Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 19.09.2007

LSG NRW: vorläufiger rechtsschutz, hauptsache, erwerbseinkommen, verfügung, gegenüberstellung, rechtskraft, datum, unzumutbarkeit, erlass

Landessozialgericht NRW, L 7 B 215/07 AS ER
Datum:
19.09.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 7 B 215/07 AS ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Detmold, S 12 AS 80/07 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des
Sozialgerichts Detmold vom 20.06.2007 geändert. Die Antragsgegnerin
wird verpflichtet, den Antragstellern vorläufig ab 16.05.2007 bis zum
30.09.2007 Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (Alg II)
in Höhe von 85% nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu
zahlen. Die Antragsgegnerin trägt 4/5 der außergerichtlichen Kosten der
Antragsteller.
Gründe:
1
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin, der das Sozialgericht (SG) nicht
abgeholfen hat, ist im Ergebnis begründet.
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Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind einstweilige
Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein
streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer
einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches, d.h. des
materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das
Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung
aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können
ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders
nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren
nicht mehr zu beseitigen währen, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur
summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung
der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der
Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu
entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 -1 BvR 569/05-).
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Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen hat das SG die Antragsgegnerin zu
Unrecht verpflichtet, den Antragstellern vorläufig ab dem 16.05.2007 bis zum 30.09.2007
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Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende nach Maßgabe der gesetzlichen
Bestimmungen zu gewähren.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ein Anordnungsanspruch gegeben ist. Die
Prüfung, ob eine Hilfebedürftigkeit aufgrund von Vermögen zu verneinen ist, muss dem
Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Jedenfalls haben die Antragsteller zur
Überzeugung des Senats einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Bei
Gegenüberstellung des sich ohne Abzüge der Freibeträge auf 1261,00 Euro belaufenen
Einkommens, bestehend aus Kindergeld (462,00 Euro) und Erwerbseinkommen (399,00
Euro und 400,00 Euro), welches ca. 96% des von der Antragsgegnerin festgestellten
Bedarfs der Antragsteller in Höhe von 1.312,00 Euro (ab 01.07.2007: 1318,00 Euro)
entspricht, liegen keine Gründe vor, die ein sofortiges Eingreifen zur Vermeidung
erheblicher Nachteile der Antragsteller unter Vorwegnahme der Hauptsache erforderlich
machen. Zwar beläuft sich nach Abzug der Freibeträge das Einkommen auf 941,20
Euro. Bei der Prüfung des Anordnungsgrundes ist jedoch auf das Einkommen
abzustellen, welches den Antragstellern tatsächlich zur Verfügung steht, unabhängig
davon, welches Einkommen die Antragsgegnerin materiell-rechtlich berücksichtigen
darf.
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Die monatlichen festen Ausgaben für den Grundbesitz in Höhe von 159,95 Euro
rechtfertigen keine andere Beurteilung. Diesen Ausgaben steht das Wohngeld in Höhe
von monatlich 282,00 Euro gegenüber. Der Krankenversicherungsschutz ist nach
Angaben der Antragsteller durch die Übernahme der Beiträge durch den Bruder
gesichert. Sofern hier eine Änderung eintreten sollte, bleibt es den Antragstellern
unbenommen, erneut einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.
6
Da sich die Antragsgegnerin mit der Beschwerde nicht insgesamt gegen die
Verpflichtung zur Erbringung der Leistungen wendet, sondern lediglich gegen die
Zuerkennung des vollen Betrages, war dem Antrag der Antragsgegnerin im tenorierten
Umfang zu entsprechen. Nicht zu entscheiden war vorliegend, ob im Verfahren des
einstweiligen Rechtschutzes nach § 86b Abs. 2 SGG grundsätzlich eine Kürzung der
Regelsätze auf 80% gerechtfertigt ist. In diesem Zusammenhang wird jedoch darauf
hingewiesen, dass die vorläufige Bewilligung der Regelleistungen in Höhe von 100 %
bei Vorliegen eines glaubhaft gemachten Anordnungsanspruches der Rechtsprechung
des 7. Senates entspricht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dabei hat der Senat trotz Obsiegens der Antragsgegnerin berücksichtigt, dass die
Antragsgegnerin ihre Begründung geändert hat und im Beschwerdeverfahren nicht mehr
die Auffassung vertritt, die Antragsteller seien aufgrund von Vermögen nicht
hilfebedürftig.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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