Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 05.11.2008

LSG NRW: aufschiebende wirkung, beitragsnachforderung, fax, ausschluss, schwarzarbeit, eugh, versuch, vollziehung, akteneinsicht, verfügung

Landessozialgericht NRW, L 16 B 7/08 R ER
Datum:
05.11.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 16 B 7/08 R ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Aachen, S 23 R 19/08 ER
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Aachen vom 27. März 2008 wird zurückgewiesen. Die
Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der
Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 15.446,62 EUR
festgesetzt.
Gründe:
1
I. Die Antragstellerin (ASt´in) wendet sich gegen eine Beitragsnachforderung von
Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 61.786,48 EUR zuzüglich
Säumniszuschlägen (SZ) von 6.646,50 EUR, die nach einer Betriebsprüfung gemäß §
28p Abs 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) vom 29.06. bis 06.08.2007 durch
Bescheid der Antragsgegnerin (AG´in) vom 28.11.2007 festgesetzt worden sind. Gegen
die unter dem Namen der ASt´in handelnden B E sind ein staatsanwaltliches
Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft (StA) Aachen (Az: 301 Js 943/06; wegen
des Verdachts auf Vorenthalten von Beiträgen zur Sozialversicherung) und
Ermittlungsverfahren des Hauptzollamtes (HZA) B - Finanzkontrolle Schwarzarbeit - (Az:
000) und des Finanzamtes (FA) B (St-Nr: 000) anhängig. Die Beitragsnachforderung
beruht auf Tätigkeiten der polnischen Staatsbürger U L, T L, N Q, X C, L L, A N, X M und
L C im Prüfzeitraum vom 01.08.2005 bis zum 30.11.2006 für die ASt´in, wobei umstritten
ist, ob diese als sog selbständige Nachunternehmer oder als abhängig Beschäftigte der
ASt´in tätig geworden sind. Den Antrag vom 14.12.2007 auf Aussetzung der Vollziehung
des Bescheides vom 28.11.2007 lehnte die AG´in ab (Bescheid vom 01.02.2008).
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Mit Beschluss vom 27.03.2008 hat das Sozialgericht (SG) Aachen den Antrag der ASt´in
vom 07.02.2008 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom
14.12.2007 gegen den Bescheid vom 28.11.2007 abgelehnt und zur Begründung
ausgeführt, dem Widerspruch komme nach § 86a Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) keine aufschiebende Wirkung zu; die in der Rechtsprechung herangezogene
Ausnahmevorschrift des § 7a Abs 7 Satz 1 SGB IV greife nicht ein, denn diese Vorschrift
ordne nur die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs im Rahmen eines hier nicht
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vorliegenden Statusverfahrens nach § 7a Abs 1 SGB IV an. Die Voraussetzungen der
Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs 2 Nr 1 SGG seien vorliegend
nicht erfüllt, denn ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Bescheides beständen nicht und die Vollziehung stelle für die ASt´in keine unbillige,
nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte dar.
Gegen diesen, ihrem Prozessbevollmächtigten am 29.03.2008 zugestellten Beschluss
hat die ASt´in am 02.04.2008 Beschwerde eingelegt und zur Begründung vorgetragen,
das SG habe unter Außerachtlassung europäischen Rechts nicht erkannt, dass die
polnischen Staatsbürger weisungsfrei im Rahmen ausdrücklich geschlossener
Nachunternehmerverträge auf eigene Rechnung tätig geworden seien. Er sei beauftragt
worden, am Beispiel des vorliegenden Falles ein Vertragsverletzungsverfahren gegen
die Bundesrepublik Deutschland wegen Missachtung der Freizügigkeit von
Selbständigen bei der EU-Kommission anzuregen; ggf sei nach Art 234 EG-Vertrag
(EGV) die notwendige Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH)
einzuholen. Zudem habe die AG´in in keiner Weise den Versuch unternommen,
irgendwelche Aufklärung bei den für die ASt´in tätig gewordenen Selbständigen zu
betreiben. Ebenfalls habe er bei der Einsichtnahme in die Strafermittlungsakte erfahren,
dass die AG´in dort bereits im Januar 2008 den Schadensbetrag für die angeblich nicht
abgeführten Gesamtsozialversicherungsbeiträge nicht mehr mit 61.786,48 EUR,
sondern nur noch mit 33.551,62 EUR angegeben habe. Selbst wenn bei dieser
Berechnung eine sog "Nettolohn-Abrede" unterstellt worden sei, könne der Unterschied
zwischen Netto- und Bruttolohn nicht rund 100% betragen. Er vermute weiterhin, dass
die AG´in während des gesamten Verfahrens ihre Akten unvollständig vorgelegt habe
und möglicherweise zusätzliche (Geheim-)Akten führe.
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Die AG´in beantragt sinngemäß,
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den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 27.03.2008 abzuändern und
festzustellen, dass der Widerspruch vom 14.12.2007 gegen den Bescheid vom
28.11.2007 aufschiebende Wirkung habe,
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hilfsweise, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 14.12.2007 gegen den
Bescheid vom 28.11.2007 anzuordnen,
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weiter hilfsweise, vor einer Entscheidung des erkennenden Senates der
Antragsgegnern aufzugeben, die ("diesmal aber wirklich") vollständigen Akten dem
Gericht vorzulegen; zu erklären, wieso die genannten Aktenteile bisher vorenthalten
gewesen seien, und zu versichern, dass die Akten nunmehr vollständig seien, und
Akteneinsicht in die vollständigen Akten zu gewähren.
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Die AG´in beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Zur Begründung bezieht sie sich auf den Inhalt des angefochtenen Beschlusses.
Hinsichtlich der Schadensneuberechnung hat sie ein Büroversehen eingeräumt: Sie
habe die Verwaltungsakten vollständig zur Verfügung gestellt und erst am 13.10.2008
durch Übersendung der Unterlagen von ihrem Prüfdienst (7 Seiten, Fax vom 13.10.2008
- 10.28- Uhr) Kenntnis von der Anfrage der StA vom 10.12.2007 und der
Schadensneuberechnung erhalten. Auswirkungen auf das anhängige Verfahren habe
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die dort enthaltende Neuberechnung nicht, denn diese sei nur auf Anfrage der StA auf
der Grundlage der in der Verwaltungsakte dokumentierten Zahlungen als Bruttolöhne
erfolgt. Bei der hier streitigen Berechnung der Nachforderung von
Gesamtsozialversicherungsbeiträgen seien die aktenmäßig dokumentierten Zahlungen
aber um die Abgaben zur gesetzlichen Sozialversicherung zu erhöhen; allein dies stelle
die Berechnungsgrundlage für die (nach-) erhobenen Sozialabgaben dar.
Die AG´in hat noch am 13.10.2008 (Fax vom selben Tag - 14.48 Uhr -, ebenfalls 7
Seiten) die Unterlagen ihres Prüfdienstes dem Senat per Fax zur Verfügung gestellt; ein
Doppel hat der Bevollmächtigten am 15.10.2008 ebenfalls per Fax übermittelt
bekommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der
Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Prozess- und der Verwaltungsakte der
AG in Bezug genommen, die ihrem Inhalt nach Gegenstand der Entscheidung gewesen
sind.
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II. Die Beschwerde, über die der Senat ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter
entscheiden konnte (§§ 12 Abs 1 Satz 1, 176 SGG), ist zulässig. Insbesondere liegt in
dem erstmals im Beschwerdeverfahren gestellten Antrag, die aufschiebende Wirkung
des Widerspruchs vom 14.12.2007 gegen den Bescheid der AG´in vom 28.11.2007
festzustellen, keine Antragsänderung im Rechtssinne (§ 99 Abs 3 Nr 2 SGG), denn der
Antragsgrund, dh der historische Lebenssachverhalt, aus dem die ASt´in ihre Ansprüche
ableitet, ist derselbe geblieben (dazu: Leitherer, in Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, Kommentar, 9. Auflage 2008, § 99 Randnummer - Rn - 2b f). Ein solcher Antrag ist
auch zulässig; selbst wenn dem Widerspruch vom 14.12.2007 bereits nach dem Gesetz
unmittelbar aufschiebende Wirkung zukäme, muss es einem Rechtsmittelführer
zumindest in den Fällen, in denen eine Behörde - wie hier (ua Bescheid vom
01.02.2008) - eine solche Wirkung verneint, möglich sein, aus Gründen der
Rechtsklarheit eine entsprechende Feststellung deklaratorischer Art zu erwirken
(Beschluss des erkennenden Senats vom 07.07.2008 - L 16 B 30/08 KR ER - juris.de -).
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Die Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht und mit ausführlicher und inhaltlich
vollumfänglich zutreffender Begründung hat das SG zunächst die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs der ASt´in vom 14.12.2007 gegen den Bescheid der AG´in
vom 28.11.2007 verneint. Der Senat folgt nach eigener Prüfung der Argumentation des
SG und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit auf die entsprechenden
Ausführungen im angefochtenen Bescheid, § 153 Abs 2 SGG entsprechend.
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Ergänzend weist der Senat lediglich noch darauf hin, dass der Ausschluss der
aufschiebenden Wirkung unmittelbar aus § 86a Abs 2 Nr 1 SGG folgt. Nach dieser, zum
01.01.2002 neu eingefügten Vorschrift (Art 17 des "Sechsten Gesetzes zur Änderung
des Sozialgerichtsgesetzes" (6. SGG-ÄndG) vom 17.08.2001, Bundesgesetzblatt (BGBl)
I, 2144) entfällt für Widersprüche und Klagen, die sich - wie vorliegend - gegen
Bescheide über Anforderung von Beiträgen einschließlich der darauf entfallenden
Nebenkosten (ua SZ nach § 24 Abs 1 SGB IV (zustimmend: LSG NRW, Beschluss vom
11.09.2006 - L 5 (3) KR 10/06 R - juris.de -; anderer Ansicht (aA) Keller, in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 86a Rn 13a) richten, die aufschiebende Wirkung (sog
Suspensiveffekt).
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Dem steht nicht entgegen, dass nach § 7a Abs 7 Satz 1 SGB IV (eingeführt durch Art 3
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Abs 2 des "Gesetzes zur Förderung der Selbständigkeit" (SelbFöG) vom 20.12.1999,
BGBl I 2000, 2) Widerspruch und Klage gegen Bescheide der Deutschen
Rentenversicherung Bund (DRV Bund), dass eine Beschäftigung vorliegt, im
Antragsverfahren nach § 7a Abs 1 Satz 1 SGB IV aufschiebende Wirkung zukommt. Mit
der herrschenden Meinung (hM) (LSG Hamburg, Beschluss vom 25.10.2000 - L 3 B
80/00 ER - NZA-RR 2001, 658 - ; Hessisches LSG, Beschluss vom 12.01.2005 - L 8/14
KR 110/04 – juris.de - ; Klattenhoff, in Hauck/Haines, SGB IV, Stand 2008, § 7a Rn 43a;
KassKomm-Seewald, Sozialversicherungsrecht, Stand August 2008, § 7a SGB IV RdNr
24; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 86a Rn 13b) hat der Senat bereits
entschieden (Beschluss vom 07.07.2008, aaO), dass unter Berücksichtigung von
Historie, Systematik und Sinn und Zweck dieser Vorschrift § 7a Abs 7 Satz 1 SGB IV
nicht nur auf Statusentscheidungen der DRV Bund nach Abs 1 Satz 1 dieser Vorschrift
begrenzt ist. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
Entgegen der hM folgt aber insbesondere aus der Gesetzesbegründung zu § 7a Abs 7
Satz 1 SGB IV ("Die Vorschrift gilt nicht nur für Statusentscheidungen (der damaligen)
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), sondern auch für
Statusentscheidungen der übrigen Sozialversicherungsträger außerhalb des
Antragsverfahrens", Bundestags-Drucksache (BT-Drs) 14, 1855, S 8 zu § 7a Abs 7 SGB
IV) nicht, dass - wie hier - in Betriebsprüfungsverfahren nach § 28p SGB IV eine
Besserstellung von Arbeitgebern im Vergleich zu § 86a Abs 2 Nr 1 SGG erfolgt (so
ausdrücklich bereits Beschluss vom 07.07.2008, aaO; offen gelassen noch LSG NRW,
Beschluss vom 04.06.2007 - L 5 B 1/07 R ER - nicht veröffentlicht -; zu weitgehend
Pietrek, in jurisPK-SGB IV, § 7a Rn 131 und differenzierend Baier, in Krauskopf, soziale
Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Stand Juni 2008, § 7a SGB IV Rn 21). Für
diese Fälle enthält, wie ausgeführt, § 86a Abs 2 Nr 1 SGB IV eine abschließende
Regelung (zur vergleichbaren Regelung in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO),
vgl § 80 Abs 2 Nr 1 VwGO), die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs wird im
Interesse der Funktionsfähigkeit der Leistungsträger ausgeschlossen (BT-Drs 14/5943,
S 25 zu § 86a SGB IV).
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Darin liegt keine unzumutbare Benachteiligung der ASt´ in. Die hier vertretene
Auslegung des § 7a Abs 7 Satz 1 SGB IV entspricht dem Wortlaut der Norm und
berücksichtigt die unterschiedlichen systematischen Zusammenhänge.
Antragsverfahren nach § 7a Abs 1 SGB IV sind von einem vorausschauenden Charakter
geprägt und damit grundsätzlich nur zu Beginn einer Beschäftigung eröffnet (so zuletzt
Beschluss des erkennenden Senats vom 24.10.2008 - L 16 B 15/08 R -
sozialgerichtsbarkeit.de -; Hessisches LSG, Beschluss vom 10.09.2006 - L 8/14 KR
110/04 ER - juris.de -; Bayrisches LSG, Urteil vom 23.10.2007 - L 5 KR 26/07 - juris.de
(Revision anhängig unter B 12 KR 31/07 R -)). Sie sollen den gutgläubigen Arbeitgeber
schützen (BT-Drs 14/1855, S 6). Anders als beim Tätigwerden eines Beteiligten, in der
Hoffnung auf eine "schnelle und unkomplizierte" Klärung allein der Statusfrage (BT-Drs
14/1855, S 6) und damit der Herbeiführung von Rechtssicherheit für alle Beteiligten,
weichen Beitragsbescheide des Rentenversicherungsträgers in
Betriebsprüfungsangelegenheiten nach § 28p Abs 1 SGB IV in wesentlicher Hinsicht
von diesen Grundsätzen ab. Hier handelt es sich um eine klassische Eingriffsverwaltung
mit der Befugnis, Beitragsbescheide unmittelbar zu erlassen (§ 28p Abs 1 Satz 5 SGB
IV). Dogmatisch korrekt schließt § 7a Abs 1 Satz 1 letzter Halbsatz SGB IV ein
Antragsverfahren denn auch aus, wenn eine Einzugsstelle oder ein anderer
Versicherungsträger bereits ein Verfahren zur Feststellung der Beschäftigung eingeleitet
hatte. Dieser Ausschluss gilt auch für Betriebsprüfungen nach § 28p Abs 1 SGB IV.
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Grund hierfür ist, dass bei einer solchen Prüfung von Amts wegen nicht nur über die
Beschäftigung, sondern über den Beitragstatbestand als Ganzes zu befinden ist (LSG
München, aaO). Die Regelungszusammenhänge der §§ 28a ff SGB IV und damit die
Anwendung des Suspensiveffektes des § 7a Abs 7 Satz 1 SGB IV werden daher nur bei
reinen Statusentscheidungen verdrängt; gerade bei einem im Rahmen einer Prüfung
nach § 28p Abs 1 SGB IV durch den Rentenversicherungsträger festgestellten Verdacht
auf Schwarzarbeit ist für eine beitragsrechtliche Honorierung des zumeist bösgläubigen
Arbeitgebers schlechterdings kein Raum. Derartige Arbeitgeber sind gerade nicht von
den Meldepflichten nach § 28a Abs 1 und 3 SGB IV befreit und zur Abführung des
Gesamtsozialversicherungsbeitrags nach § 28d SGB IV verpflichtet. Es verbleibt bei der
allgemeinen Fälligkeitsregelung des § 23 SGB IV mit der Folge, dass SZ - anders als
nach § 7a Abs 6 Satz 2 SGB IV (dazu Pietrek, aaO, § 7a SGB IV Rn 134) - nach
Maßgabe des § 24 SGB IV anfallen.
Wie der zur Entscheidung stehende Fall deutlich zeigt, liegt ein derartiger Sachverhalt
hier vor. Die vermeintliche Schwarzarbeit wurde von der AG´in im Rahmen einer
Betriebsprüfung nach § 28p Abs 1 SGB IV festgestellt und zugleich beitragsrechtlich mit
Bescheid vom 28.11.2007 nach § 28p Abs 1 Satz 5 SGB IV umgesetzt. Der ASt´in geht
es allein um Abwehransprüche der ihrer Meinung nach rechtswidrigen
Beitragsfestsetzung. Dabei hatte sie es selbst in der Hand, rechtzeitig (vor oder bei
Aufnahme der fraglichen Tätigkeiten) den Status ihrer vorgeblichen Nachunternehmer
von der DRV Bund prüfen zu lassen. Einen entsprechenden Antrag hat sie aber gerade
nicht gestellt. Sie wird durch den fehlenden Suspensiveffekts ihres Widerspruchs zudem
nicht rechtlos gestellt, vielmehr ist ihr - wie von ihr auch beschritten und vom SG
zutreffend entschieden - der Weg einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs 1 Nr 2
SGG eröffnet.
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Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen, was das SG ebenfalls zutreffend
ausgeführt hat, allerdings nicht vor. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung steht
im pflichtgemäßen Ermessen des erkennenden Senats. Dabei sind die
Erfolgsaussichten des Widerspruchs (und der Klage), das Einzel- und das öffentliche
Interesse gegeneinander abzuwägen (Zeihe, in Das Sozialgerichtsgesetz und seine
Anwendung, Kommentar, Loseblatt, Stand 01.05.2008, § 86a Anm 8a). Dem Gesetz ist
insoweit ein Regel-/Ausnahmeverhältnis bzgl. der Anordnung der aufschiebenden
Wirkung zu entnehmen, denn der Gesetzgeber schätzt in den Fällen des § 86a Abs 2 Nr
1 SGG durch den ausdrücklichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von
Widerspruch und Anfechtungsklage das öffentliche Interesse an einem Sofortvollzug
von Beitragsbescheiden grundsätzlich höher ein als das Privatinteresse an der
vorläufigen Aussetzung (§ 86a Abs 3 Satz 2 SGG). Es gilt der Grundsatz: Je größer die
Erfolgsaussichten von Widerspruch und Anfechtungsklage, um so geringere
Anforderungen sind an das Aussetzungsinteresse der ASt´in zu stellen; sind die
Erfolgsaussichten nicht abschätzbar, verbleibt es bei der allgemeinen
Interessensabwägung, wobei für die Durchbrechung des in § 86a Abs 2 Nr 1 SGG
angeordneten Suspensiveffektes das private Aussetzungsinteresse deutlich gegenüber
dem öffentlichen Interesse überwiegen muss.
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Nach diesen Grundsätzen hat das SG zutreffend ernste Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des angefochtenen Bescheides und ein schutzwürdiges, überwiegendes privates
Aussetzungsinteresse der ASt´ in zu Recht und mit zutreffender Begründung verneint;
auch insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss, §
153 Abs 2 SGG entsprechend.
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Auch das weitere Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung in der
Sache. Bei der hier gebotenen summarischen Prüfung ist ein Erfolg der ASt´in in einem
späteren Hauptsacheverfahren nicht wahrscheinlicher als ein Misserfolg. Im Gegenteil
spricht nach Lage der Akten Einiges dafür, dass entgegen der Rechtsauffassung der
ASt in nicht allein auf die Nachunternehmerverträge abgestellt werden kann. Über die
rechtliche Einordnung dieser Verträge entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht die von
den Parteien gewünschte oder unterstellte Rechtsfolge (Bundessozialgericht (BSG) in
ständiger Rechtsprechung, vgl Urteil vom 24.01.2007 - B 12 KR 31/06 R - SozR 4-2400
§ 7 Nr 7 -; zuletzt vom 28.05.2008 - B 12 KR 13/07 R - juris.de -). Maßgebend ist stets
die tatsächliche Durchführung dieser Verträge, weil sich aus der faktischen
Handhabung der Vertragsbeziehungen am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen lassen,
von welchen Rechten und Pflichten die Vertragsparteien ausgegangen sind, was sie
also wirklich gewollt haben. Insoweit hat das SG zutreffend die widersprüchlichen
Vertragsinhalte mit der bisher ermittelten tatsächlichen Durchführung der Verträge in
Beziehung gesetzt. Daran ändert auch der Inhalt der eidesstattlichen Versicherung des
Ehemanns von B E, K E, vom 25.02.2008, nichts. Im Gegenteil spricht nach dieser
Versicherung sogar Vieles dafür, dass die polnischen Staatsbürger in den Betrieb der
ASt´in fest eingegliedert waren, denn für den Senat ist nicht ersichtlich, dass den
"Nachunternehmern" tatsächlich ein wirtschaftlicher Entscheidungsspielraum bei den
wohl von der ASt´in vorgegebenen Festpreisen verblieb und zuvor eigene Aufmaße und
eine Preiskalkulation überhaupt stattfanden. Herr E hat zudem engmaschige Kontrollen
und eine regelmäßige Präsenz vor Ort eingeräumt. Dass in diesem Zusammenhang
auch eigenverantwortliche Tätigkeiten erbracht worden sind, liegt in der Natur der
Sache, wenn die "Nachunternehmer" parallel auf mehreren Baustellen für die ASt´in
tätig waren.
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Der Senat folgt schließlich der Rechtsauffassung der ASt´ in nicht, soweit diese
behauptet, bei den polnischen Staatsbürgern sei kein Versuch unternommen worden,
"irgendwelche Aufklärung ... zu betreiben". Tatsächlich fand - aktenmäßig dokumentiert -
bei U L und T L bereits am 20.09.2006 durch das HZA eine Prüfung statt, die - wohl -
vollständigen Vertragsunterlagen zu den Nachunternehmerverträgen liegen in der
Verwaltungsakte der AG´in vor und es wurde mehrfach - erfolglos - versucht, die
polnischen Staatsbürger zu vernehmen (vgl Aktenvermerk HZA vom 12.01.2007). Dabei
muss berücksichtigt werden, dass vier der acht polnischen Staatsbürger ausweislich
des vorbezeichneten Vermerks des HZA bereits am 12.12.2006 ihre Gewerbe in
Deutschland formell bereits wieder aufgegeben hatten. Soweit die ASt´in durch
Einschaltung nationaler Kontaktstellen anregt hat, weiter Beweis zu erheben, kann dies
nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erfolgen, sondern bleibt einem
späteren Hauptsacheverfahren vorbehalten.
24
Etwas anderes ergibt sich weder aus über- noch aus zwischenstaatlichem Recht, § 6
SGB IV. Der EuGH hat gerade in der von der ASt´in angeführten Entscheidung (Urteil
vom 20.11.2001 - C-268/99 - EuGHE I, 8615) ausdrücklich die Prüfungskompetenz der
nationalen Gerichte zum Vorliegen einer selbständigen bzw unselbständigen Tätigkeit
bejaht. Nichts anderes hat das SG in dem angefochtenen Beschluss getan, als es das
Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit hinsichtlich der "Nachunternehmer" bestenfalls
als offen angesehen hat; dem folgt - wie ausgeführt - der Senat nach eigener Prüfung.
Eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art 234 EGV an den EuGH bedarf es wegen
der klaren Rechtslage nicht (dazu BSG, Urteil vom 28.07.2008 - B 1 KR 4/08 R - juris.de
-). Es handelt sich ausschließlich um reine Tatsachenfeststellungen und die ASt´in hat
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auch keine klärungsbedürftigen Vorlagefragen formuliert; auch für den Senat sind
solche Fragen jedenfalls im jetzigen Verfahrensstadium nicht ersichtlich.
Soweit die ASt´in erstmals nach Bekanntwerden der Neuberechnung der Arbeitnehmer-
und Arbeitgeberbeiträge aufgrund der StA-Anfrage vom 10.12.2007 die nachzuzahlende
Beitragshöhe pauschal bestreitet, führt dies ebenfalls zu keiner anderen Entscheidung
in der Sache. Wie die ASt´in selber einräumt, lag dieser Berechnung ausdrücklich ein
anderer Schadensansatz zu Grunde. Tatsächlich waren, worauf die AG´in bereits im
Bescheid vom 28.11.2007 ausdrücklich und zu Recht hingewiesen hat, die aktenmäßig
dokumentierten Zahlungen auf sog Bruttolöhne hochzurechnen (§ 14 Abs 2 SGB IV).
Weder hat die ASt´in bei dieser Berechnung konkrete Rechenfehler behauptet noch
waren solche für den Senat nach Lage der Akten erkennbar. Die AG´in hat ihrer
Berechnung auch ersichtlich keine falschen Tatsachen zugrundegelegt, denn die
Berechnung basiert ausschließlich auf den eigenen Unterlagen der ASt´in, die bei der
Durchsuchung vom 07.12.2007 sichergestellt, in der Verwaltungsakte der AG´in
vollständig dokumentiert und im Bescheid vom 28.11.2007 aufgeführt worden sind.
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Bei dieser Sachlage hat der Senat keine Veranlassung gesehen, die Entscheidung über
die Beschwerde auszusetzen und nochmals Akteneinsicht zu gewähren. Der ASt´in
lagen die vollständigen Akten mit der Neuberechnung aus Januar 2008 spätestens am
15.10.2008 vor. Hierzu hat sie auch bereits am 17.10.2008 inhaltlich Stellung
genommen. Anhaltspunkte für "Geheimakten" oder zurückgehaltende Unterlagen auf
Seiten der AG´in hat der Senat nicht; diese hat vielmehr nachvollziehbar und glaubhaft
das Versehen ihres Prüfdienstes eingeräumt. Die ASt´in hat zudem weder behauptet
noch in geeigneter Weise glaubhaft gemacht, dass konkrete Unterlagen existieren, die
die hier getroffene Entscheidung in Frage stellen. Im Gegenteil basiert die hier
getroffene Beschwerdeentscheidung ausschließlich auf Unterlagen, die der ASt´in
vollumfänglich zugänglich gemacht worden sind und zu denen sie mehr als ausreichend
Gelegenheit hatte, inhaltlich Stellung zu nehmen. Tatsächlich spricht nach Lage der
Akten sogar Einiges dafür, dass das prozessuale Verfahren der ASt´in jedenfalls
teilweise darauf angelegt ist, eine zeitnahe Entscheidung des vorläufigen
Rechtsschutzes und damit eine Vollstreckung der fälligen Beitragsschuld zu verzögern.
Dabei verkennt der Senat nicht, dass in einem späteren Hauptsacheverfahren die
zahlreichen Ermittlungsakten in dieser Streitsache beizuziehen und im Detail weiter
auszuwerten und die ASt´in zu einer weiteren Präzisierung ihres bisher nur
eingeschränkt aussagekräftigen Tatsachenvorbringens aufzufordern sein werden.
Gleiches gilt für die noch notwendigen weiteren Bemühungen zur Aufklärung des
Sachverhalts von Amts wegen, etwa durch den Versuch, die polnischen Staatsbürger zu
vernehmen. Diese Ermittlungen würden aber den Rahmen des hier nur vorliegenden
vorläufigen Rechtsschutzverfahrens sprengen und bleiben einem Hauptsacheverfahren
vorbehalten.
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Bei dieser Sachlage kommt damit bestenfalls gleichermaßen eine Entscheidung in die
eine wie in die andere Richtung in Betracht, mit der Folge, dass es bei der durch den
Gesetzgeber in § 86a Abs 2 Nr 1 SGG vorgegebenen Risikoverteilung zu Lasten der
ASt´in verbleiben muss. Bei der danach anzustellenden Interessenabwägung kann sich
die ASt in, wie ebenfalls vom SG unter Hinweis auf den Beschluss des LSG NRW vom
17.01.2005 (- L 1 B 9/03 KR ER - Breithaupt, 2005, 437) rechtsfehlerfrei näher
ausgeführt, nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Vollziehung des angefochtenen
Bescheides vom 28.11.2007 für sie eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche
Interessen gebotene Härte im Sinne des § 86a Abs 3 Satz 2 SGG zur Folge habe. Die
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im Beschwerdeverfahren vorgetragene und zudem nicht näher glaubhaft gemachte
Insolvenzgefahr reicht hierfür ebenfalls nicht aus. Bei der Beitragsnachforderung handelt
es sich um die Erfüllung der im Beitragsrecht jedem Arbeitgeber auferlegten Pflichten;
zudem hat sich die ASt´in ausdrücklich vorbehalten, nach Klärung der Rechtmäßigkeit
der Beitragsnachforderung einen Stundungsantrag (§ 76 Abs 2 Nr 1 SGB IV) zu stellen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG iVm § 154 Abs 1
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die mit Beschluss vom 07.05.2008
vorgenommen Streitwertfestsetzung des SG begegnet keinen rechtlichen Bedenken und
gilt so auch für das Beschwerdeverfahren.
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Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden, §
177 SGG.
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