Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28.07.2004

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Landessozialgericht NRW, L 17 U 48/04
Datum:
28.07.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
17. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 17 U 48/04
Vorinstanz:
Sozialgericht Münster, S 5 U 56/03
Sachgebiet:
Unfallversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Münster vom 26. Januar 2004 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Streitig ist die Gewährung von Verletztenrente.
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Der 1958 geborene portugiesische Kläger war als Bauhelfer bei der Firma Q GbR
beschäftigt.
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Mit Schreiben vom 21.03.2002 machte die für den Kläger zuständige Techniker
Krankenkasse (TKK) gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch wegen eines
Unfalls vom 18.01.2002 geltend. Am 26.06.2002 beantragte der Kläger die
Anerkennung des Unfalls vom 18. oder 19. Januar 2002 als Arbeitsunfall. Ihm sei beim
Abbau eines Gerüstes der Arm verdreht worden. Der Internist Dr. T aus S teilte unter
dem 17.07.2002 mit, am 18.01.2002 sei dem Kläger ein Gerüst auf das Handgelenk
gefallen. Bei der Erstuntersuchung am 21.01.2002, die im Beisein der sechs Jahre alten
Tochter des Klägers als Dolmetscherin erfolgt sei, sei als Befund ein schmerzhaftes
rechtes Handgelenk erhoben worden mit Bewegungseinschränkung. Äußere
Verletzungszeichen hätten nicht vorgelegen. Der Kläger selbst gab gegenüber der
Beklagten an, der Unfall habe sich am 19.01.2002, einem Samstag, 09.30 Uhr, ereignet.
Herr K D habe ihm ein Gerüstteil überreichen wollen. Dabei habe er sich das
Handgelenk verdreht. In der Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 06.08.2002 wurde
ausgeführt, beim Abmontieren eines Leichtgerüstes sei ein Seitenteil (Ständer) auf die
rechte Hand gefallen. Nach Auffassung des Arbeitgebers habe es sich nur um eine
kleine Verletzung gehandelt. Zeichen dafür sei, dass dies am Freitag passiert, der
Kläger aber erst am Montag zum Arzt gegangen sei. Als Unfallzeitpunkt wurde der
18.01.2002, 09.30 Uhr angegeben.
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Nach Beiziehung des Vorerkrankungsverzeichnisses von der TKK holte die Beklagte
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einen Krankheitsbericht von dem Chirurgen Dr. X aus S ein. Dieser übersandte auch
Befundberichte der Radiologen Dr. D u.a. aus S vom 10.05.2002 und von dem
Neurologen und Psychiater Dr. H, S, vom 15.07.2002 sowie eigene Operationsberichte
betreffend Operationen am rechten Handgelenk des Klägers vom 19.03.2002 und
10.09.2002. Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme der Chirurgin Dr.
T1, E, veranlasste die Beklagte die Erstellung eines Gutachtens von Prof. Dr. F,
Chefarzt der chirurgischen Abteilung des St. S-Hospitals D. Dieser ging in seinem
Gutachten vom 23.12.2002 von einer Verdrehung der Hand bei nicht geglückter
Übernahme eines Gerüstteils aus. Er führte zusammenfassend aus, welche Diagnose
letztendlich beim Kläger bestehe, sei offen. Es könne sich um ein Carpaltunnelsyndrom,
ein Syndrom Loge de Guyon oder um die Irritation des Ramus superficialis nervi radialii
handeln. Verbindlich könne festgestellt werden, dass keine dieser drei Nervenstörungen
durch den Geschehensablauf, wie vom Kläger geschildert, habe verursacht werden
können. Es sei nicht vorstellbar, dass durch eine vorübergehende, sehr starke
Kraftanstrengung des Handgelenks mit letztlich nachgehender Hand und zur Seite
sinkender Bohle eine Nervenstörung eines der drei Nerven hervorgerufen werden
könne.
Mit Bescheid vom 13.01.2003 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen
wegen des Versicherungsfalls vom 18.01.2002 ab. Es sei bei dem Unfall allenfalls zu
einer geringfügigen Verdrehung des rechten Handgelenks gekommen. Dieser
Körperschaden sei ausgeheilt. Die geklagten Beschwerden im Bereich des rechten
Handgelenks seien durch den Unfall nicht wesentlich verursacht worden.
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Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, er bestehe auf der Anerkennung
des Ereignisses als Arbeitsunfall, durch den die Beschwerden im Bereich der rechten
Hand verursacht worden seien. Der Unfall habe sich am Samstag, den 19.01.2001,
ereignet. Dem Gutachten von Prof. Dr. F sei nicht zu folgen, zumal dieser ihm im Beisein
des Dolmetschers mitgeteilt habe, eine neurologische Begutachtung sei zusätzlich
erforderlich. Diese sei nicht durchgeführt worden.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 01.04.2003 wies die Beklagte den Widerspruch als
unbegründet zurück. Sie führte unter anderem aus, dahinstehen könne letztlich, ob sich
das Unfallereignis am 18. oder 19.01.2002 zugetragen habe. In jedem Falle ergebe sich
aus dem Gutachten des Prof. Dr. F, dass ein Zusammenhang zwischen den geklagten
Beschwerden und dem Unfallereignis definitiv auszuschließen sei. Als Unfallursache für
das geklagte Beschwerdebild sei am ehesten eine rheumatische Erkrankung möglich.
Im übrigen hätten sich auch aus dem neurologischen Befundbericht des Dr. H vom
14.11.2002 keine Hinweise ergeben auf eine auf das Unfallereignis vom 18.01.2002
zurückzuführende Verletzung. Schließlich sei das Ereignis bereits als Arbeitsunfall
anerkannt worden.
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Hiergegen hat der Kläger am 05.05.2003 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Münster
erhoben. Er hat vorgetragen, bei Gerüstarbeiten habe ihm ein Arbeitskollege ein
Gerüstteil angegeben. Dieses Teil habe er nicht fest greifen können und beim
Umschlagen dieses Gerüstteils habe er sich das Handgelenk verdreht. Dieses habe
eine langwierige ärztliche Behandlung erforderlich gemacht mit inzwischen mehrfachen
chirurgischen Eingriffen. Es bestehe weiterhin Arbeitsunfähigkeit. Der Arbeitsunfall habe
sich am Samstag, den 19.01.2002, ereignet. Er begehre die Gewährung von
Verletztenrente, da er durch die Unfallfolgen um mehr als 20 v.H. in seiner
Erwerbsfähigkeit gemindert sei. Er hat eine Bescheinigung von Dr. T vom 25.07.2003
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vorgelegt.
Auf Anfrage des SG teilte der Arbeitgeber des Klägers am 26.06.2003 mit, der Kläger
habe am Samstag, den 19.01.2002, für die Firma gearbeitet.
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Mit Gerichtsbescheid vom 26.01.2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die
Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
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Gegen den ihm am 29.01.2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am
27.02.2004 Berufung eingelegt. Er trägt vor, die vorliegenden Beschwerden seien eine
zweifelsfreie Folge des Unfallereignisses.
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Der Kläger beantragt,
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den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 26.01.2004 zu ändern und die
Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 13.01.2003 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 01.04.2003 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des
Arbeitsunfalls vom 18. bzw. 19.01.2002 Verletztenrente zu gewähren.
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Die Beklagte, die dem angefochtenen Gerichtsbescheid beipflichtet, beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von Dr. T2, Leitender
Arzt der Klinik für Handchirurgie der Katholischen Kliniken S F. In seinem am
13.05.2004 erstatteten Gutachten ist der Sachverständige (SV) zu dem Ergebnis
gekommen, dass der Unfall vom 18. oder 19.01.2002 keinerlei Körperschäden
hinterlassen habe. Dies gelte sowohl dann, wenn man davon ausgehe, dass es bei dem
Unfallgeschehen zu einem Verdrehen des Handgelenkes gekommen sei, als auch für
den Fall, dass dem Kläger ein Gerüstteil auf das Handgelenk geschlagen sein sollte.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte verwiesen. Die Verwaltungsakten der Beklagten lagen vor und waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht
abgewiesen. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom
13.01.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.04.2003 nicht im
Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert, weil dieser
Bescheid nicht rechtswidrig ist. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung von
Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 18. bzw. 19.01.2002.
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Nach § 56 Abs. 1 des Siebten Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung -
(SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls
über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H.
gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)
richtet sich nach dem Umfang der sich aus den Beeinträchtigungen des körperlichen
und geistigen Leistungsvermögens ergebenden Arbeitsmöglichkeiten auf dem
Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Gemäß Abs. 3 der
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vorgenannten Vorschrift wird bei Verlust der Erwerbsfähigkeit Vollrente, ansonsten eine
Rente nach dem Vom-Hundert-Satz gewährt, der dem Grad der MdE entspricht.
Die Anerkennung und Entschädigung von Unfallfolgen in der gesetzlichen
Unfallversicherung setzt neben dem Vorliegen eines geeigneten Unfallhergangs und
des geltend gemachten Körperschadens voraus, dass letzterer wesentlich ursächlich
auf das Unfallereignis zurückzuführen ist. Nach der in der Unfallversicherung geltenden
Lehre von der wesentlichen Bedingung sind nämlich von den Bedingungen im
naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn als Ursache oder Mitursache unter
Abwägung ihres verschiedenen Wertes nur diejenigen Bedingungen als maßgebend
anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt
wesentlich beigetragen haben (BSGE 1, 72, 76; 61, 127, 129; 63, 272, 278).
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Während der Arbeitsunfall und der geltend gemachte Gesundheitsschaden im Sinne
des Vollbeweises nachgewiesen sein müssen, reicht für den Nachweis des
ursächlichen Zusammenhanges - auch als haftungsausfüllende Kausalität bezeichnet -
die hinreichende Wahrscheinlichkeit aus (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38; § 551 Nr. 1).
Der Ursachenzusammenhang ist dabei erst dann gegeben, wenn bei vernünftigem
Abwägen aller Umstände die auf die unfallbedingte Verursachung hindeutenden
Faktoren so stark überwiegen, dass darauf eine Entscheidung gestützt werden kann
(vgl. BSG a.a.O.). Eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn
nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen
Kausalzusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen
Verursachung ausscheiden (BSG Breithaupt 1963, 60, 61). Dabei müssen die für den
Kausalzusammenhang sprechenden Gründe die gegenteiligen deutlich überwiegen;
nicht ausreichend ist es, wenn die Schlussfolgerung lediglich durchaus möglich ist.
Bestand im Unfallzeitpunkt eine Krankheitsanlage des geschädigten Körperteils, so
muss abgegrenzt werden, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis zu
etwa der selben Zeit durch andere alltäglich vorkommende Ereignisse hätte verursacht
werden können oder ob der Krankheitsanlage eine solch überragende Bedeutung nicht
beigemessen werden kann (BSGE 62, 220, 222; BSG Breithaupt 1968, 823 f.). Dabei
reicht es für die Annahme einer wesentlichen Mitursache nicht aus, dass das
Unfallereignis stärker war als andere alltägliche Ereignisse (BSG a.a.O.).
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Von diesen rechtlichen Voraussetzungen ausgehend ist nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme nicht wahrscheinlich gemacht, dass der Arbeitsunfall vom 18. bzw.
19.01.2002 dauernde Unfallfolgen verursacht hat, die eine MdE um mindestens 20 v.H.
bedingen. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass die Beschwerden im Bereich
des rechten Handgelenkes Folgen des streitigen Arbeitsunfalls sind. Der Senat stützt
sich insoweit ebenso wie das SG zum einen auf das urkundsbeweislich zu verwertende,
im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten von Prof. Dr. F, das in Form und Inhalt
den Anforderungen entspricht, die an ein wissenschaftlich begründetes
Sachverständigengutachten zu stellen sind. Prof. Dr. F hat bereits überzeugend
dargelegt, dass eine Nervenverletzung, wie sie beim Kläger vorliegt, durch das
Unfallereignis nicht hervorgerufen worden sein kann. Der Senat nimmt insoweit - um
Wiederholungen zu vermeiden - auf die diesbezüglichen Ausführungen im
angefochtenen Gerichtsbescheid nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug und schließt sich ihnen
an. Zum anderen wird die Beurteilung von Prof. Dr. F durch das im Berufungsverfahren
eingeholte Gutachten des SV Dr. T2 bestätigt. Unabhängig davon, ob es bei dem
Unfallhergang zu einem Verdrehen des Handgelenks bei Umschlagen des Gerüstteils
gekommen ist oder ob das Schlagen des Gerüstteils auf das Handgelenk nachfolgend
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Handgelenk und Arm verdrehte, hat der streitige Unfall keinerlei Körperschäden
hinterlassen, die mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen sind.
Überzeugend weist der SV darauf hin, dass beide alternativ möglichen
Unfallmechanismen, wenn sie ursächlich für die bestehenden Gesundheitsstörungen
gewesen wären, gravierende, äußerlich leicht zu erkennende Verletzungsspuren
hinterlassen hätten. Solche Verletzungsspuren sind jedoch weder im Bericht des
Hausarztes Dr. T vom 17.07.2002 noch des Chirurgen Dr. X vom 13.08.2002
beschrieben. Die Berufung konnte nach allem keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Es bestand kein Anlass zur Revisionszulassung, denn die Voraussetzungen des § 160
Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG sind nicht erfüllt.
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