Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 30.11.2009

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Landessozialgericht NRW, L 16 B 5/09 KR
Datum:
30.11.2009
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 16 B 5/09 KR
Vorinstanz:
Sozialgericht Duisburg, S 11 KR 204/08
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts
Duisburg vom 19.01.2009 geändert. Dem Kläger wird ab 01.03.2009
ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S N
bewilligt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe:
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I.
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Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Ablehnung von
Prozesskostenhilfe für sein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Duisburg (SG), in
welchem er einen Anspruch auf Krankengeld verfolgt.
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Der Kläger war seit dem 16.04.2007 als Bauleiter/Montageleiter abhängig beschäftigt
und versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Die Beschäftigung endete durch
arbeit-geberseitige Kündigung während der Probezeit zum 31.08.2007. Zuvor war der
Kläger u.a. vom 07.08.2007 bis zum 24.08.2007 arbeitsunfähig erkrankt und vom 25.08.
bis 31.08.2007 von seinem Arbeitgeber freigestellt gewesen. Am 31.08.2007, einem
Freitag, wurde der Kläger von Dr. X erneut arbeitsunfähig geschrieben. Der Kläger
meldete sich in der Folgezeit arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld bei der
Agentur für Arbeit wie auch Krankengeld bei der Beklagten.
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Die Agentur für Arbeit lehnte die Gewährung von Arbeitslosengeld mit der Begründung
ab, dass der Kläger zum erstmöglichen Leistungstag, dem 01.09.2007, keinen Anspruch
auf Arbeitslosengeld habe, weil er aufgrund der am 31.08.2007 eingetretenen
Arbeitsunfähigkeit an diesem Tag nicht arbeitslos gewesen sei (siehe dazu auch den
negativen PKH-Beschluss vom 16.04.2008 im Verfahren - Sozialgericht Duisburg - S 12
AL 88/07).
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Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 18.09.2007 die Gewährung von Krankengeld ab.
Zur Begründung führte sie aus: Die Arbeitsunfähigkeit sei am 31.08.2007 festgestellt
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worden. Der Anspruch auf Krankengeld entstehe nach § 46 Abs 1 Nr 2
Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ab dem Tag, der auf die ärztlichen
Feststellungen folge. Somit beginne der Anspruch auf Krankengeld grundsätzlich am
01.09.2007. Da der Kläger ab diesem Tag beschäftigunglos sei, sei er ohne Anspruch
auf Krankengeld versichert gewesen.
Dagegen hat der Kläger unmittelbar Klage zum SG erhoben.
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Das SG hat die Gewährung vom Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 19.01.2009
abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage biete aus den Gründen des
Bescheides vom 18.09.2007 keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Außerdem sei die
Klage bereits unzulässig, weil das erforderliche Vorverfahren noch nicht durchgeführt
worden sei.
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Mit Bescheid vom 13.01.2009 hatte zwischenzeitlich die Beklagte den Widerspruch
gegen den Bescheid vom 18.09.2007 zurückgewiesen: Der Anspruch auf Krankengeld
entstehe bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder
Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, im übrigen von dem Tag an, der auf
den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folge (§ 46 SGB V). Aus der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 26.06.2007 - B 1 KR 37/06
R) ergebe sich, dass diese Regelung keine bloße Zahlungsvorschrift sei.
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Am 31.08.2007 habe Herr Dr. X Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Der Anspruch auf
Krankengeld entstehe dem Grunde nach am Tag nach der ärztlichen Feststellung, hier
also am 01.09.2007. An diesem Tage habe bei der Beklagten aber keine Mitgliedschaft
mehr bestanden, da diese mit dem Ausscheiden aus der Beschäftigung am 31.08.2007
geendet habe.
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Dagegen richtet sich die fristgerechte Beschwerde des Klägers, der seit dem 01.03.2009
Rente bezieht.
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II:
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Die Beschwerde ist zulässig und im Wesentlichen begründet.
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Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt gemäß § 73a SGG iVm § 114 ZPO
voraus, dass das Rechtsmittel hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Hinreichende
Aussicht auf Erfolg besteht, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägeris
aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend
oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der
Beweisführung überzeugt ist (vgl. Meyer-Ladewig SGG 9. Aufl. § 73a Rdnr. 7 m.w.N.).
Wird eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber
klärungsbedürftig ist, muss Prozesskostenhilfe gewährt werden (vgl. BVerfGE 81, 347;
BVerfG NJW 1997, 2102 f.), und zwar auch dann, wenn das Gericht die Rechtsfrage
ungünstig beurteilt (vgl. BGH NJW 1998,82; BGH NJW 2000,2098).
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Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
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Die Beklagte und die Agentur für Arbeit gehen offenbar davon aus, dass es ohne
Weiteres hinzunehmen sei, dass der Kläger nur deshalb weder Krankengeld noch
Arbeitslosengeld erhalten könne, weil seine Arbeitsunfähigkeit - nach Aktenlage
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(überprüft worden ist das bislang nicht) - genau am letzten Tag seiner Beschäftigung
eingetreten ist. Wäre beim Kläger die Arbeitsunfähigkeit nämlich einen Tag früher
festgestellt worden, hätte die Beklagte einen Anspruch auf Krankengeld am 31.08.2007
bejaht, wäre die Arbeitsunfähigkeit nach dem 01.09.2007 eingetreten, hätte die Agentur
für Arbeit Arbeitslosigkeit angenommen.
Einen Wertungsgesichtspunkt, der die Konsequenz, dass der Kläger leer ausgehen soll,
rechtfertigen könnte, ist bislang von keiner der beteiligten Stellen bezeichnet worden.
Solange kann dem Rechtsmittel des Klägers aber nicht die hinreichende Aussicht auf
Erfolg abgesprochen werden. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Aktenlage
(s.o.) der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit am 31.08.2007 festgestellt worden ist,
also zu einem Zeitpunkt, an dem Kläger noch Beschäftigter und Pflichtversicherter der
Beklagten gewesen ist. Darin unterscheidet sich dieser Sachverhalt von dem des von
der Beklagten zitierten Urteils des BSG vom 26.06.2007 (B 1 KR 37/06 R). Dort hatte der
Versicherte erst am Tag nach dem Ende der Beschäftigung einen Arzt aufgesucht und
sich "arbeitsunfähig schreiben" lassen.
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Prozesskostenhilfe konnte nicht ab Antragstellung bewilligt werden, weil die Klage vor
Abschluss des Vorverfahrens unzulässig gewesen ist und der Kläger erst als Rentner
die wirtschaftlichen Voraussetzungen für Prozesskostenhilfe erfüllt hat.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
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