 Rn 17, 19; Müller, in:
Hauck/Noftz, SGB II, 2004, § 37 Rn 5). Erschöpft sich der Antrag aber in seiner
verfahrensrechtlichen Funktion, ist seine Wirkung mit Abschluss des
Verwaltungsverfahrens beendet; er kann - anders als materielle Voraussetzungen - nicht
weiterwirken. Auch die damalige Annahme des BSG, dass im Bereich der Leistungen
der Arbeitslosenhilfe im Falle ununterbrochener Arbeitslosigkeit und Fortbestand der
übrigen Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich ein einheitlicher und fortwährender
Anspruch bestehe (z.B. BSG, Urteil vom 24.07.1986, 7 RAr 94/84 Rn 16 m.w.N.), gilt
nicht gleichermaßen für Leistungen nach dem SGB II. Allein der Umstand, dass die
Hilfegewährung im SGB II insbesondere von der - zu prüfenden - aktuellen
Hilfebedürftigkeit und der Zusammensetzung der Bedarfsgemeinschaft abhängt, weist
darauf hin, dass nach Ablauf des Bewilligungsabschnitts ein neuer Fortzahlungsantrag
notwendig ist (Link in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 37 Rn 19; LSG Berlin-
Brandenburg, Beschluss vom 16. März 2009, L 29 AS 162/09 B Rn 4). Anders als bei
der Arbeitslosenhilfe (Alhi) nach dem AFG ergehen Bewilligungsbescheide im Rahmen
des SGB II häufig nicht nur für eine einzige Person, sondern für mehrere Mitglieder einer
Bedarfsgemeinschaft. Darüber hinaus ist das Konzept des SGB II davon geprägt,
vorrangig sowie möglichst schnell und passgenau die Eingliederung in Arbeit zu
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unterstützen und lediglich nachrangig bedarfsdeckende Leistungen zu erbringen (vgl. §
3 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 Satz 1 SGB II, BT-Drs. 15/1516 S. 2, 44, 51). Stehen aber die
Eingliederungsbemühungen im Vordergrund, bedeutet dies auf der anderen Seite, dass
hierauf jeweils flexibel und zeitnah reagiert werden soll. Dies zeigt auch der gegenüber
der Gewährung von Arbeitslosenhilfe nach dem AFG bzw. den früheren §§ 190 ff. des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) verkürzte Bewilligungszeitraum des § 41
SGB II. Die Frage der Bemühungen um Vermittlung in Arbeit hat damit erheblichen
Einfluss auf Art und Umfang der Hilfegewährung und erfordert regelmäßig eine neue
umfassende Prüfung des einzelnen Leistungsfalls. Von einem - weitgehend
unveränderten - einheitlichen Anspruch, wie diesen das BSG etwa bei der früheren Alhi
nach dem AFG angenommen hatte, ist im SGB II mithin nicht auszugehen. Ähnliche
Unterschiede hat das BSG auch zur Abgrenzung der Leistungen der Arbeitsförderung
nach dem SGB III zu den Leistungen nach dem SGB II herausgestellt (BSG, Urteil vom
07.11.2006, B 7b AS 14/06 R Rn 30 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1).
Soweit das BSG für Anträge auf Leistungen nach dem bis zum 31. Dezember 2004
geltenden "Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsmin-derung" (GSiG) einen Folgeantrag für einen weiteren Bewilligungszeitraum
für entbehrlich erachtet hat (Urteil vom 29.09.2009, B 8 SO 13/08 R Rn 12, juris), ist dies
ebenfalls erkennbar von den Besonderheiten des dem Streitverfahren
zugrundeliegenden Rechtsgebiets getragen. Der Antrag dort sollte allein den Wechsel
des Leistungssystems von der Sozialhilfe zur Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung - mit vor allem beschränktem Rückgriff auf unterhaltsverpflichtete
Angehörige - von einem ausdrücklichen Wunsch des Berechtigten in Form eines
Antrags abhängig machen, ohne im Übrigen die Leistungsgewährung gegenüber der
Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz durch ein gesteigertes
Antragserfordernis zu erschweren (BSG, a.a.O.). Sowohl für die Leistungen der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung als auch für die der Alhi (hierzu s.
oben) ging der Gesetzgeber bei im Wesentlichen gleichbleibenden Verhältnissen von
einem nur geringen Anpassungs-/Veränderungsbedarf aus. Dies belegten § 6 Abs. 1
GSiG bzw. § 139 a Abs. 1 AFG, die mit Blick auf etwaige Anpassungen von
Sozialleistungen einen Bewilligungszeitraum von bzw. bis zu einem Jahr vorsahen.
Etwas anderes gilt hingegen für das Regelungskonzept der Grundsicherung für
Arbeitsuchende, das auf schnell und/oder sich häufig ändernde persönliche und
wirtschaftliche Verhältnisse des arbeitsuchenden Hilfeempfänger und der mit ihm in
einer Bedarfsgemeinschaft zusammen lebenden Personen reagieren können muss
(s.o., dazu auch die Urteils-Anmerkung Schäfer, ZFE 2010, S. 194, 196). Des weiteren
widerspricht eine Unterscheidung zwischen Erst- und Folgeantrag bei § 37 SGB II der
mit dieser Norm verfolgten ratio legis. Soll der Leistungsantrag nach dem Willen des
Gesetzgebers konstitutive Wirkung haben und sollen Leistungen erst ab Antragstellung
zustehen (vgl. hierzu oben und BT-Drs. 15/1516 S. 62), kann dies im Gesamtbild des
Leistungsgefüges nur dann gesichert werden, wenn die Leistungsgewährung zu jedem
Zeitpunkt, also sowohl bei erstmaligem Leistungsbeginn als auch bei Fortsetzung des
Leistungsbezugs, an die Antragstellung gebunden ist. Denn die legislatorische Absicht,
die Hilfebedürftigkeit durch Schaffung von Bewilligungszeiträumen regelmäßig zu
überprüfen, begegnete erheblichen praktischen Schwierigkeiten, wenn Folgeanträge,
anders als Erstanträge, keine Leistungsvoraussetzung wären. Dann nämlich müsste der
Leistungsträger die einmal bewilligten Leistungen (vorläufig) weiterzahlen, bis er vom
Hilfebedürftigen aktualisierte Angaben zu seinem (verminderten) Hilfebedarf erlangt hat.
Ohne die verhaltenssteuernden Rechtswirkungen des Antrags würde die Überprüfung
des Leistungsanspruchs häufig nicht vor dem neuen Bewilligungsabschnitt
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abgeschlossen werden können. Damit käme es zu ungerechtfertigten Überzahlungen,
deren Rückforderung sich unter rechtlichen wie tatsächlichen Gesichtspunkten
problematisch gestalten, einen großen Aufwand bedingen und häufig zu finanziellen
Ausfällen führen würde. Einen ausdrücklichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand hinsichtlich des Fortzahlungsantrags hat die Klägerin nicht gestellt.
Unabhängig davon wäre dieser auch ohne Erfolg. Gemäß § 27 SGB X ist
Wiedereinsetzung nur zu gewähren, wenn eine gesetzliche Frist versäumt wurde. Dies
ist hier nicht der Fall, denn bei der Regelung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II handelt es
sich nicht um eine gesetzliche Frist (LSG NRW, Urteil vom 17.04.2008, L 9 AS 69/08).
Schließlich ist die Klägerin auch nicht im Wege des sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs so zu behandeln, als hätten sie den Fortzahlungsantrag
rechtzeitig gestellt. Dieser Anspruch setzt u.a. die Verletzung einer Nebenpflicht aus
dem Sozialrechtsverhältnis durch den Leistungsträger voraus (BSG, Urteil vom
06.03.2003, B 4 RA 38/02 R Rn 15 = SozR 4-2600 § 115 Nr. 1). Eine solche ist hier
nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Insbesondere ist die Beklagte mit ihren, von
der Klägerin mit ihrer Unterschrift am 20.09.2007 als bekannt bestätigten, Hinweisen
und Informationen ihrer – anerkannten (vgl. LSG NRW, Urteil vom 17.04.2008, L 9 AS
69/07) - Pflicht nachgekommen, die Klägerin zeitig darauf hinzuweisen, dass der
Weiterbewilligungsantrag rechtzeitig gestellt werden müsse, um
Leistungsunterbrechungen zu vermeiden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision wegen der
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage als gegeben angesehen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1
SGG).
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