Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.05.2010

LSG NRW (kläger, wohnung, konzept, höhe, umzug, nebenkosten, bundesrepublik deutschland, wohnfläche, unterkunftskosten, gemeinde)

Landessozialgericht NRW, L 12 (20) SO 37/07
Datum:
26.05.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 12 (20) SO 37/07
Vorinstanz:
Sozialgericht Aachen, S 19 SO 83/05
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen
vom 04.04.2007 geändert.
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 28.06.2004 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.06.2005 verurteilt,
den Klägern vom 01.07. bis 31.12.2004 Kosten der Unterkunft unter
Berücksichtigung einer monatlichen Kaltmiete von 379,50 Euro
zuzüglich 68,00 Euro Nebenkosten sowie 60,00 Euro Heizkosten unter
Anrechnung der bereits gezahlten Beträge zu bewilligen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt 85 % der außergerichtlichen Kosten der Kläger in
beiden Instanzen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Kläger begehren die Übernahme höherer Unterkunftskosten vom 01.07. bis
31.12.2004 nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung (GSiG) für die Wohnung "B 00" in T.
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Im Jahre 2002 zogen die Kläger im Gemeindegebiet des Beklagten in eine 120 m²
große Wohnung unter der Adresse "H XX". Der Kläger bezieht eine Altersrente in Höhe
von zirka 111,00 Euro monatlich. Über sonstige Einnahmen verfügen die Kläger nicht.
Der Kläger bezieht seit dem 01.01.2003 und die Klägerin seit dem 01.03.2003
Leistungen nach dem GSiG. Für die Wohnung "H XX" in T erkannte der Beklagte zuletzt
monatlich 332,00 Euro als Kosten der Unterkunft und weitere 60,00 Euro als laufende
Heizungskosten an. Den Klägern stand eine Zwangsräumung unmittelbar bevor. Dem
Beklagten (Ordnungsamt) war die Zwangsräumung nach dem von den Klägern
verlorenen Zivilprozess gegen den Vermieter der 120 m² Wohnung bekannt. Nicht
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ersichtlich ist, dass von dem Ordnungsamt das Sozialamt eingeschaltet wurde oder
sonstige Hilfestellungen an die Kläger geleistet wurden. Die einzige aktenkundige
Hilfestellung war, dass die Kläger von dem Beklagten in eine Sozialwohnung mit 18 m²
in der gemeintlichen Unterkunft der Gemeinde T eingewiesen werden sollten. Diese
Zwangsräumung wehrten die Kläger dadurch ab, dass sie am 20.05.2003 einen
Mietvertrag für die Wohnung "B 00" abschlossen.
Laut Mietvertrag ist die Wohnung "B 00" 86 m² groß (68,9 m² Wohnfläche plus 33,53 m²
Terrasse). Als Kaltmiete wurde ein Betrag von 400,00 Euro monatlich vereinbart, was
einem Quadratmeterpreis von 4,65 Euro unter Zugrundelegung einer Wohnfläche von
86 m² entspricht. Außerdem wurde den Klägern ein Stellplatz für 20,00 Euro monatlich
vermietet. Die Nebenkosten betrugen einschließlich Heizkosten 128,00 Euro monatlich.
Die Gesamtmiete betrug somit 548,00 Euro monatlich. Nach eigenen Angaben
informierte der Kläger den Beklagten bereits Anfang Mai über den geplanten Umzug.
Am 06.06.2003 forderte der Beklagte den Kläger auf, einen weiteren Antrag auf
Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz zu stellen. Dem kam der Kläger am
07.06.2003 nach und teilte dem Beklagten die neue Adresse mit. Er legte eine
Mietbescheinigung vom 07.06.2003 und den Mietvertrag vom 20.05.2003 vor. Am
15.06.2003 erfolgte der Umzug. Mit Bescheiden vom 21.07.2003 nahm der Beklagte
eine Neufestsetzung für den Monat Juni 2003 vor und bewilligte monatlich 332,00 Euro
als Kosten der Unterkunft und weitere 60,00 Euro als laufende Heizungskosten nach
dem GSiG für die Zeit vom 01.07.2003 bis 30.06.2004. Gegen diese Bescheide erhoben
die Kläger Widerspruch und trugen vor, dass sie einen Anspruch auf die Übernahme der
tatsächlich entstandenen Mietkosten in voller Höhe hätten. Nach erfolgloser
Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhoben die Kläger gegen die genannten
Bescheide Klage vor dem Verwaltungsgericht Aachen. Diese Klage nahmen die Kläger
nach einer Erörterung des Sachverhalts am 27.04.2006 zurück.
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Mit Bescheid vom 28.06.2004 bewilligte der Beklagte den Klägern auf deren Antrag vom
07.06.2006 Leistungen nach dem GSiG bis 31.12.2004. Dabei erkannte er für die
Unterkunft einen Bedarf in Höhe von 332,00 Euro monatlich und außerdem Heizkosten
in Höhe von 60,00 Euro monatlich abzüglich eines Warmwasseranteils in Höhe von
10,80 Euro an. Der Abzug für den Warmwasseranteil wurde später rückwirkend für den
gesamten Bewilligungszeitraum aufgehoben. Mit Widerspruchsbescheid vom
02.06.2005 wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger zurück.
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Zur Begründung ihrer am 07.07.2005 erhobenen Klage haben die Kläger vorgetragen,
dass ihre Wohnung nicht 86 m², sondern nur 68,9 m² groß sei. Hinzu käme eine 16,8 m²
große Terrasse ohne Überdachung. Bei der Zahlenangabe im Mietvertrag müsse es
sich um einen "Zahlendreher" handeln. Es sei überdies nicht möglich gewesen, vor dem
Umzug eine andere, preisgünstigere Wohnung zu finden. Schließlich habe der Kläger
den Beklagten bereits im Mai 2003 über den geplanten Umzug informiert.
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Der Kläger hat beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 28.06.2004 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 02.06.2005 zu verurteilen, die tatsächlich angefallenen
Kosten für Unterkunft, Heizung und auch die angefallenen Nebenkosten in voller Höhe
zu übernehmen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hat seine Ansicht auf ein Internet-Angebot des Unternehmens C-
Immobilien vom 24.04.2006, eine Mietwerttabelle für steuerbegünstige Wohungen,
freifinanzierte Wohnungen und Altbauten im Gemeindegebiet T (gültig ab 01.01.1998
bis 31.12.2004) und einen internen Vermerk vom 26.04.2006 gestützt. Hierin wird
allgemein erklärt, dass nach der Zugangs-/Abgangsstatistik der Gemeinde T vom
01.07.2003 bis 30.06.2004 in insgesamt 18 Fällen Personen in das Gemeindegebiet T
von außerhalb zugezogen und durch das Sozialamt betreut worden seien. Hiervon habe
es sich in sieben Fällen um Zwei-Personenhaushalte gehandelt. In keinem dieser Fälle
sei die maßgebliche Höchstgrenze im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG)
überschritten worden. Der Beklagte ist aufgrund dieser Unterlagen davon ausgegangen,
dass es mit einem entsprechenden zeitlichen Vorlauf und intensiven Bemühungen ohne
weiteres möglich gewesen sei, auch in zurückliegender Zeit mehrere Alternativen zur
Anmietung sozialhilferechtlich angemessenen Wohnraums zu finden. Er hat zudem
erklärt: Sofern ihm bekannt geworden wäre, dass bei den Klägern die Notwendigkeit
zum Bezug einer anderen Wohnung vorgelegen habe, wäre ihnen Hilfe bei der
Wohnungssuche angeboten worden.
11
Mit Urteil vom 04.04.2007 hat das Sozialgericht Aachen die Klage abgewiesen und
ausgeführt, dass die Kläger keinen Anspruch auf Übernahme von Kosten für Unterkunft
und Heizung haben, die über die vom Beklagten in den angefochtenen Bescheiden
bereits übernommenen Kosten in Höhe von 332,00 Euro monatlich für die Kaltmiete
inklusive Nebenkosten und 60,00 Euro monatlich für die Heizungskosten hinausgehen.
Die Unterkunftskosten der Wohnung "B 00" seien unangemessen hoch. Die Kläger
hätten auch keinen Anspruch auf Übernahme weiterer Nebenkosten, weil der Beklagte
die Neben- und Heizungskosten bereits in voller Höhe bei der Bedarfsberechnung
berücksichtigt habe.
12
Das Urteil ist den Klägern am 23.04.2007 zugestellt worden. Sie haben hiergegen am
14.05.2007 Berufung eingelegt und begehren weiterhin die Übernahme höherer
Unterkunftskosten. Mit Beschluss vom 02.12.2009 hat ihnen der Senat
Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T1 beigeordnet. Der
Prozessbevollmächtigte begründet die Berufung zuletzt damit, dass aufgrund der
vorliegenden Krankheiten (Klägerin: Brustkrebs, Polyneuropathie, Herzerkrankung,
Rückenleiden und Erkrankung der Kniegelenke; Kläger: Krebs, koronare
Eingefäßerkrankung, LWS-Syndrom, arterielle Hypertonie, HWS-Syndrom sowie
Impingimentsyndrom) und der naturgemäß altersbedingten Prognose ein persönlicher
Bedarf an einer zusätzlichen Wohnfläche von 15 m² bestehe. In Anbetracht des Alters
der Kläger und der Möglichkeit einer Pflegebedürftigkeit werde eine erhöhte Wohnfläche
für eine angemessene Pflege dringend benötigt. Im Übrigen hätten die Kläger zum
damaligen Zeitpunkt überhaupt nicht wissen können, welche Wohnung nach Ansicht
des Beklagten angemessen sei.
13
Am 12.05.2010 hat die Berichterstatterin den Beklagten auf die Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) zum sogenannten schlüssigen Konzept hingewiesen und
erbeten, Nachweise über entsprechende Wohnungsangebote für den streitigen
Zeitraum vorzulegen. In der mündlichen Verhandlung hat der Senat auf die vom BSG
gestellten Anforderungen hingewiesen. Der Vertreter der Beklagten hat daraufhin
ausdrücklich erklärt, dass der Beklagte kein schlüssiges Konzept im Sinne der
14
Rechtsprechung des BSG habe. Im Bereich T sei ein derartiges Konzept nicht
erforderlich. Es seien keine Fälle bekannt, in denen Betroffene mit den von dem
Beklagten für angemessen gehaltenen Wohnkosten nicht auskämen. Er könne nur auf
die eingereichten Unterlagen hinweisen.
Die Kläger beantragen,
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das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 04.04.2007 zu ändern und den Beklagten
unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 28.06.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 02.06.2005 zu verurteilen, die tatsächlich angefallenen
Kosten der Unterkunft, Heizung und auch die Nebenkosten in voller Höhe zu
übernehmen.
16
Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der beigezogenen Akte
des Verwaltungsgerichts Aachen (- 6 K 3812/04 -) verwiesen. Diese Akten waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
19
Entscheidungsgründe:
20
Die zulässige Berufung ist in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet.
21
Die Kläger hatten im streitgegenständlichen Zeitraum Anspruch auf Leistungen für ihre
Unterkunft unter Berücksichtigung einer monatlichen Kaltmiete von 379,50 Euro
zuzüglich 68,00 Euro Nebenkosten sowie 60,00 Euro Heizung, zusammen demnach
507,50 Euro, unter Anrechnung der bereits gewährten Beträge. Indem den Klägern in
den Monaten Juli bis Dezember 2004 die Differenz zwischen diesem Betrag und den
bewilligten 392,00 Euro (264,00 Euro Kaltmiete zuzüglich 68,00 Euro Nebenkosten und
60,00 Euro Heizung) vorenthalten wurde, ist die Bewilligungsentscheidung des
Beklagten rechtswidrig und entsprechend zu korrigieren. Im Übrigen ist die Berufung
unbegründet und zurückzuweisen.
22
Die Kläger erfüllen die Grundvoraussetzungen gemäß § 1 Nr. 1 GSiG für die
Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung in der bis 31.12.2004 gültigen
Fassung. Hiernach erhalten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in der
Bundesrepublik Deutschland, die das 65. Lebensjahr vollendet haben und ihren
Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen können,
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Nach § 2 GSiG werden hiernach u. a.
auch die angemessenen Kosten für die Unterkunft und Heizung erfasst. Diese werden in
Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind (§ 3 Abs.
1 Nr. 2 GSiG). Die Angemessenheitsgrenze ist dabei wie im Sozialhilferecht unter
Heranziehung der Regelsatzverordnung zu ziehen. Soweit die Aufwendungen für die
Unterkunft den nach den Besonderheiten des Einzelfalls angemessenen Umfang
überschreiten, sind sie als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach
§ 11 Abs. 1 BSHG zu berücksichtigen ist, solange anzuerkennen, wie es dem
Hilfebedürftigen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel,
durch Vermieten oder auf andere Weise seine Aufwendungen zu senken. Dies ergibt
23
sich aus § 3 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung des § 22 BSHG
(Regelsatzverordnung). Es gilt jedoch nicht bei einem Umzug aus einer anderen
Wohnung. Bei einem Umzug aus einer anderen Wohnung hat der Hilfeempfänger vor
Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft den dort zuständigen Träger der
Sozialhilfe über die nach § 3 Abs. 1 Satz 2 Regelsatzverordnung maßgeblichen
Umstände in Kenntnis zu setzen. Sind die Aufwendungen für die neue Unterkunft
unangemessen hoch, ist der Träger der Sozialhilfe nur zur Übernahme angemessener
Aufwendungen verpflichtet, es sei denn, er hat den darüber hinausgehenden
Aufwendungen zugestimmt (§ 3 Abs. 1 Satz 3 Regelsatzverordnung).
Die gerichtlich voll überprüfbare Angemessenheit der tatsächlichen Aufwendungen für
eine Wohnung ist nach der sogenannten Produkttheorie (vgl. BSG, Urteil vom
07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rdnr. 19 ff.; Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R -
Rdnr. 20 ff. m. w. N.; Berlit, in: Münder, SGB II, 3. Auflage 2009, § 22 Rdnr. 39;
Lang/Link, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 22 Rdnr. 41 a ff.) in drei
Schritten zu prüfen: Nach der in einem ersten Schritt vorzunehmenden Bestimmung der
abstrakt angemessenen Wohnungsgrößen und des Wohnungsstandards wird in einem
zweiten Schritt festgelegt, auf welche konkreten räumlichen Gegebenheiten als
räumlichen Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist.
Anschließend ist zu ermitteln, wieviel für eine nach Größe und Standard abstrakt als
angemessen eingestufte Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen
Wohnungsmarkt aufzuwenden ist. Dabei ist nicht nur auf die tatsächlich am Markt
angebotenen Wohnungen abzustellen, sondern auch auf vermietete Wohnungen. Nach
der Produkttheorie müssen nicht beide Faktoren (Wohnungsgröße, Wohnungsstandard -
ausgedrückt durch den Quadratmeterpreis) je für sich betrachtet angemessen sein,
solange jedenfalls das Produkt aus Wohnfläche (Quadratmeterzahl) und Standard
(Mietpreis je Quadratmeter) eine insgesamt angemessene Wohnungsmiete - die
Referenzmiete - ergibt. Nach diesen Kriterien war die von den Klägern zu zahlende
Kaltmiete von 264,00 Euro monatlich nicht angemessen.
24
Die Bemessung der angemessenen Wohnungsgröße erfolgt, solange keine
bundeseinheitliche Festsetzung auf dem Verordnungsweg gemäß § 27 SGB II
geschieht (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rdnr. 18), nach den
landesrechtlichen Durchführungsvorschriften zu § 10 des Gesetzes über die soziale
Wohnraumförderung (WofG). Aus der Ziffer 5.71 der Verwaltungsvorschriften NW zum
Wohnungsbindungsgesetz ergibt sich, dass für einen Zweipersonenhaushalt die vom
Beklagten zugrunde gelegte Wohnungsgröße von 60 m² angemessen ist. Bei der
Wohnflächenberechnung geht die Balkon- oder Terrassenfläche gewöhnlich zu einem
Viertel (nach der alten DIN 283) oder bis zur Hälfte nach der Verordnung über
wohnwirtschaftliche Berechnungen (II. BV, nur für preisgebundenen Wohnraum
verbindlich) in die Berechnung ein. Im Mietvertrag ist somit die Terrassenfläche auf
zulässige Weise in halber Größe als Wohnfläche gerechnet worden, so dass sich für
den Mietvertrag eine Quadratmeterzahl von 86 m² ergibt. Aber selbst wenn man den
Balkon nur zu einem Viertel einberechnet, errechnet sich eine Wohnfläche von ca. 77
m² und somit eine Überschreitung der angemessenen Wohnfläche um ca. 17 m². Diese
Überschreitung hätten die Kläger nur ausgleichen können, wenn ihre
Mietaufwendungen die Referenzmiete nicht überschritten hätte.
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Vergleichsraum für die Ermittlung des Mietpreisniveaus ist in erster Linie der Wohnort
des Hilfebedürftigen. Ein Umzug in einen anderen Ort, der mit der Aufgabe des sozialen
Umfelds verbunden wäre, kann vom Hilfsbedürftigen im Regelfall nicht verlangt werden
26
(BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rdnr. 20; Urteil vom 07.11.2006 - B 7b
AS 18/06 R - Rdnr. 21). Dabei ist zwar nicht strikt auf den
kommunalverfassungsrechtlichen Begriff der Gemeinde nach dem jeweiligen
Landeskommunalrecht abzustellen. Vielmehr kann es insbesondere im ländlichen
Raum geboten sein, größere Gebiete als Vergleichsgebiete zusammenzufassen,
während in größeren Städten andererseits eine Unterteilung in mehrere kleine
Vergleichsgebiete, die kommunalverfassungsrechtlich keine selbständigen Einheiten
darstellen, geboten sein kann (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rdnr.
21). Da es sich beim Umland des Wohnorts der Kläger zum einen nicht um ein
besonders ländlich geprägtes Gebiet handelt und zum anderen die Gemeinde T mit
einer Einwohnerzahl von rund 16.000 gemessen an räumlicher Nähe, Infrasstruktur und
verkehrstechnischer Verbundenheit auch einen homogenen Lebens- und Wohnbereich
darstellt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rdnr. 21), ist hier
das Gemeindegebiet als Vergleichsmaßstab heranzuziehen.
Die örtlichen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt in der Gemeinde T hat der
Beklagte mit der seiner Bewilligungsentscheidung zugrunde liegenden Referenzmiete
von 264,00 Euro nicht hinreichend ermittelt. Zur Feststellung der Beschaffenheit des
örtlichen Mietwohnungsmarktes und zur Ermittlung einer Mietobergrenze für
Wohnungen mit bescheidenem Zuschnitt muss der Grundsicherungsträger nicht
zwingend auf einen qualifizierten oder einfachen Mietspiegel im Sinne der §§ 558c und
558d Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) abstellen. Die vom Grundsicherungsträger
gewählte Datengrundlage muss allerdings auf einem schlüssigen Konzept beruhen, das
eine hinreichende Gewähr dafür bietet, die aktuellen Verhältnisse des örtlichen
Mietwohnungsmarktes wiederzugeben (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06
R - Rdnr. 16 m. w. N.). Entscheidend ist insoweit, dass den Feststellungen des
Grundsicherungsträgers ein Konzept zu Grunde liegt, welches im Interesse der
Überprüfbarkeit des Ergebnisses schlüssig und damit die Begrenzung der tatsächlichen
Unterkunftskosten auf ein angemessenes Maß hinreichend nachvollziehbar ist. Bei der
Erstellung eines solchen Konzepts ist zu beachten, dass es dem Hilfebedürftigen
angesichts der danach ermittelten Referenzmiete möglich sein muss, im konkreten
Vergleichs-raum eine angemessene Wohnung anzumieten. Hierzu ist ein planmäßiges
Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und
Bewertung der erforderlichen Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im
maßgeblichen Vergleichszeitraum erforderlich. Schlüssig ist das vom
Grundsicherungsträger gewählte Konzept, wenn es mindestens die folgenden
Voraussetzungen erfüllt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rdnr. 19; Urteil
vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 - Rdnr. 23, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 - Rdnr.
26):
27
Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über
den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung).
28
Es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, zum
Beispiel welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen,
Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße.
29
Das Konzept muss Angaben über den Beobachtungszeitraum enthalten.
30
Es bedarf einer Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen,
zum Beispiel Mietspiegel).
31
Der Umfang der einbezogenen Daten muss repräsentativ sein.
32
Die Validität der Datenerhebung muss sichergestellt sein.
33
Die anerkannten mathematisch-statistischen Grundsätze der Datenauswertung sind
einzuhalten.
34
Das Konzept muss Angaben über die gezogenen Schlüsse (zum Beispiel
Spannoberwert und Kappungsgrenze) enthalten.
35
Diesen Vorgaben wird der Beklagte vorliegend nicht gerecht. In der mündlichen
Verhandlung hat er erklärt, er habe kein schlüssiges Konzept im Sinne der
Rechtsprechung des BSG. Grund hierfür sei, dass man im Bereich T ein derartiges nicht
brauche. Es seien keine Fälle bekannt, in denen Betroffene mit den von ihm für
angemessen gehaltenen Wohnkosten nicht hinkommen. Er könne daher nur auf die
dem Gericht eingereichten Unterlagen hinweisen.
36
Diese Unterlagen (Mietwerttabelle, interner Vermerk und Internet-Angebot des
Unternehmens C-Immobilien vom 24.04.2006) werden den oben genannten
Anforderungen an ein schlüssiges Konzept jedoch nicht ansatzweise gerecht.
37
Die Vorgehensweise des Beklagten ist bereits deshalb unschlüssig, weil bei der
Ermittlung der Differenzmiete bereits keine Differenzierung nach Wohnungsgrößen
vorgenommen wurde. Damit berücksichtigt der Beklagte nicht den zwischen den
durchschnittlichen Kaltmiete-Quadratmeterpreisen je nach Wohnungsgröße
bestehenden Unterschied. Auch der interne Vermerk der Beklagten, der die Zugänge im
Zeitraum 01.07.2003 bis 30.06.2004 beschreibt, hilft hier nicht weiter, da dieser aufgrund
des Persönlichkeitsschutzes nur allgemein die Zahl benennt, ohne dass diese für einen
Dritten nachvollziehbar bzw. überprüfbar ist. Für den Senat ist auch nicht erkennbar,
inwieweit ein Internet-Angebot eines Unternehmens vom 24.04.2006 hier eine
geeignete Grundlage für ein schlüssiges Konzept im streitigen Zeitraum Juli bis
Dezember 2004 bilden kann. Da die Vorgehensweise des Beklagten mithin bereits auf
ungeeigneten Grundlagen beruht, erübrigt sich eine weitere Überprüfung der
Repräsentativität und der Validität der einbezogenen Daten. Bei einer etwaigen
Erarbeitung eines Konzept wird der Beklagte allerdings darauf zu achten haben, die von
ihm aus künftigen Datenerhebungen gezogenen Schlussfolgerungen nachvollziehbar
zu dokumentieren. Offenkundig mangelt es hieran bislang.
38
Es ist im Wesentlichen Sache der Grundsicherungträger, für ihren Zuständigkeitsbereich
ein schlüssiges Konzept zu entwickeln sowie auf dessen Grundlage die erforderlichen
Daten zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zu erheben und auszuwerten. Die
anhand eines solchen Konzeptes erzielbaren Erkenntnisse sind grundsätzlich schon für
eine sachgerechte Entscheidung im Verwaltungsverfahren notwendig. Liegt der
Bestimmung der Angemessenheitsgrenze des Grundsicherungsträgers ein schlüssiges
Konzept - wie hier - nicht zu Grunde, geht die Ermittlungspflicht nicht ohne Weiteres auf
das Gericht über. Vielmehr ist der Beklagte im Rahmen seiner prozessualen
Mitwirkungspflicht gemäß § 103 Satz 1 SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst
zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und eine unterbliebene oder
unzureichende Datenerhebung und -aufbereitung ggf. nachzuholen (BSG, Urteil vom
22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rdnr. 26).
39
Der Senat hat hier auch durch Ermittlung bei dem Beklagten den Versuch
unternommen, die erforderlichen Daten zu erlangen. Der Beklagtenvertreter hat jedoch
ausdrücklich im Termin bestätigt, dass der Beklagte kein schlüssiges Konzept hat. Der
Senat erachtet es aufgrund des Zeitablaufs allerdings mit den zur Verfügung stehenden
Erkenntnisquellen nicht mehr für möglich, die angemessene Kaltmiete am Wohnort der
Kläger in T für die Monate Juli bis Dezember 2004 zu ermitteln. In einem solchen Fall
sind grundsätzlich die tatsächlichen Kosten der Unterkunft zu übernehmen.
40
Es existiert jedoch auch dann eine absolute Obergrenze der Angemessenheit, die durch
die einschlägigen Tabellenwerte nach dem Wohngeldgesetz (WoGG) markiert wird. Da
insoweit eine abstrakte, vom Einzelfall und den konkreten Umständen im
Vergleichsraum unabhängige Begrenzung vorgenommen wird, ist auf den jeweiligen
Höchstwert der Tabelle, also die rechte Spalte, zurückzugreifen. Ferner ist im Interesse
des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des
Wohnraums ein Sicherheitszuschlag zum einschlägigen Tabellenwert vorzunehmen
(BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rdnr. 27; Urteil vom 07.11.2006 - B 7b
AS 18/06 R - Rdnr. 23). Der Senat sieht hiebei einen Zuschlag von zehn Prozent als
angemessen an.
41
Die Gemeinde T war im streitgegenständlichen Zeitraum der Mietenstufe 2 nach dem
WoGG zugeordnet (§ 1 Abs. 4 Wohngeldverordnung in der bis 31.12.2004 geltenden
Fassung). Für die Ermittlung der absoluten Mietobergrenze ist der dieser Mietenstufe für
einen Zweipersonenhaushalt gemäß § 8 Abs. 1 WoGG (in der bis 31.12.2004 geltenden
Fassung) zugeordnete Tabellenwert von 345,00 Euro heranzuziehen. Dieser ist um
einen Sicherheitszuschlag von 10 Prozent zu erhöhen. Hieraus folgt eine
berücksichtigungsfähige Referenzmiete von 379,50 Euro. Dieser sind die Nebenkosten
in Höhe von 68,00 Euro sowie die Heizkosten in Höhe von 60,00 Euro hinzurechnen.
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Soweit die Kläger darüber hinaus insgesamt einen Betrag von 400,00 Euro Kaltmiete
monatlich, nämlich die Übernahme ihrer tatsächlichen Wohnkosten in voller Höhe,
begehren, ist die Berufung unbegründet und daher abzuweisen. Denn insoweit
überschritten ihre Unterkunftskosten auch die absolute Angemessenheitsgrenze, das
heißt den maßvoll erhöhten Tabellenwert nach dem WoGG. Ein besonderer, darüber
hinausgehender Wohnbedarf der Kläger infolge der bei diesen vorliegenden
Erkrankungen ist für den Senat nicht ersichtlich. Insbesondere sind die Kläger nicht auf
bestimmte Hilfsmittel angewiesen. Die (zu große) Wohnung ist auch nicht auf die
spezielle gesundheitliche Situation der Kläger zugeschnitten. Derartige Umstände sind
nach dem Vortrag der Kläger im konkreten Fall nicht vorhanden. Aber auch der Vortrag
der Kläger dahingehend, dass in Zukunft möglicherweise eine Pflegebedürftigkeit
eintreten und dann mehr Wohnraum erforderlich sein werde, ist für den streitigen
Zeitraum nicht überzeugend. Der zukünftige Eintritt einer Pflegebedürftigkeit der Kläger
ist nämlich ungewiss.
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Es ergibt sich auch kein Anspruch der Kläger auf Übernahme der nicht angemessenen
Unterkunftskosten nach § 3 Abs. 1 Satz 3 der Regelsatzverordnung. Der Beklagte hat
dem Umzug der Kläger nicht zuvor zugestimmt. Darüber hinaus bestand auch keine
Verpflichtung des Beklagten, eine Zustimmung für die Übernahme der nicht
angemessenen Aufwendungen zu erteilen. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 6 der
Regelsatzverordnung soll eine Zustimmung erteilt werden, wenn der Umzug durch den
Träger der Sozialhilfe veranlasst wird oder aus anderen Gründen notwendig ist und
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wenn ohne die Zustimmung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht
gefunden werden kann; hieran mangelt es. Nach der Überzeugung des Senats können
die Kläger insbesondere nicht geltend machen, günstigerer Wohnraum habe nicht zur
Verfügung gestanden, da sie entsprechende Bemühungen nicht ausreichend dargelegt
bzw. nachgewiesen haben. Die Kläger hatten daher nur Anspruch auf Übernahme der
angemessenen Unterkunftskosten (§ 3 Abs. 1 GSiG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und trägt dem
überwiegenden Obsiegen der Kläger Rechnung.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG
nicht erfüllt sind.
46