Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.07.2007

LSG NRW: ausbildung, erwerbstätigkeit, härtefall, zwang, unterbrechung, niedersachsen, krankheit, hessen, unmöglichkeit, meinung

Landessozialgericht NRW, L 19 B 68/07 AS
Datum:
23.07.2007
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 19 B 68/07 AS
Vorinstanz:
Sozialgericht Gelsenkirchen, S 20 AS 281/06
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts
Gelsenkirchen vom 10.04.2007 wird zurückgewiesen. Kosten des
Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
1
Der Kläger hat zum Wintersemester 2002/2003 an der Universität E das Studium
Lehramt Primarstufe mit den Fächern Deutsch, Mathematik und Religion aufgenommen.
Er beabsichtigt, im Sommersemester 2008 das Examen abzulegen. Im September 2006
beantragte er bei der Beklagten Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil das Studium nach
dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) förderungsfähig sei und ein
besonderer Härtefall, der ausnahmsweise die darlehensweise Gewährung von
Grundsicherungsleistungen rechtfertigen könne, nicht vorliege (Bescheid vom
24.10.2006; Widerspruchsbescheid vom 20.11.2006).
2
Dagegen hat der Kläger am 07.12.2006 vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen
Klage erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Er hat geltend
gemacht, dass Leistungen nach dem BAföG nicht bewilligt worden seien. Er habe in den
vergangenen vier Jahren mindestens 15 Stunden pro Woche gearbeitet. Da er diese
Arbeit neben dem Studium ausgeübt habe, habe er das Studium nicht in der Weise
betreiben können, wie er es ohne die Erwerbstätigkeit hätte verfolgen können. Er hat
des Weiteren auf sein Widerspruchsvorbringen verwiesen, wonach er sein Studium im
Sommersemester 2008 abschließen müsse, weil andernfalls der Studiengang nicht
mehr in derselben Weise abgeschlossen werden könne und ein Großteil des Studiums
hinfällig werde.
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Mit Beschluss vom 10.0.42007 hat das SG die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
abgelehnt, weil die Beklagte zutreffend das Vorliegen eines Härtefalls verneint habe.
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Die dagegen gerichtete Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
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Die Klage bietet nicht die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche
hinreichende Erfolgsaussicht (§ 73 Sozialgerichtsgesetz -SGG - iVm § 114 ZPO -
Zivilprozessordnung -).
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Zwar sind die Voraussetzungen für die Annahme eines besonderen Härtefalls nach § 7
Abs. 5 S. 2 SGB II bisher höchstrichterlich noch nicht geklärt (vgl. anhängige Revisionen
zu B 7b AS 28/06 R und B 7b AS 36/06 R). Dies gebietet gleichwohl nicht die
Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Auch wenn die Rechtsfrage noch nicht
höchstrichterlich geklärt ist, ist die Ablehnung der Prozesskostenhilfe gerechtfertigt,
wenn die Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf von
bereits vorliegender Rechtsprechung bereitgestellten Auslegungshilfen ohne
Schwierigkeiten zu beantworten ist (vgl. BVerfG, NVwZ 2006, 1156, 1157 m.w.N.). Dies
ist hier der Fall in dem Sinne, dass die Voraussetzungen eines Härtefalls im Sinne des
§ 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II nicht erfüllt sind.
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Zu der inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 26 Bundessozialhilfegesetz (BSHG)
hat bereits das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden, dass allein die
Förderungsfähigkeit durch das BAföG maßgeblich für den grundsätzlichen Ausschluss
von Leistungen ist (vgl. Beschl. v. 13.05.1993 - 5 B 82/92 = ZfS 1993, 274). Das Studium
des Klägers ist nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BAföG förderungsfähig, auch wenn der Antrag
des Klägers auf entsprechende Leistungen nach diesen Gesetz zwischenzeitlich
abgelehnt worden ist, was zwischen den Beteiligen auch nicht streitig ist. Diese
grundsätzliche Förderbarkeit schließt auch nach § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II den Anspruch
auf Grundsicherungsleistungen dem Grunde nach aus (Urt. des Senats v. 23.04.2007 - L
19 AS 40/06).
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Einen Härtefall im Sinne des § 26 Satz 1 BSHG hat das BVerwG nur angenommen,
"wenn die Folgen des Ausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit
der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden und vom
Gesetzgeber in Kauf genommen worden ist" (BVerwGE 94, 224, 228). Diese
Entscheidung hat allerdings schon in der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte
(OVGe) Kritik erfahren, die eine typisierende Betrachtungsweise nach besonderen
Fallgruppen für notwendig erachtet hat (vgl. die Nachweise bei Spellbrink in
Eicher/Spellbrink, SGB II, § 7 Rn 47). Aber auch nach letzterer Auffassung, die nach
überwiegender Meinung bei der Auslegung des § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II Anwendung
finden soll (vgl. Brühl/Schoch in LPK - SGB II, 2. Aufl., § 7 Rn 102; Valgolio in
Hauck/Noftz, SGB II, § 7 Rn 94; wohl auch Spellbrink a.a.O.; a.A. Hörder in juris PK-
SGB II § 7 Rn 49), sind nur solche Gesichtspunkte herangezogen worden, die beim
Kläger nicht vorliegen.
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Hierzu zählen der unverschuldete Abbruch früherer Ausbildung (LSG Niedersachsen-
Bremen, FEVS 50/511), die Unterbrechung der Ausbildung wegen Krankheit (LSG
Hamburg Beschl. v. 20.06.2005 - L 61 AS 472/05 ER), die Ausübung einer
Pflegetätigkeit (Valgolio a.a.O. Rn 95); kurze Restdauer der Ausbildung (LSG Sachsen-
Anhalt, NZS 2006, 161; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 05.07.2006 - L 10 AS 545/06),
der Wegfall einer zuvor gesicherten finanziellen Grundlage (LSG Hessen NDV-RD
2005, 102), Unmöglichkeit der Erzielung von Erwerbseinkommen trotz Aufgabe des
Studiums (OVG Lüneburg info also 1996, 137, 138, die begonnene Ausbildung als
einzige realistische Chance auf Zugang zum Erwerbsleben (LSG Berlin-Brandenburg
Urt. v. 05.07.2006 - L 10 AS 545/06), Zwang zum Abbruch der Ausbildung zwecks
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Erhalts von Sicherungsleistungen bei Alleiner-ziehenden (OVG Saarland info also
2002, 173, 175) oder sonstige Gründe, die eine Erwerbstätigkeit neben der Ausbildung
unzumutbar machen (Brühl/Schoch a.a.O.), sowie der nicht rechtzeitig erteilte Bescheid
über den bestehenden Anspruch auf BAföG (Brühl/Schoch a.a.O.). Solche oder
vergleichbare Verhältnisse sind jedoch beim Kläger nicht gegeben.
Seine vor Antragstellung ausgeübte Erwerbstätigkeit beruhte auf einem befristeten
Arbeitsvertrag, so dass die Erwerbsquelle nicht überraschend für ihn fortgefallen ist. Er
hat auch nicht schlüssig vorgetragen, dass ihm eine Erwerbstätigkeit neben dem
Studium nicht mehr zumutbar ist, zumal er im April 2007 einer solchen wieder
nachgegangen ist. Schließlich ist das Studium auch noch nicht soweit fortgeschritten,
dass dessen Abbruch als unverhältnismäßig hart angesehen werden müsste, da er im
Zeitpunkt der Antragstellung noch weit mehr als ein Jahr vom Studienabschluss entfernt
gewesen ist und nach dem vorgelegten Studienverlaufsplan noch erhebliche Teile des
Studiums zu absolvieren sind.
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Sonstige Umstände, die einen Härtefall im Sinne des § 5 Abs. 7 S. 2 SGB II begründen
könnten, sind nicht ersichtlich, so dass trotz der revisionsgerichtlich anhängigen
Verfahren (siehe oben) die Erfolgsaussichten des Klagebegehrens im Sinne des § 114
ZPO zu verneinen sind.
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Dies gilt auch im Hinblick auf die zum 01.01.2007 in Kraft getretene Regelung des § 22
Abs. 7 SGB II (Gesetz vom 20.07.2006 - BGBl. I S. 1706), weil der Kläger, wie das SG
zu Recht ausgeführt hat, nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis zählt (vgl.
Berlit in LPK-SGB II,2. Aufl., § 22 Rn 127).
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Die Beschwerde war daher mit der auf einer entsprechenden Anwendung des § 127
Abs. 4 ZPO beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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