Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28.03.2006

LSG NRW: wohnung, notlage, scheidung, trennung, sachleistung, ersatzbeschaffung, umzug, nebenverdienst, anteil, beihilfe

Landessozialgericht NRW, L 9 B 12/06 AS ER
Datum:
28.03.2006
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 9 B 12/06 AS ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Detmold, S 18 AS 150/05 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Detmold vom 22. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen
Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe:
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I.
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Die Antragsgegnerin forderte den Antragsteller, der seit 01.01.2005 Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Alg II - bezieht, mit Schreiben vom 03.03.2005 auf,
seine bisher bewohnte Einliegerwohnung aufzugeben und eine angemessene
Unterkunft zu suchen. Er mietete daraufhin mit Wirkung ab 01.04.2005 eine Wohnung im
Hause I Str. 0, C, an, die der Vorgabe der Antragsgegnerin entsprach. Diese Wohnung
enthielt keine Kücheneinrichtung. Er bat mit Schreiben vom 22.03.2005 um eine
Information bzw. eventuelle Kostenübernahme für die Erstmöblierung (Küche). Die
Antragsgegnerin teilte ihm am 29.03.2005 mit, dass für die Anschaffung einer neuen
Küche keine einmalige Beihilfe gewährt werde. Es handele sich nicht um eine
Erstausstattung für eine Wohnung im Sinne des § 23 Absatz 3 SGB II. Hiergegen erhob
der Antragsteller am 12.04.2005 Widerspruch. Er wies zu dessen Begründung darauf
hin, dass er auf Verlangen der Antragsgegnerin die Wohnung gewechselt habe, um die
Mietkosten zu verringern. Da er vorher in einer möblierten Wohnung mit
Kücheneinrichtung gewohnt habe, die neue Wohnung aber nicht möbliert sei -
insbesondere keine Küchenmöbel enthalte -, handele es sich um eine Erstausstattung
der Küche ... Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch mit Bescheid vom 18.04.2005
zurück. Sie vertrat im Wesentlichen die Auffassung, dass eine Erstausstattung im Sinne
des § 23 Absatz 3 Nr. 1 SGB II nur dann gegeben sei, wenn noch keine
Wohnungsausstattung vorhanden sei, also erstmals ein Haushalt gegründet werde.
Dies sei z.B. nach einem Wohnungsbrand oder anlässlich einer Haftentlassung der Fall.
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Der Antragsteller beantragte daraufhin am 27.04.2005 den Erlass einer einstweiligen
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Anordnung zur Verpflichtung der Antragsgegnerin, eine Einmalbeihilfe zur Finanzierung
der Kücheneinrichtung zu gewähren. Das Sozialgericht Detmold verpflichtete die
Antragsgegnerin zur vorläufigen Finanzierung einer Kücheneinrichtung (Beschluss vom
24.05.2005, S 18 AS 27/05 ER SG Detmold = L 9 B 42/05 AS ER). Im
Beschwerdeverfahren beendeten die Beteiligten nach einem Hinweis des Senats, dass
der Antragsteller mit Schreiben vom 22.03. 2005 erst eine Information erbeten und die
Antragsgegnerin daher insoweit keine Entscheidung getroffen habe, jenes Verfahren.
Der Antragsteller beantragte nunmehr erneut mit Schreiben vom 02.09.2005 die
Kostenübernahme für eine Küchenerstausstattung. Zur Begründung bezog er sich auf
die Ausführungen im Vorverfahren. Gleichzeitig fügte er einen Kostenvoranschlag
einschließlich der Kosten eines Kühlschranks in Höhe von insgesamt 2165 EUR bei.
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Am 15.11.2005 beantragte der Antragsteller erneut auch den Erlass einer einstweiligen
Anordnung zur Gewährung der beantragten Einmalbeihilfe für eine Kücheneinrichtung.
Er verwies weiterhin darauf, dass es sich hierbei um eine Leistung nach § 23 Absatz 3
SGB II handele, die gesondert zur Regelleistung erbracht werde. Da es ihm nicht
möglich sei, sich mit einer warmen Mahlzeit am Tage zu versorgen ,führe er ein
menschenunwürdiges Leben, so dass ein Anordnungsanspruch gegeben sei. Denn
eine geordnete Ernährung sei nicht sichergestellt, so dass mit
Gesundheitsbeschwerden zu rechnen sei. Er befinde sich in einer Notlage, weil die
Antragsgegnerin keine zügige Entscheidung treffe. Soweit die Antragsgegnerin auf
seinen zusätzlichen Verdienst hinweise, den er für die Beschaffung der
Kücheneinrichtung einsetzen könne, stelle sich vorliegend die Übernahme der Kosten
als eine zusätzliche Leistung dar, die nicht aus dem Regelbedarf zu decken sei. Es
stelle auch eine Beschneidung seiner Rechte dar, ihn in diesem Zusammenhang auf die
Einsparmöglichkeit der Kosten aus einem Teil des Regelbedarfs zu verweisen.
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Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Antrag abzulehnen, weil bereits kein
Anordnungsgrund bestehe. Denn unter Berücksichtigung des vorhergehenden
Verfahrens und des Leistungsbezugs von Alg II sei davon auszugehen, dass der
Antragsteller nach seinem sechsmonatigen Aufenthalt in der neuen Wohnung ohne eine
entsprechende Küche zwischenzeitlich aus dem Regelbedarf die Kosten hätte
einsparen können. Der Regelbedarf sehe einen Anteil von ca. EUR 50,- hierfür vor. Als
Bedarf einer alleinstehenden Person sehe sie im Rahmen einer Kücheneinrichtung die
Notwendigkeit eines Gasherdes, eines Kühlschranks, einer Spüle und eines
Küchenober und -unterschrankes an. Der Gasherd und der Kühlschrank seien als
Sachleistung zu erbringen. Für eine Spüle inklusive Armatur gewähre sie im Rahmen
einer Erstausstattung EUR 96,-, für den Küchenoberschrank EUR 28,50 und für den
Küchenunterschrank EUR 59,-. Insoweit zeige sich auch, dass die beantragten Kosten
von EUR 2.165,- unangemessen hoch seien.
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Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 22.12.2005 verpflichtet,
dem Antragsteller für die Erstausstattung einer Küche in seiner neuen Wohnung nach §
23 Absatz 3 Satz 1 Ziffer 1 SGB II insgesamt EUR 183,50 als Geldleistung und einen
Gasherd sowie einen Kühlschrank als Sachleistung zu erbringen. Im Übrigen hat es den
Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Es hat sich zur
Begründung auf die Ausführungen in seinem Beschluss des Vorverfahrens bezogen
und bei summarischer Prüfung den Anspruch des Antragstellers auf eine einmalige
Beihilfe zur Erstausstattung einer Küche nach § 23 Absatz 3 Satz 1 Ziffer 1 SGB II dem
Grunde nach für glaubhaft gemacht angesehen. Er habe jedoch entsprechend den
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Darlegungen der Antragsgegnerin nur einen Anspruch auf Geldleistungen in Höhe von
insgesamt EUR 183,50 sowie die näher bezeichneten Sachleistungen. Die aufgeführten
Gegenstände seien nötig, um die Küche auszustatten. Der Antragsteller habe
demgegenüber einen Anspruch auf Übernahme der beantragten EUR 2.165,- nicht
glaubhaft gemacht. Es sei auch ein Anordnungsgrund gegeben, da die notwendigen
Geräte einer geordneten Haushaltsführung dienten und daher einem
menschenwürdigen Dasein. Die Eilbedürftigkeit sei nicht deshalb entfallen, weil der
Antragsteller erst am 01.09.2005 einen formell gestellten Antrag eingereicht habe.
Bereits in dem ersten einstweiligen Anordnungsverfahren habe er einen
entsprechenden Antrag gestellt. Es sei ihm nicht anzulasten, dass jenes Verfahren im
Hinblick auf den Hinweis des Landessozialgerichts beendet worden sei. Die
Eilbedürftigkeit einer Entscheidung bestehe fort. Es gebe keine rechtliche Grundlage
dafür, dass der Antragsteller, wie die Antragsgegnerin meine, aus seinen zusätzlichen
Einkommensanteilen sowie den pauschalen Anteilen in den Regelsätzen aus der
Vergangenheit Einsparungen für die Anschaffung der Küchenausstattung zu machen
habe. Sein Anspruch ergebe sich vielmehr aus § 23 Absatz 3 Satz 1 Ziffer 1 SGB II,
wonach ein besonderer Bedarf, der nicht von der Regelleistung umfasst werde, zu
decken sei.
Gegen den am 28.12.2005 zugestellten Beschluss richtet sich die am 25.01.2006
eingelegte Beschwerde. Die Antragsgegnerin verbleibt zu deren Begründung bei ihrer
Auffassung, dass die vom Antragsteller beantragten Küchenmöbel nicht zu einer
Erstausstattung der Wohnung zu zählen seien, weil eine Wohnungsausstattung im
Übrigen vorhanden gewesen sei. Nach der Gesetzesbegründung sei eine
Erstausstattung nur im Fall eines Wohnungsbrandes oder nach einer Haft anzunehmen,
nicht aber z.B. anlässlich einer Scheidung oder Trennung in einer Ehe. Der
Antragsteller habe im Übrigen auf Grund seines Leistungsbezuges ab 01.01.2005
ausreichend Zeit gehabt, die Anschaffungskosten aus dem pauschalen Anteil in der
Regelleistung in Höhe von ca. EUR 50,- monatlich zu bestreiten.
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Außerdem erziele er einen Nebenverdienst in Höhe von EUR 200,- monatlich, den er
einsetzen könne.
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Der Antragsteller hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
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II.
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Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom
31.01.2006), ist unbegründet.
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Der Senat bezieht sich zunächst auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen
Beschlusses hin (§ 142 Absatz 2 Satz 3 SGG).
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Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Antragsteller den geltend gemachten
Anspruch nach § 23 Absatz 3 SGB II 2 auch deshalb glaubhaft gemacht hat - dieser also
überwiegend wahrscheinlich ist -. Die enge Auslegung des Begriffs Erstausstattung, wie
sie die Ag vertritt, wird weitgehend von der Kommentarliteratur ( vgl. Lang in
Eicher/Spellbrink, SGB II, 1.Aufl. 2005, 23 Rn 97,98; Hofmann in LPK-SGB II, 1.Aufl.
2005, § 23 Rn 22,23) und - soweit ersichtlich - der Rechtsprechung (Landessozialgericht
Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12.07.2005 - L 3 ER 45/05 AS) nicht geteilt. Danach ist
der Begriff Erstausstattung der Wohnung nicht zeitlich, sondern bedarfsbezogen zu
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verstehen, also wenn die Anschaffung von wohnungsbezogenen Gebrauchsgütern
wegen bisherigen Fehlens notwendig wird, um eine geordnete Haushaltsführung zu
ermöglichen. Auch wenn vereinzelt (so Rothkegel in Gagel, SGB III, Stand Dez. 2005,
26. Erglfg., SGB II, § 23 Rn 65,66) vorwiegend nicht auf den erforderlichen Bedarf
abstellt sondern in Abgrenzung zu einer Ersatzbeschaffung eine Zeitbezogenheit
verlangt wird, um eine unbegrenzte zeitliche Streckung bis zur ersten Bedarfsdeckung
als Erstausstattung zu vermeiden, ist vorliegend überwiegend wahrscheinlich
gleichwohl von einer Erstausstattung auszugehen. Soweit nämlich auf einen neuen
Bedarf auf Grund außergewöhnlicher Umstände - wie z.B. auch einer
Scheidung/Trennung abgestellt wird, kann danach auch eine durch Umzug bedingte
Beschaffung nicht mehr als eine in der Regel erfolgte Ersatzbeschaffung anzusehen
sein, sondern vielmehr auch als Erstbeschaffung, wenn Anhaltspunkte für
außergewöhnliche Umstände vorliegen. Im Fall des Antragstellers dürfte in diesem Sinn
von einer Erstausstattung auszugehen sein, weil das außergewöhnliche Ereignis darin
besteht, dass die Antragsgegnerin den Umzug vom Antragsteller gefordert hat, und er -
weil er zuvor in einer Wohnung wohnte, deren Küche seinem Partner, nicht aber ihm
selbst gehört hat - eine solche überhaupt nicht besessen hat. Die Antragsgegnerin hat
ihn entgegen dem Regelfall unabhängig von seinem Willen gezwungen, in jedem Fall
eine Neubeschaffung in angemessenen Mindestumfang in einer neuen Wohnung
vorzunehmen. Angesichts dieser Umstände spricht mehr für das Bestehen des
Anspruchs nach § 23 Absatz 3 SGB II als dagegen. Der Senat lässt daher auch die
Frage dahinstehen, ob, wenn der Anspruch nach Absatz 3 nicht zum Zuge käme, ein
solcher nach Absatz 1 bestanden hätte ( vgl. LSG Rheinland-Pfalz aaO., Rn
16;Rothkegel, aaO.) und welche Rechtsfolge dieser auslösen würde, z.B. hinsichtlich
des Problems einer Darlehenszahlung.
Der Antragsteller hat ferner auch einen Anordnungsgrund - die Eilbedürftigkeit einer
vorläufigen Entscheidung - glaubhaft gemacht. In tatsächlicher Hinsicht liegen keine
Anhaltspunkte vor, dass er in dem vom Sozialgericht zugesprochenen Umfang die
Einrichtung angeschafft hat. Es besteht daher weiterhin der Bedarf, zur Sicherung einer
menschenwürdigen Daseinsfürsorge zügig diese Möbel anzuschaffen. Die
Antragsgegnerin kann dem Antragsteller auch nicht entgegengehalten, dass er im
Hinblick auf die Verfahrensdauer den erforderlichen Geldbetrag hätte einsparen können.
Denn tatsächlich hat er es nicht getan, so dass die Notlage fortbesteht. Er hat zudem im
vorhergehenden Eilverfahren einen erstinstanzlichen obsiegenden Beschluss erreicht,
so dass zunächst in dieser Zeit auch kein unbedingter Anlass zur Verwertung des
Regelsatzes bestanden hat. Mit den Ausführungen des LSG Rheinland Pfalz (aaO., Rn
16) ist zudem weiter der Gesichtspunkt zu berücksichtigen, dass sowohl der
Antragsteller als auch die Antragsgegnerin von der Geltendmachung eines Anspruchs
ausgegangen sind, der zusätzlich zu den Regelleistungen zu erfüllen wäre, so dass die
Forderung eines Einsparens aus dem Regelsatz nicht die Eilbedürftigkeit einer
Entscheidung in Frage stellen dürfte, weil eine zusätzliche Leistung im Raum gestanden
hat. Entgegen der Meinung des Antragstellers hätte er sicherlich auch die Einnahmen
aus seinem Nebenverdienst zur Beseitigung einer Notlage aufzuwenden, da die
Einnahmen sowie sein Vermögen vorrangig einzusetzen sind (vgl. auch § 23 Absatz 1
SGB II). Gleichwohl ist dieses aber nicht so hoch, dass er hieraus die Gesamtkosten
umgehend hätte bestreiten können. Es verbleibt die Notwendigkeit, den erforderlichen
Betrag einzusparen. Dem Antragsteller ist es daher nicht zuzumuten, den Ausgang
eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten.
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Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Kosten in beiden Rechtszüge zu
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erstatten (§ 193 SGG).
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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