Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.08.2009

LSG NRW (kläger, angemessenheit der kosten, zeitpunkt, antrag, beschwerde, sgg, aussicht, klageverfahren, strom, erklärung)

Landessozialgericht NRW, L 6 B 47/09 AS
Datum:
26.08.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 6 B 47/09 AS
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 10 AS 379/08
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Den Klägern wird auf ihre Beschwerde für das Klageverfahren ab
03.03.2009 ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von
Rechtsanwältin N, I, bewilligt.
Gründe:
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I.
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Zwischen den Beteiligten war die Gewährung eines Darlehens zur Tilgung von Strom-
und Heizkostenschulden gemäß § 22 Abs. 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch
(SGB II) streitig.
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Die Kläger, die von der Beklagten laufende Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II beziehen, beantragten am 13.08.2008 die
darlehensweise Übernahme von Strom- und Heizkostenschulden in Höhe von 6.813,98
Euro. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 14.08.2008 und
Widerspruchsbescheid vom 14.11.2008 ab. Nach Ermessensausübung im Rahmen des
§ 22 Abs. 5 SGB II sei es im konkreten Fall nicht gerechtfertigt, die entstandenen
Schulden zu übernehmen. Angesichts der von den Klägern bewohnten zu teuren
Wohnung sei auch künftig ein monatliches finanzielles Defizit zu erwarten. Die
entstandenen Kosten seien auf die Nichtzahlung der aus der Regelleistung zu
tragenden Kosten für Haushaltsstrom zurückzuführen. Bei solch missbräuchlicher
Verwendung der vorhandenen Mittel könnten die Kläger nicht damit rechnen, dass
aufgelaufene Stromschulden vom Leistungsträger übernommen würden. Dies gelte
insbesondere auch deshalb, weil die Kläger der bereits aus Juli 2005 datierenden
Aufforderung, die Kosten der Unterkunft zu senken, nicht nachgekommen seien und sich
damit in eine unwirtschaftliche Lage gebracht hätten. Bemühungen, die eine Hilfe zur
Selbsthilfe erkennen ließen, seien nicht angestrengt worden.
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Die Kläger haben am 24.11.2008 Klage beim Sozialgericht Dortmund (SG) erhoben und
einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt. Die Erklärung über
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die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist von ihnen am 03.03.2009
übersandt worden. Bereits am 16.09.2008 haben die Kläger einen Antrag auf
Gewährung des beantragten Darlehens im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
gestellt. Gegen den ablehnenden Beschluss des SG vom 22.10.2008 (Az S 10 AS
307/08 ER) haben sie Beschwerde zum Landessozialgericht erhoben (L 7 B 380/08 AS
ER). In einem Erörterungstermin am 04.03.2009 sind die Kläger insbesondere zur
beruflichen Situation, zu ihren Bemühungen um angemessenen Wohnraum und zum
Vorgang der Inrechnungstellung der Stromschulden befragt worden. Hierauf beruhend
ist eine Einigung mit dem beigeladenen Energieversorgungsunternehmen zur
Schuldentilgung erzielt worden. Die Kläger haben daraufhin das Eilverfahren und das
Klageverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Das SG hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom
19.03.2009 abgelehnt. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über das
Prozesskostenhilfegesuch habe die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg
geboten, da sie im Erörterungstermin des Landessozialgerichts am 04.03.2009
zurückgenommen worden sei.
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Gegen diesen Beschluss haben die Kläger am 01.04.2009 Beschwerde eingelegt. Die
vollständigen PKH-Unterlagen seien bereits am 02.03.2009 übersandt worden. Wenn
das Gericht erst spät über den PKH-Antrag entscheide, könne eine bis dahin erfolgte
Klagerücknahme nicht zu Lasten der Antragsteller gehen. Im Übrigen sei die Klage
lediglich wegen der Einigung mit dem Energieversorgungsunternehmen
zurückgenommen worden. Selbstverständlich habe das Gericht auch in dieser Sache
die Erfolgsaussichten summarisch zu prüfen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und der von der Beklagten beigezogenen Leistungsakten sowie der Akten S 10 AS
307/08 ER (L 7 B 380/08 AS ER) Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der
Beratung.
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II.
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Die zulässige Beschwerde ist begründet.
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Den Klägern ist für das Klageverfahren PKH zu bewilligen.
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Voraussetzung für die Gewährung von PKH ist nach § 73 a Abs.1 Satz 1 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) unter
anderem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg
bietet. Dies ist der Fall, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers für
zumindest vertretbar hält (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl. 2008, § 73 a Rn 7a; st.
Rspr. des LSG NRW, z.B. Beschluss vom 29.08.2005, L 6 B 10/05 SB). Entgegen der
Auffassung des Sozialgerichts kann der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe
nicht deshalb abgelehnt werden, weil die Kläger die Klage im Zeitpunkt der
Entscheidung des SG bereits zurückgenommen hatten. Maßgeblich für die Beurteilung
der Erfolgsaussichten der Klage ist nicht der Zeitpunkt der Entscheidung über den PKH-
Antrag, sondern der Zeitpunkt der Bewilligungsreife. Das Gericht kann die
Prozesskostenhilfe rückwirkend bewilligen, wobei die Rückwirkung bis zu dem
Zeitpunkt erstreckt werden kann, in dem der Antragsteller durch einen formgerechten
Bewilligungsantrag von seiner Seite aus alles für die Bewilligung Erforderliche getan
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hat (LSG NRW, Beschluss vom 08.10.2008, L 19 B 11/08 AL m.w.N.). Vorliegend war
der Prozesskostenhilfeantrag der Kläger mit Eingang ihrer Erklärung über die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am 03.03.2009 bewilligungsreif. Zu
diesem Zeitpunkt hatte die Klage auch Aussicht auf Erfolg, da die Gesichtspunkte, die
bei der Ermessensentscheidung nach § 22 Abs. 5 SGB II berücksichtigt werden
mussten, noch nicht ausreichend ermittelt waren. So sind im Rahmen des Eilverfahrens
der Kläger vor dem LSG weitere Aspekte erörtert worden, die - im Fall einer streitigen
Entscheidung - für einen Anspruch der Kläger auf Darlehensgewährung hätten
sprechen können. Dies gilt insbesondere für die mögliche Verbesserung der finanziellen
Situation in der Zukunft, die Bemühungen zur Minderung der Mietfläche, um eine
Angemessenheit der Kosten zu erzielen und auch die Mitverursachung des
(unbemerkten) Auflaufens von Stromschulden durch den Energieversorger.
Da die Kläger die Kosten der Prozessführung nach den von ihnen angegebenen
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen können, ist ihnen
ratenfreie Prozesskostenhilfe zu gewähren. Die Entscheidung kann nicht mit der
Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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