Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 31.08.1999

LSG NRW: wirtschaftliche leistungsfähigkeit, beitragsbemessung, bemessung der beiträge, beendigung, satzung, freiwillige versicherung, kündigungsfrist, behandlung, arbeitsentgelt, altersrente

Landessozialgericht NRW, L 5 KR 52/99
Datum:
31.08.1999
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 5 KR 52/99
Vorinstanz:
Sozialgericht Dortmund, S 8 Kr 138/98
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts
Dortmund vom 23.04.1999 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom
04.09.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.1998
wird insoweit aufgehoben, als für die Monate April 1997 bis
einschließlich August 1997 jeweils ein über einen Betrag von 172,22
DM hinausgehender Monatsbeitrag zur freiwilligen Krankenversicherung
erhoben wird. Die Beklagte trägt die Kosten des Klägers für beide
Rechtszüge. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten nach Teilrücknahme der Klage nur noch um die Höhe der
Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung vom 01.04. bis 31.08.1997.
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Der am ... geborene Kläger traf mit seinem ehemaligen Arbeitgeber der Fa ... St. GmbH
unter dem 18.11.1996 folgende Aufhebungsvereinbarung: "1. Das zwischen der Firma
und dem Mitarbeiter bestehende Arbeitsverhältnis wird auf Veranlassung der Firma im
beiderseitigen Einvernehmen zum 31.03.1997 beendet, da sonst aus betrieblichen
Gründen eine Kündigung durch den Arbeitgeber hätte erfolgen müssen. 2. Der
Mitarbeiter erhält eine Abfindung gemäß §§ 9 und 10 KSchG unter Beachtung von § 3
Ziff. 9 EStG in Höhe von 23.800,-- DM ... 4. Mit Erfüllung dieser
Aufhebungsvereinbarung sind alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis
erloschen."
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Das Arbeitsverhältnis des Klägers fand vereinbarungsgemäß sein Ende. Für die Zeit
vom 01.04. bis 31.08.1997 beantragte der Kläger, der von 1979 bis zum 31.03.1997 bei
der Beklagten pflichtversichert war, die Mitgliedschaft in der freiwilligen
Krankenversicherung ohne Anspruch auf Krankengeld sowie die Mitgliedschaft in der
Pflegeversicherung. Seit dem 01.09.1997 bezieht der Kläger Altersrente für
Schwerbehinderte.
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Mit Bescheid vom 04.09.1997 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sie die freiwillige
Versicherung vom 01.04.1997 an durchführe. Für die Zeit vom 01.04. bis 31.08.1997
werde zur Beitragsbemessung die vom ehemaligen Arbeitgeber des Klägers gezahlte
Abfindung zugrunde gelegt, so daß man zu einem Monatsbeitrag in Höhe von 558,90
DM einschließlich der Pflegeversicherung gelange. Ab 01.09.1997 erfolge eine
Neueinstufung der freiwilligen Versicherung. Ab diesem Zeitpunkt werde die monatliche
Rente und etwaige sonstige Einkünfte des Klägers der Beitragsberechnung zugrunde
gelegt. Eine arbeitgeberseitige Abfindungszahlung gehöre grundsätzlich zum
steuerpflichtigen bzw. sozialversicherungspflichtigen Arbeitslohn, weil sie nach § 19
Abs. 1 EStG zu den Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit zähle. Eine Abfindung
wegen Auflösung eines Arbeitsverhältnisses sei jedoch nach § 3 Nr. 9 EStG
grundsätzlich bis zu 24.000,-- DM steuer- und beitragsfrei. Aufgrund des
Arbeitsverhältnisses des Klägers mit seinem ehemaligen Arbeitgeber seien aus der
Abfindung für die Zeit der Pflichtmitgliedschaft bis zum 31.03.1997 auch keine Beiträge
berechnet worden. Nach § 240 SGB V werde die Beitragsbemessung für freiwillig
Versicherte durch die Satzung geregelt. Dabei sei sicherzustellen, daß die
Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen
Mitglieds berücksichtige. Der Begriff der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sei im
Gesetz nicht näher geregelt. In der Begründung des Entwurfs eines
Gesundheitsreformgesetzes werde dieser Begriff wie folgt beschrieben: "Bei der
Beitragsgestaltung ist die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds zu
berücksichtigen, d.h. alle Einnahmen und Geldmittel, die das Mitglied zum
Lebensunterhalt verbraucht und verbrauchen könnte, sind ohne Rücksicht auf ihre
steuerliche Behandlung der Beitragsbemessung zugrunde zu legen." Zu den
Einnahmen zum Lebensunterhalt gehöre auch eine Abfindung, die zwecks Auflösung
eines Arbeitsverhältnisses gezahlt worden sei. Im Gegensatz zu den beitragspflichtigen
Einnahmen von Arbeitnehmern würden Abfindungen zwecks Auflösung von
Arbeitsverhältnissen als Einnahmen bei der Bemessung der Beiträge zur freiwilligen
Versicherung daher zugrunde gelegt. Diese Auffassung stütze man auch auf die Urteile
des Bundessozialgeichts vom 28.04.1987, Az. 12 RK 50/85, und vom 23.02.1988, Az.
12 RK 34/86.
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Am 15.09.1997 erhob der Kläger mit der Begründung Widerspruch, hätte er die
Aufhebungsvereinbarung mit seinem Arbeitgeber nicht unterzeichnet, so hätte der
Arbeitgeber ansonsten eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen. Die gezahlte
Abfindung enthalte keinerlei Arbeitsentgelt, sondern sei in voller Höhe als Ausgleich für
den Verlust seines Arbeitsplatzes und den Wegfall künftiger Verdienstmöglichkeiten
gezahlt worden. Die von der Beklagten erwähnten Urteile des Bundessozialgerichts
seien auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, da in diesen Urteilen davon
ausgegangen worden sei, daß in den Abfindungen Arbeitsentgelte enthalten seien.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.1998 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Zur Begründung führte sie aus, bei der Bemessung von Beiträgen zur freiwilligen
Versicherung sei die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Mitglieds zu
berücksichtigen. Grundsätzlich seien hierbei alle Einnahmen zum Lebensunterhalt
zugrunde zu legen. Der Begriff der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sei
nicht unbedingt mit dem der Einnahmen zum Lebensunterhalt identisch. Inhaltlich stehe
er ihm aber zumindest nahe. Umfangreiche Rechtsprechung zum Begriff der Einnahmen
zum Lebensunterhalt und die Feststellung der beitragspflichtigen Einnahmen nach
einheitlichen Kriterien bei allen Krankenkassen habe die Spitzenverbände der
Krankenkassen dazu bewogen, in dem Gemeinsamen Rundschreiben vom 29.03.1995
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zu beschreiben, welche Einnahmen letztendlich als Einnahmen zum Lebensunterhalt zu
berücksichtigen seien. In diesem Rundschreiben sei die Einkunftsart "Abfindung bei
Beendigung des Arbeitsverhältnisses" als Einnahme zum Lebensunterhalt aufgelistet.
Im übrigen sei die Satzung der Beklagten u.a. unter Berücksichtigung der Grundsätze
des § 240 SGB V erstellt worden. In § 17 Nr. 1 dieser Satzung heiße es: "Die Beiträge
freiwilliger Mitglieder sind nach den beitragspflichtigen Einnahmen zu bemessen.
Hierzu gehören das Arbeitsentgelt sowie alle anderen Einnahmen, die für den
Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden könnten, ohne Rücksicht
auf ihre steuerliche Behandlung." Diese Satzungsbestimmung entspreche in
Verbindung mit § 240 SGB V geltendem Recht. Auch wenn die Abfindung als
Einmalzahlung geleistet worden sei, wirke sie sich wirtschaftlich nicht anders aus, als
wenn sie in monatlichen Teilbeträgen ausgezahlt worden wäre. Die Zweckbestimmung
der Abfindung, die Bestreitung des Lebensunterhaltes über einen längeren Zeitraum,
werde durch die Einmalzahlung nicht aufgehoben. Man habe von dem
Abfindungsbetrag in Höhe von insgesamt 23.800,-- DM einen Beitragszuschuß zur
freiwilligen Krankenversicherung und Pflegeversicherung des ehemaligen Arbeitgebers
in Abzug gebracht. Ein Fünftel der gerundeten Differenz in Höhe von 21.000,-- DM
betrage 4.200,-- DM. Diesen Betrag habe man für die Zeit vom 01.04. bis 31.08.1997 der
monatlichen Beitragsbemessung zugrunde gelegt. Nach § 17 Abs. 4 der Satzung der
Beklagten seien die Monatsbezüge in Höhe von 4.200,-- DM der Beitragsklasse mit dem
Mittelwert 4.050,-- DM zu zuordnen. Bei einem Beitragssatz von 12,1 v.H. zur
Krankenversicherung (ermäßigter Beitragssatz ohne Krankengeldanspruch) und 1,7
v.H. zur Pflegeversicherung ergebe sich ein Monatsbeitrag zur Krankenversicherung in
Höhe von 490,05 DM und ein solcher zur Pflegeversicherung in Höhe von 68,85 DM.
Am 11.05.1998 hat der Kläger mit der ergänzenden Begründung Klage erhoben, aus §
240 Abs. 2 SGB V ergebe sich neben einer Mindestbeitragsgrenze auch ein
Wertungshinweis. Zwar solle bei der Beitragsbemessung die gesamte
Leistungsfähigkeit eines freiwilligen Mitglieds berücksichtigt werden. Abfindungen
gehörten aber nicht zu den Leistungen, die für den Lebensunterhalt frei zur Verfügung
gestellt würden. Vielmehr seien sie zweckbestimmte Leistungen, die aus
sozialpolitischen Gründen wegen eines Ausgleichs für vorhandene Defizite gezahlt
würden. Abfindungen errechneten sich nicht mit Rücksicht auf eine künftige
Arbeitslosigkeit, sondern den "erdienten" Bestandsschutz. Das Risiko zukünftiger
Arbeitslosigkeit werde durch die Arbeitslosenversicherung abgedeckt.
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Nachdem der Kläger im Hinblick auf eine künftige Unterwerfung der Beklagten unter
den rechtskräftigen Ausgang des Verfahrens wegen der Beiträge zur freiwilligen
Krankenversicherung die Klage wegen der Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung
zurückgenommen hatte, hat das Sozialgericht mit Urteil vom 23.04.1999 die Klage
abgewiesen. Zur Begründung führte es aus, daß es sich bei der Abfindung um ein
Entgelt gehandelt habe, das der Kläger zur Sicherstellung seines Lebensunterhalts
habe nutzen können. Angesichts der weiten Fassung von § 17 Abs. 1 Satz 2 der
Satzung der Beklagten, wonach zu den beitragspflichtigen Einnahmen alle Einnahmen
gehörten, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden
könnten, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung, habe man Bedenken, sich im
vorliegenden Falle dem von der Beklagten erwähnten Urteil des Bundessozialgerichts
vom 28.04.1987 zu folgen, wonach allein der sogenannte Entgeltanteil einer Abfindung
im Gegensatz zum sogenannten Sozialanteil bei der Bemessung von freiwilligen
Beiträgen zur Krankenversicherung zugrunde gelegt werden solle. Im vorliegenden
Falle sei angesichts der beruflichen und sozialen Gesamtumstände nicht ersichtlich,
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welcher sogenannte Sozialanteil über den sogenannten Entgeltanteil der Abfindung
hinaus überhaupt in Betracht kommen solle. Der vom Kläger geltend gemachte Wegfall
künftiger Verdienstmöglichkeiten sei nur geringfügigen Ausmaßes, berücksichtige man
das Lebensalters des Klägers sowie den Umstand, daß bereits zum 01.09.1997 die
Altersrente für Schwerbehinderte in Anspruch genommen worden sei. Hinzu komme,
daß der Kläger nach seiner eigenen Angabe im Verhandlungstermin bei seinem
ehemaligen Arbeitgeber ein monatliches Entgelt von ca. 5.500,-- bis 5.600,-- DM erzielt
habe. Der Gesamtabfindungsbetrag von 23.800,-- DM mache danach nur unwesentlich
mehr als vier Monatslöhne aus. Im übrigen müsse berücksichtigt werden, daß bei dem
Kläger ebenfalls nach seiner eigenen Angabe ein GdB von 80 festgestellt sei. Hätte sein
Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der maßgebenden Kündigungsfrist nur mit
Zustimmung der Hauptfürsorgestelle gekündigt werden können, so stehe zur
Überzeugung der Kammer fest, daß in dem Abfindungsbetrag ausschließlich
Arbeitsentgelt zu erblicken sei.
Gegen das ihm am 01.06.1999 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16.06.1999 Berufung
eingelegt. Zur Begründung wird nunmehr vorgetragen, wenn man das erwähnte Urteil
des Bundessozialgerichts vom 28.04.1987 der Beurteilung des vorliegenden Falles
zugrunde legen würde, so dürfe auf keinen Fall der gesamte Abfindungsbetrag
umgelegt werden. Es sei lediglich der Entgeltanteil einer Abfindung unter dem
Gesichtspunkt, daß er dem Lebensunterhalt zu dienen bestimmt sei, bei der
Beitragsbemessung zugrunde zu legen. Dabei sei zu berücksichtigen, daß das von der
Beklagten in Bezug genommene Urteil des Bundessozialgerichts ohnehin nur auf die
Fälle anwendbar sei, in denen der Tatbestand des § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG, wonach
ein Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des
Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden sein müsse, vorliege. Diese
Voraussetzung sei im vorliegenden Falle gerade nicht erfüllt. Selbst wenn man diese
Auffassung jedoch vertreten wolle, so ruhte der Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß §
117 Abs. 2 Satz 1 AFG nur von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tage,
an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte, wobei zusätzlich
die Ruhensbegrenzungsregelung nach § 117 Abs. 3 AFG zu berücksichtigen wäre.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 23.04.1999 zu ändern und den Bescheid
vom 04.09.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.1998 insoweit
aufzuheben, als für die Monate April bis einschließlich August 1997 jeweils ein über
einen Monatsbetrag von 172,22 DM hinausgehender Beitrag zur freiwilligen
Krankenversicherung erhoben wird.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das erstinstanzliche Urteil im Ergebnis für zutreffend.
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Mittels der Abfindung sei relativ exakt das Entgelt für denjenigen Zeitraum gezahlt
worden, der bis zum Beginn der Altersrente für Schwerbehinderte des Klägers noch
verblieben sei. Im übrigen sei die Abfindungsregelung nicht durch einen
arbeitsgerichtlichen Vergleich zustande gekommen, so daß es sich ohnehin nicht um
eine Abfindung im Sinne der §§ 9 ff. KSchG handele.
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Das Gericht hat eine schriftliche Auskunft der Fa. F. St. GmbH eingeholt. Auf diese
Auskunft vom 18.08.1999 wird genauso Bezug genommen wie auf den seitens der Fa.
F. St. GmbH beigezogenen Auszug aus dem für deren Arbeitsverhältnis mit dem Kläger
maßgebenden Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in
der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom
29.02.1988 in der Fassung vom 06.05./19.06.1990 unter Berücksichtigung der
Änderungstarifverträge vom 15.03. und 31.08.1994. Schließlich wird Bezug genommen
auf das beigezogene Zeugnis, das die Fa. F. St. GmbH unter dem 16.12.1996 im Falle
des Klägers ausgestellt hat.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten
wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide waren insoweit
rechtswidrig, als für die Monate April bis einschließlich August 1997 jeweils ein über
einen Monatsbeitrag in Höhe von 172,22 DM (= Mindestbeitrag im Sinne von § 240 Abs.
4 Satz 1 SGB V) hinausgehender Beitrag zur freiwilligen Krankenversicherung erhoben
wurde. Zu Unrecht legte die Beklagte bei der Beitragsbemessung die Abfindung nach
Herausrechnung eines Beitragszuschusses in vollem Umfange zugrunde.
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Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V wird die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder
durch die Satzung einer Krankenkasse geregelt. Dabei ist § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V
zufolge sicherzustellen, daß die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt. Was die satzungsrechtliche
Regelung im übrigen betrifft, so wird kraft § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V, wonach die
Satzung der Krankenkasse mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds zu
berücksichtigen hat, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten
der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind, und im Rahmen der Vorschriften nach
den Absätzen 2 Satz 2 und 3 bis 4 a des § 240 SGB V ein Regelungsspielraum
zugunsten der Krankenkasse eröffnet. Dabei stellt die Pflicht zur Berücksichtigung der
gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gegenüber der rein einnahmeorientierten
Beitragsbemessung nach altem Recht gemäß § 180 Abs. 4 RVO insofern eine
Neuerung dar, als die Beitragsbemessung nunmehr als leistungsfähigkeitsbezogen zu
bezeichnen ist. Gleichwohl darf deswegen nicht auf die Zulässigkeit einer von
Einnahmen der freiwillig Versicherten gänzlich losgelösten, rein vermögensbezogenen
Beitragsbemessung geschlossen werden. Vielmehr bleiben die Einnahmen der
Ausgangspunkt. Das folgt außer aus § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V aus dem auch für
freiwillige Mitglieder geltenden § 223 Abs. 2 Satz 1, wonach die Beiträge nach den
beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder zu bemessen sind. Vor diesem
systematischen Hintergrund übt die Berücksichtigung der gesamten wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit die Funktion eines Korrektivs einer ausschließlich
einnahmeorientierten Beitragsbemessung aus. Diese Korrektur kann in zwei
Richtungen erfolgen: Einmal daß vorhandene Einnahmen außer acht bleiben, weil sie
die Leistungsfähigkeit nicht erhöhen - z.B. bestimmte Sozialleistungen wie etwa
laufende Leistungen der Sozialhilfe (BSGE, 56, 101), der Mehrbedarf nach § 23 Abs. 1
Nr. 2 BSHG sowie ein vom Sozialhilfeträger übernommener
Krankenversicherungsbeitrag (BSGE 64, 100), die Witwen-Grundrente nach dem BVG
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(BSG SozR 2200 § 180 Nr. 8) -. Zum anderen daß über nachgewiesene Einnahmen
hinaus für die Beitragsbemessung von höheren Einnahmen ausgegangen wird (vgl.
zum Ganzen ebenso Peters, in: Kasseler Kommentar § 240 SGB V Rdnr. 18). Soweit
das Bundessozialgericht zum früheren Recht zweckbestimmte Sozialleistungen - wie
bereits beispielsweise erwähnt - nicht zu den damaligen Einnahmen zum
Lebensunterhalt gerechnet hatte, so gelten solche Leistungen auch weiterhin nicht als
beitragspflichtige Einnahmen, weil sie nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
erhöhen, sondern aus sozialpolitischen Gründen lediglich vorhandene Defizite
ausgleichen. Dasselbe gilt für die Behandlung von Abfindungen aus Anlaß der
Beendigung von Arbeitsverhältnissen (vgl. wohl ebenso Peters, a.a.O., Rdnr. 21).
Einerseits bestand im vorliegenden Falle keine Mindestberücksichtigungspflicht der
Beklagten im Sinne von § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Die streitbefangene Abfindung
wäre nämlich bei einem dem Kläger vergleichbaren versicherungspflichtig
Beschäftigten der Beitragsbemessung nicht zugrunde zu legen gewesen, weil sie als
Entschädigung für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt worden
ist und sich daher der zeitlich vorangegangenen versicherungspflichtigen Beschäftigung
nicht zuordnen läßt (vgl. ebenso BSG, Urteil vom 21.02.1990, Az. 12 RK 20/88 = SozR
3-2400 § 14 Nr. 2).
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Andererseits hat die Beklagte von ihrem Regelungsspielraum dahin Gebrauch gemacht,
daß sie in § 17 Abs. 1 Satz 2 ihrer Satzung die Begrifflichkeit des bis Ende 1988
geltenden § 180 Abs. 4 RVO in einer nur unwesentlich abgewandelten sprachlichen
Fassung fortschrieb, indem sie das gesetzliche Tatbestandsmerkmal "sonstige
Einnahmen zum Lebensunterhalt" in die inhaltlich entsprechende satzungsrechtliche
Gestalt der "anderen Einnahmen, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder
verbraucht werden könnten, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung"
übernahm. Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist es sachgerecht, die als ständig zu
bezeichnende höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur
Beitragspflichtigkeit einer lohnsteuerfreien Abfindung im Rahmen der freiwilligen
Krankenversicherung nach Maßgabe von § 180 Abs. 4 RVO in der bis zum 31.12.1988
geltenden Fassung (vgl. Urteile des BSG vom 28.04.1987, Az. 12 RK 50/85 = SozR
2200 § 180 Nr. 36, 23.02.1988, Az. 12 RK 34/86 = SozR 2200 § 180 Nr. 39, und
21.02.1990, Az. 12 RK 15/89 = USK 9093) bei der Lösung des vorliegenden Falles
zugrunde zu legen.
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Nach dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung ist in Anlehnung an die Regelung von
§ 117 Abs. 2 AFG zwischen einem beitragspflichtigen "Arbeitsentgelt" und einem
beitragsfreien "sozialen Anteil" zu unterscheiden. Zwar wurde § 117 Abs. 2 bis 3 a AFG
mit Wirkung vom 01.04.1997 aufgehoben und durch eine inhaltlich anders gestaltete
Regelung in § 115 a AFG ersetzt. Auf den vorliegenden Fall ist § 117 AFG aber noch in
der Fassung vom 31.03.1997 anzuwenden, da § 115 a AFG erst am 01.04.1997 in Kraft
getreten ist, während der Anspruch des Klägers auf die streitbefangene Abfindung
bereits mit Abschluß des Aufhebungsvertrages am 18.11.1996 entstand.
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Hat der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung,
Entschädigung oder ähnliche Leistung erhalten oder zu beanspruchen und ist das
Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des
Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden, so ruht der Anspruch auf
Arbeitslosengeld von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tage, an dem
das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte, § 117 Abs. 2 Satz 1
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AFG. Diese Frist beginnt mit der Kündigung, die der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses vorausgegangen ist, bei Fehlen einer solchen Kündigung mit dem
Tage der Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, § 117 Abs. 2
Satz 2 AFG. Dabei dient der beitragspflichtige Arbeitsentgeltanteil im Sinne der
erwähnten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der Abgeltung des vorzeitig (vor
dem Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist) eingetretenen Wegfalls des
Arbeitsentgeltes.
Eine darüber hinaus gezahlte Abfindung stellt als beitragsfreier sozialer Anteil eine
Entschädigung für den Verlust sozialer Besitzstände, insbesondere des Arbeitsplatzes
dar.
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Überträgt man diese höchstrichterlichen Kriterien auf den vorliegenden Fall, so zeigt
sich, daß ein Ruhen im Sinne von § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG nicht eingetreten ist,
weswegen es an einem beitragspflichtigen Arbeitsentgeltanteil der streitbefangenen
Abfindung mangelt. Bei einer hypothetischen Kündigungserklärung am 18.11.1996 (=
Tag der Vereinbarung des Aufhebungsvertrages) wäre die für das Arbeitsverhältnis des
Klägers maßgebende viermonatige Kündigungsfrist mit Ablauf des 31.03.1997
verstrichen, so daß das Arbeitsverhältnis zu demselben Zeitpunkt sein Ende gefunden
hätte wie im vorliegenden Falle. Im Zusammenhang mit der einschlägigen
Kündigungsfrist gemäß § 20 Nr. 3, 4. Variante des Manteltarifvertrages für die Arbeiter,
Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und
Zentralheizungsindustrie vom 29.02.1988 in der Fassung vom 06.05./19.06.1990 unter
Berücksichtigung der Änderungsverträge vom 15.03. und 31.08.1994 (= vier Monate
zum Ende eines Kalendermonats nach einer Betriebszugehörigkeit von 10 bis unter 12
Jahren) bedarf es der klarstellenden Anmerkung, daß der Kläger dem Betrieb seines
Arbeitgebers seit dem 01.11.1985 zugehörte und somit zum Zeitpunkt der
hypothetischen Kündigungserklärung am 18.11.1996 erst auf eine 11-jährige
Betriebszugehörigkeit zurückblicken konnte.
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Zu Unrecht hat sich das Sozialgericht auf den Standpunkt gestellt, eine hypothetische
Kündigung sei immerhin als problematisch mit Rücksicht auf die
Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers anzusehen. Dabei hat es § 19 Abs. 1
SchwbG unberücksichtigt gelassen. Nach dieser gesetzlichen Vorschrift hat die
Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zu erteilen bei Kündigungen in Betrieben und
Dienststellen, die nicht nur vorübergehend eingestellt oder aufgelöst werden, wenn
zwischen dem Tage der Kündigung und dem Tage, bis zu dem Gehalt oder Lohn
gezahlt wird, mindestens drei Monate liegen, § 19 Abs. 1 Satz 1 SchwbG. Unter der
gleichen Voraussetzung soll sie die Zustimmung auch bei Kündigungen in Betrieben
und Dienststellen erteilen, die nicht nur vorübergehend wesentlich eingeschränkt
werden, wenn die Gesamtzahl der verbleibenden Schwerbehinderten zur Erfüllung der
Verpflichtung nach § 5 ausreicht, § 19 Abs. 1 Satz 2 SchwbG. Zum einen ist in diesem
Zusammenhang zu berücksichtigen, daß der Fuhrpark, in dem der Kläger beschäftigt
war, ausweislich des Arbeitszeugnisses vom 16.12.1996 bereits per 01.01.1997
aufgegeben wurde. Deswegen lag eine nicht nur vorübergehende wesentliche
Betriebseinschränkung im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 2 SchwbG vor. Zum anderen
wäre auch die Dreimonatsfrist im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 1 SchwbG zwischen
hypothetischer Kündigungserklärung am 18.11.1996 und Beendigung der Lohnzahlung
per 31.03.1997 gewahrt worden, so daß von einer Zustimmung der Hauptfürsorgestelle
sehr wohl auszugehen gewesen wäre.
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Der Senat vermag die Bewertung des Sozialgerichts, bei der Abfindung handele es sich
deshalb gänzlich um beitragspflichtiges Arbeitsentgelt, weil der Kläger fünf Monate nach
Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum frühestmöglichen Zeitpunkt die Altersrente
für Schwerbehinderte in Anspruch nahm, nicht zu teilen. Ungeachtet dessen galt es,
durch die Abfindung den Verlust des sozialen Besitzstandes des Klägers zu
entschädigen. Hierfür ist nämlich bedeutsam, daß der Kläger sehr wohl auch die
Freiheit gehabt hätte, bis spätestens zur Vollendung des 65. Lebensjahres bzw. bis zum
Beginn der Regelaltersrente in dem auf diesen Zeitpunkt folgenden Kalendermonat
durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung weitere rentensteigernde
Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung zu erwerben.
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Nach alledem ist es entgegen der von der Beklagten in der Berufungserwiderung
vertretenen Auffassung unerheblich, daß es sich bei der zwischen dem Kläger und
seinem ehemaligen Arbeitgeber getroffenen Abfindungsregelung vom 18.11.1996 nicht
um einen arbeitsgerichtlichen Vergleich handelt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
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Die Zulassung der Revision folgt aus § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Die vom Senat zu
beantwortende Rechtsfrage, ob und inwieweit Abfindungen zwecks Beendigung von
Arbeitsverhältnissen bei der Beitragsbemessung im Rahmen der freiwilligen
Krankenversicherung nach den ab dem 01.01.1989 geltenden gesetzlichen Vorschriften
zu berücksichtigen sind, ist bislang höchstrichterlich noch nicht geklärt und hat
grundsätzliche Bedeutung.
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