Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 08.11.2006

LSG NRW: innere medizin, diabetes mellitus, ernährung, sozialhilfe, fürsorge, auflage, verwertung, gesundheitszustand, gemüse, gesundheitswesen

Landessozialgericht NRW, L 19 B 83/06 AS ER
Datum:
08.11.2006
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 19 B 83/06 AS ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Münster, S 3 AS 115/06 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Münster vom 03.08.2006 wird zurückgewiesen. Kosten
sind nicht zu erstatten.
Gründe:
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Die Antragsgegnerin lehnte mit Bescheid vom 01.12.2005 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 30.06.2006 die Gewährung eines Mehrbedarfs für
kostenaufwendige Ernährung für die Zeit vom 01.01. bis 30.06.2006 ab. Die hiergegen
rechtzeitig erhobene Klage ist beim Sozialgericht Münster unter dem Aktenzeichen S 3
AS 116/06 anhängig.
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Mit Bescheid vom 20.06.2006 lehnte die Beklagte auch für den sich anschließenden
Zeitraum vom 01.07. bis 31.12.2006 die Gewährung eines Mehrbedarfes für
kostenaufwendige Ernährung ab. Der Antragsteller beantragte daraufhin beim
Sozialgericht Münster am 20.07.2006 die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen
Anordnung zu verpflichten, ihm ab sofort Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende
einschließlich des Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung zu gewähren. Diesen
Antrag lehnte das Sozialgericht mit Beschluss vom 03.08.2006 ab. Es liege schon kein
Anordnungsgrund vor. Der Antragsteller bedürfe keiner einstweiligen Anordnung zur
Sicherung seines Lebensunterhaltes. Sollte tatsächlich ein Mehrbedarf wegen
kostenaufwendiger Ernährung bestehen, woran angesichts der medizinischen
Unterlagen erhebliche Zweifel bestünden, stünde das unbedingt Notwendige dem
Antragsteller jedenfalls zur Verfügung. Denn als Betrag, der für den unbedingt
notwendigen Lebensbedarf erforderlich sei, würden üblicherweise 80% des
Regelsatzes angesehen, das seien 276,00 EUR.
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Zwischenzeitlich hat die Antragsgegnerin den gegen den Bescheid vom 20.06.2006
erhobenen Widerspruch des Antragstellers mit Widerspruchsbescheid vom 17.07.2006
zurückgewiesen. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
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Gegen den ihm am 05.08.2006 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Münster vom
03.08.2006 hat der Antragsteller am 28.08.2006 Beschwerde eingelegt. Auf die
eingereichte ärztliche Bescheinigung der Fachärzte für Allgemeinmedizin Dres T vom
24.11.2004 wird verwiesen.
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Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Entscheidung
vom 31.08.2006) ist nicht begründet.
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Zur Überzeugung des Senats sind vorliegend weder ein Anordnungsanspruch noch ein
Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO).
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Ein sogenannter Anordnungsanspruch - das heißt eine Rechtsposition, deren
Durchsetzung im Hauptsacheverfahren möglich ist - ist nach vorstehenden Maßstäben
nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat zu keinem Zeitpunkt substantiiert
dargelegt, welche Diät er tatsächlich einhält bzw. inwiefern diese erhebliche Mehrkosten
verursacht. Nach den vorgelegten Stellungnahmen des Facharztes für innere Medizin
und für öffentliches Gesundheitswesen Dr. L vom 27.06.2006 bzw. 24.10.2006 ist bei
dem Antragsteller aufgrund der vorliegenden Erkrankungen - starkes Übergewicht,
Blutdruckerhöhung, Zuckerkrankheit und Gicht - eine natrium- und fettreduzierte sowie
kohlenhydratbilanzierte und auf 1200 kcal reduzierte Kost angebracht, dies aber nicht
mit Mehrkosten verbunden ist. Diese Auffassung deckt sich mit dem
"Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwendiger
Ernährung (Krankenkost-zulagen) gemäß § 23 Abs. 4 BSHG" (jetzt: § 30 Abs. 5 SGB
XII) des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe des
Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, Stand Januar 2002, wonach weder Diabetes-
Kost, noch Vollkost, noch lipidsenkende bzw. purinreduzierte Kost Mehrkosten
verursachen. Die zuvor in der sozialhilferechtlichen Praxis angewendeten
"Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge für die
Gewährung von Krankenkostzulage in der Sozialhilfe", Stand 2. Auflage 1997 seien in
Teilbereichen als veraltet anzusehen und unter Verwertung zeitlich nachfolgend
veröffentlichter Erkenntnisse fortzuschreiben (vgl. Beschluss des erkennenden Senats
vom 24.07.2006 - L 19 B 51/00 AS; Beschluss des 20. Senats des LSG NRW vom
23.06.2006 - L 20 B 109/06 AS zu Diabetes mellitus Typ IIa). Anhaltspunkte für ein
Abweichen von dieser Auffassung aufgrund irgendwelcher Besonderheiten de
vorliegenden Einzelfalles finden sich auch nicht in der vorgelegten ärztlichen
Bescheinigung der behandelnden Fachärzte für Allgemeinmedizin T. Insofern bedarf es
auch keines weiteren Eingehens darauf, dass diese Bescheinigung vom 24.11.2004
datiert und insofern schon nicht den aktuellen Gesundheitszustand des Antragstellers
berücksichtigen kann.
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Unabhängig davon kann sich der Antragsteller im Hinblick auf die zwischenzeilich
eingetretene Bestandskraft der Ablehnung von Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernäh-
rung für den Zeitraum vom 01.07. bis 31.12.2006 - mithin für die Zeit ab Stellung des
Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes - nicht auf eine Rechtsposition
berufen, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren begehrt wird. Denn inzwischen
ist der betreffende Bescheid vom 20.06.2006 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 17.07.2006 bestandskräftig geworden. Der Antragsteller
hat nämlich diesen Bescheid nicht mit einer Klage angefochten. Der
Widerspruchsbescheid vom 17.07.2006 ist auch nicht unmittelbar gemäß § 96 SGG
oder in entsprechender Anwendung des § 96 SGG Gegenstand des beim Sozialgericht
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Münster anhängigen Verfahrens S 3 AS 116/06, betreffend den Mehrbedarf für
kostenaufwendige Ernährung im Zeitraum 01.01. bis 30.06.2006, geworden. Denn der
Rechtsstreit betrifft nur isoliert den Anspruch auf Mehrbedarf für kostenaufwendige
Ernährung bezogen auf diesen abgeschlossenen Zeitraum.
Schließlich ist ein Anordnungsgrund, d.h. die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung
zur Vermeidung irreparabler Nachteile, nicht glaubhaft gemacht. Allein der Vortrag, der
Antragsteller sei nicht in der Lage, Obst und Gemüse in dem nötigen Umfang zu
beschaffen, genügt hierfür nicht.
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Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
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