Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 30.11.2010

LSG NRW: weiterbildung, berufliche ausbildung, besondere härte, härtefall, physiotherapie, leistungsausschluss, sozialhilfe, arbeitsmarkt, wohnung, amt

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil vom 30.11.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Düsseldorf S 37 AS 163/07
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 6 AS 35/09
Bundessozialgericht B 14 AS 53/11 B
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 06.10.2009 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird
nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) während eines Ausbildungsverhältnisses streitig.
Der am 00.00.1981 geborene Kläger studierte in der Zeit von September 2001 bis März 2005 an der Deutschen T in L.
Das endgültige Nichtbestehen einer Prüfung bestätigte ihm das dortige Prüfungsamt durch Schreiben vom
18.10.2004. Sodann absolvierte der Kläger von Oktober 2006 bis Oktober 2009 mit Erfolg eine dreijährige Ausbildung
zum Physiotherapeuten an der staatlich anerkannten Schule für Physiotherapie E e.V. Seither arbeitet er als
Physiotherapeut.
Mit bindendem Bescheid vom 20.11.2006 lehnte die Stadt L - Amt für Ausbildungsförderung - einen Antrag des
Klägers vom 31.10.2006 auf Gewährung von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) ab.
Nach § 7 Abs. 3 BAföG könne eine weitere Ausbildung nach Abbruch eines Studiums im vierten oder einem späteren
Fachsemester nur dann gefördert werden, wenn unabweisbare Gründe für den Abbruch des Studiums vorlägen. Dies
sei hier nicht der Fall.
Die Beklagte lehnte einen Antrag des Klägers vom 30.11.2006 auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II mit
bindendem Bescheid vom 28.03.2007 ab. Der Kläger sei gem. § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II nicht nach dem SGB II
leistungsberechtigt, da seine Ausbildung dem Grunde nach im Rahmen des BAföG förderungsfähig sei.
Ein weiterer vom Kläger bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gestellter Antrag auf Berufsausbildungsbeihilfe nach §§
59 ff Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) wurde dort mit bindendem Bescheid vom 26.06.2007 abgelehnt. Die
Physiotherapieausbildung sei eine schulische und keine nach § 60 SGB III förderungsfähige berufliche bzw.
betriebliche Ausbildung.
Am 28.06.2007 hat der Kläger erneut bei der Beklagten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem
SGB II beantragt. Die Beklagte hat den Antrag mit Bescheid vom selben Tag und Widerspruchsbescheid vom
04.10.2007 erneut mit der Begründung abgelehnt, dass der Kläger gemäß § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II von Ansprüchen
ausgeschlossen sei, da er sich in einer dem Grunde nach im Rahmen des BAföG bzw. der §§ 60 bis 62 SGB III
förderungsfähigen Ausbildung befinde. Ergänzend hat sie ausgeführt, dass auch eine darlehensweise Unterstützung
nach § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II nicht erfolgen könne, da es an einer besonderen Härte im Sinne dieser Vorschrift fehle.
Der Kläger sei aus nicht nachvollziehbaren Gründen aus der elterlichen Wohnung ausgezogen und habe damit selbst
zurechenbar die ihm monatlich entstehenden Kosten erhöht.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 02.11.2007 bei dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben und die
Auffassung vertreten, dass seine Ausbildung zum Physiotherapeuten nicht dem Grunde nach anderweitig
förderungsfähig sei. Zudem liege ein besonderer Härtefall vor, da ihn seine Eltern nicht mehr unterstützen könnten.
Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 06.10.2009 abgewiesen. Ein Anspruch des Klägers auf
Gewährung von Leistungen nach dem SGB II scheitere an der Vorschrift des § 7 Abs. 5 SGB II. Die schulische
Ausbildung zum Physiotherapeuten unterfalle grundsätzlich der Förderung nach dem BAföG. Dem stehe nicht
entgegen, dass BAföG-Leistungen deshalb abgelehnt worden seien, weil das Amt für Ausbildungsförderung keinen
unabweisbaren Grund für den Wechsel vom Hochschul-Studiengang zur Ausbildung als Physiotherapeuten
angenommen habe. Für den Ausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II genüge es bereits, dass die Ausbildung dem Grunde
nach förderungsfähig sei. Eine Einbeziehung der Voraussetzung der "Erstausbildung" als subjektives Element in die
Förderungsfähigkeit "dem Grunde nach" mit der Folge, dass während jeder zweiten oder weiteren Ausbildung
Leistungen zum Lebensunterhalt gewährt werden müssten, stehe nicht im Einklang mit dem Gesetzeszweck (so auch
Landessozialgericht - LSG - Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 26.01.2006 - L 5 B 1351/05 AS - und 05.04.2006 - L
19 B 151/06 AS ER -; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15.04.2005 - L 2 B 7/05 AS ER -). Mit der Regelung des
§ 7 Abs. 5 S. 1 SGB II, die insoweit § 26 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in der bis zum 31.12.2004 anwendbaren
Fassung und § 20 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XlI) entspräche, bezwecke der Gesetzgeber, die
Grundsicherung für Arbeitssuchende ebenso wie die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer
Ausbildungsförderung freizuhalten. Die Ausbildungsförderung folge sondergesetzlichen Regelungen (z. B. durch das
BAföG und das Berufsausbildungsgesetz) und sei dort abschließend geregelt. Eine "versteckte Ausbildungsförderung"
auf "zweiter Ebene" habe dagegen der Gesetzgeber nicht beabsichtigt (Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteil
vom 14.06.1993 - 5 C 16/91 -; Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Auflage § 22 Rn. 4). Der Gesetzgeber habe
den Wortlaut des § 7 Abs. 5 SGB II nach einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
gewählt und unter Einbeziehung der betrieblichen Berufsausbildung eine Angleichung der Regelungen des SGB II an
die Regelungen des SGB XII erzielt (BT-Drucksache 15/1728, S. 28). Das BVerwG habe zudem durch Beschluss
vom 13.05.1993, 5 B 82/92, entschieden, dass Sozialhilfe schon dann ausscheide, wenn das BAföG eine Ausbildung
überhaupt - unter welchen Voraussetzungen auch immer - als förderungsfähig regele. Damit werde abstrakt - losgelöst
von der Person, die Sozialhilfe beanspruche - auf die Ausbildung abgestellt. Es habe damit schon dem Sinn des dem
§ 7 Abs. 5 SGB II vergleichbaren § 26 BSHG nicht entsprochen, eine Ausbildung nur dann als dem Grunde nach
förderungsfähig anzusehen, wenn es sich um eine Erstausbildung handele. Schließlich könne sich der Kläger nicht
auf einen besonderen Härtefall gem. § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II berufen, wonach Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes als Darlehen geleistet werden können. Ein solcher Härtefall könne zwar z. B. dann angenommen
werden, wenn ein Hilfesuchender sich kurz vor Beendigung der Ausbildung befinde. Das habe der Kläger aber nicht
dargetan. Er habe zudem die elterliche Wohnung im Juni 2007 verlassen, um eine eigene Wohnung in L anzumieten,
obwohl sich der Ausbildungsort in E befand. Damit habe er seine Kosten erheblich erhöht. Auch unter
Berücksichtigung dieser Umstände sei hier kein Härtefall anzunehmen gewesen.
Gegen den ihm am 12.10.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 09.11.2009 Berufung eingelegt und
sich zunächst auf seinen erstinstanzlichen Vortrag bezogen. Ergänzend verweist er auf ein Urteil des
Bundessozialgerichts (BSG) vom 30.08.2010 - B 4 AS 97/09 R. Nach diesem Urteil sei eine Ausnahme vom
Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II gegeben, wenn die Ausbildungsförderung nach den Regeln der §§
77 ff SGB III erfolgt sei bzw. hätte erfolgen müssen. Maßnahmen im Rahmen der beruflichen Weiterbildung
begründeten keinen Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Um eine
solche Maßnahme der beruflichen Weiterbildung habe es sich bei seiner Ausbildung zum Physiotherapeuten
gehandelt, weil er auf seine Kenntnisse im nicht abgeschlossenen Sportstudium habe aufbauen können.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 06.10.2009 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung
des Bescheides vom 28.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.10.2007 zu verurteilen, ihm ab
Antragstellung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Der Kläger sei nach § 7 Abs. 5 SGB II von Leistungen
nach dem SGB II ausgeschlossen. Seine Physiotherapeutenausbildung sei auch keine Weiterbildungsmaßnahme im
Sinne von § 77 SGB III, weil der Kläger zum einen vor dem Besuch der Physiotherapieschule keinen Berufsabschluss
gehabt habe und im übrigen auch nicht die Bewilligungsvoraussetzungen nach § 77 Abs. 2 SGB III erfülle.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Insbesondere ist die Beklagte als ARGE weiterhin nach § 70 Nr. 2 SGG beteiligtenfähig. §
44 b SGB II ist ungeachtet seiner Verfassungswidrigkeit bis zum 31.12.2010 anwendbar (Bundesverfassungsgericht -
BVerfG - Urteil vom 20.12.2007, 2 BvR 2433/04 u. 2 BvR 2434/04 = BVerfGE 119, 331 ff.).
Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der
Beklagten vom 28.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.10.2007 ist rechtmäßig und verletzt
den Kläger nicht in seinen Rechten, § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Streitgegenstand ist - da die Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II mit den streitigen Bescheiden gänzlich abgelehnt hat - der Zeitraum ab Antragstellung am 28.06.2007 bis zum
Ende der Ausbildung des Klägers zum Physiotherapeuten 2009 (vgl. zur Bestimmung des streitigen
Leistungszeitraums BSG, Urteil vom 16.05.2007 - B 11b AS 37/06 R Rn 17 in BSGE 98, 243 ff. m.w.N.).
Der Kläger hat im streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II. Zwar erfüllt er die grundsätzlichen Leistungsvoraussetzungen des § 19 i.V.m § 7 Abs. 1 SGB II. Er hat das
15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II), ist nicht auf nicht
absehbare Zeit außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei
Stunden täglich erwerbstätig zu sein, mithin erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 SGB II), hilfebedürftig (§ 7
Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 9 SGB II) und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1
S. 1 Nr. 4 SGB II). Gleichwohl kann er keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beanspruchen, weil er
gemäß § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II als Auszubildender mit grundsätzlicher Förderfähigkeit nach dem BAföG von der
Leistungsberechtigung ausgenommen ist und weder ein Härtefall nach § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II noch einer der
Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 6 SGB II vorliegt.
Gemäß § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach
förderfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die
Ausbildung des Klägers an der Physiotherapie-Schule E e.V. im streitbefangenen Zeitraum war gemäß § 2 Abs. 1 S.
1 Nr. 2 BAföG grundsätzlich förderfähig. Die Physiotherapie-Schule ist der Art und dem Inhalt nach eine
Berufsfachschule im Sinne des BAföG, weil sie eine abgeschlossene Berufsausbildung nicht voraussetzt und in
einem dreijährigen Bildungsgang nach den einheitlichen bundesrechtlichen Regelungen des Gesetzes über die Berufe
in der Physiotherapie (BGBl. 1994 I, 1084; 2005 I, 2304, 2307) i.V.m der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für
Physiotherapeuten (BGBl. 1994 I, 3786; 2005 I, 931, 966) zu einem Berufsabschluss führt.
Unerheblich ist, dass der Kläger tatsächlich keine Leistungen nach dem BAföG erhalten hat. Leistungen nach dem
BAföG sind dem Kläger allein deshalb versagt worden, weil die grundsätzlich förderfähige Ausbildung zum
Physiotherapeuten nicht seine erste, sondern nach dem Sportstudium bereits seine zweite Ausbildung war. Eine
zweite Ausbildung kann gem. § 7 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BAföG nur gefördert werden, wenn der Abbruch ab dem 4.
Semester aus unabweisbaren Gründen erfolgt ist. Das endgültige Nichtbestehen der Prüfung stellt - wie vom Amt für
Ausbildungsförderung mit Bescheid vom 20.11.2006 entschieden - keinen solchen unabweisbaren Grund dar. Die
Zahlung einer Ausbildungsförderung war somit nicht grundsätzlich, sondern lediglich aus in der Person des Klägers
liegenden (individuellen) Gründen nicht möglich. Das Vorliegen individueller Versagensgründe steht dem
Leistungsausschluss i.S.d. § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II jedoch nicht entgegen (BSG, Urteil vom 30.08.2010 – B 4 AS
97/09 R Rn 17 m.w.N.; BSG, Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS 28/07 R Rn 17 in SozR 4-4200 § 7 Nr. 9; Urteil vom
06.09.2007 - B 14/7b AS 36/06 R Rn 15 in BSGE 99, 67 ff.). Die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 5 SGB II ist auf
die Erwägung zurückzuführen, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem BAföG oder gemäß §§ 60 bis 62 SGB
III auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasst und deshalb die Grundsicherung nicht dazu dient, durch
Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts die Möglichkeit zu eröffnen, eine dem Grunde nach nur anderweitig
förderungsfähige Ausbildung zu betreiben. Die Ausschlussregelung soll die nachrangige Grundsicherung mithin davon
befreien, eine - versteckte - Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene zu ermöglichen. Relevant ist somit allein, ob die
Ausbildung als solche gefördert werden kann, nicht hingegen, ob und aus welchen persönlichen Gründen der Student
oder Auszubildende tatsächlich keine Förderung erhalten kann (BSG, Urteile vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 28/06 R
Rn 23 in SozR 4-4200 § 7 Nr. 8 und - B 14/7b AS 36/06 R Rn 16 in BSGE 99, 67 ff.).
Aus dem ergänzenden Berufungsvorbringen des Klägers folgt kein anderes Ergebnis. Entgegen seiner Auffassung ist
der Kläger nicht etwa deshalb von der Wirkung des § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II ausgenommen, weil Maßnahmen der
beruflichen Weiterbildung keinen Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
begründen (vgl. BSG, Urteil vom 30.08.2010 - B 4 AS 97/09 R Rn. 18). Die Physiotherapieausbildung des Klägers ist
keine Maßnahme der beruflichen Weiterbildung gem. (§ 16 Abs 1 S. 2 SGB II i.V.m.) §§ 77 ff. SGB III.
Zum einen ist eine Leistungsbewilligung nach §§ 77 ff. SGB III durch die Bundesagentur für Arbeit hier - anders als in
dem vom BSG entschiedenen und vom Kläger in Bezug genommenen Fall (Urteil vom 30.08.2010 - B 4 AS 97/09 R) -
gerade nicht erfolgt.
Dahinstehen kann, ob das Vorliegen einer solchen Leistungsbewilligung konstitutive Voraussetzung für einen
Leistungsbezug nach dem SGB II ist und der Kläger daher bereits wegen deren Fehlens nicht leistungsberechtigt ist.
Denn zwingende Voraussetzung dafür, dass eine grundsätzlich nach dem BAföG förderfähige Ausbildung dennoch
nicht dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II unterfällt, ist, dass die konkrete Maßnahme als eine
Maßnahme der beruflichen Weiterbildung qualifiziert werden kann. Die Ausbildung des Klägers zum
Physiotherapeuten ist entgegen seiner Auffassung keine Maßnahme der beruflichen Weiterbildung.
Die Qualifizierung einer Maßnahme als Aus- oder Weiterbildung ist jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung des
Charakters der Maßnahme nach objektiven Abgrenzungskriterien vorzunehmen. Maßgeblich für die Beurteilung ist
nicht die Bezeichnung als "Ausbildung" oder allein eine - hier nicht vorliegende - Förderbewilligung der BA. Vielmehr
ist die Abgrenzung zwischen Aus- und Weiterbildung ausschließlich unter Berücksichtigung des Charakters der
Maßnahme nach objektiven Kriterien vorzunehmen. Entscheidend für die Abgrenzung ist dabei nicht das Ziel der
Maßnahme, sondern der Weg auf dem das Ziel erreicht werden soll. Weiterbildungsangebote sollen grundsätzlich auf
dem bereits vorhandenen beruflichen Wissen aufbauen. Es handelt sich insoweit um die Fortsetzung oder
Wiederaufnahme organisierten Lernens nach dem Abschluss der ersten Ausbildungsphase oder sonstiger beruflicher
Betätigung ohne vorherigen Berufsabschluss, die deswegen vielfach mit einer verkürzten Ausbildungsdauer
einhergeht (BSG, a.a.O., Rn. 23 m.w.N.). Im Einzelnen ist auch nicht allein nach den Vorschriften einer
Ausbildungsverordnung zu beurteilen, ob ein bestimmtes Lernziel im Wege der Ausbildung oder der Weiterbildung
erreicht wird. Es ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung der konkreten Maßnahme angezeigt, die sowohl die
einschlägigen Ausbildungsvorschriften als auch die Ausbildungswirklichkeit in den Blick nimmt, insbesondere, ob
Vorkenntnisse eines Lernwilligen verwertbar sind und die Ausgestaltung der konkreten Ausbildung mitbeeinflusst
haben. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Bildungsmaßnahme des Hilfebedürftigen im konkreten Fall etwa
auf einen kürzeren Zeitraum als nach der Ausbildungsordnung vorgesehen angelegt war oder andere Veränderungen
des Lehrstoffs auf Grund von beruflicher Vorbildung erfolgt sind (BSG, a.a.O., Rn. 24 m.w.N.).
Daran mangelt es hier. Es ist nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht vorgetragen, dass das vorige Sportstudium
seine konkrete Ausbildung zum Physiotherapeuten gegenüber der Regelausbildung relevant verändert hätte. Nach
Auskunft des Vaters des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger vielmehr die nach § 1 Abs. 1 S. 1 der
Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten regelhafte Ausbildung von drei Jahren durchlaufen
müssen. Ebenfalls ist ihm das Sportstudium auch nicht in Teilen auf einzelne Inhalte oder bestimmte Prüfungen der
Ausbildung angerechnet worden. Allein der vom Vater geschilderte Umstand, dass der Kläger als erster aus einem
großen Bewerberfeld zur Physiotherapieausbildung an der E Fachschule zugelassen worden sei und dass ihm sein
Vorwissen aus dem nicht abgeschlossenen Sportstudium sicherlich geholfen habe, die Ausbildung schließlich mit
hervorragenden Ergebnissen zu absolvieren, genügt nicht für eine Qualifizierung als Weiterbildung. Eine Weiterbildung
kann nicht bereits dann angenommen werden, wenn die zweite Ausbildung durch die erste Ausbildung aus Sicht des
Auszubildenden günstig beeinflusst wird. Vielmehr muss der Nutzen der ersten Ausbildung von solcher Relevanz
sein, dass die zweite Ausbildung in einer Weise objektiv erkennbar erleichtert wird, die die für die Prüfung zuständigen
Stellen veranlasst, den Umfang des Ausbildungsstoffes bzw. die Ausbildungszeit im Hinblick auf die bereits
bestehenden Vorkenntnisse anzupassen.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Kläger selbst dann dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 S. 1 SGB
II unterfallen wäre, wenn seine Ausbildung zum Physiotherapeuten als Weiterbildungsmaßnahme anzusehen gewesen
wäre. Denn der Kläger hat auch weitere Voraussetzungen der §§ 77 ff. SGB II nicht erfüllt. So fehlt es bereits an der
Notwendigkeit einer Weiterbildung nach § 77 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 SGB III. Danach können Arbeitnehmer ohne
Berufsabschluss, die noch nicht drei Jahre beruflich tätig gewesen sind, nur gefördert werden, wenn eine berufliche
Ausbildung oder eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme aus in ihrer Person liegenden Gründen nicht möglich
oder nicht zumutbar ist. Die Physiotherapieausbildung ist für den Kläger - als Arbeitnehmer ohne Berufsabschluss -
jedoch erkennbar nicht die einzige Zugangsmöglichkeit zum Arbeitsmarkt. Nach Einschätzung des Senats war für ihn
unter Berücksichtigung seines Schulabschlusses mit Abitur auch ein anderer Ausbildungsgang, etwa in einem
handwerklichen, kaufmännischen oder gewerblichen Lehrberuf nach Maßgabe des Berufsbildungsgesetzes (BBiG),
vorstellbar. Sonstige subjektive Umstände, die objektiv belegen, dass die Ausbildung an der Physiotherapie-Schule
die einzige Zugangsmöglichkeit zum Arbeitsmarkt für den Kläger darstellte, sind weder vorgetragen noch nach den
vorliegenden Akten erkennbar. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger z. B. persönliche Defizite aufweist, die ihm
ernsthaft sämtliche anderen beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten verschließen (vgl. dazu BSG, Urteil vom
06.09.2007 - B 14/7b AS 28/06 R Rn 37 in SozR 4-4200 § 7 Nr. 8).
Der Kläger erfüllt auch nicht die Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 6 Nr. 1 bzw. Nr. 2 SGB II. Nach § 7 Abs. 6 Nr. 1
SGB II findet § 7 Abs. 5 SGB II keine Anwendung auf Auszubildende, die auf Grund von § 2 Abs. 1a BAföG keinen
Anspruch auf Ausbildungsförderung oder auf Grund von § 64 Abs. 1 SGB III keinen Anspruch auf
Berufsausbildungsbeihilfe haben. Ausbildungsgänge, insbesondere solche, die - wie hier - einen berufsqualifizierenden
Abschluss und nicht lediglich einen weiterführenden Schulabschluss vermitteln und damit unter § 2 Abs. 1 Nr. 2
BAföG fallen, sind von § 7 Abs. 6 Nr. 1 SGB II nicht erfasst (so bereits LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom
24.01.2008 - L 26 B 60/08 AS ER, juris Rn 7). Ebensowenig handelt es sich bei der Physiotherapieausbildung des
Klägers um einen Ausnahmefall nach § 7 Abs. 6 Nr. 2 SGB II, weil sich sein Bedarf nicht nach § 12 Abs. 1 Nr. 1
BAföG oder nach § 66 Abs. 1 S. 1 SGB III bemisst (vgl. dazu BSG, Urteil vom 21.12.2009 - B 14 AS 61/08 R Rn 13
in SozR 4-4200 § 7 Nr. 17).
Der Kläger kann schließlich - unabhängig davon, dass sein Begehren primär auf die Grundsicherungsleistung als
Zuschuss gerichtet ist - ebenso wenig weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts darlehensweise wegen
eines Härtefalls gem. § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II erhalten.
Eine besondere Härte, die gerichtlich voll überprüfbar ist (BSG, Urteil vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 36/06 R - Rn. 22
in BSGE 99, 67 ff.), ist erst dann anzunehmen, wenn im Einzelfall Umstände hinzutreten, die einen Ausschluss von
der Ausbildungsförderung durch Hilfe zum Lebensunterhalt auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck als übermäßig
hart, d. h. als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig erscheinen lassen (BSG, Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS
28/07 R - Rn. 20 in SozR 4-4200 § 7 Nr. 9). Derartige Gründe, die über den Umstand, dass der Kläger während seiner
Physiotherapeutenausbildung keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten hat, hinausgehen, sind
nicht ersichtlich. Es muss ein atypischer Lebenssachverhalt vorliegen, der es für einen Auszubildenden auch unter
Berücksichtigung des öffentlichen Interesses objektiv nicht zumutbar erscheinen lässt, seine Ausbildung zu
unterbrechen. Die Folgen des Anspruchsausschlusses müssen über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der
Versagung der Leistungen zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden ist (BSG, Urteil vom 06.09.2007, B
14/7b AS 36/06 R - Rn 23 in BSGE 99, 67 ff.). Allerdings muss dem grundlegenden Ziel der Grundsicherung - die
erwerbstätigen Hilfebedürftigen bei der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit zu unterstützen (§ 1 Abs. 1
S. 2 SGB II) - auch bei der Härteregelung des § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II Rechnung getragen werden, indem
arbeitsmarktbezogene Aspekte bei der Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der besonderen Härte
einzubeziehen sind (BSG, Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS 28/07 R - Rn 22 in SozR 4-4200 § 7 Nr. 9; ).
Ein Härtefall wäre nach diesen Grundsätzen anzunehmen, wenn objektiv belegbar der wesentliche Teil der Ausbildung
bereits absolviert ist und der bevorstehende Abschluss lediglich an der Mittellosigkeit zu scheitern droht, was im Falle
des Klägers, der den streitigen Leistungsantrag im Juni 2007 und damit noch im ersten der drei Ausbildungsjahre zum
Physiotherapeuten gestellt hat und zuvor sowie bis zum Ausbildungsende im Jahr 2009 von seinen Eltern unterstützt
wurde, weder erkennbar noch vorgetragen ist. Auch dass eine bereits weit fortgeschrittene und bisher kontinuierlich
betriebene Ausbildung auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalls wegen einer Behinderung oder Krankheit
gefährdet ist (BSG, Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS 28/07 R - Rn 24 in SozR 4-4200 § 7 Nr. 9) oder dass eine nach
den Vorschriften des BAföG förderungsfähige Ausbildung die einzige Zugangsmöglichkeit zum Arbeitsmarkt darstellt
(BSG, a.a.O., Rn 26; BSG, Urteile vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 36/06 R - Rn 24 in BSGE 99, 67 ff. sowie B 14/7b
AS 28/06 R Rn. 37 in SozR 4-4200 § 7 Nr. 8) ist hier nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Revisionszulassung liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 SGG).