Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 02.06.2005

LSG NRW: innere medizin, versorgung, körperpflege, gesundheitszustand, ernährung, nahrung, zukunft, gerichtsverfahren, hilfsperson, gutachter

Landessozialgericht NRW, L 6 (3) P 34/04
Datum:
02.06.2005
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 6 (3) P 34/04
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 23 P 191/03
Sachgebiet:
Pflegeversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom
09.08.2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im
Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
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Die Klägerin beansprucht ab September 2002 Leistungen nach der Pflegestufe II.
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Die 1926 geborene und bei der Beklagten pflegeversicherte Klägerin erhält seit Oktober
1998 Leistungen nach der Pflegestufe I. Grundlage für die Zuerkennung dieser
Pflegestufe war ein im Verfahren S 23 P 92/00 vor dem Sozialgericht Köln erstelltes
Gutachten des Sachverständigen Dr. L vom 31.10.2000, wonach die Klägerin im
Bereich der Grundpflege täglich Hilfe im Umfang von 65 Min. benötigt.
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Am 12.09.2002 stellte die Klägerin einen Änderungsantrag, weil sich ihr Pflegebedarf
wesentlich erhöht habe. Nach Auswertung eines vom Medizinischen Dienst der
Krankenkassen (MDK) eingeholten Gutachtens des Arztes Dr. U vom 31.01.2003 lehnte
die Beklagte die Gewährung einer höheren Pflegestufe mit Bescheid vom 27.01.03 ab,
da bei einem täglichen Hilfebedarf von 69 Min im Bereich der Grundpflege die
Voraussetzungen für die Pflegestufe II nicht gegeben seien.
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Die Klägerin legte gegen diese Entscheidung Widerspruch ein und reichte nach
Aufforderung der Beklagten ein Pflegetagebuch zu den Akten. Nach Einholung zweier
Kurzgutachten vom MDK nach Aktenlage wies die Beklagte den Widerspruch der
Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.2003 zurück.
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Mit der am 29.09.2003 erhobenen Klage beansprucht die Klägerin die Zahlung von
Pflegegeld nach der Pflegestufe II. Sie hat einen an ihren Hausarzt X gerichteten
Arztbrief des St. B Krankenhauses L vom 23.10.2003 vorgelegt und vorgetragen, ihr
Gesundheitszustand habe sich seit 2003 erheblich verschlechtert. Sie könne kaum noch
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einen Schritt gehen.
Das Sozialgericht hat zunächst einen Befundbericht vom dem Facharzt für Innere
Medizin X vom 08.04.04 eingeholt, dem zahlreiche Arztberichte beigefügt waren und
sodann ein Sachverständigengutachten bei dem Internisten Dr. L1 in Auftrag gegeben.
Dieser hat in seinem Gutachten vom 14.05.2004 dargelegt, dass es bei der Klägerin zu
einer langsamen Erhöhung des Hilfebedarfs komme. Sie benötige nunmehr Hilfe im
Bereich der Grundpflege im Umfang von 102 Min. täglich. Davon entfielen 59 Min. auf
den Bereich der Körperpflege, 9 Min auf das mundgerechte Zubereiten der Nahrung und
34 Min. auf Hilfe bei der Mobilität.
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Mit Urteil vom 09.08.2004 hat das SG hat die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen
für die Pflegestufe II seien nicht erfüllt. Auch wenn sich der Hilfebedarf bei der Klägerin
deutlich erhöht habe, werde der für die Pflegestufe II notwendige Umfang von
mindestens 120 Min. täglich nicht erreicht.
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Gegen das ihr am 14.09.2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30.09.2004
Berufung eingelegt. Sie hat einen Bericht des Radiologen Dr. C vom 17.09.2004 sowie
eine weitere ärztliche Bescheinigung des Internisten X vom 28.09.2004 vorgelegt und
ergänzend vorgetragen, sie könne seit vier Jahren das Haus nicht mehr alleine
verlassen. Sie sei in jeder Weise auf Hilfe angewiesen. Aufgrund einer Herzerkrankung
und eines Diabetus Mellitus II sei ihr Gesundheitszustand sehr angegriffen.
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Die Klägerin ist ausweislich Postzustellungsurkunde am 06.05.2005 ordnungsgemäß
zum Termin geladen worden. Sie hat angegeben, zum Termin nicht erscheinen zu
können. Das Gericht hat die Klägerin daraufhin über die Sach- und Rechtslage und
insbesondere das Ergebnis der Beweisaufnahme informiert (Hinweisschreiben vom
17.05.2005). Die Klägerin hat mitgeteilt, sie halte das Rechtsmittel aufrecht.
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Sie hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 09.08.2004 zu ändern und die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 27.01.2003 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 04.09.2003 zu verurteilen, ihr ab September 2002
Leistungen nach der Pflegestufe II zu zahlen.
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Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie sieht die Voraussetzungen für die Pflegestufe II als nicht gegeben an.
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Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von
dem Arzt Dr. L2. Dieser hat in dem Gutachten vom 22.12.2004 einen täglichen
Pflegebedarf von 106 Min für die Grundpflege ermittelt. Die Voraussetzungen für die
Pflegestufe II lägen nicht vor. Der Senat nimmt im Übrigen auf den Inhalt des Gutachtens
Bezug.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Der Senat konnte die Streitsache verhandeln und entscheiden, obwohl für die
Beteiligten niemand erschienen ist. Die Beteiligten, die beide ihr Abwesenheit
entschuldigt haben, sind in den Ladungen auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§
124 Abs. 1, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG- ).
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Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht
abgelehnt, der Klägerin die Pflegestufe II zuzuerkennen. Die angefochtenen Bescheide
der Beklagten sind rechtmäßig.
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Nach § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist, soweit in den
tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes
vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung
für die Zukunft aufzuheben. Eine wesentliche, d.h. pflegestufenrelevante Änderung ist
nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bisher (noch) nicht eingetreten, auch wenn
sich der Gesundheitszustand seit der Feststellung der Pflegestufe I im Jahr 1998
deutlich insbesondere in den Grunderkrankungen verschlechtert und sich der
Gesamtpflegebedarf entsprechend auf jetzt 106 Minuten erhöht hat. Diese Änderung ist
aber nicht so erheblich, dass nun bereits die Voraussetzungen für die Zuerkennung der
Pflegestufe II erreicht werden.
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Der Klägerin steht kein Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe II zu, weil die
Voraussetzungen nach § 15 Abs.1 S.1 Nr.2 i.V.m § 15 Abs.3 Nr. 2 SGB XI nicht
vorliegen. Nach § 15 Abs.1 S.1 Nr.2 SGB XI setzt die Zuordnung eines
Pflegebedürftigen zur Pflegestufe II voraus, dass er bei der Körperpflege, der Ernährung
oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe
bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen
Versorgung benötigt werden. Außerdem verlangt § 15 Abs.3 Nr.2 SGB XI, dass der
Zeitaufwand, den eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die
erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung
benötigt, täglich im Wochendurchschnitt drei Stunden täglich beträgt, wobei auf die
Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen müssen. Für die Zuordnung zur
Pflegestufe II ist nur der Umfang des Pflegebedarfs bei den gewöhnlichen und
wiederkehrenden Verrichtungen maßgebend, die § 14 Abs. 4 SGB XI in die Bereiche
Körperpflege, Ernährung und Mobilität sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen
Versorgung aufteilt (z.B. BSG, Urteil vom 06.08.1998, B 3 P 17/97 R = BSG SozR 3-
3300 § 14 Nr.6).
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Der von der Klägerin benötigte Pflegeumfang erreicht derzeit nicht den Umfang der
Pflegestufe II. Dies ergibt sich bereits aus dem MDK-Gutachten des Dr. U und dem im
Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten der Sachverständigen Dr. L1 vom 14.05.04.
Bestätigt wird diese Auffassung durch das Gutachten von Dr. L2 vom 22.12.2004, das
der Senat im Berufungsverfahren eingeholt hat. Alle Gutachter kommen
übereinstimmend zu der Auffassung, dass der Umfang von mindestens 120 Min
täglichen Hilfebedarfs im Bereich der Grundpflege, wie er für die Pflegestufe II
Voraussetzung ist, bei der Klägerin noch nicht erreicht wird.
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Ein Hilfebedarf von 59 Min täglich ist im Bereich der Körperpflege notwendig, die fast
vollständig von einer Hilfsperson übernommen werden muss. Die Klägerin ist lediglich
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in der Lage, Gesicht, Hände, Arme und vorderen Oberkörper alleine zu waschen.
Insbesondere zur Ganzkörperwäsche und Intimhygiene/Reinigung des Gesäßes ist die
komplette Übernahme notwendig. Anders als noch im Mai 2004 benötigt die Klägerin
nun auch Hilfe beim Richten der Kleidung nach Toilettengängen und, je nach
Tagesform, zum Vorlagenwechsel bei Stressinkontinenz. Zusätzlich sehen Dr. L1 und
Dr. L2 übereinstimmend einen Hilfebedarf im Umfang von 9 Min für das mundgerechte
Zubereiten der Nahrung. Im Bereich der Mobilität haben die gerichtlichen
Sachverständigen einen Bedarf von 34 bzw. 38 Min ermittelt. Hier muss vor allem Hilfe
beim An- und Ausziehen geleistet werden, sowie eine geringe Hilfe beim Aufstehen und
zu Bett gehen. Wegen der Morgensteifigkeit und der damit einhergehenden
Bewegungsunsicherheit ist weitere Hilfe beim Gehen und Stehen erforderlich.
Zusätzlich benötigt die Klägerin umfangreiche Unterstützung bei der
hauswirtschaftlichen Versorgung im Umfang von etwa 45. Min. Der Senat schließt sich
den im Wesentlichen übereinstimmenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. L1
und Dr. L2 an. Auch wenn sich nach ihren Darlegungen der Hilfebedarf bei der Klägerin
in den letzten Jahren ständig erhöht hat, kann ein solcher von mindestens 120 Min.
täglich in der Grundpflege und weiteren 60 Minuten in der hauswirtschaftlichen
Versorgung nicht festgestellt werden. Soweit sich nach den überzeugenden
Feststellungen der gehörten Sachverständigen bei weiterem Fortschreiten der
gesundheitlichen Einschränkungen der Pflegebedarf zukünftig voraussichtlich erhöhen
und die Grenze für die Zuerkennung der Pflegestufe II erreicht werden wird, so führt dies
nicht zu einer anderen Beurteilung oder einem weiteren Zuwarten des Gerichts.
Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung.
Die Klägerin hat jederzeit die Möglichkeit, bei der Beklagten einen Änderungsantrag zu
stellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1
oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.
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