Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 10.07.2002

LSG NRW: ehepaar, russland, altersrente, sozialhilfe, normenkontrolle, anerkennung, fürsorgeleistung, vervielfältigung, form, eigentumsschutz

Landessozialgericht NRW, L 8 RJ 3/02
Datum:
10.07.2002
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 8 RJ 3/02
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 3 RJ 69/01
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 13 RJ 203/02 B
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom
28.11.2001 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine
Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten über die Berechnung der Altersrente des Klägers. Insbesondere
ist die Obergrenzenregelung des § 22b Fremdrentengesetz (FRG) streitig.
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Der am ...1923 geborene Kläger stammt aus Russland. Dort bezog vom 27.01.1983 bis
31.12.1996 eine Altersrente.
3
Am 26.12.1996 reiste er in die Bundesrepublik ein. Er ist als Spätaussiedler anerkannt.
Beiträge zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung hat er nicht entrichtet. Er
bezog in der Bundesrepublik zunächst Sozialhilfe.
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Der Kläger ist mit M ... S ... geb. L ... (geb. 10.11.1922) verheiratet; die Ehefrau bezieht
seit dem 26.11.1996 von der Beklagten selbst Regelaltersrente.
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Am 28.01.1997 beantragte er bei der Beklagten eine Versichertenrente.
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Mit vorläufigem Vorschussrentenbescheid vom 18.03.1998 bewilligte die Beklagte
Regelaltersrente (monatlich 877,17 DM). Dabei errechnete sie aus anrechenbaren
Zeiten nach dem FRG 32,6615 Entgeltpunkte (EP); ohne Berücksichtigung von
anrechenbaren Zeiten nach dem FRG ergäben sich keine EP. Die EP aus FRG-Zeiten
seien auf 25 EP zu begrenzen. Nach weiterer Begrenzung unter Berücksichtigung aller
Renten (Rente der Ehefrau) betrage die Summe der persönlichen EP des Klägers 20.
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Mit weiterem Bescheid vom 05.05.1999 erklärte die Beklagte nach Ermittlungen in
Rußland diesen Bewilligungsbescheid für endgültig.
8
Der Kläger legte Widerspruch ein, mit dem er auf sein schweres Leben in Russland
hinwies.
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Mit Bescheid vom 25.08.1999 berechnete die Beklagte die Rente des Klägers (im
Anschluss an die Anhörung eines Zeugen betr. weitere Zeiten in der Sowjetunion, den
der Kläger im Widerspruch benannt hatte, von Anfang an unter Änderung des
Bescheides vom 18.03.1998 neu - monatliche Rente 892,88 DM). Sie ermittelte 32,7440
EP; in der Summe verblieben jedoch nach wie vor 20 EP.
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Am 06.09.2000 beantragte der Kläger die Überprüfung des Rentenbescheides vom
25.08.1999 nach § 44 SGB X. Er wandte sich gegen die Vervielfältigung der
maßgeblichen Entgeltpunkte mit dem Faktor 0,6 (§ 22 Abs. 4 FRG) sowie gegen die
Obergrenzenregelung des § 22b FRG; beide Regelungen seien verfassungswidrig.
Durch die "Deckelungsregelung" werde die Rente eines anerkannten Spätaussiedlers
zwangsläufig auf Sozialhilfeniveau gedrückt, unabhängig von der
Lebensarbeitsleistung. So erhalte er mit über 43 Versicherungsjahren nur eine Rente
von 892,88 DM; das sei nicht gerechtfertigt.
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Mit Bescheid vom 08.11.2000 lehnte die Beklagte eine Änderung ihrer bisherigen
Bescheide ab. Die angewandten Vorschriften seien verfassungsgemäß. Das
Existenzminimum sei i.S.d. Sozialhilfe gewährleistet. Der Kläger habe lediglich Zeiten
nach dem FRG zurückgelegt und keinen Beitrag zur Finanzierung der deutschen
Rentenversicherung geleistet.
12
Der Kläger legte Widerspruch ein mit der Begründung, aus Art. 116 Grundgesetz (GG)
sei ein Integrationsgebot zugunsten der anerkannten Vertriebenen und Spätaussiedler
herzuleiten. Deshalb müsse die fremdrentenrechtliche Anerkennung in angemessenem
Verhältnis zur erbrachten Lebensarbeitsleistung stehen. Dies sei nicht der Fall. Die
geringe Rentenhöhe rechtfertige sich auch nicht dadurch, dass keine Beiträge zur
deutschen Rentenversicherung entrichtet worden seien; hierzu habe bis zur
Aussiedlung doch gar keine Möglichkeit bestanden.
13
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2001 zurück.
Die Rente sei den gesetzlichen Bestimmungen gemäß berechnet worden. An diese sei
der Rentenversicherungsträger gebunden; Ausführungen zur Vereinbarkeit der
Bestimmungen mit dem GG seien daher nicht beabsichtigt.
14
Hiergegen hat der Kläger am 27.02.2001 Klage erhoben und seinen Vortrag aus dem
Widerspruch vertieft. Er verwies insoweit auf ein Rechtsgutachten
Podlech/Azzola/Dieners "Die Vereinbarkeit fremdrentenrechtlicher Kürzungsregelungen
mit dem Grundgesetz" (Die Rentenversicherung, Okt./Nov. 1998, 177 ff., 195).
15
Der im Termin weder erschienene noch vertretene Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
16
den Bescheid der Beklagten vom 08.11.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 13.02.2001 dahingehend abzuändern, dass die Rente ohne die Obergrenze von 25
EP (bzw. 40 EP für ein Ehepaar) und ohne die 40%ige Kürzung bezüglich der FRG-
Zeiten neu festgestellt wird, dem Bundesverfassungsgericht den Rechtsstreit nach Art.
100 GG zur Entscheidung vorzulegen, ob die hier maßgeblichen Vorschriften (§§ 22
Abs. 4 FRG, 22b FRG, 4 Abs. 5 Fremdrenten- und Auslandsrenten-
17
Neurregelungsgesetz (FANG) jeweils in der durch das Wachstums- und
Beschäftigungsföderungsgesetz (WFG) bestimmten Fassung) mit dem Grundgesetz
vereinbar sind.
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
19
Sie hat auf ihre Entscheidung Bezug genommen.
20
Mit Urteil vom 28.11.2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die
Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
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Gegen das am 14.12.2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27.12.2001 Berufung
eingelegt. Es treffe nicht zu, dass seine FRG- Rentenanwartschaften nicht durch
Eigenleistung erworben seien. Er habe in Russland Beitrags- und Beschäftigungszeiten
zurückgelegt, weshalb die FRG-Rentenanwartschaften auf eigener Leistung beruhten.
Die Beitragsleistung zur bundesdeutschen Rentenversicherung sei eine Möglichkeit der
eigenen Leistung, jedoch nicht die ausschließliche. Die angegriffenen Vorschriften
verstießen gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar sei eine unterschiedliche Bewertung von FRG-
Zeiten und Bundesgebiets-Beitragszeiten mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Es gebe
jedoch eine Reihe von Personengruppen, für deren rentenrechtliche Zeiten keine
Beiträge zur bundesdeutschen Rentenversicherung entrichtet worden seien, und die
gleichwohl höchst unterschiedlich bewertet würden. Zu nennen seien hier in erster Linie
Berechtigte mit Zeiten aus dem Beitrittsgebiet. Diese würden mit 85% des Westniveaus
bewertet. Demgegenüber würden FRG-Zeiten nur mit 60% des Westniveaus bewertet
und zusätzlich noch gem. § 22b FRG auf 25 Entgeltpunkte (bzw. 40 Entgeltpunkte für
ein Ehepaar) heruntergekürzt. Die angegriffenen Vorschriften seien darüber hinaus
deshalb willkürlich, weil es ab einem bestimmten Sockelbetrag egal sei, wieviele
Versicherungsjahre zurückgelegt worden seien. Ebenso sei es gleichgültig, ob der
Betroffene in herausgehobener Stellung oder als Hilfsarbeiter tätig gewesen sei. § 22b
FRG bewirke, dass keinerlei Relation mehr zwischen der erbrachten
Lebensarbeitsleistung und der Höhe der Rente bestehe. Die angegriffenen Vorschriften
verstießen zudem gegen Art. 116 GG. Zwar könne aus diesem Artikel kein Anspruch auf
eine bestimmte Rentenhöhe abgeleitet werden. Die fremdrenten rechtliche
Anerkennung der von dem Personenkreis des Art. 116 GG zurückgelegten Beitrags- und
Beschäftigungszeiten müsse jedoch in einem angemessenen Verhältnis zur erbrachten
Lebensarbeitsleistung stehen. Dies sei, wie dargelegt, nicht der Fall.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 28.11.2001 aufzuheben und den Bescheid der
Beklagten vom 08.11.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2001
dergestalt abzuändern, dass die Rente des Klägers ohne die Obergrenze von 25
Entgeltpunkten bzw. 40 Entgeltpunkten für ein Ehepaar und ohne die 40%ige Kürzung
bezüglich der FRG-Zeiten neu festgestellt wird, hilfsweise, die Revision zuzulassen,
weiter hilfsweise, dem Bundesverfassungsgericht den Rechtsstreit nach Art. 100 GG zur
Entscheidung vorzulegen, ob die Vorschrif ten § 22 Abs. 4, § 22b FRG und Art. 6 § 4
Abs. 5 FANG, jeweils in der Fassung des WFG, mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
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Die Beklagte beantragt,
25
die Berufung zurückzuweisen.
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Ausführungen zur Vereinbarkeit der fremdrentenrechtlichen Kürzungsregelungen mit
dem Grundgesetz seien nicht beabsichtigt.
27
Der Senat hat beim Bundesverfassungsgericht angefragt, ob dort
Verfassungsbeschwerden bzw. Normenkontrollverfahren betreffend § 22 Abs. 4 FRG, §
22b FRG oder Art. 6 § 4 Abs. 5 FANG anhängig seien. Auf das Antwortschreiben des
Bundesverfassungsgerichts vom 15.04.2002 wird Bezug genommen. Der Kläger hat
hierzu mitgeteilt, das Ruhen des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts werde nicht beantragt.
28
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte sowie der beizogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug
genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
29
Entscheidungsgründe:
30
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
31
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Kläger ist durch den
angefochtenen Bescheid nicht i.S.v. § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert.
32
Dabei besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit, dass die Beklagte das
einfachgesetzliche Fremdrentenrecht korrekt angewandt hat. Fehler sind insoweit nicht
ersichtlich; der Kläger hält allerdings die von der Beklagten gesetzeskonform
umgesetzten Regelungen für verfassungswidrig.
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Ausweislich seines Antrags geht es ihm dabei um drei Vorschriften:
34
1. § 22b FRG (Begrenzung der EP auf 25 für Singles, 40 für ein Ehepaar - damit 20 EP
beim Kläger)
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2. § 22 Abs. 4 FRG (Vervielfältigung der EP mit dem Faktor 0,6)
36
3. Art. 6 § 4 Abs. 5 FANG
37
Das von der Beklagten fehlerfrei angewandte Fremdrentenrecht ist nach Auffassung des
Senats nicht verfassungswidrig:
38
Zu 1. Nach näherer Maßgabe des § 22b FRG werden für einen Berechtigten höchstens
25 EP der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten zugrunde gelegt (Abs. 1
Satz 1); für Ehegatten werden die EP auf insgesamt 40 begrenzt (Abs. 3 Satz 1).
39
Das Bundessozialgericht (BSG) hat, soweit ersichtlich, bisher in zwei Entscheidungen
(jeweils vom 30.08.2001) zu dieser Vorschrift Stellung genommen. Dabei lässt die
Entscheidung B 4 RA 118/00 R deren Verfassungsmäßigkeit dahinstehen. Die
Entscheidung B 4 RA 87/00 R sieht § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG als verfassungsgemäß an
(Leitsatz 3):
40
Der Gesetzgeber habe mit § 22b FRG eine besondere Sozialrente für Spätaussiedler
geschaffen, die als Fürsorgeleistung nur dem äußeren Anschein nach noch dem System
der gesetzlichen Rentenversicherung zugeordnet sei.
41
Art. 14 GG sei nicht verletzt: Bei Zuzug in die BRD (im entschiedenen Fall genau wie
vorliegend nach dem 07.05.1996 - vgl. Art. 6 § 4b FANG) sei für die betreffende Person
keine eigentumsgeschützte Position ausgestaltet gewesen. Die (im übrigen erst bei
Zuzug gewährte und damit von vornherein kaum i.S. einer Enteignung entziehbare)
Gewährung einer Grundsicherung in Form der Spätaussiedlerrente sei als
Fürsorgeleistung zur elementaren Existenzsicherung keine Eröffnung grundrechtlicher
Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten im Vermögensbereich als
eigentumsgeschützter Position.
42
Eine gleichheitswidrige Benachteiligung (Art. 3 GG) liege ebenfalls nicht vor. Die -
nachhaltige - Ungleichbehandlung gegenüber den bis zum 07.05.1996 Zugezogenen
legitimiere sich in der zukunftsbezogenen Befugnis des Gesetzgebers zu abweichender
Gestaltung und in den besonderen Verhältnissen des jetzt zu behandelnden
Personenkreises. Denn 51 Jahre nach Kriegsende sei die ursprüngliche Zielsetzung
des FRG, gerade einen durch Vertreibung eingetretenen Schaden in der
Alterssicherung auszugleichen, hinfällig. Es sei nicht mehr ersichtlich, dass in den
früheren Vertreibungsgebieten ein deutscher Volkszugehöriger wegen seiner
Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum oder zum deutschen Sprach- und Kulturkreis
einem Vertreibungsdruck ausgesetzt sei, der ihn zur Aufgabe seiner Heimat und seiner
dort erworbenen Anwartschaften für Alter oder Invalidität und zum Zuzug nach
Deutschland zwinge. Der Gesetzgeber sei deshalb nicht gehindert gewesen, die
Alterssicherung für Neuzuzügler durch einen Systemwechsel grundsätzlich anders
auszugestalten als für den von der bisherigen Regelung begünstigten Personenkreis
und damit den Differenzierungsgrund des allenfalls noch lockeren Zusammenhangs des
Zuzugs mit dem Grund der Entschädigung auch in den Rechtsfolgen "abzubilden". Auch
eine sachwidrige Ungleichbehandlung zu Rentnern im Beitrittsgebiet bestehe nicht;
insoweit handele es sich um eine andere Ausgangslage. Denn die Schaffung
einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet nach dem Beitritt habe eine
bundesrechtliche Berücksichtigung bisher innegehabter Anwartschaften und Ansprüche
erfordert, während es im verbleibenden FRG gerade nicht darum gehen könne, früher im
Ausland erworbene "Anwartschaften" zu übernehmen.
43
Art. 116 GG sei nicht verletzt. Denn er bestimme nicht, dass die soziale Sicherung der
einreisenden Volksdeutschen gerade in der gesetzlichen Rentenversicherung und
ferner nach Inhalt und Umfang so zu erfolgen habe, als hätten sie im Inland zu den
Lasten der deutschen Rentenversicherung beigetragen. Die Norm begründe lediglich
einen Status als Deutscher; aus ihr lasse sich keine wie auch immer geartete Pflicht der
deutschen Rentenversicherungsträger zu Leistungen mit Beitragsrelevanz oder etwa
eine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers herleiten, auf Kosten der
Beitragszahler Rechte gegen diese Träger zu schaffen.
44
Aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) ergebe sich schließlich keine
Rechtspflicht zu einem Tätigwerden des Gesetzgebers gerade in der mit der Klage
begehrten Weise. Dessen Vorgaben wären erst verletzt, wenn den Neuzuzüglern nicht
mehr das soziale Sicherungsniveau gegeben würde, das allen anderen gewährleistet
sei, die kein eigenes Vermögen und keine Beiträge zur gesetzlichen
Rentenversicherung im Inland gezahlt oder getragen hätten. Das sei aber nicht der Fall.
45
Denn soweit die Bundesfürsorgerente für Spätaussiedler das Sozialhilfeniveau des
Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) unterschreite, seien Betroffene durch das BSHG
geschützt. Zudem sei die Fürsorgerente so ausgestaltet, dass sie im Einzelfall in der
deutschen Rentenversicherung originär erworbene Rechtspositionen stützen könne
(Kompatibilität).
Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Sofern der Kläger Art. 116 GG (mit
Hinweis auf den Aufsatz von Podlech/Azzola/Dieners, den das BSG bei seiner
Entscheidung berücksichtigt hat) ein weiter reichendes "Integrationsversprechen" mit
der Folge entnehmen will, dass (im Ausland) zurückgelegte Beitrags- und
Beschäftigungszeiten in einem angemessenen Verhältnis zur erbrachten
Lebensarbeitsleistung berücksichtigt werden müssten, so kann der Senat dem nicht
folgen. Das BSG hat die "Spätaussiedlerrente" nach § 22 FRG zu treffend als reine
Fürsorgerente charakterisiert, da bezogen auf die FRG-Zeiten keinerlei Vorleistung des
Rentenbeziehers in die deutsche Rentenversicherung erbracht worden ist. Im Falle
einer fürsorgeweise erbrachten Grundsicherung aber besteht für eine Differenzierung
nach früherer Stellung im Beruf, erbrachter Lebensarbeitsleistung usw. kein Anlass. Im
Übrigen sichert die Sozialhilfe nach dem BSHG im Bedarfsfall den notwendigen
Mindestbedarf, soweit sonstige Fürsorge leistungen wie z.B. die "Spätaussiedlerrente"
diesen Bedarf nicht decken sollten. Es ist jedoch - gerade unter dem Gesichtspunkt der
Gleichbehandlung - nicht einsehbar, dass im Rahmen der Fürsorgerenten für
Spätaussiedler eine Differenzierung mit Rücksicht auf die Lebensarbeitsleistung
zwingend sein soll, wenn z.B. ehemals Selbständige, die durch berufliches Schicksal im
Alter einkommens- und vermögenslos geworden sind, ohne Rücksicht auf ihre
individuellen beruflichen Lebensanstrengungen einheitlich nach dem Bedarf
entsprechend dem BSHG fürsorgemäßig versorgt sind.
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Soweit der Kläger (in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat) mit Blick auf Art. 6
GG eine Verfassungswidrigkeit deshalb annimmt, weil nach § 22 Abs. 3 FRG bei
Ehepaaren insgesamt nur 40 EP zugrunde gelegt werden, so folgt dem der Senat
ebenfalls nicht. Denn auch bei Ehepaaren wird der Mindestbedarf ggf. jedenfalls über
Leistungen nach dem BSHG gedeckt. Eine über diesen Mindestbedarf hinausgehende
fürsorgeweise Versorgung kann jedoch von Verfassungs wegen auch unter dem
Gesichtspunkt des besonderen Schutzes der Ehe nicht gefordert werden.
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Unerfindlich ist dem Senat daneben der Hinweis des Klägers (in der mündlichen
Verhandlung) auf eine Ungleichbehandlung gegenüber einem "STASI-Ehepaar" im
Beitrittsgebiet. Es handelt sich bei Renten, die auf im Beitrittsgebiet erworbenen
Anwartschaften beruhen, und "Spätaussiedlerrenten" i.S.v. § 22 Abs. 1 FRG von
vornherein um nicht vergleichbare Sachverhalte (s.o.). Daran ändert es nichts, wenn ein
Ehepartner im Beitrittsgebiet im Rahmen einer früheren Tätigkeit für das Ministerium für
Staatssicherheit der ehem. DDR Anwartschaften erworben hat.
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Zu 2. Nach § 22 Abs. 4 FRG werden die zur Ermittlung der
Rentenbemessungsgrundlage nach Maßgabe der Abs. 1 - 3 der Vorschrift gebildeten
EP mit dem Faktor 0,6 vervielfältigt. Der Senat lässt dahinstehen, ob angesichts des
Ergebnisses zu 1. eine etwaige Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 4 FRG ohne
Auswirkung bliebe. Denn im Falle des Klägers sind verfassungswidrige Auswirkungen
von § 22 Abs. 4 FRG schon aus anderen Gründen nicht denkbar:
49
Die Rechtsprechung des BSG erscheint zur Frage einer Verfassungswidrigkeit der
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Vorschrift ohnehin nicht einheitlich. Der 5. Senat, auf dessen Urteil (vom 01.12.1999 - B
5 RJ 26/98 R) sich das SG bezogen hat, scheint im Ausland erworbenen
Rechtspositionen für die Alterssicherung von Vornherein nicht in den Schutzbereich des
Art. 14 GG hineinzuziehen, selbst wenn FRG-Zeiten mit hiesigen Beitragszeiten
zusammenfallen. Letztlich hat er die Frage jedoch offengelassen, weil anderenfalls das
Eigentum jedenfalls entsprechend habe beschränkt werden dürfen.
Der 4. Senat des BSG nimmt allerdings bei Zusammentreffen von FRG-Zeiten mit
originären Bundesgebietesbeitragszeiten ein insgesamt eigentumsgeschütztes
Anwartschaftsrecht auf Altersrente an, bei dem die einzelnen rechtlichen Elemente nicht
losgelöst voneinander wie selbständige Rechte oder Ansprüche bewertet werden
könnten. Dementsprechend hat der 4. Senat in mehreren Vorlagebeschlüssen i.S.v. Art.
100 GG (vom 16.12.1999 - B 4 RA 18/99 R, 49/99 R und 49/98 R) § 22 Abs. 4 FRG zur
Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht gestellt. Das Verfassungsgericht
hat hierüber noch nicht entschieden. Damit unterfällt nach Ansicht des 4. Senats auch
ein FRG-Zeiten-Anteil im Versicherungskonto dem Eigentumsschutz. Ob dieser Ansicht
zu folgen ist, kann im Falle des Klägers dahinstehen: Denn auch der 4. Senat des BSG
verzichtet für einen Eigentumsschutz nicht auf einen nicht unerheblichen eigenen
Leistungsanteil in Form von im Bundesgebiet erworbenen Beitragszeiten. Dem Kläger
fehlt jedoch jegliche eigene Beitragsleistung zur deutschen Rentenversicherung; er war
bereits in Russland Altersrentner und hat auch hier nach Zuzug unmittelbar Altersrente
beantragt. Jedenfalls in solchen Fällen besteht für verfassungswidrige Auswirkungen
des § 22 Abs. 4 FRG auch nach Ansicht des entscheidenden Senats kein Anhaltspunkt.
51
3. Soweit der Kläger eine Verfassungswidrigkeit des Art. 6 § 4 Abs. 5 FANG rügt, ist
dem Senat nicht ersichtlich, welche Bedeutung diese Norm für seinen Rentenanspruch
haben soll: Sie regelt bestimmte Fälle der Berücksichtigung in Polen zurückgelegter
Zeiten. Der Kläger stammt jedoch nicht aus Polen.
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Möglicherweise wendet er sich gegen Art. 6 § 4c FANG. Danach ist für Berechtigte, die
vor dem 07.05.1996 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland
genommen haben, für die Berechnung der Rente u.a. § 22 Abs. 4 FRG in der ab dem
01.01.1992 geltenden Fassung anzuwenden. Der Kläger fällt wegen späteren Zuzugs in
die Bundesrepublik nicht unter diese begünstigende Stichtagsregelung. Die Vorschrift
begegnet jedoch aus den gleichen Gründen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken,
aus dem auch Art. 6 § 4b FANG keinen Bedenken begegnet (siehe oben zu 1.).
53
Sind verfassungswidrige Auswirkungen des Fremdrentenrechts im Falle des Klägers
unter keinem Gesichtspunkt vorhanden, kommt die hilfsweise beantragte Vorlage zur
Normenkontrolle an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 GG nicht in Betracht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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Anlass zur Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG besteht nicht. Der Senat
weicht insbesondere nicht von einer höchstrichterlichen Entscheidung i.S.v. § 160 Abs.
2 Nr. 2 SGG ab. Grundsätzliche Rechtsfragen i.S.v. Nr. 1 der Vorschrift stellen sich nicht,
da das BSG zu allen verfassungsrechtlichen Erwägungen bereits Stellung genommen
hat.
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