Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.02.2000

LSG NRW: versorgung, onkologie, abrechnung, genehmigung, reform, verfassungskonforme auslegung, behandlung, weiterbildung, beschränkung, kreis

Landessozialgericht NRW, L 11 KA 70/98
Datum:
23.02.2000
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 11 KA 70/98
Vorinstanz:
Sozialgericht Düsseldorf, S 25 Ka 233/97
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 6 KA 34/00 B
Sachgebiet:
Vertragsarztrecht
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 18.03.19998 wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat die
außergerichtlichen Kosten der Beklagten auch im Berufungsverfahren
zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Berechtigung der Klägerin zur Abrechnung der Ziffer 16
des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) wegen kontinuierlicher Betreuung
tumorkranker Patienten.
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Die Klägerin ist als Ärztin ohne Gebietsbezeichnung in Gemeinschaftspraxis mit ihrem
Ehemann (einem Internisten) zur vertragsärztlichen Versorgung in O. zugelassen. Sie
nimmt an der Vereinbarung über besondere Maßnahmen zur Verbesserung der
onkologischen Versorgung vom 01.07.1994 (Onkologie-Vereinbarung) teil und erhielt
die Anerkennung als onkologisch- verantwortliche Ärztin.
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Mit Schreiben vom 25. November 1996 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die
Genehmigung zur Abrechnung der Ziffer 16 EBM gemäß Ziffer 4 a Abs. 3 Satz 3 der
Ergänzenden Vereinbarung zur Reform des EBM vom 14.09.1995 (DA Bl. 1995, A-
3643). Danach kann die Beklagte eine Genehmigung zur Abrechnung der Leistung
nach Ziffer 16 EBM auf Antrag auch fachärztlich tätigen Internisten, die nicht zum Führen
der Schwerpunktbezeichnung Hämatologie oder internistische Onkologie berechtigt
sind, sowie anderen Ärzten, die an der fachärztlichen Versorgung teilnehmen, dann
erteilen, wenn sie die Qualifikationsvoraussetzungen zur Inanspruchnahme der
Kostenerstattung für die intravasale zytostatische Chemotherapie nach der Onkologie-
Vereinbarung erfüllen. Zur Begründung ihres Antrages trug die Klägerin vor, die
Tätigkeit als onkologisch verantwortliche Ärztin erfordere einen hohen persönlichen,
personellen und Materialaufwand analog den der internistischen Hämato-Onkologen.
Als Ärztin ohne Gebietsbezeichnung habe sie keine Möglichkeit zur Teilnahme an der
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fachärztlichen Versorgung der Versicherten.
Mit Bescheid vom 05.03.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
30.06.1997 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Eine Genehmigung zur Abrechnung der
Leistung nach Ziffer 16 EBM könne unter bestimmten Voraussetzungen nur Ärzten erteilt
werden, die an der fachärztlichen Versorgung teilnehmen würden. Unabhängig davon,
dass die Klägerin onkologisch verantwortliche Ärztin sei, nehme sie aber gemäß § 73
Abs. 1 a Satz 1 SGB V an der hausärztlichen Versorgung teil, so dass dem Antrag nicht
stattgegeben werde könne.
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Mit ihrer Klage hat sie geltend gemacht, der Ausschluß der nicht an der fachärztlichen
Versorgung teilnehmenden Ärzte von der Möglichkeit einer Abrechnung der Ziffer 16
EBM sei rechtswidrig. Der Normgeber habe durch die ergänzende Vereinbarung zur
Regelung des EBM deutlich gemacht, dass er primär auf die Erfüllung von
Qualifikationskriterien abstelle. Als geeignetes Qualifikationskriterium sei die Teilnahme
an der Onkologie-Vereinbarung anzusehen. Wenn dann zusätzlich die Teilnahme an
der fachärztlichen Versorgung gefordert werde, liege darin ein Verstoß gegen den in Art.
3 GG kodifizierten Gleichheitsgrundsatz.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.03.1997 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 30.06.1997 zu verurteilen, ihr die Genehmigung zur
Abrechnung der Leistung nach Ziffer 16 EBM zu erteilen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat auf den eindeutigen Wortlaut der Ergänzenden Vereinbarung zur Regelung des
EBM hingewiesen und die Ansicht vertreten, ein Verstoß gegen den
Gleichheitsgrundsatz liege nicht vor.
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Mit Urteil vom 18.03.1998 hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das SG im wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen gemäß
Ziffer 16 EBM sowie Ziffer 4 a Absatz 3 Satz 3 der Ergänzenden Vereinbarung zur
Reform des EBM seien nicht erfüllt. Eine Verletzung von Art. 3 GG liege ebenfalls nicht
vor, da die Differenzierung zwischen hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung
sachgerecht sei; sie sei nicht nur im EBM bzw. der Ergänzenden Vereinbarung, sondern
auch im SGB V zu finden.
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Mit ihrer Berufung wiederholt und vertieft die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Sie meint insbesondere, dass eine Verletzung von Art. 3 GG deshalb bestehe, weil sie
als onkologisch tätige und qualifizierte Ärztin nur deshalb von der Abrechnung der
Leistungen der Ziffer 16 EBM ausgeschlossen sei, weil sie als Ärztin ohne
Gebietsbezeichnung nicht an der fachärztlichen Versorgung teilnehmen könne. Ein
derartiger Ausschluß sei nicht sachgerecht, da allein auf die entsprechende
Qualifikation der die Leistung erbringenden Ärzte abzustellen sei.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.03.1998 abzuändern und die Beklagte
unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 05.03.1997 und 30.06.1997 zu verurteilen, ihr
eine Genehmigung zur Abrechnung der Leistung nach Ziffer 16 EBM zu erteilen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
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Auf Anfrage des Senates hat die Beklagte mitgeteilt, an der Onkologie-Vereinbarung
nähmen folgende Ärzte teil: 90 Urologen, 57 Internisten, 29 Gynäkologen, 10
Dermatologen, 7 Allgemeinmediziner / praktische Ärzte, 1 Chirurg und 4
Strahlentherapeuten.
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Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Verband der Angestellten
Krankenkassen (VdAK) haben zur Entstehungsgeschichte der Ergänzenden
Vereinbarung zur Reform des EBM - insbesondere zur Beschränkung auf Ärzte, die an
der fachärztlichen Versorgung teilnehmen - ausgeführt, die Tumorbehandlung sei der
fachärztlichen Behandlung zuzuordnen, jedoch habe auch ein Arzt ohne
Gebietsbezeichnung die Möglichkeit gemäß § 73 Abs. 1 a letzter Satz SGB V die
Genehmigung zur ausschließlichen Teilnahme an der fachärztlichen Versorgung zu
beantragen und zu erhalten. Dies habe aber zur Folge, dass dieser Arzt dann nicht mehr
die hausärztlich tätigen Ärzten zustehenden speziellen Vergütungsleistungen erhalten
könne.
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Wegen der Einzelheiten, auch des Vorbringens der Beteiligten, wird auf die Prozeßkate
und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung waren.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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Die Beklagte hat den Antrag der Klägerin zu Recht abgelehnt. Die Klägerin hat keinen
Anspruch auf Genehmigung der Abrechnung der Leistungen gemäß Ziffer 16 EBM.
Dieser läßt sich weder unmittelbar aus der Ziffer 16 EBM ableiten noch aus der
Ergänzenden Vereinbarung zur Reform des EBM vom 14.09.1995.
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Gemäß Ziffer 16 EBM kann die kontinuierliche Betreuung eines tumorkranken Patienten
unter tumorspezifischer Behandlung durch einen Internisten mit der
Schwerpunktbezeichnung "Hämatologie und Onkologie" abgerechnet werden. Diese
Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht, da sie als Ärztin ohne Gebietsbezeichnung
niedergelassen ist.
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Eine Genehmigung zur Abrechnung der Leistungen nach Ziffer 16 EBM kann gemäß
Ziffer 4 a Abs. 3 Satz 3 der Ergänzenden Vereinbarung zur Reform des EBM vom
14.09.1995 auch fachärztlichen Internisten, die nicht zum Führen der
Schwerpunktbezeichnung Hämatologie oder internistische Onkologie berechtigt sind,
sowie anderen Ärzten, die an der fachärztlichen Versorgung teilnehmen, erteilt werden,
wenn sie die Qualifikationsvoraussetzungen zur Inanspruchnahme der Kostenerstattung
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für die intravasale zytostatische Therapie nach der Onkologie-Vereinbarung erfüllen.
Die Klägerin fällt auch nicht unter den durch die ergänzende Vereinbarung zur Reform
des EBM vom 14.09.1995 erweiterten Kreis der Abrechnungsberechtigten. Sie hat keine
Weiterbildung zum Internisten und nimmt auch nicht an der fachärztlichen Versorgung
teil. Insoweit ergibt sich bereits aus dem klaren Wortlaut der Ergänzenden Vereinbarung
zur Reform des EBM, dass die Teilnahme an der fachärztlichen Versorgung zwingendes
Tatbestandsmerkmal ist. Wenn darüber hinaus auch die Teilnahme an der Onkologie-
Vereinbarung als Voraussetzung aufgeführt ist, so ist darin für die an der fachärztlichen
Versorgung teilnehmenden Ärzte eine weitere - kumulative - Voraussetzung zu sehen.
Denn es sollen nach dem Willen der Vertragsparteien nicht alle an der fachärztlichen
Versorgung teilnehmenden Ärzte berechtigt sein, die Leistungen gemäß Ziffer 16 EBM
abzurechnen, sondern nur diejenigen, die bestimmte Qualifiktionsvoraussetzungen
erfüllen.
Die ergänzende Vereinbarung zur Reform des EBM ist auch nicht unter
Berücksichtigung von Art. 3 GG verfassungskonform dahin auszulegen, dass Ärzten
ohne Gebietsbezeichnung, die nicht an der fachärztlichen Versorgung teilnehmen, die
Genehmigung dann zu erteilen ist, wenn sie als onkologisch verantwortliche Ärzte an
der Onkologie-Vereinbarung teilnehmen. Eine derartige verfassungskonforme
Auslegung käme nur dann in Betracht, wenn ohne sie eine Verletzung des
Gleichheitsgrundsatzes zu bejahen wäre. Dies ist aber zu verneinen. Denn Ärzte ohne
Gebietsbezeichnung (Weiterbildung) und Ärzte mit einer Weiterbildung werden durch
die Regelung in der Ergänzenden Vereinbarung zur Reform des EBM nicht ungleich
behandelt. Für beide Arztgruppen gilt, dass eine Abrechnungsmöglichkeit hinsichtlich
der Ziffer 16 EBM nur dann besteht, wenn sie an der fachärztlichen Versorgung
teilnehmen. Entgegen der Ansicht der Klägerin besteht diese Möglichkeit auch für Ärzte
ohne Gebietsbezeichnung. § 73 Abs. 1 a letzter Satz SGB V bestimmt gerade für diesen
Personenkreis, dass sie an der fachärztlichen Versorgung teilnehmen können, soweit
sie im wesentlichen spezielle Leistungen erbringen. Damit wird gerade für Ärzte ohne
Gebietsbezeichnung die Möglichkeit geschaffen, aufgrund ihrer speziellen Leistungen
(etwa der Behandlung tumorkranker Patienten nach der Onkologie-Vereinbarung) eine
Gleichstellung mit weitergebildeten fachärztlichen tätigen Ärzten zu erlangen. Bei dieser
durch den Gesetzgeber ausdrücklich geschaffenen Möglichkeit, eine gleiche
Ausgangsposition zu erlangen, vermag der Senat bereits eine Ungleichbehandlung
nicht zu erkennen. Es obliegt vielmehr allein der Entscheidung der Klägerin, ob sie von
der in § 73 Abs. 1 a letzter Satz SGB V genannten Möglichkeit auch Gebrauch macht.
Soweit sie dies - etwa aus wirtschaftlichen Gründen - nicht macht, ist es ihr verwehrt,
sich auf eine Art. 3 GG verletzende Ungleichbehandlung zu berufen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § § 183 und 193 SGG.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen
nicht vor.
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